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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 10.09.2002
Aktenzeichen: 2 B 305/02
Rechtsgebiete: BremSchG


Vorschriften:

BremSchG § 3
BremSchG § 4
BremSchG § 46
BremSchG § 47
Ist die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule aufgrund einer ernsthaften und nachhaltigen Störung des Schulfriedens derart beeinträchtigt, dass eine den gesetzlichen Zielen entsprechende Erziehungsarbeit nicht mehr gewährleistet ist, kommt zur Wiederherstellung des Schulfriedens auch die Versetzung eines Schülers in eine Parallelklasse in Betracht, wenn ein milderes Mittel nicht zur Verfügung steht. Die Vorschriften über den Erlass von Ordnungsmaßnahmen stehen dem nicht entgegen.
OVG: 2 B 305/02

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch Richterin Dreger, Richter Nokel und Richter Dr. Grundmann am 10.09.2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 7. Kammer - vom 30.07.2002 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller besucht die Grundschule ... Mit Bescheid vom 23.05.2002 versetzte der Senator für Bildung und Wissenschaft im Wege der Fachaufsicht den Antragsteller ab dem Schuljahr 2002/2003 in eine Parallelklasse. Zur Begründung führte er aus, es gebe seit geraumer Zeit Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zwischen den Eltern des Antragstellers und großen Teilen der Eltern der Klasse 2 b, die der Antragsteller besuche. Dadurch seien erhebliche Spannungen entstanden, die den unbedingt notwendigen Schulfrieden stark belastet hätten. Auch für das Wohl des Antragstellers selbst sei die belastete Situation sehr abträglich. Eine natürliche und unverkrampfte Kommunikation zwischen den Eltern des Antragstellers und der Klassenlehrerin sei seit längerer Zeit nicht mehr möglich. Da die Wiederherstellung des Schulfriedens absolute Priorität habe, sei entschieden worden, den Antragsteller in eine Parallelklasse zu versetzen. Irgendwelche Schuldzuweisungen seien damit nicht verbunden.

Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies der Senator für Bildung und Wissenschaft mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2002 zurück. Zugleich ordnete er die sofortige Vollziehung der Versetzung des Antragstellers in die Parallelklasse an.

Daraufhin hat der Antragsteller Klage erhoben.

Auf seinen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die angeordnete Versetzung in eine Parallelklasse zur "Wiederherstellung des Schulfriedens" finde im Gesetz keine Stütze. Die verfügte Maßnahme stelle sich de fakto als eine den Antragsteller direkt treffende Ordnungsmaßnahme dar, ohne dass die Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Maßnahme erfüllt seien. Eine Ordnungsmaßnahme dürfe nur bei einem Fehlverhalten des Schülers und nach Durchführung eines besonderen Verfahrens angeordnet werden.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.

1.

Die Antragsgegnerin hat die Versetzung des Antragstellers in die Parallelklasse als Verwaltungsakt qualifiziert und ihre Entscheidungen entsprechend abgefasst. Für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist demnach § 80 Abs. 5 VwGO maßgebend.

2.

Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Versetzung in die Parallelklasse ist im Widerspruchsbescheid näher und auf den konkreten Fall bezogen begründet worden. Dadurch ist dem Begründungserfordernis nach § 80 Abs. 3 VwGO genügt.

3.

Die vom Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Entscheidung ist unter Abwägung der Interessen der Beteiligten vorzunehmen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen.

a)

Soweit das Verwaltungsgericht meint, die Klage des Antragstellers gegen die Versetzung in eine Parallelklasse habe überwiegende Erfolgsaussichten, kann dem nicht gefolgt werden. Nach Aktenlage spricht mehr dafür, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat.

Ordnungsmaßnahmen gegen Schüler sind in §§ 46 und 47 BremSchulG geregelt. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Überweisung in eine parallele Klasse oder Lerngruppe (§ 47 Abs. 1 Nr. 5 BremSchulG). Ordnungsmaßnahmen können (nur) getroffen werden, wenn Schüler oder Schülerinnen vorsätzlich und nachweisbar gegen eine Rechtsnorm oder die durch Verwaltungsanordnung oder Beschluss der Schulkonferenz festgelegte Schulordnung verstoßen oder Anordnungen der Schulleitung oder einzelner Lehrkräfte nicht befolgen, die zur Erfüllung des Unterrichts und Erziehungsauftrages der Schule notwendig sind (§ 46 Abs. 2 BremSchulG).

Eine solche Maßnahme hat die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller nicht treffen wollen. Es ging ihr mit der Versetzungsverfügung nicht darum, ein Fehlverhalten des Antragstellers zu ahnden. Vielmehr sieht die Antragsgegnerin nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid die Versetzung des Antragstellers in die Parallelklasse als eine Maßnahme an, die zur Aufrechterhaltung des Schulfriedens an der Grundschule ... unerlässlich ist und lässt dabei ausdrücklich dahinstehen, wer an dem "nicht mehr verantwortbarem Zustand" die Schuld trägt. Es handele sich - so heißt es im Widerspruchsbescheid - nicht um eine Ordnungsmaßnahme, sondern um eine Maßnahme, welche die Basis für ein normales Umgehen miteinander schaffen soll und kann.

