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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 1 B 7/05
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwGO § 60
AufenthG § 31
1. Antwortet ein Ausländer, dessen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen vor dem Verwaltungsgericht erfolglos geblieben ist, nicht auf die Übersendung des Beschlusses durch seinen Rechtsanwalt und dessen damit verbundene Anfrage, ob Rechtsmittel eingelegt werden soll, ist der Rechtsanwalt vor Ablauf der Beschwerdefrist gehalten, sich zu vergewissern, ob seine Post den Mandanten erreicht hat, bevor er von der Einlegung des Rechtsmittels absieht (im Anschluss an BVerwGE 60,240).

2. Das Wohl eines Kindes kann im Einzelfall auch dann schutzwürdige Belange des Ehegatten im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG begründen, wenn die Kinder nicht mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenleben. Diese Voraussetzungen liegen aber jedenfalls dann nicht vor, wenn der Ehegatte sich dem Kind gegenüber in schwerwiegender Weise gewaltig verhält.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 B 7/05

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 17.01.2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 30.11.2004 wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist (§ 147 Abs. 1 VwGO) erhoben worden ist. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, weil der Antragsteller nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gehindert war, die Frist einzuhalten (§ 60 VwGO). Dieses Verschulden muss sich der Antragsteller zurechnen lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

1. Zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts gehört auch, im Rahmen des ihm Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass seine Mitteilungen den Mandanten zuverlässig und rechtzeitig erreichen (vgl. BVerwG Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 120). Dieser Pflicht hat der Bevollmächtigte des Antragstellers nicht schon dadurch hinreichend genügt, dass er den Beschluss des Verwaltungsgerichts mit "Verteidigerpost" an den Antragssteller in der Untersuchungshaftanstalt richtete. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsregelung abgelehnt worden war, hatte für den Antragsteller existentielle Bedeutung. Unter diesen Umständen war zu erwarten, dass der Antragsteller die Frage, ob Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt werden sollte, alsbald beantworten würde, wenn ihn der Brief erreicht hätte. Das Ausbleiben einer Antwort hätte den Prozessbevollmächtigten deshalb veranlassen müssen, rechtzeitig vor Ablauf der Frist nachzufragen, ob sein Schreiben dem Mandanten auch tatsächlich zugegangen war. Wegen der Bedeutung der Angelegenheit für seinen Mandanten hätte es der Prozessbevollmächtigte nicht bei einem einmaligen Benachrichtigungsversuch bewenden lassen dürfen. Er war vielmehr gehalten, bei dem Mandanten nochmals und nicht nur mit einfachem Brief Rückfrage zu halten oder sich auf sonstige Weise zu vergewissern, ob dieser die Einlegung der Beschwerde wünsche oder nicht (BVerwGE 60,240 <241>; ThürOVG NVwZ-RR 1997,390 <391>). Dazu bestand hier umso mehr Anlass, als der Prozessbevollmächtigte seinen Brief als "Verteidigerpost" bezeichnet hatte, obwohl nicht er, sondern ein anderer Anwalt als Strafverteidiger für den Antragsteller tätig und der Untersuchungshaftanstalt nicht bekannt war, dass der Antragsteller den Prozessbevollmächtigten mit der Vertretung in dem ausländerrechtlichen Verfahren beauftragt hatte. An der erforderlichen Rückfrage, für die möglicherweise ein Telefonanruf in der Untersuchungshaftanstalt ausgereicht hätte, hat der Prozessbevollmächtigte es hier fehlen lassen.

2. Unabhängig davon war der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wegen der ausbleibenden Antwort seines Mandanten nicht gehindert, rechtzeitig Beschwerde einzulegen. Nach der ihm erteilten Prozessvollmacht (Bl. 3 GA) war er nämlich auch ohne besondere Weisung des Mandanten zur Einlegung von Rechtsmitteln ermächtigt. In einem solchen Fall beruht die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist - jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (NVwZ 1984,521) zu asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten - grundsätzlich nicht auf Hinderungsgründen im Sinne von § 60 VwGO. Es spricht Einiges dafür, diesen Grundsatz auch auf ein aufenthaltsrechtliches Verfahren wie das vorliegende anzuwenden. Einer abschließenden Entscheidung bedarf dies aber nicht, weil die Fristversäumnis schon aus den unter 1. dargestellten Gründen nicht unverschuldet ist (vgl. auch ThürOVG NVwZ-RR 1997,390 <391>).

