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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 16.03.2007
Aktenzeichen: 2 B 286/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
Der Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens ist nur aus sachlichen Gründen zulässig. Liegen solche Gründe nicht vor, ist das bisherige Auswahlverfahren fortzuführen.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 2 B 286/06

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Nokel und Richter Dr. Grundmann am 16.03.2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 6. Kammer - vom 19.07.2006 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die Stelle einer Richterin/eines Richters am Finanzgericht - Bes.Gr. R 2 - bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage des Antragstellers gegen seine Nichtauswahl oder bis zum Ablauf von vier Wochen nach einer anderweitigen Erledigung des Verfahrens freizuhalten.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000.00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die einstweilige Freihaltung der Stelle eines Richters am Finanzgericht - Bes.Gr. R 2 - deren Besetzung die Antragsgegnerin im Dezember 2005 im Amtsblatt und im Internet ausgeschrieben hat.

Um die ausgeschriebene Stelle bewarben sich u. a. der Antragsteller und der Beigeladene.

Der Antragsteller ist Richter am Finanzgericht Hannover, Bes.Gr. R 2, der Beigeladene Richter am Verwaltungsgericht Bremen, Bes.Gr. R 1, und derzeit an das Finanzgericht Bremen abgeordnet.

Mit Bescheid vom 10.03.2006 teilte der Senator für Justiz und Verfassung dem Antragsteller die Auswahl des Beigeladenen mit. Im Schreiben vom 22.03.2006 erläuterte er dem Antragsteller die Auswahlentscheidung: Der ausgewählte Bewerber (Beigeladener) besitze einen erkennbaren Eignungsvorsprung. Seine aktuelle Beurteilung sei im Vergleich zur letzten Regelbeurteilung des Antragstellers bei vergleichender Heranziehung der unterschiedlichen Beurteilungsgrundlagen besser. (Der Antragsteller ist Anfang 2006 für den Beurteilungszeitraum 01.10.2002 bis 30.09.2005 mit sehr gut geeignet, der Beigeladene in der Anlassbeurteilung vom 10.02.2006 mit sehr gut beurteilt worden).

Am 29.03.2006 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung seines Bewerberverfahrensanspruchs beantragt.

Unter dem 19.06.2006 teilte der Senator für Justiz und Verfassung den Beteiligten mit, er breche das eingeleitete Ausschreibungs- und Bewerbungsverfahren Richter/Richterin am Finanzgericht ab.

Anlass dafür seien aktuell notwendig gewordene Schwerpunktsetzungen für die Verwendung der in der bremischen Justiz zur Verfügung stehenden Personalressourcen. Die Strafjustiz müsse zur Bekämpfung von Schwerkriminalität (Vorgänge auf der sog. "Disco-Meile") um mehrere Richter, Staatsanwälte und Justizfachangestellte verstärkt werden. Infolge dessen könnten Neueinstellungen in anderen Bereichen der Justiz derzeit nicht in Betracht kommen. Da die Stellenausschreibung sich grundsätzlich auch an Bewerber aus anderen Bundesländern richte, deren Auswahl mit einer Neueinstellung verbunden wäre, könne das Besetzungsverfahren nicht mit den bisherigen Maßgaben fortgeführt und müsse daher abgebrochen werden.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag des Antragstellers mit Beschluss vom 19.07.2006 abgelehnt: Nach Abbruch des eingeleiteten Stellenbesetzungsverfahrens drohe nicht mehr die Vereitelung eines möglichen Bewerberverfahrensanspruchs, so dass ein Anordnungsgrund fehle. Es stehe im weiten Organisationsermessen des Dienstherrn, die Bewerberverfahrensanspruchsrechte durch Abbruch des Verfahrens wieder zum Erlöschen zu bringen. Die Rechtmäßigkeit des Verfahrensabbruchs müsse der Antragsteller im Hauptsacheverfahren klären.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller am 07.08.2006 Beschwerde erhoben.

Der Senator für Finanzen hat während des Beschwerdeverfahrens durch Widerspruchsbescheid vom 24.08.2006 den Widerspruch des Antragstellers gegen die Auswahlentscheidung als unzulässig und den Widerspruch gegen den Abbruch des Auswahlverfahrens als unbegründet zurückgewiesen.

