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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 2 B 286/07
Rechtsgebiete: BAföG


Vorschriften:

BAföG § 6
Zur Frage, ob deutsche Staatsangehörige, die im Ausland ihren ständigen Wohnsitz haben, nach § 6 BAföG Ausbildungsförderung für ein Studium erhalten können, das im Geltungsbereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht durchgeführt werden kann.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: 2 B 286/07

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Grundmann und Richter Dr. Bauer am 19.02.2008 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom 04.07.2007 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller darlehensweise für die Zeit vom 1. November 2007 bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts über seine Klage im Verfahren Az. 1 K 1352/07 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.753,92 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 1987 geborene Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger und lebt mit seinen Eltern und einem Bruder in Paraguay.

Er besuchte in Paraguay die Schule und schloss die Schulausbildung mit dem Abschluss "Bachiller" (Abitur) im Dezember 2006 erfolgreich ab. Für die Schulausbildung erhielt er Ausbildungsförderung gemäß § 6 BAföG (Förderung der Deutschen im Ausland).

Den Antrag des Antragstellers auf Ausbildungsförderung für ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universidad del Norte (Uni-Norte) in Paraguay lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18.12.2006 ab. Den Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2007 als unbegründet zurück. Daraufhin hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bremen Klage erhoben (Az. 1 K 1352/07).

Seinen darüber hinaus gestellten Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig, längstens bis zum Eintritt der Rechtskraft der Klage, Ausbildungsförderung ab dem Monat Januar 2007 in Höhe von monatlich Euro 146,16 zu gewähren, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 04.07.2007 ab.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller.

Mit Beschluss vom 31.10.2007 hat ihm der Senat auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ohne Ratenzahlungen unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Sch. bewilligt. Dieser Beschluss ist dem Antragsteller am 05.11.2007 zugegangen.

Am 16.11.2007 hat er Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 04.07.2007 eingelegt, mit der er sein Begehren auf vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung weiterverfolgt.

Die Antragsgegnerin hält die Voraussetzungen für die Bewilligung von Ausbildungsförderung für nicht erfüllt und begehrt die Zurückweisung der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Dem Antragsteller ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vorläufig Ausbildungsförderung für sein Studium der Rechtswissenschaft in Paraguay zu gewähren.

Wegen der Versäumung der Beschwerdefrist ist dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, weil er bis zum Zugang des Beschlusses des Senats vom 31.10.2007 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe am 05.11.2007 ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung zu Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er bedürftig ist und das wird auch von der Antragsgegnerin nicht bestritten.

Nach Aktenlage spricht auch viel dafür, dass dem Antragsteller ein Förderungsanspruch nach § 6 BAföG zusteht. Nach dieser Vorschrift kann Deutschen im Sinne des Grundgesetzes, die - wie der Antragsteller - ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben, Ausbildungsförderung geleistet werden, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen.

Die Prüfung der Frage, ob besondere Umstände des Einzelfalls i. S. d. § 6 BAföG vorliegen, unterliegt in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 18.10.1979 - 5 C 3.78 -) aus dem Gesetzeszusammenhang zu erschließen, welche besonderen Umstände die Förderung der Ausbildung des Auslandsdeutschen als gerechtfertigt erscheinen lassen. Nach dem Grundsatz des § 4 BAföG werde Ausbildungsförderung für die Ausbildung im Inland geleistet. Da dies uneingeschränkt auch für deutsche Auszubildende gelte, die ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben, habe es nur für Härtefälle einer Regelung bedurft, die die Förderung der Ausbildung in ihrem Aufenthaltsland ermögliche. Für Auslandsdeutsche sei die Förderung der Ausbildung in ihrem Aufenthaltsland vor diesem Hintergrund nur dann gerechtfertigt, wenn ihnen der Besuch einer Ausbildungsstätte im Geltungsbereich des Gesetzes nicht zuzumuten sei oder die beabsichtigte Ausbildung dort nicht durchgeführt werden könne (bestätigt durch BVerwG, B. v. 10.07.1992 - 5 B 88.92 -).

Hier hat der Antragsteller, der mit seiner Familie seit 1993 in Paraguay lebt, vorgetragen, dass er aufgrund der familiären Bindungen in Paraguay als Rechtsanwalt tätig werden wolle. Um das zu erreichen, müsse er an einer wissenschaftlichen Hochschule in Paraguay studieren. Nur dort könne er den für eine Tätigkeit als Rechtsanwalt in Paraguay erforderlichen Abschluss erwerben.

