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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Beschluss verkündet am 28.02.2008
Aktenzeichen: S3 B 536/07
Rechtsgebiete: SGB XII


Vorschriften:

SGB XII § 66
1. Das in Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI enthaltene Pflegegeld der Pflegekasse ist gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auf das Pflegegeld nach § 64 Abs. 1 SGB XII anzurechnen.

2. Gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII sind Aufwendungen für Pflegepersonen nach § 65 Abs. 1 SGB nicht zu erstatten, soweit die Sachleistungen der Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI nicht voll in Anspruch genommen werden.

3. Ein nach dem SGB XI gezahltes Pflegegeld ist nur dann vorrangig auf eine nach § 65 Abs. 1 SGB XII gewährte Leistung anzurechnen, wenn die Anforderungen eines Arbeitgeber bzw. Assistenzmodells nach § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB XII erfüllt sind.


Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Beschluss

OVG: S3 B 536/07

In dem Rechtsstreit

hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 3. Senat für Sozialgerichtssachen - durch Richterin Dreger, Richter Dr. Grundmann und Richter Dr. Lohmann am 28.02.2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Bremen - 4. Kammer für Sozialgerichtssachen - vom 28.11.2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich dagegen, dass sie wegen des Bezuges von Leistungen nach § 65 SGB XII nur ein um zwei Drittel gekürztes Pflegegeld erhält.

Die im Jahre 1925 geborene Antragstellerin bezieht Sozialhilfe. Ihr wurde die Pflegestufe III zuerkannt. Sie ist nach einer nervenärztlichen Bescheinigung vom 10.02.2006 auf Grund einer paranoiden Psychose und einer schweren Demenz pflegebedürftig. Sie wird im Wege der Nachbarschaftshilfe und durch ihren Sohn, der zu ihrem Betreuer bestellt ist, gepflegt.

Die Antragstellerin erhält von der Pflegekasse Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI. Diese bestehen zunächst aus Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI, bei denen es sich um die Kosten für einen ambulanten Pflegedienst, der sie dreimal in der Woche versorgt, handelt. Hinzu kommt Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI der Pflegestufe III. Der Pflegegeldbetrag von € 665 monatlich wird gemäß § 38 Satz 2 SGB XI um den Vomhundertsatz gekürzt, in dem die Antragstellerin Sachleistungen in Anspruch genommen hat. Die Pflegekasse zahlte für die Zeiträume Oktober 2007 € 512,32, November 2007 € 523,75 und Dezember 2007 € 338. Die Zahlung des niedrigeren Betrages für den Dezember 2007 beruhte auf der Gewährung von Leistungen der Verhinderungspflege durch die Pflegekasse.

Die Antragsgegnerin leistet der Antragstellerin gemäß §§ 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII einen monatlichen Betrag von € 396,76 für Nachbarschaftshilfe, die Beaufsichtigung während des Tagesablaufes und Bereitschaftsdienst nachts (Leistungskomplexe 21 u. 22).

Es wurde vom Sozialmedizinischen Dienst Bremerhaven ein Bedarf für Aufwendungen für Pflegepersonen gemäß § 65 Abs. 1 SGB XII für durch die Sachleistungen der Pflegeversicherung nicht abgedeckte grundpflegerische Leistungen (Leistungskomplexe 1-20) in Höhe von monatlich € 1.109,81 festgestellt. Dieser Bedarf wird von der Antragsgegnerin, nach § 66 Abs. 4 SGB XII gekürzt um das von der Pflegekasse gezahlte Restpflegegeld, an die Antragstellerin gezahlt.

