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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 06.03.2009
Aktenzeichen: 1 S 497/08
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
Bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten eines Klageverfahrens, in dem der Kläger sich mit substantiierten Einwänden gegen die fachliche Bewertung der von ihm erbrachten schriftlichen Prüfungsleistung wendet, darf die gerichtliche Prüfung nicht in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 1 S 497/08

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch Richter Göbel, Richter Prof. Alexy und Richterin Feldhusen am 06.03.2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 04.09.2008 aufgehoben.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt Dr. G. beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig. Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO). Sie hat glaubhaft gemacht, dass das Fristversäumnis dadurch hervorgerufen worden ist, dass ihr das Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 08.09.2008, mit dem dieser bis zum 22.09.2008 um Äußerung bat, ob Beschwerde eingelegt werden solle, nicht zugegangen ist.

Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage (§§ 166 VwGO, 114 ZPO) zu Unrecht verneint.

Bei der Prüfung, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten bietet, hat das Gericht den Zweck des Instituts der Prozesskostenhilfe zu berücksichtigen. Prozesskostenhilfe dient dazu, die Situation von Bemittelten und weniger Bemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen; den weniger Bemittelten soll ein weitgehend gleicher Zugang zu den Gerichten ermöglicht werden. Das schließt nicht aus, Prozesskostenhilfe für ein bereits bei summarischer Überprüfung aussichtsloses Rechtsschutzbegehren zu versagen. Andererseits wird die Rechtsverfolgung der weniger bemittelten Partei aber unverhältnismäßig erschwert, wenn im Bewilligungsverfahren die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll insbesondere nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (st. Rspr. des BVerfG, vgl. B. v. 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - BVerfGE 81, 347; zuletzt etwa B. v. 19.12.2007 - 1 BvR 2036/07 - FamRZ 2008, 581).

Nach diesem Maßstab bietet die Klage im vorliegenden Fall hinreichende Erfolgsaussichten. Die Klägerin wendet sich gegen das Ergebnis ihrer Abschlussprüfung zur Bürokauffrau. Ausweislich des ihr nach § 37 BBiG erteilten Zeugnisses hat sie im praktischen Prüfungsteil ein befriedigend und im schriftlichen Prüfungsteil ein ausreichend erreicht. Die Klägerin erhebt verschiedene Einwände gegen die Bewertung ihrer schriftlichen Leistungen.

Im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle der Bewertung von berufsbezogenen Prüfungen ist wie folgt zu differenzieren: Soweit es um die fachliche Richtigkeit der Antworten des Prüflings geht, kann dieser verlangen, dass eine vertretbare Antwort nicht als falsch gewertet wird. Einen vorhandenen Antwortspielraum darf er ausnutzen. Die gerichtliche Überprüfung hat zu gewährleisten, dass ihm dieser Spielraum zugestanden wird. Demgegenüber sind die eigentlichen prüfungsspezifischen Bewertungen nur eingeschränkt einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Der prüfungsspezifische Bewertungsspielraum ist etwa überschritten, wenn die Prüfer von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe verletzt haben oder sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen (st. Rspr. des BVerfG, vgl. B. v. 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 und - 1 BvR 1529/84 - BVerfGE 84, 59; aktuelle Nachweise aus der Rechtsprechung bei Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., 2007, S 282 f.).

Die Einwände, die die Klägerin gegen das Prüfungsergebnis richtet, betreffen die fachliche Richtigkeit/Vollständigkeit der von ihr gegebenen Antworten. Ihre diesbezüglichen Einwände sind konkret und substantiiert. Ob sie damit im Ergebnis wird durchdringen können, kann nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Die Tatsachenfragen sind insoweit komplex; der Ausgang des Hauptsacheverfahrens erscheint insgesamt offen. Damit sind die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem ablehnenden Beschluss vom 04.09.2008, in dem die Einwände der Kläger mit eingehender Begründung als nicht tragfähig qualifiziert werden, die Rechtsverfolgung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert. Das ist aber nicht Zweck des Bewilligungsverfahrens und verkürzt im Ergebnis den Rechtsschutz der Klägerin. Ob die von ihr angegriffene Bewertung einer rechtlichen Prüfung standhält, lässt sich vielmehr, wie dargelegt, nur in einem Hauptsacheverfahren klären, in dem insbesondere die mündlichen Verhandlung für die Beteiligten Gelegenheit bietet, auf die Überzeugungsbildung des Gerichts einzuwirken.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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