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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 08.01.2004
Aktenzeichen: OVG 1 B 411/03
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 8 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 9 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 17 Abs. 5
AuslG § 46 Nr. 2
AuslG § 69 Abs. 2 Satz 3
1. Die Fiktionsbescheinigung nach § 69 Abs. 2 Satz 3 AuslG hat deklaratorische, nicht konstitutive Wirkung.

2. Das Versagungsermessen nach § 17 Abs. 5 AuslG ist eröffnet, wenn der Ausländer wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt worden ist; darauf, ob der Ausländer wegen dieser Straftat ermessensfehlerfrei hätte ausgewiesen werden können, kommt es nicht an.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen

OVG 1 B 411/03

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 1. Senat - durch die Richter Stauch, Göbel und Alexy am 08.01.2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen - 4. Kammer - vom 17.10.2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Darlegungen des Antragstellers zu ihrer Begründung, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine andere Entscheidung als die, die das Verwaltungsgericht getroffen hat.

I.

Für die mit dem Hauptantrag begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis ist schon deshalb kein Raum, weil der Aufenthalt des Antragstellers bis zu der Versagungsverfügung nicht gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG als erlaubt galt.

1.

Eine solche Erlaubnisfiktion folgt nicht schon daraus, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller entsprechende Bescheinigungen nach § 69 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 AuslG (Fiktionsbescheinigungen) ausgehändigt hat. Diesen Bescheinigungen kommt entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Antragstellers keine konstitutive Wirkung zu. Sie hat lediglich deklaratorische Bedeutung und soll dem Ausländer ermöglichen, seiner Ausweispflicht (vgl. § 40 Abs. 1 AuslG) nachzukommen (Funke-Kaiser in GK-AuslG Rn 22 zu § 69). Die Erlaubnisfiktion tritt kraft Gesetzes ein, sobald die in § 69 Abs. 3 AuslG geregelten Voraussetzungen erfüllt sind, setzt also nicht die Ausstellung der Bescheinigung voraus (vgl. für die Duldungsfiktion nach § 69 Abs. 2 AuslG die Gesetzesbegründung in BT-Drs 11/6321, S. 80, wo von einer "gesetzlichen Duldung" die Rede ist). Dementsprechend wird sie umgekehrt nicht schon dadurch ausgelöst, dass die Behörde zu Unrecht eine Bescheinigung ausgestellt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für sie nicht vorliegen.

2.

So liegt es hier. Die Erlaubnisfiktion ist - unabhängig davon, ob der Antragsteller sich seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG) oder nicht - schon deshalb nicht eingetreten, weil er aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 13.12.1992 ausreisepflichtig, aber noch nicht ausgereist war (§ 69 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AuslG).

3.

Die Auffassung des Antragstellers, diese Vorschriften könnten die Erlaubnisfiktion hier nicht ausschließen, weil dem - vorrangig anzuwendendes - Gemeinschaftsrecht entgegenstehe, ist unzutreffend.

Sie findet insbesondere in den Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG und 73/148/EWG des Rates, auf die sich der Antragsteller beruft, keine Stütze. Diese Vorschriften sind nämlich nicht einschlägig.

Die RL 64/221/EWG gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft aufhalten oder sich dorthin begeben, um eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben oder um Dienstleistungen entgegenzunehmen, sowie deren Ehegatten und Familienangehörigen (Art. 1). Nach Art. 1 der RL 68/360/EWG beseitigen die Mitgliedstaaten nach Maßgabe dieser Richtlinie Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen, auf die die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates Anwendung findet. Die einschlägige Regelung in Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 erfasst die Familienangehörigen lediglich solcher Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt sind. Auch die Richtlinie 73/148/EWG betrifft nach ihrem Art 1 die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen nur solcher Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, die dort eine Dienstleistung erbringen wollen oder die sich als Empfänger einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begeben wollen, sowie deren Ehegatten und Familienangehörige.

Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu dem von diesen Vorschriften begünstigten Personenkreis gehören könnte, sind nicht ersichtlich. Die in Deutschland lebende Ehefrau des Antragstellers ist deutsche Staatsangehörige, nicht Angehörige eines anderen Mitgliedstaats. Die Regelungen des Gemeinschaftsrechts über die Freizügigkeit der Erwerbstätigen, den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit kommen ihr, solange sie nicht von den entsprechenden Grundfreiheiten Gebrauch macht, ebenso wenig zu gute wie - aus ihrer Rechtsstellung abgeleitet - dem Antragsteller als mit ihr verheiratetem Drittstaatsangehörigen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 25.07.2002 in der Rechtssache C-459/99 (MRAX gegen Belgien; Slg. 1-6591), auf das sich der Antragsteller beruft. Der Gerichtshof erinnert in dieser Entscheidung vielmehr ausdrücklich an seine in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass die zitierten Gemeinschaftsregelungen nicht auf Situationen anwendbar sind, die keinerlei Anknüpfungspunkt zu irgendeiner der vom Gemeinschaftsrecht erfassten Situationen aufweisen, und folglich nicht auf Personen angewandt werden können, die von diesen Freiheiten nie Gebrauch gemacht haben (Rn 39 m.w.Nwn.). Er stellt ausdrücklich klar, dass er die ihm gestellten Vorlagefragen im Lichte dieser Erwägungen beantwortet (Rn 40). Seine Aussagen können deshalb nicht, wie dies der Antragsteller tut, ohne Berücksichtigung dieses Kontextes verallgemeinert und auch auf Sachverhalte erstreckt werden, in denen - wie im Fall des Antragstellers - jeder gemeinschaftsrechtliche Bezug fehlt.