Mit Bescheid vom 18.09.2007 bewilligte die Antragsgegnerin ab dem 01.08.2007 Pflegegeld Stufe III gemäß § 64 SGB XII. Sie nahm eine Kürzung auf ein Drittel nach § 66 Abs. 2 SGB II vor und setzte das zu gewährende Pflegegeld mit € 221,67 monatlich fest. Zur Begründung führte sie aus, dass das Pflegegeld eine pauschale Hilfe zum Ausgleich für Mehraufwendungen infolge Pflegebedürftigkeit sei. Da über das übliche Maß hinausgehende außergewöhnliche Belastungen nicht nachgewiesen worden seien und auch nicht erkennbar seien, werde die Kürzung des Pflegegeldes um zwei Drittel für angemessen gehalten. Diese Vorgehensweise sei durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen vom 26.11.2004, 7 K 609/04 bestätigt worden.

Mit Beschluss vom 28.11.2007 hat das Verwaltungsgericht Bremen - 4. Kammer für Sozialgerichtssachen - den am 04.10.2007 gestellten Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ein ungekürztes Pflegegeld zu zahlen, abgelehnt. Es sah in der Entscheidung des Sozialhilfeträgers über die Gewährung des Pflegegeldes nach §§ 64 - 66 SGB XII eine Ermessensentscheidung. Eine Reduzierung des Ermessens auf Null liege nicht vor, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gerechtfertigt sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde. Das volle Pflegegeld sei erforderlich, weil die Pflegebedürftigkeit der Antragstellerin über das Übliche hinausgehe.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen und bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008, mit dem der Widerspruch der Antragstellerin vom 26.09.2007 zurückgewiesen worden ist. Sie führt ergänzend aus, dass der Pflegeaufwand durch einen ambulanten Pflegedienst wesentlich verringert werde. Dem Ziel, die Pflegebereitschaft des Sohnes und der Nachbarin zu erhalten, diene bereits das von der Pflegekasse gezahlte Pflegegeld.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung liegen nicht vor. Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist erforderlich, dass mit dem Antrag sowohl ein Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) als auch ein Grund für eine vorläufige Regelung durch das Gericht (Anordnungsgrund) i. S. des § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht werden.

Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch dahingehend, dass ihr ein höheres als das von der Antragsgegnerin gewährte Pflegegeld zusteht, glaubhaft gemacht.

Leistungsberechtigte, die pflegebedürftig sind, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Pflegegeld gegenüber dem Sozialhilfeträger gemäß § 64 SGB XII. Bei Pflegestufe III beträgt das monatliche Pflegegeld nach § 64 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit § 37 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB XI € 665. Auf dieses Pflegegeld besteht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch.

Allerdings sind gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz SGB XII die von der Pflegekasse gezahlten Pflegegelder nach dem SGB XI in dem Umfang, in dem sie geleistet werden, auf den Pflegegeldanspruch nach § 64 SGB XII anzurechnen. Diese Anrechnungsvorschrift ist Ausdruck des allgemeinen Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII).

Pflegebedürftige haben bei häuslicher Pflege gemäß § 36 SGB XI einen Anspruch auf Pflegesachleistungen, der bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem monatlichen Gesamtwert von € 1.432 umfasst. Auf diese Pflegesachleistungen kann gemäß § 37 SGB XI zu Gunsten eines Pflegegeldes verzichtet werden, das bei der Pflegestufe III € 665 beträgt. Gemäß § 38 SGB XI kann ein Pflegebedürftiger auf die Inanspruchnahme der ihm nach § 36 Abs. 3 und 4 SGB XI zustehenden Pflegesachleistungen teilweise verzichten. In diesem Fall wird das Pflegegeld nach 37 SGB XI anteilig um den Vomhundertsatz gemindert, in dem er Sachleistungen in Anspruch nehmen will. Entscheidet sich ein Pflegebedürftiger für solche Kombinationsleistungen, kann in Höhe des in der Kombinationsleistung nach § 38 SGB XI enthaltenen Pflegegeldes kein Pflegegeld nach § 64 SGB XII gezahlt werden. Vielmehr ist das von der Pflegekasse gezahlte Pflegegeld gemäß § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in voller Höhe anzurechnen.