Der Antragsteller, der inzwischen Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben hat, hält seine Beschwerde aufrecht und begründet sie wie folgt: Für den Antragsteller bestehe nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse für das vorliegende Eilverfahren unter dem Gesichtspunkt, dass seine bisher erreichte Rechtsposition nicht in einem späteren Stellenbesetzungsverfahren in Frage gestellt werde. Es sei aufgrund des Verhaltens der Antragsgegnerin unklar, ob die Stelle nicht alsbald intern ausgeschrieben werde. Eine interne Ausschreibung sei im Übrigen unzulässig, da jeder geeignete Bewerber gemäß Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 12 GG Zugang zu einer derartigen Stelle erhalten müsse. Der Verfahrensabbruch sei unwirksam. In dem Schreiben des Senators für Justiz und Verfassung vom 19.06.2006 könnten keine sachlichen Gründe erkannt werden. Es sei allgemein und substanzlos. Einen generellen Einstellungsstopp bei der Bremer Justiz habe es nicht gegeben und ein solcher Einstellungsstopp habe sich jedenfalls auch nicht auf das Finanzgericht ausgewirkt. Entsprechende Darlegungen der Antragsgegnerin fehlten insoweit. In Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausschreibung von Notarstellen sei das vorliegende Besetzungsverfahren wegen der Unwirksamkeit seines Abbruchs fortzusetzen. Der Antragsteller entspreche in dem streitgegenständlichen Verfahren am ehesten den Stellenanforderungen.

Der Antragsteller beantragt,

der Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen, zum Aktenzeichen 6 V 768/06, vom 19.07.2006, zugestellt am 24.07.2006, wird abgeändert, sodann wird der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die Stelle des Richters am Finanzgericht, Besoldungsgruppe R2 beim Finanzgericht Bremen und der ihr zugeordneten Planstelle nach R2 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Beschwerdeführers gegen seine Nichtauswahl oder bis zum Ablauf von vier Wochen nach einer anderweitigen Erledigung des Verfahrens vorläufig freizuhalten, insbesondere ist der Antragsgegnerin vorläufig bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, dem Beigeladenen die Stelle des Richters am Finanzgericht, Besoldungsgruppe R2 bei dem Finanzgericht der Freien Hansestadt Bremen zu übertragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor:

Der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens berühre die Rechtsposition des Antragstellers nicht. Der Bewerberverfahrensanspruch bestehe ausschließlich dann, wenn eine Ernennung vorgenommen werde. Der Dienstherr dürfe ein eingeleitetes Bewerbungs - und Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen jederzeit beenden und von der ursprünglich geplanten Beförderung absehen. Der Senator für Justiz und Verfassung habe konkret im Juni 2006 beschlossen, aufgrund der im April veröffentlichten Ausschreibung für Stellen von Richtern auf Probe in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sechs statt wie zunächst vorgesehen drei Bewerber einzustellen, aufgrund der im Mai 2006 veröffentlichten Ausschreibung für Staatsanwälte vier statt wie bisher vorgesehen zwei Bewerber einzustellen, sowie fünf Justizfachangestellte im Umfang von 3/4 Arbeitsverträgen zu übernehmen. Die Strafgerichte seien im Umfang der Neueinstellungen von sechs Richtern verstärkt worden. Es seien zwei zusätzliche Strafkammern eingerichtet worden. Die für das angesprochene Stellenbesetzungsverfahren vorgesehene Planstelle der Bes.Gr. R 2 stehe infolge des Abbruchs nicht mehr zur Verfügung. Mit Personalressourcen seien die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel im Rahmen des verfügbaren Budgets gemeint. Planstellen könnten Beförderungsstellen nur für eine entsprechende Ernennung zur Verfügung gestellt werden, wenn das Budget dies zulasse. Nach der anderweitigen Verwendung der Ressourcen komme die Ernennung und Beförderung nach R 2 auf dieser Planstelle nicht mehr in Betracht. Die Ernennung/Beförderung des seinerzeit ausgewählten Bewerbers zum 01.10.2006 sei nicht beabsichtigt. Es sei auch kein anderes internes Stellenbesetzungsverfahren betrieben worden, in dessen Rahmen eine Beförderung beabsichtigt sei. Die Behauptung des Antragstellers, von dem Einstellungsstopp sei nur das streitige Verfahren betroffen, sei unzutreffend. Richtig sei vielmehr, dass unverändert Neueinstellungen in anderen Bereichen der Gerichte derzeit nicht in Betracht kämen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt. Die begehrte Sicherungsanordnung ist zu erlassen, da Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

1.

