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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 15.08.2007
Aktenzeichen: S2 B 292/07
Rechtsgebiete: SGB II


Vorschriften:

SGB II § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a
SGB II § 15 Abs. 1 S. 6
Ein Sanktionsbescheid nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a SGB II kann nicht mehr ergehen, wenn zuvor ein Eingliederungsbescheid nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erlassen worden ist.
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S2 B 292/07

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat für Sozialgerichtssachen - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Grundmann und Richter Dr. Bauer am 15.08.2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts - 1. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 03.07.2007 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.05.2007 wird angeordnet.

Die aussergerichtlichen Kosten beider Instanzen des Antragstellers sind zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten schlossen unter dem 13.02.2007 eine Eingliederungsvereinbarung, deren Gegenstand die Förderung und Teilnahme des Antragstellers an dem Projekt "Fit für den Alltag" ist.

Unter dem 03.05.2007 bot die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine Eingliederungsvereinbarung gültig bis 03.11.2007 an in Ergänzung zu der vorangegangenen Eingliederungsvereinbarung. Der Antragsteller unterschrieb das Eingliederungsangebot nicht.

Mit Bescheid vom 11.05.2007 erließ die Antragsgegnerin die angebotene Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II als Verwaltungsakt. Dagegen hat der Antragsteller Widerspruch erhoben.

Mit weiterem Bescheid vom 15.05.2007 senkte die Antragsgegnerin gestützt auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II für die Zeit vom 01.06.2007 bis 31.08.2007 das dem Antragsteller zustehende Arbeitslosengeld II um 30 % der Regelleistung, maximal um 104,- € monatlich.

Der Antragsteller erhob Widerspruch und hat ausserdem beim Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz beantragt.

Mit Beschluss vom 03.07.2007 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Der vom Antragsteller geltend gemachte Eilrechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Der Widerspruch des Antragstellers vom 29.05.2007 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.05.2007, durch den sie das Arbeitslosengeld II des Antragstellers um 30 % herabgesetzt hat, besitzt gem. § 86 a Abs. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II als Entscheidung über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende keine aufschiebende Wirkung.

Bei der im Rahmen des § 86 b Abs. 1 SGG vom Senat vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des Herabsetzungsbescheids, weil sich nach summarischer Überprüfung dieses Bescheides ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit ergeben. Es sprechen gewichtige Gründe für die Rechtswidrigkeit der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Sanktion, deren vertiefte Überprüfung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

Dem Interesse des Antragstellers an der ungekürzten Auszahlung der seiner Existenzsicherung dienenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist deshalb Vorrang beizumessen.

Der Sanktionsbescheid der Antragsgegnerin stützt sich auf § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II. Nach dieser Vorschrift wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II gilt dies nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.

Der Antragsteller hat die ihm am 03.05.2007 von der Antragsgegnerin angebotene Eingliederungsvereinbarung nicht unterschrieben. Sein Verhalten ist entgegen seiner Beschwerdebegründung auch als endgültige Weigerung zu qualifizieren, nachdem er Bedenkzeit bis zum 11.05.2007 hatte, ob er die angebotene Vereinbarung eingehen wollte oder nicht (vgl. den Aktenvermerk vom 11.05.2007 "Anhörung zur Ablehnung Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben etc.", Bl. 72 und 73 der Behördenakten). Eine längere Verhandlungsphase kam nach den vorliegenden Umständen des Einzelfalls nicht in Betracht, da es sich bei der angebotenen Eingliederungsvereinbarung lediglich um eine Ergänzung der vorangegangenen Eingliederungsvereinbarung vom 13.02.2007 handelte, durch die sich der Antragsteller bereits zu der Teilnahme an dem vom 14.02.2007 bis zum 31.10.2007 laufenden Projekt "Fit für den Alltag" verpflichtet hatte und er keine nachvollziehbaren Gründe dafür geltend gemacht hatte, vorzeitig aus dem Projekt auszuscheiden. Die von ihm stattdessen gewünschte Qualifizierung als Kraftfahrer bot aktuell aufgrund der bei ihm bestehenden Hinweise auf eine Drogenproblematik und des Verdachts auf Alkoholmissbrauch vor einer ärztlichen Abklärung keinen ernsthaften Verhandlungsspielraum.