Die Versetzungsverfügung ist hiernach nicht ordnungsrechtlich, sondern pädagogisch begründet. Sie soll sicherstellen, dass die Schule ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen kann. Dieser besteht darin, es allen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, ihr Recht auf Bildung i.S.d. Art. 27 Bremische Landesverfassung zu verwirklichen und gegenseitiges Verständnis und ein friedliches Zusammenleben in der Begegnung und in der wechselseitigen Achtung der sozialen, kulturellen und religiösen Vielfalt zu fördern und zu praktizieren (vgl. § 4 Abs. 1 und Abs. 3 BremSchulG).

Ist die Erfüllung dieses Auftrags aufgrund einer andauernden tiefgreifenden Zerrüttung der Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern, Lehrern und Eltern oder Eltern untereinander derart beeinträchtigt, dass eine den gesetzlichen Zielen entsprechende Erziehungsarbeit nicht mehr gewährleistet ist, ist die Schulbehörde nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, die zur Sicherung ihres gesetzlichen Auftrages erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Sie kann sich dafür auf den ihr generalklauselartig erteilten Erziehungs- und Bildungsauftrag berufen (vgl. auch Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1, Schulrecht, 3. Auflage, Rdnr. 491). Die Befugnis zum Einschreiten der Fachaufsichtsbehörde ergibt sich für diese Fälle aus § 12 Abs. 3 Nr. 5 BremSchVwG, wonach die Fachaufsicht eingreifen kann, wenn nach schulinternem Schlichtungsverfahren im Einzelfall keine Einigung zwischen Betroffenen erzielt werden kann.

Von einer andauernden tiefgreifenden Zerrüttung der Beziehungen zwischen den Eltern des Antragstellers und der Klassenlehrerin Frau ..., sowie den Eltern des Antragstellers und großen Teilen der übrigen Elternschaft ist bei summarischer Prüfung nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten auszugehen. Die Eltern des Antragstellers haben das Verhalten der Klassenlehrerin mehrfach massiv kritisiert, haben wiederholt über einen Anwalt Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie erhoben und die Klassenlehrerin bei der Polizei angezeigt. Die Klassenlehrerin und Eltern anderer Kinder der Klasse haben sich gegen das Verhalten der Eltern des Antragstellers gewandt und schließlich ebenfalls anwaltlichen Beistand hinzugezogen. Offenbar wegen dieser Spannungen ist die Klassenlehrerin wiederholt erkrankt. Mehrere Versuche, die Auseinandersetzungen in Gesprächen, Klassenkonferenzen oder Elternversammlungen gütlich beizulegen, blieben erfolglos.

Die Versetzung des Antragstellers in eine Parallelklasse erscheint auch als eine erforderliche und verhältnismäßige Maßnahme zur Wiederherstellung des Schulfriedens.

Ein milderes Mittel als die Trennung der am Streit Beteiligten kommt nicht in Betracht. Dagegen sprechen die sich aus den Akten ergebenden zahlreichen erfolglosen Bemühungen um eine Beilegung der Differenzen.

Der Antragsgegnerin kann nicht etwa entgegengehalten werden, sie hätte die Klassenlehrerin versetzen müssen. Es ist sachgerecht und nachvollziehbar, wenn die Antragsgegnerin diesbezüglich im Widerspruchsbescheid darauf verweist, dass der Wechsel der Klassenlehrerin auf überwiegendes Unverständnis der übrigen Klasseneltern stoßen würde und dadurch die Spannungen unter der Elternschaft der Klasse nicht beigelegt würden, weil die den Unfrieden hervorrufende Konstellation unverändert bliebe.

Für den Antragsteller ist die Versetzung auch nicht unzumutbar, bietet sie ihm doch die Chance in einem neuen Umfeld ohne Vorbelastungen unterrichtet zu werden.

b)

Selbst wenn man davon ausginge, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind, wäre der Antrag abzulehnen, da die dann vorzunehmende Abwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt.

Der Schulfrieden, dessen Wiederherstellung die Antragsgegnerin mit der Versetzung des Antragstellers anstrebt, ist für die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule unerlässliche Voraussetzung. Ist er - wie im vorliegenden Fall - ernsthaft und nachhaltig gestört, muss für schnelle Abhilfe gesorgt werden, da andernfalls allen vom Streit Betroffenen ganz erhebliche Nachteile drohen. Diese wiegen deutlich schwerer als die Veränderung, die der Antragsteller mit einem Wechsel in eine Parallelklasse auf sich zu nehmen hat und die ihm - wie erwähnt - auch die Chance eines Neuanfangs einräumt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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