Es ist zu befürchten, dass die Antragsgegnerin den vom Antragsteller in dem von ihr abgebrochenen Stellenbesetzungsverfahren erlangten Bewerberverfahrensanspruch dadurch vereitelt, dass sie ein neues Stellenbesetzungsverfahren durchführt, an dem sich der Antragsteller nicht beteiligen kann, weil es Neueinstellungen ausschließt, und in dem sie die Planstelle eines R 2-Richters durch Beförderung besetzt, bevor das Hauptsacheverfahren des Antragstellers entschieden worden ist. Dass für die nahe Zukunft eine solche Gefahr besteht, hält der Senat für hinreichend wahrscheinlich, nachdem die Antragsgegnerin auf entsprechende Anfragen des Antragstellers klare Auskünfte vermieden hat. Ihr bisheriges Verhalten in dem vorliegenden Verfahren legt eine entsprechende Annahme nahe.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, für den Antragsteller als Inhaber eines R 2-Richteramtes komme vorliegend auch bei einem willkürlichen Abbruch des bisherigen Stellenbesetzungsverfahrens nur eine äußerst marginale Rechtsverletzung in Betracht, teilt der Senat nicht. Der Antragsteller weist mit Recht darauf hin, dass es dem aus Art. 19 GG folgenden Gebot eines effektiven Rechtsschutzes widerspricht, ihn für einen solchen Fall auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, wenn die Gefahr besteht, dass die Stelle bis dahin endgültig anderweitig besetzt wird. Dem Antragsteller steht deshalb ein Anordnungsgrund zur Seite.

2.

Der Antragsteller kann sich auch auf einen Anordnungsanspruch berufen.

Er hat glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin gehalten ist, das durch ihre Ausschreibung vom Dezember 2005 eröffnete Stellenbesetzungsverfahren nach den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG unter seiner Einbeziehung weiter durchzuführen.

Der Antragsteller kann eine am Leistungsgrundsatz orientierte ermessensfehlerfreie Entscheidung seiner Bewerbung um die von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Stelle eines Richters am Finanzgericht der Bes.Gr. R 2 beanspruchen.

Der Antragsteller ist Versetzungsbewerber. Er befindet sich bereits im Status eines R 2-Richters, wenngleich bei einem anderen Dienstherrn (Land Niedersachsen). Zur Erlangung der ausgeschriebenen Stelle bedarf es seiner Versetzung, für die die Voraussetzungen des § 123 BRRG gelten, hingegen keiner Beförderung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können sich diejenigen Bewerber nicht unmittelbar auf Art. 33 Abs. 2 GG berufen, mit denen die Stellen durch eine bloße Änderung des Aufgabenbereichs, eine Umsetzung oder eine den Status nicht berührende Versetzung besetzt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.11.2004 - 2 C 17.03 - <juris> m.w.N. Anderer Auffassung insoweit BAG, Urt. v. 05.11.2002 - 9 AZR 451/01 - <juris> für den Zugang zu einem anderen Amt, auch wenn damit keine Beförderung oder höhere Vergütung verbunden ist).

Indessen legt sich auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Dienstherr gegenüber einem Versetzungsbewerber auf eine Auslese nach den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG fest, wenn er sich bei einer konkreten Stellenbesetzung dafür entschieden hat, Beförderungs- und Versetzungsbewerber gleich zu behandeln und die Stellen entsprechend ausgeschrieben hat (vgl. BVerwG, a. a. O.). Das ihm zustehende Organisationsrecht berechtigt den Dienstherrn bei der Besetzung einer freien Planstelle nach einem im wesentlichen personalwirtschaftlich bestimmten Ermessen - gleichsam als "Organisationsgrundentscheidung" - spätestens vor der Auswahlentscheidung festzulegen, ob der Dienstposten durch Beförderung oder Versetzung besetzt werden soll (BVerwG, Urt. v. 20.08.2003 - 1 WB 23/03 <juris>).