II.

Auch wenn die Beschwerde als zulässig angesehen werden könnte, wäre ihr der Erfolg zu versagen, weil sie nicht begründet ist.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe. Die Darlegungen des Antragstellers beschränken sich auf die inhaltliche Würdigung seiner Beziehungen zu seiner Tochter und einem seiner Söhne. Das Verwaltungsgericht hat diese Würdigung nur im Rahmen der Frage vorgenommen, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt. Dass diese Beziehungen auch für das eigenständige Aufenthaltsrecht des Antragstellers nach § 23 Abs. 3 i.V.m. § 19 Abs. 1 AuslG bzw. nunmehr § 28 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 AufenthG von Bedeutung sein könnten, legt die Beschwerde nicht ausdrücklich dar. Zu Gunsten des Antragstellers muss jedoch angenommen werden, dass er diese - seiner Ansicht nach unzureichend gewürdigten - Beziehungen unter allen rechtlichen Aspekten geltend machen will. Auch bei diesem weiten Verständnis rechtfertigen die dargelegten Gründe jedoch nicht die Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung abgelehnt, die Ablehnung sei offensichtlich rechtmäßig. An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass zum 01.0.12005 ein neues Aufenthaltsgesetz in Kraft getreten ist.

Nach § 28 Abs. 3 i.V.m. 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis eines Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzuges unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Zu berücksichtigen sind, wie von den Beteiligten zu Recht nicht in Zweifel gezogen wird, nämlich nicht die Zeiten vor der ausweisungsbedingten Ausreise des Antragstellers im Jahre 2000, sondern nur die Zeiten nach der Befristung der Ausweisung und der Wiedereinreise in das Bundesgebiet (vgl. zum insoweit gleichlautenden bisherigen Recht: HessVGH InfAuslR 1994,223 und FamRZ 1998, 615; OVG Hamburg InfAuslR 1995,293; Grünewald in GK-AuslG Rn 39 zu § 19 AuslG). Von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ist nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen.