Auch die hilfsweise begehrte einstweilige Anordnung, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, von Abschiebungsmaßnahmen bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens abzusehen, hat das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt. Dem Antragsteller steht kein Aufenthaltsrecht zu, das durch eine einstweilige Anordnung zu sichern wäre.

Ein solches Recht ergibt sich insbesondere nicht aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. Nach dieser Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, nunmehr familienunabhängiges Aufenthaltsrecht verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Die Verlängerung eines Aufenthaltsrechts setzt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, voraus, dass das Aufenthaltsrecht auch vor der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft schon bestanden hat. Dabei hat das Verwaltungsgericht zu Gunsten des Antragstellers angenommen, dass diese Voraussetzung auch dann schon erfüllt sei, wenn der Ausländer zwar keinen Aufenthaltstitel gehabt hat, ihm ein solcher aber hätte erteilt werden müssen. Ob dies zutreffend ist, bedarf hier keiner Entscheidung, denn einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte der Antragsteller, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, nicht.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis war nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG schon deshalb nicht möglich, weil der Antragsteller ohne den für einen asylunabhängigen Daueraufenthalt erforderlichen Sichtvermerk eingereist war; dem stand nicht entgegen, dass der Antragsteller als Asylbewerber nach Deutschland gekommen war (BVerwG, Urt. v. 09.12.1997 - 1 C 19.96 - BVerwGE 106,13 <15> = NVwZ 1998, 742f.). Von dem Eintritt der Sperrwirkung kann gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nur abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung offensichtlich erfüllt sind. Ein Anspruch in diesem Sinne muss ein strikter Rechtsanspruch sein, nicht ein solcher, der seinerseits nur Ermessen eröffnet, selbst wenn im Einzelfall das Ermessen auf Null reduziert sein sollte (BVerwG, Urt.v.18.06.1996 -1 C 17.95 - BVerwGE 101,265 <271> = NVwZ 1997,192 <194>). Ein strikter Rechtsanspruch in diesem Sinne ergab sich hier entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht schon daraus, dass er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war.

1.

Ein mit einer deutschen Staatsangehöriger verheirateter Ausländer hat dann keinen strikten Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs.1 Nr.1 AuslG, wenn bei dem ihm ein Ausweisungsgrund vorliegt (§ 23 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 5 AuslG). In einem solchen Fall steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Diese hat aufgrund einer Abwägung nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, ob die gegen den Aufenthalt sprechenden öffentlichen Interessen so gewichtig sind, dass sie die bei Ablehnung der Erlaubnis zu erwartende Beeinträchtigung für Ehe und Familie eindeutig überwiegen (OVG Bremen, Beschl. v. 17.01.2000 - 1 B 461/99 - NordÖR 2000, 116).

Ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 17 Abs. 5 AuslG liegt insbesondere dann vor, wenn der Ausländer einen nicht nur geringen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG begangen hat (BVerwG, Urt. v. 16.07.2002 - 1 C 8.02 - BVerwGE 116, 378 <385> = NVwZ 2003, 217 <219>). Einen solchen Verstoß hat sich der Antragsteller zu schulden kommen lassen. Das ergibt sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bremen vom 18.09.2002, durch das der Antragsteller wegen Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 45 Tagessätzen verurteilt worden ist.

Der Auffassung der Beschwerde, es handele sich bei den dieser Verurteilung zugrunde liegenden Vorfällen nur um einen geringfügigen Verstoß, so dass daraus kein Ausweisungsgrund abgeleitet werden könne, kann nicht gefolgt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.09.1996 - 1 C 9.94 - BVerwGE 102,63 <66f.> = NVwZ 1997, 1123 <1124>), der sich der beschließende Senat anschließt, ist eine vorsätzlich begangene Straftat grundsätzlich nicht geringfügig im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG. Hierfür spricht schon, dass § 46 Nr. 2 AuslG als Ausweisungsgrund auch die Begehung von Straftaten im Ausland normiert, wenn sie im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftaten anzusehen sind. Es lassen sich dem Gesetz auch keine Maßstäbe dafür entnehmen, ob und gegebenenfalls welche vorsätzlichen Strafrechtsverstöße nach § 46 Nr. 2 AuslG bereits auf der Tatbestandsseite wegen Geringfügigkeit außer Betracht bleiben sollten.

Zwar kann es nach der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten unter engen Voraussetzungen Ausnahmefälle geben, in denen der Rechtsverstoß als geringfügig im Sinne des § 46 Nr. 2 AuslG zu bewerten ist. Das kann etwa dann in Betracht kommen, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Antragsteller ist rechtskräftig verurteilt worden. Allein daraus, dass das Landgericht als wesentlich strafmildernd berücksichtigt hat, dass der Antragsteller die Taten von Anfang an eingeräumt hat und nicht vorbestraft war, lässt sich noch kein Ausnahmefall ableiten.

Darauf, ob der Ausländer im konkreten Fall auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte, kommt es im Rahmen des § 17 Abs. 5 AuslG nicht an; auch der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (BVerwG, Urt. v. 16.07.2002 - 1 C 8.02 - BVerwGE 116,378 <385> = NVwZ 2003,217 <219>. Einer Auseinandersetzung mit den Angriffen, die die Beschwerde unter diesen Gesichtspunkten gegen die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung richtet, bedarf es deshalb in diesem Verfahren nicht.

2.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestand ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch nicht auf Grund von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts. Ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung dieser Vorschriften war, wie dargelegt, nicht vorhanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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