In dem vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin das Auswahlverfahren vor der Auswahlentscheidung nicht auf Beförderungsbewerber eingeengt. Das ergibt sich aus der Stellenausschreibung und davon geht auch die Antragsgegnerin selbst aus:

Die Ausschreibung der Stelle eines Richters/einer Richterin am Finanzgericht - Bes.Gr. R 2 - im Amtsblatt vom 13.12.2005 war nicht beschränkt auf Beförderungsbewerber. Daran teilnehmen konnten alle, die die Ausschreibungskriterien erfüllten. Dies konnten sowohl Beförderungs-, Einstellung- als auch Versetzungsbewerber sein, wobei Versetzungsbewerber aus der Finanzgerichtsbarkeit durch das Anforderungsprofil der Ausschreibung ("umfassende Rechtskenntnisse, insbesondere im Steuerrecht und steuer- und finanzrechtlichen Verfahrensrecht", "mehrjährige Berufserfahrung auf steuerrechtlichem Gebiet oder in der Justiz", "die Befähigung ...zu zielgerichteter Verhandlungsführung in Einzelrichter- und Berichterstattersitzungen") sich besonders angesprochen fühlen konnten.

Nachdem sich die Antragsgegnerin durch die Formulierung ihrer Ausschreibung auch für Versetzungsbewerber, wie dem Antragsteller, auf ein Auswahlverfahren nach den Bedingungen des Art. 33 Abs. 2 GG festgelegt hat, ist sie aufgrund ihrer Selbstbindung und aus Gründen der Gleichbehandlung verpflichtet, den Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG uneingeschränkt auf alle, in die Auswahl einbezogenen Bewerber und damit auch auf den Antragsteller als Versetzungsbewerber anzuwenden.

Die Antragsgegnerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass sie das aufgrund der Ausschreibung vom Dezember 2005 eingeleitete Stellenbesetzungsverfahren, in dem sich u. a. der Antragsteller beworben hat, mit Schreiben des Senators für Justiz und Verfassung vom 19.06.2006 abgebrochen habe und damit der Bewerberverfahrensanspruch des Antragstellers gegenstandslos geworden sei.

Zwar ist der Dienstherr aufgrund seines Organisationsrechts befugt, ein Auswahlverfahren zur Besetzung einer Beförderungsstelle aus sachlichen Gründen jederzeit zu beenden und berührt die Beendigung des Auswahlverfahrens grundsätzlich nicht die Rechtsstellung von Bewerbern (BVerwG, Urt. v. 25.04.1996 - 2 C 21.95 - <juris> = BVerwGE 101, 112 = NVwZ 1997, 283).

Die Entscheidung für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens zumal nach der Auswahlentscheidung erfordert indessen sachlich nachvollziehbare Gründe. Denn nur unter dieser Voraussetzung erlaubt das Recht der Bewerber auf Chancengleichheit den Abbruch eines laufenden Ausschreibungsverfahrens (vgl. BVerfG, B. v. 28.04.2005 - 1 BvR 2231/02 u. a. - <juris> und BGH, Senat für Notarsachen, B. v. 28.11.2005 - NotZ 30/05 - <juris>).

Durch die Maßnahme des Abbruchs eines Auswahlverfahrens lässt sich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern (BVerfG, a. a. O.). Dies gilt auch vorliegend, da der Antragsteller durch den Verfahrensabbruch ausgeschaltet würde und sich in einer nachfolgenden offenbar beabsichtigten (ressort-) internen Neuausschreibung nicht wieder bewerben könnte.

Die Antragsgegnerin hat keinen sachlich nachvollziehbaren Grund dafür dargelegt, die einmal vorgenommene Ausschreibung der Stelle, auf die Bewerbungen vorliegen und für die bereits eine Auswahl durchgeführt worden ist, mit der Begründung abzubrechen, Neueinstellungen in anderen Bereichen der Justiz könnten derzeit nicht in Betracht kommen, da die Strafjustiz nach den Vorgängen auf der sog. "Disco-Meile" zur Bekämpfung von Schwerkriminalität verstärkt werden müsse.