Der Senat hat keinen Anhalt, dem Antragsteller dieses Vorbringen nicht abzunehmen. Der Antragsteller strebt danach eine Ausbildung an, die im Geltungsbereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht durchgeführt werden kann. Den Antragsteller auf ein Studium der Rechtswissenschaft in Deutschland zu verweisen, würde seinem Berufswunsch nicht gerecht, denn mit dem hier erworbenen Abschluss könnte er weder als Rechtsanwalt in Paraguay tätig sein, noch hätte er die erforderlichen Rechtskenntnisse für eine solche Tätigkeit vermittelt bekommen.

Die Antragsgegnerin hält dem entgegen, der Umstand, dass eine beabsichtigte Ausbildung im Geltungsbereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht durchgeführt werden kann, könne nicht mehr als ein für eine Förderung nach § 6 BAföG maßgeblicher Umstand anerkannt werden. Dies ergebe sich aus den Änderungen, die § 5 BAföG seit 1990 erfahren habe und durch die die Förderung eines vollständigen Auslandsstudiums, das im Inland nicht durchgeführt werden könne, weggefallen sei. Auch sei in den Verwaltungsvorschriften zu § 6 BAföG kein entsprechender Hinweis mehr enthalten.

Bei dieser Argumentation wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass § 5 BAföG eine andere Zielgruppe im Auge hat als § 6 BAföG. § 5 BAföG bezieht sich auf Auszubildende, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, während § 6 BAföG Deutsche mit ständigem Wohnsitz im Ausland erfasst. Bei der zuletzt genannten Gruppe des § 6 BAföG ist die Verbindung des Einzelnen zum Ausland, in dem er lebt und studieren will, deutlich stärker als bei derjenigen des § 5 BAföG, deren Mitglieder sich nur zum Zwecke der Ausbildung im Ausland aufhalten. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, daraus, dass Deutsche mit ständigem Wohnsitz im Inland keine Ausbildungsförderung mehr für ein (vollständiges) Auslandsstudium erhalten, das im Inland nicht durchgeführt werden kann, zu schließen, dass auch für Deutsche mit ständigem Wohnsitz im Ausland eine solche Förderung nicht mehr in Betracht kommt. Vielmehr ist es angemessen, hier entsprechend dem Wortlaut § 6 BAföG auf "die besonderen Umstände des Einzelfalles" abzustellen. Diesen Umständen kann es (durchaus) entsprechen, die beabsichtigte Ausbildung deshalb zu fördern, weil sie im Inland nicht durchgeführt werden kann.

Zudem gilt nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v. 18.10.1979, a.a.O.) eine Förderung nach § 6 BAföG auch dann als gerechtfertigt, wenn dem Auszubildenden der Besuch einer Ausbildungsstätte im Geltungsbereich des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nicht zuzumuten ist. Angesichts des Berufswunsches des Antragstellers, in Paraguay als Rechtsanwalt tätig zu sein, wird man ihm nicht zumuten können, zunächst ein Jurastudium in Deutschland zu absolvieren. Dass er auch einen deutschen Studienabschluss auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft anstrebt, hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen noch sind dafür sonst hinreichende Anhaltspunkte ersichtlich. Die abschließende Klärung aller Umstände des Einzelfalles ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Selbst wenn man annähme, der Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei offen, wäre dem Antrag des Antragstellers auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu entsprechen. In einem solchen Fall ist die Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung vorzunehmen. Diese Abwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Für ihn geht es um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er müsste sich in seiner Lebensführung erheblich einschränken, wenn ihm die Unterstützungsleistungen durch die Antragsgegnerin versagt würden. Diese Folgen für den Antragsteller wiegen schwerer als die finanziellen Nachteile für die Antragsgegnerin.

Zur vorläufigen Sicherung der Rechte des Antragstellers hält es der Senat für angemessen und auch ausreichend, wenn die Antragsgegnerin zur Zahlung ab dem Ersten des Monats des Eingangs der Beschwerde beim Senat bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren verpflichtet wird. Die Verpflichtung, die Leistungen darlehensweise zu gewähren, folgt daraus, dass es sich bei der einstweiligen Anordnung um eine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes handelt.

Das weitergehende Begehren des Antragstellers war abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG (Betrag von 146,16 Euro monatlich für ein Jahr).

Ende der Entscheidung

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