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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 10.10.2008
Aktenzeichen: S2 B 458/08
Rechtsgebiete: SGB II, ZPO


Vorschriften:

SGB II § 31 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 114
ZPO § 118 Abs. 2 S. 1
Eine ordnungsgemäße "Belehrung über die Rechtsfolgen" i. S. von § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II liegt dann nicht vor, wenn dem Betroffenen mehrere, einander widersprechende Rechtsfolgenbelehrungen erteilt worden sind.
OVG: S2 B 458/08

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat für Sozialgerichtssachen - durch die Richter Dr. Grundmann und Dr. Lohmann und Richterin Dr. Jörgensen am 10.10.2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 2. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 01.08.2008 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die vollständige Kürzung der Leistungen nach dem SGB II.

Der Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II. Mit Sanktionsbescheid vom 05.12.2007 wurde die Regelleistung wegen Verletzung der Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung - nicht ausreichende Eigenbemühungen - um 30% für die Zeit vom 01.01.2008 bis zum 31.03.2008 gekürzt. Der Sanktionsbescheid erhielt folgende Rechtsfolgenbelehrung:

"Bitte beachten Sie, dass bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nach Eintritt dieser Sanktion der zustehende Anspruch auf Leistungen für die Dauer von drei Monaten um 60% der zustehenden Regelleistung gemindert wird."

Mit weiterem Sanktionsbescheid vom 10.01.2008 wurde die Regelleistung wegen wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung seit dem vorangegangenen Sanktionsbescheid um 60% für die Zeit vom 01.02.2008 bis 30.04.2008 gekürzt. Dieser Sanktionsbescheid erhielt folgende Rechtsfolgenbelehrung:

"Bitte beachten Sie, dass bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nach Eintritt dieser Sanktion der zustehende Anspruch auf Leistungen für die Dauer von drei Monaten vollständig entfällt."

Mit Sanktionsbescheid vom 28.04.2008 wurde die Regelleistung wegen Nichterscheinens zu einem Meldetermin für die Zeit vom 01.05.2008 bis 31.07.2008 um 10% gekürzt. Der Sanktionsbescheid erhielt folgende Rechtsfolgenbelehrung:

"Bitte beachten Sie, dass bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung der Ihnen zustehende Anspruch auf Leistungen für die Dauer von drei Monaten verschärft zu mindern ist. Ihr Arbeitslosengeld II wird dann um den Prozentsatz der Ihnen zustehenden Regelleistung abgesenkt, der sich aus der Summe des Prozentsatzes aus dieser Sanktion und zusätzlichen 10 vom Hundert ergibt."

Am 21.04.2008 schloss der Antragsteller mit der BAgIS eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich u. a. verpflichtete, an der Feststellung seiner Leistungsfähigkeit mitzuwirken und in diesem Zusammenhang einer persönlichen Vorsprache beim ärztlichen Dienst nachzukommen. Die Eingliederungsvereinbarung enthält eine Rechtsfolgenbelehrung, die die gesetzlich vorgeschriebenen Rechtsfolgen im Einzelnen wiedergibt.

Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 25.04.2008 wurde der Antragsteller aufgefordert, sich zur Abklärung seiner Erwerbsfähigkeit am 07.05.2008 zu einer ärztlichen Untersuchung einzufinden. Das Schreiben enthält folgenden Hinweis:

"Wenn Sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht Folge leisten, wird ihr Arbeitslosengeld II um 10% der für sie nach § 20 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) maßgebenden Regelleistung für die Dauer von drei Monaten abgesenkt."

Unter dem Punkt "Rechtsfolgenbelehrung zur Meldepflicht" wurde sodann ausgeführt, dass eine Verletzung der Meldepflicht vorliege, wenn der Aufforderung des zuständigen Trägers der Grundsicherung, sich persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen werde.

Der Antragsteller erschien zum Termin am 07.05.2008 nicht.

Mit Sanktionsbescheid vom 17.06.2008 stellte die Antragsgegnerin die Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis 30.09.2008 vollständig ein.

Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 09.07.2008 am 15.07.2008 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Am 22.07.2008 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bremen beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 09.07.2008 gegen den Sanktionsbescheid vom 17.06.2008 anzuordnen.

Die ihm in der Eingliederungsvereinbarung auferlegte Verpflichtung, an der Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit mitzuwirken, sei unzulässig. Voraussetzung für den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung sei das Vorliegen der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen. Der Leistungsträger habe nach § 44a Abs. 1 S. 1 SGB II die Möglichkeit festzustellen, ob der Arbeitssuchende erwerbsfähig sei und könne ihn dazu auffordern, zu einem ärztlichen Termin zu erscheinen. Komme der Hilfebedürftige der Aufforderung nicht nach, könne das Arbeitslosengeld II abgesenkt werden. Es bestehe kein Bedürfnis, für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Zudem habe er einen wichtigen Grund gehabt, den Arzttermin nicht wahrzunehmen.

Das Verwaltungsgericht Bremen - 2. Kammer für Sozialgerichtssachen - hat mit Beschluss vom 01.08.2008 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid vom 17.06.2008 angeordnet, soweit damit die dem Antragsteller zustehenden Leistungen um mehr als 20% der Regelleistung gekürzt wurden. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Der Antragsteller sei über die Rechtsfolge nicht hinreichend belehrt worden. In der Vergangenheit erteilte Belehrungen oder allgemeine Merkblatthinweise seien nicht hinreichend; abzustellen sei auf diejenige Rechtsfolgenbelehrung, die dem Betroffenen vor Eintritt der potentiellen Pflichtverletzung zuletzt erteilt worden sei. Die dem Einladungsschreiben zum ärztlichen Termin beigefügte Rechtsfolgenbelehrung habe keinen Hinweis darauf enthalten, dass das Nichterscheinen zur ärztlichen Untersuchung als Verstoß gegen die Eingliederungsvereinbarung sanktioniert werden könne. Auch die im Bescheid vom 28.04.2008 enthaltene Belehrung habe keinen derartigen Hinweis erhalten. In dem Nichterscheinen zum Termin liege aber eine wiederholte Pflichtverletzung, die eine Absenkung der Regelleistungen um 20% nach § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II rechtfertige.

Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Der Antragsteller sei auf die mögliche Rechtsfolge einer Kürzung der Leistungen auf Null zuvor dreimal hingewiesen worden. In den Sanktionsbescheiden vom 05.12.2007 und 10.01.2008 sowie der Eingliederungsvereinbarung sei auf die Rechtsfolgen bei weiterer wiederholter Pflichtverletzung hingewiesen worden.

Der Antragsteller ist der Auffassung, er sei in den Sanktionsbescheiden vom 05.12.2007 und 10.01.2008 auf die Rechtsfolgen bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung hingewiesen worden. Er sei wegen nicht nachgewiesener Eigenbemühungen sanktioniert worden. In der Nichtwahrnehmung der ärztlichen Untersuchung liege keine gleichartige Pflichtverletzung. Die Regelungen der Eingliederungsvereinbarungen seien auch unzulässig.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet.

Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 17.06.2008 hat gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Widerspruchsführers, den Vollzug des Bescheides bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ist in der Regel bereits dann anzuordnen, wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist.

Es kann dahinstehen, ob dem Antragsteller durch Eingliederungsvereinbarung die Pflicht auferlegt werden durfte, an der Feststellung seiner Erwerbsfähigkeit mitzuwirken. Der Bescheid vom 17.06.2008 erweist sich aus anderen Gründen als rechtswidrig. Eine Absenkung der Regelleistung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 b), Abs. 3 SGB II setzt eine ordnungsgemäße Belehrung über die Rechtsfolgen voraus. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Rechtsfolgenbelehrung wegen ihrer Warn- und Erziehungsfunktion konkret, richtig, eindeutig und verständlich sein muss. D. h. sie muss dem Betroffenen in verständlicher Form zutreffend erläutern, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen eine Pflichtverletzung auf seinen Leistungsanspruch hat (BSG, Urt. v. 10.12.1981 - 7 Rar 24/81 - BSGE 53, 13-16; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 31.07.2007 - L 8 AS 605/06; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12.03.2007 - L 28 B 153/07; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19.10.2006 - L 1 B 29/06). Dies ergibt sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den Betroffenen hinreichend über die gravierenden Folgen einer Pflichtverletzung zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen (BSG, Urt. v. 01.06.2006 - B 7a AL 26/05 R - juris).

Ihre Funktion, den Betroffenen die unmittelbaren und konkreten Auswirkungen vor Augen zu führen, erfüllt eine Rechtsfolgenbelehrung dann nicht mehr, wenn dem Betroffenen eine zweite Belehrung zugeht, die in Bezug auf dieselbe Maßnahme völlig andere Rechtsfolgen aufzeigt, ohne deutlich zu machen, in welchem Verhältnis sie zur ersten Belehrung steht. In dieser Situation ist für einen verständigen Adressaten nicht mehr erkennbar, welche Rechtsfolge im Falle, dass er der Aufforderung nicht nachkommt, tatsächlich eintreten wird. Eine Rechtsfolgenbelehrung muss daher, um wirksam zu sein, vor allem widerspruchsfrei sein (BSG, Urt. v. 01.06.2006, a. a. O.).

Eine diesen Anforderungen entsprechende Rechtsfolgenbelehrung ist dem Antragsteller nicht erteilt worden.

Die Antragsgegnerin kann sich nicht auf die Rechtsfolgenbelehrungen der Sanktionsbescheide vom 05.12.2007 und 10.01.2008 sowie der Eingliederungsvereinbarung berufen. Diese enthalten zwar die bei isolierter Betrachtung inhaltlich richtige Belehrung darüber, dass bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nach Eintritt der Sanktionen der zustehende Anspruch auf Leistungen für die Dauer von drei Monaten um 60% der zustehenden Regelleistung gemindert wird bzw. vollständig entfällt. Dazu im Widerspruch steht jedoch die Rechtsfolgenbelehrung im Schreiben der Antragsgegnerin vom 25.04.2008, mit dem der Antragsteller aufgefordert worden ist, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Darin wird dem Antragsteller erklärt, dass die Regelleistung für die Dauer von drei Monaten um 10% abgesenkt wird, wenn er ohne wichtigen Grund der Einladung nicht Folge leiste. Zudem erhielt der Antragsteller nach dem Einladungsschreiben, aber vor dem Termin am 07.05.2008, zu dem er nicht erschienen ist, einen weiteren Sanktionsbescheid vom 28.04.2008, in dem er darüber belehrt wurde, dass bei wiederholter gleichartiger Pflichtverletzung die Regelleistung zusätzlich um 10% gekürzt wird. Das Schreiben vom 25.04.2008 und der Sanktionsbescheid vom 28.04.2008 stellen dabei erkennbar auf eine Verletzung von Meldepflichten ab und bezeichnen als solche auch das Nichterscheinen zu einem ärztlichen Untersuchungstermin.

Für den Antragsteller war damit nicht mehr erkennbar, welche Rechtsfolge ihm im Falle des Nichterscheinens zur Untersuchung am 07.05.2008 drohen würde, insbesondere, ob er damit seine Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung oder Meldepflichten verletzt.

Ob das Verwaltungsgericht zu Recht den Antrag im Übrigen abgelehnt hat, ist nicht zu entscheiden, da der Antragsteller dagegen Rechtsmittel nicht eingelegt hat.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Ende der Entscheidung

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