Indessen hat die Antragstellerin nach der endgültigen Weigerung des Antragstellers am 11.05.2007, das vorgelegte Vertragsangebot anzunehmen, von der ihr in § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht. Sie hat mit Bescheid vom 11.05.2007 die Geltung der in dem vom Antragsteller nicht angenommenen Vertragsangebot aufgeführten Regelungen durch einen Verwaltungsakt angeordnet. Mit dieser Vorgehensweise hat sie in der Sache zu erkennen gegeben, dass sie ihr Vertragsangebot auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II nicht länger verfolgte, sondern ihr Eingliederungsziel stattdessen nunmehr durch eine hoheitliche Regelung nach § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II zu realisieren gedachte. Mit dem Erlass des Sanktionsbescheides nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II setzt sich die Antragsgegnerin in Widerspruch zu ihrer Vorgehensweise.

Die Antragsgegnerin hat durch den Bescheid vom 11.05.2007 das erreicht, was sie zuvor mit der angefochtenen Eingliederungsvereinbarung erreichen wollte, nämlich die Verpflichtung des Antragstellers, weiterhin an dem laufenden Projekt teilzunehmen, die Projekttermine einzuhalten und darüber hinaus als zusätzliche Verpflichtung, sich einer ärztlichen Begutachtung u. a. zur Klärung seiner beruflichen Verwendbarkeit zu stellen.

Inwieweit und zu welchem Zweck unter diesen Voraussetzungen der unter dem 15.05.2007 nachträglich erlassene Sanktionsbescheid nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II noch erforderlich erscheint, ist von der Antragsgegnerin nicht dargelegt worden und dafür sind auch keine Gründe ersichtlich.

Nachdem die Antragsgegnerin den Zweck der angefochtenen Eingliederungsvereinbarung auf andere Weise erreicht hatte, bestand keine Veranlassung mehr, den Antragsteller durch Sanktionsbescheid nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II zur Annahme der angefochtenen Eingliederungsvereinbarung zu motivieren. Vielmehr hatte sich das Angebot einer Eingliederungsvereinbarung durch den Erlass des Eingliederungsbescheides erledigt und war kein Raum mehr für einen Sanktionsbescheid nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 a SGB II.

In einem solchen Fall noch von dieser Vorschrift Gebrauch zu machen, erscheint vielmehr unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bedenklich (vgl. auch BVerfG, B. v. 14.02.2005 - 1 BvR 199/05 - <juris>).

Der Senat schließt sich damit der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (B. v. 22.01.2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B - <juris>) an. Eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II kann nicht mehr verfügt werden, wenn der Träger bereits einen Verwaltungsakt erlassen hat, mit dem er die sonst in der Vereinbarung zu treffenden Regelungen einseitig anordnet. Denn mit dem Erlass eines solchen Bescheides werden im Wesentlichen die gleichen Zwecke wie mit dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung erreicht. Eine Absenkung wegen Weigerung zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung hätte Straf- und Disziplinierungscharakter und wäre unverhältnismäßig (LSG Baden-Württemberg a. a. O. und Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 Rn. 22 am Ende, vgl. auch Valgolio a. a. O. K § 31 Rn. 11).

Dies gilt auch dann, wenn der nicht für sofort vollziehbar erklärte Eingliederungsbescheid - wie hier - mit Widerspruch angefochten ist, der aufschiebende Wirkung hat. Die Antragsgegnerin hat in einem solchen Fall die Möglichkeit, den Sofortvollzug des Eingliederungsbescheides anzuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Ende der Entscheidung

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