Was sie insoweit zur Erklärung und Erläuterung des Schreibens vom 19.06.2006 vorbringt, bleibt auffallend pauschal und wenig konkret und lässt ein zum Schutz vor möglicher Manipulation unabdingbares Mindestmaß an Verfahrenstransparenz vermissen.

Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Bedarf für die Besetzung der hier in Rede stehenden Stelle eines Richters am Finanzgericht nicht weggefallen ist, sondern unverändert besteht. Ihm wird derzeit und dies seit längerem durch Abordnung begegnet. Von daher besteht nach wie vor Besetzungsbedarf für die konkrete Stelle.

Der Vortrag der Antragsgegnerin, die für das Stellenbesetzungsverfahren vorgesehene Planstelle der Bes.Gr. R 2 stehe infolge des Abbruchs nicht zur Verfügung, trifft im Sinne der Wortbedeutung nicht zu. Der Senat hat die Antragsgegnerin im Hinblick auf diesen Vortrag gebeten mitzuteilen, wie die ausgeschriebene Planstelle nach Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens verwendet wird und wie sie bei Mitteilung der Auswahlentscheidung verwendet worden ist. Die Antragsgegnerin hat eine direkte Antwort vermieden. Daraus schließt der Senat, dass beim Finanzgericht nach wie vor eine besetzbare Planstelle zur Verfügung steht.

Die Antragsgegnerin hat stattdessen geantwortet, maßgeblich sei, ob das Budget eine Beförderung oder Ernennung zulasse. Dies sei nach dem Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens und der anderweitigen Ressourcenverwendung nicht der Fall. Dass dies bedeutet, die Antragsgegnerin finanziere mit dem Geld Personalausgaben für andere Planstellen, hat sie nicht gesagt. Zu der sich dann aufdrängenden Anschlussfrage, welche konkreten Personalausgaben die Antraggegnerin mit dem für die ausgeschriebene Planstelle vorgesehenen Mittel nunmehr finanziert und wie sie die Mittel im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung verwendet hat, hat die Antragsgegnerin sich nicht verhalten. Damit hat sie insoweit schon nicht plausibel dargelegt, dass in Bezug auf die ausgeschriebene Planstelle nunmehr eine anderweitige Ressourcenverwendung im Sinne einer anderweitigen Budgetverwendung erfolgt ist und deshalb "eine Ernennung oder Beförderung auf dieser Planstelle nicht mehr in Betracht" kommt (vgl. Seite 2 des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 03.11.2006, Blatt 347/348 GA).

Soweit die Antragsgegnerin mit dem Schreiben des Senators für Justiz und Verfassung vom 19.06.2006 den Abbruch des vorliegenden Ausschreibungs- und Stellenbesetzungsverfahrens maßgeblich mit einer Neueinstellungssperre in anderen Bereichen der Gerichte begründet, vermag der Senat jedenfalls einen allgemeinen Einstellungsstopp wegen zusätzlicher Neueinstellungen in der Strafjustiz nicht festzustellen. Auch muss er nach dem Umgang der Antragsgegnerin mit den vom Antragsteller in dem vorliegenden Eilverfahren gestellten Fragen davon ausgehen, dass allein das vorliegende Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren von einer Neueinstellungssperre betroffen wird.

Denn die Antragsgegnerin hat ungeachtet entsprechender Nachfragen des Antragstellers keine substantiierten Angaben dazu gemacht, wann und in welcher Weise ein Einstellungsstopp in der Justiz verhängt worden ist und welche anderen Verfahren mit Ausnahme des vorliegenden konkret von einem Einstellungsstopp betroffen sind oder werden. Sie hat sich damit begnügt, die Behauptung des Antragstellers, von dem Einstellungsstopp sei nur das streitige Verfahren betroffen, ohne weitere Erläuterung als unzutreffend zurückzuweisen. Dies reicht zur Glaubhaftmachung von Vorgängen aus ihrer Sphäre, in die der Antragsteller naturgemäß keinen Einblick hat, nicht aus.

