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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 02.02.2009
Aktenzeichen: 1 D 599/08
Rechtsgebiete: PBefG, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

PBefG § 28
VwGO § 52 Nr. 1
VwGO § 53 Abs. 1 Nr. 3
VwVfG § 75
Für Klagen niedersächsischer Grundeigentümer gegen einen Planfeststellungsbeschluss, der die Verlängerung einer Straßenbahnlinie auf bremischem und niedersächsischem Gebiet zum Gegenstand hat, ist sind sowohl das OVG Bremen als auch das Niedersächsische OVG nach § 52 Nr. 1 VwGO örtlich zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO ist daher vom Bundesverwaltungsgericht zu bestimmen, vor welchem der beiden Oberverwaltungsgerichte das Verfahren stattfindet.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 D 599/08

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch Richter Göbel, Richter Prof. Alexy und Richterin Feldhusen am 02.02.2009 beschlossen:

Tenor:

Das Bundesverwaltungsgericht wird ersucht, das für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständige Oberverwaltungsgericht zu bestimmen.

Gründe:

A.

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses, den die Beklagte nach § 28 PBefG auf Antrag der Beigeladenen erlassen hat.

Gegenstand der Planfeststellung ist die Verlängerung der Straßenbahnlinie 4 um einen 3. Bauabschnitt von Bremen-Borgfeld nach Lilienthal-Falkenberg. Die Linie 4 verläuft bisher ausschließlich auf dem Gebiet der Stadtgemeinde Bremen zwischen den Ortsteilen Arsten und Borgfeld. Die geplante Verlängerung ist 5.500 m lang. Davon erstrecken sich ca. 730 m auf bremischem Gebiet von dem bisherigen Endpunkt Borgfeld bis zur Landesgrenze; 4.770 m verlaufen innerhalb der geschlossenen Ortslage der niedersächsischen Gemeinde Lilienthal. Alle geplanten neuen Haltestellen befinden sich innerhalb der Gemeinde Lilienthal.

Der Kläger ist Eigentümer mehrerer an dem geplanten Streckenabschnitt in Lilienthal gelegener Grundstücke. Ein Teil seines Grundeigentums wird für die geplante Anlage in Anspruch genommen. Entsprechend der ihm erteilten Rechtsmittelbelehrung hat er Klage zum Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen erhoben. Mit seiner Klage wendet er sich gegen den Eingriff in sein Grundeigentum und gegen die von dem Vorhaben ausgehenden Immissionen (Lärm, Erschütterungen, Elektrosmog).

Der Kläger rügt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Oberverwaltungsgerichts und beantragt, den Rechtsstreit an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zu verweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene treten dem Verweisungsantrag entgegen; sie halten (ausschließlich) das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen für örtlich zuständig.

B.

Für den Rechtsstreit sind nach § 52 Nr. 1 VwGO sowohl das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht örtlich zuständig (I.). Nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO hat daher das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht zu bestimmen (II.).

I.

Nach § 52 Nr. 1 VwGO ist bei Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das (Ober-) Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegen. Durch die Vorschrift sollen Rechte erfasst werden, die zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung stehen (BVerwG, Beschl. v. 10.12.1996 - 7 AV 11-18/96 - NVwZ 1997, 1022 <1023> m.w.Nwn.). Der angefochtene Planfeststellungsbeschluss bezieht sich auf solche Rechte.

1.

Durch den Planfeststellungsbeschluss wird die Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BremVwVfG). Die Zulässigkeit des Vorhabens wird für einen bestimmten Streckenabschnitt festgestellt. Die Rechte des Vorhabenträgers, die durch die Zulassung begründet werden, sind deshalb an den Ort gebunden, in dem der Streckenabschnitt liegt (BVerwG, Beschl. v. 31.03.2004 - 9 A 33/03 - NVwZ-RR 2004, 551 <552>). Der hier planfestgestellte Streckenabschnitt liegt zum (geringeren) Teil in Bremen, zum (größeren) Teil in Niedersachsen. Da der Kläger die Aufhebung des gesamten Planfeststellungsbeschlusses begehrt, bezieht sich die Streitigkeit auf Rechte der Beigeladenen in beiden Ländern. Dadurch wird die kumulative örtliche Zuständigkeit der (Ober-) Verwaltungsgerichte beider Länder begründet (vgl. entsprechend für die Planfeststellung einer durch mehrere Gerichtsbezirke verlaufenden Bundesautobahn: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.04.199 - 5 S 714/99 - ZfBR 2000, 69f.).