a) Eine besondere Härte liegt nach § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht; zu den schutzwürdigen Belangen zählt auch das Wohl eines mit dem Ehegatten in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. Eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und den in der Beschwerde genannten Kindern besteht hier nicht, weil die Kinder bei der Trennung der Ehegatten der Mutter gefolgt sind. Auch ohne das Bestehen einer solchen familiären Lebensgemeinschaft kann die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu seinen Kindern zu den schutzwürdigen Belangen gehören, die eine besondere Härte begründen. Die Aufzählung des Gesetzes ist nämlich nicht abschließend. Voraussetzung für die Einbeziehungen bloßer Begegnungsgemeinschaften zwischen dem Ehegatten und seinen Kindern in die schutzwürdigen Belange, die eine besondere Härte begründen können, ist aber zumindest das Vorhandensein dauerhafter enger und persönlicher, durch elterliche Zuneigung bestimmter Beziehungen. Solche Beziehungen hat das Verwaltungsgericht hier zu Recht unter Hinweis auf die Vorfälle verneint, die dem Strafverfahren zugrunde liegen, das gegen den Antragsteller geführt wird. Der Antragsteller wird mehrerer z.T. gefährlicher Körperverletzungen und Nötigungen u.a. gegen seine 16jährige Tochter beschuldigt - inzwischen ist er dieser Taten auch angeklagt - und befindet sich deswegen in Untersuchungshaft. Neben anderen Gewaltdelikten zum Nachteil seiner Tochter wird ihm vorgeworfen, diese am 02.11.2004 von der Arbeitsstelle abgeholt, im Auto mit dem rechten Arm ins Gesicht geschlagen, sie an den Haaren gepackt, ihren Kopf zu sich auf den Schoß gezogen, bis zum Eintritt der Bewußtlosigkeit mit der Faust auf die rechte Kopf- und Gesichtshälfte eingeschlagen, sie sodann durch die geöffnete Beifahrertür auf die Straße hinausgestoßen und hilflos auf der Fahrbahn liegen gelassen zu haben. Die Tochter, die zunächst für das Opfer eines Verkehrsunfalls mit Fahrerflucht gehalten wurde, musste mit schweren Verletzungen zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Dem Antragsteller wird weiter vorgeworfen, am nächsten Tag gegenüber seiner ehemaligen Ehefrau gedroht zu haben, den Kopf der Tochter vom Rumpf zu trennen, falls diese ihn anzeige. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine Fortdauer von Beziehungen des Antragstellers zu seiner Tochter nicht deren Wohl dient, vielmehr alles getan werden muss, um die Tochter vor Kontakten mit ihrem gewalttätigen Vater zu schützen. Die Auffassung der Beschwerde, die Kinder des Antragstellers würden schweren seelischen Schaden nehmen, wenn der Antragsteller nicht in Deutschland bleiben dürfe, ist schlechterdings nicht nachvollziehbar. Sie gewinnt auch nicht durch die vorgelegte ärztliche Bescheinigung eines praktischen Arztes vom 06.05.2004 an Überzeugungskraft, nach der die Tochter des Antragstellers "durch die Trennung von ihrem Vater" u.a. an psychosomatischen Magen-Darm-Beschwerden, einer der Söhne unter nächtlichem Bettnässen leide und zur Besserung der Beschwerden dringend ein regelmäßiger Kontakt zum Vater anzuraten sei. Die ärztliche Empfehlung, regelmäßigen Kontakt zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter zu ermöglichen, drängt die Schlussfolgerung auf, dass ihm das Verhalten des Antragstellers gegenüber seiner Tochter nicht bekannt war. Unabhängig davon muss die Bescheinigung spätestens seit dem Vorfall vom 02.11.2004 als überholt angesehen werden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ihr keine Bedeutung beigemessen und auch keine Notwendigkeit gesehen, den Arzt weiter zu befragen. Die von der Beschwerde vermisste vertiefte ärztliche Stellungnahme von Gerichts wegen herbeizuführen, bestand und besteht keine Veranlassung. Für die Einschätzung, dass ein weiterer Kontakt zwischen dem Antragsteller und seiner Tochter nicht dem Wohl der Tochter dient, sondern schadet, bedarf es angesichts der außergewöhnlichen Umstände dieses Falles keiner besonderen ärztlichen Sachkunde. Angesichts der offensichtlich fehlsamen Beurteilung der familiären Verhältnisse durch den bescheinigenden Arzt kann aus seinem Attest auch kein aussagekräftiger Hinweis für die Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen dem Antragsteller und dem in der Bescheinigung genannten 14jährigen Sohn entnommen werden, die einen schutzwürdigen Belang im Sinne einer besonderen Härte begründen könnte.

b) Liegen die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Antragstellers nicht vor, kommt es nicht mehr darauf an, dass die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG "in der Regel" ausgeschlossen ist, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Ein Ausweisungsgrund liegt hier darin begründet, dass der weitere Aufenthalt des Antragstellers wegen der von ihm ausgehenden Gewalt, deren Fortsetzung er nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen angedroht hat, die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigt (§ 55 Abs. 1 AufenthG). Die - offene - Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen einer anspruchbegründenden besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 AufenthG dazu berechtigen kann, von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzuweichen, bedarf deshalb keiner Klärung in diesem Verfahren.

2. Auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Abschiebungsregelung hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist es entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht aus Gründen des Schutzes der familiären Beziehungen des Antragstellers zu seinen Kindern geboten, von der Abschiebung abzusehen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

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