Nach dem, was die Antragsgegnerin stattdessen zur Erläuterung der laut Schreiben vom 19.06.2006 angegebenen Einstellungssperre erklärt hat, sind von ihr sechs neue Richter (statt vorher beabsichtigter drei) und vier neue Staatsanwälte (statt vorher beabsichtigter zwei) eingestellt sowie die im Jahre 2006 zur Prüfung anstehenden auszubildenden Justizfachangestellten im Umfang von jeweils 3/4 Arbeitsverträgen übernommen worden, wobei offen bleibt, was insoweit vorher beabsichtigt war. Zwei Richter seien zu Vorsitzenden Richtern ernannt worden. Durch interne Aufgabenverteilungen seien damit im Umfang der Neueinstellungen die Strafgerichte um zwei zusätzliche Kammern verstärkt worden. Wie die Gerichte und die Staatsanwaltschaft den beschriebenen Aufgabenschwerpunkt organisatorisch umsetzen, sei im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens nicht zu überprüfen, da dies Sache des die Bewerberverfahrensrechte nicht berührenden Organisationsermessen sei.

Der Senat entnimmt diesen wenig transparenten Ausführungen der Antragsgegnerin, dass die konkreten Neueinstellungen nicht konkret ausschließlich in der Strafjustiz verwendet worden sind, dass Beförderungen vorgenommen sind, Aufgabenverschiebungen innerhalb der ordentlichen Justiz stattgefunden haben und dass in der Strafjustiz zwei zusätzliche Strafkammern eingerichtet worden sind, nachdem mit den ursprünglich beabsichtigten Neueinstellungen in der ordentlichen Justiz (drei Richter und zwei Staatsanwälte) aus Sicht der Antragsgegnerin nur eine hätte eingerichtet werden können.

Wie im Einzelnen die zweite zusätzliche Kammer eingerichtet worden ist und inwiefern die in dem vorliegenden Verfahren betroffene Planstelle des Finanzgerichts davon konkret tangiert worden ist, vermag der Senat den Ausführungen der Antragsgegnerin indessen nicht zu entnehmen.

Ein sachlich nachvollziehbarer Grund für den Abbruch des vorliegenden laufenden Ausschreibungs- und Stellenbesetzungsverfahrens nach Ergehen der Auswahlentscheidung lässt sich damit nicht feststellen.

Aufgrund dieses Mangels ist der Besetzungsabbruch unwirksam. Wegen dieser Unwirksamkeit wiederum ist von einer Fortdauer des Ausschreibungs- und Stellenbesetzungsverfahrens auszugehen (vgl. BVerfG, a. a. O. und BGH, a. a. O.).

Der Ausgang des Auswahlverfahrens erscheint offen. Der Antragsteller als Finanzrichter beim Finanzgericht Hannover erfüllt die Ausschreibungsvoraussetzungen in besonderem Maße. Der Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin ist rechtswidrig, da er die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen nicht überprüft. Die Erläuterung der Auswahlentscheidung im Schreiben vom 22.03.2006, wonach die aktuelle Beurteilung des ausgewählten Bewerbers im Vergleich zur letzten Regelbeurteilung des Antragstellers bei vergleichender Heranziehung der unterschiedlichen Beurteilungsgrundlagen besser sei, ist nicht nachvollziehbar, nachdem beide Konkurrenten mit sehr gut geeignet beurteilt worden sind und der Antragsteller sich im Statusamt der Bes.Gr. R 2 befunden hat, der Beigeladene hingegen im Statusamt der Bes.Gr. R 1.

Die Fehlerhaftigkeit des bisherigen Auswahlverfahrens und die damit verbundene Möglichkeit für den Antragsteller, in einem fehlerfreien Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, begründet für ihn einen Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat nicht auch glaubhaft zu machen, dass bei einer fehlerfreien, am Leistungsgrundsatz orientierten Auswahlentscheidung vorgezogen worden wäre. Insoweit genügt es vielmehr, dass seine Aussichten offen sind in dem Sinne, dass er in einem Hauptsacheverfahren eine Neuentscheidung über seine Bewerbung erreichen könnte (vgl. BVerfG, B. v. 24.09.2002 - 2 BvR 857/02 <juris>). Ein Erfolg der Bewerbung des Antragstellers in einem fehlerfreien Auswahlverfahren ist nicht von vornherein auszuschließen.

Der Senat hält es zur Sicherung der Rechte des Antragstellers für ausreichend, dem Antrag in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO, 159 S. 1 VwGO i. V. m. 100 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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