2.

Durch den Planfeststellungsbeschluss werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den durch den Plan Betroffenen geregelt (Gestaltungswirkung, § 75 Abs. 1 Satz 2 BremVwVfG). Ansprüche der Betroffenen auf Unterlassung des Vorhabens, Beseitigung oder Änderung der Anlagen oder auf Unterlassung ihrer Benutzung werden durch den Planfeststellungsbeschluss ausgeschlossen (Duldungswirkung, § 75 Abs. 2 BremVwVfG). Als Folge des Planfeststellungsbeschlusses muss der Kläger die Enteignung eines Teils seines Grundeigentums und die von dem Vorhaben ausgehenden Immissionen auf seine Grundstücke hinnehmen. Dadurch wird seine an die Grundstücke gebundene Rechtsstellung als Eigentümer verändert. Der Streit über den Planfeststellungsbeschluss ist deshalb auch an den Ort der Grundstücke des Klägers gebunden (vgl. den Beschl. des BVerwG vom 12.02.1993 - 4 ER 404/92 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 34, der auf die "betroffenen Grundstücke des Klägers" abstellt; ferner VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 24.10.2002 - 8 S 2225/02 - NVwZ-RR 2003, 737 <738>, der die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über An- und Abflugrouten zu bzw. von einem Flughafen nach der Belegenheit des überflogenen Territoriums bestimmt).

Die Belegenheit des Grundstücks des Klägers in Lilienthal begründet deshalb die örtliche Zuständigkeit des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Diese Zuständigkeit tritt zusätzlich neben die durch die Belegenheit der Straßenbahnstrecke begründete Zuständigkeit des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen.

3.

Das angerufene Oberverwaltungsgericht kann die kumulative örtliche Zuständigkeit beider Gerichte nach § 52 Nr. 1 VwGO nicht dadurch beseitigen, dass es darauf abstellt, wo der Schwerpunkt der Maßnahme oder der von ihr ausgelösten Betroffenheit liegt. Auch ein Rückgriff auf die in den anderen Nummern des § 52 VwGO getroffenen Regelungen ist nicht möglich. § 52 Nr. 1 VwGO bestimmt die örtliche Zuständigkeit für die dort genannten Streitigkeiten abschließend ("ist nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk ... der Ort liegt."). Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen ist deshalb unerheblich, dass die Planfeststellung für das gesamte Vorhaben gemäß §§ 29 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 4 Satz 1, 11 Abs. 3 Satz 1 PBefG durch eine Behörde der Freien Hansestadt Bremen erfolgt ist. Die Zuständigkeit der Behörde nur eines Landes eröffnet hier keinen Rückgriff auf § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO. Die dort getroffene Regelung, dass das (Ober-) Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde, gilt ausdrücklich nur "vorbehaltlich der Nummern 1 und 2" des § 52 VwGO. Auch für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 52 Nr. 2 Satz 2 VwGO, den der Kläger heranziehen will, ist deshalb kein Raum; die Vorschrift gilt im Übrigen nur für Klagen gegen Zentral- oder Mehrländerbehörden, nicht für Klagen gegen Behörden mit einer sachlich begrenzten Sonderzuständigkeit (BVerwG, Beschl. v. 03.07.1978 - 3 ER 400/78 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 15).

II.

Nach alledem ist nicht lediglich rechtlich zweifelhaft, welches der in Betracht kommenden Oberverwaltungsgerichte bei richtiger Auslegung des § 52 VwGO örtlich zuständig ist. Es steht vielmehr fest, dass beide Oberverwaltungsgerichte nach § 52 Nr. 1 VwGO örtlich zuständig sind. Für diesen Fall, dass sich dem Prozessrecht keine Zuweisung zu einem bestimmten Gericht entnehmen lässt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.12.1998 - 9 AV 1.98 - Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 25; Beschl. v. 04.06.2007 - 2 AV 1.07 - <juris>), sieht § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO vor, dass das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt wird. Das ist hier das Bundesverwaltungsgericht. Das Oberverwaltungsgericht ist zur Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 53 Abs. 3 Satz 1 VwGO befugt. Die Beteiligten sind - wegen der Eilbedürftigkeit aufgrund der anhängigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fernmündlich - darüber informiert worden, dass das Oberverwaltungsgericht einen solchen Schritt erwägt, und hatten Gelegenheit, sich dazu zu äußern.

Ende der Entscheidung

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