Da die Antragstellerin auf die vollständige Inanspruchnahme der ihr nach § 36 SGB XI zustehenden Pflegesachleistungen verzichtet hat, erhält sie im Rahmen einer Kombinationsleistung ein Restpflegegeld von der Pflegekasse. Sie hat Pflegegeld in Höhe von € 512,32 (Oktober 2007), € 523,75 (November 2007) und € 338 (Dezember 2007) von der Pflegekasse erhalten.

Bereits wegen der insoweit nach § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vorzunehmenden Anrechnung der Pflegegeldzahlungen der Pflegekasse auf den Pflegegeldanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin in Anbetracht des von der Antragsgegnerin für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2007 geleisteten Pflegegeldes von insgesamt € 665,01 (= 3 x € 221,67) ein Anspruch auf ein höheres Pflegegeld zustehen könnte, der den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde. Für diesen Zeitraum beträgt der Pflegegeldanspruch der Antragstellerin nach § 64 Abs. 1 SGB XII € 1.995 (= 3 x € 665). Darauf ist das von der Pflegeversicherung gezahlten Restpflegegeld von insgesamt € 1.374,07 (= € 512,32 + € 523,75 + € 338,00) nach § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB XII anzurechnen, so dass sich der Anspruch für diesen Zeitraum auf € 620,93 reduziert; dieser Betrag liegt unter dem tatsächlich geleisteten Betrag von € 665,01.

Auf die Frage, ob die Antragsgegnerin ohne Ermessensfehler das Pflegegeld der Antragstellerin nach § 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII gekürzt hat, kommt es daher in diesem Verfahren nicht an.

Im Hinblick auf den Vortrag der Antragsgegnerin ist auf Folgendes hinzuweisen:

Vom Pflegegeld sind die Leistungen für die Aufwendungen für Pflegepersonen zu unterscheiden, die in § 65 Abs. 1 SGB XII geregelt sind. Werden einem Pflegebedürftigen Aufwendungen der Pflegeperson nach § 65 Abs. 1 SGB XII erstattet oder gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erbracht, steht es gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII im pflichtgemäßen Ermessen des Sozialhilfeträgers, das Pflegegeld um bis zu zwei Dritteln zu kürzen. Nimmt ein Pflegebedürftiger Kombinationsleistungen der Pflegekasse nach § 38 SGB XI in Anspruch, führt der in der Kombinationsleistung enthaltene Sachleistungsanteil dazu, dass der Sozialhilfeträger gemäß § 66 Abs. 2 Satz 2 SGB XII zu prüfen hat, ob das Pflegegeld nach § 64 SGB XII um bis zu zwei Drittel gekürzt werden kann. Jedoch darf die Kürzung nicht pauschal und schematisch vorgenommen werden, sondern es ist in jedem Einzelfall für den betreffenden konkreten Zeitraum unter Berücksichtigung der zeitlichen und qualitativen Entlastung durch Pflegekräfte zu prüfen, ob Doppelleistungen erbracht werden und das Pflegegeld nicht mehr nötig ist, um die Pflegebereitschaft der Pflegeperson zu erhalten (Krahmer in LPK-SGB XII, § 66 SGB XII Rn. 7-9).

Auch die von der Antragsgegnerin vorgenommene Anrechnung des von der Pflegekasse an die Antragsgegnerin gezahlten Pflegegeldes auf die nach § 65 Abs. 1 SGB XII zu gewährenden Leistungen für Aufwendungen für Pflegepersonen nach § 66 Abs. 4 SGB XII begründet keinen Anspruch auf ein höheres als das geleistete Pflegegeld.

Allerdings sind entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin die von der Pflegekasse gemäß § 37 SGB XI gezahlten Geldleistungen nicht nach § 66 Abs. 4 Satz 3 SGB XII auf den festgestellten Bedarf für Pflegepersonen nach § 65 Abs. 1 SGB XI anzurechnen. Denn mit der Ausnahme der Fälle des besonderen Anforderungen unterliegenden Arbeitgeber- bzw. Assistenzmodells im Sinne von § 66 Abs. 4 Satz 2 SGB XII, bei dem die Pflegebedürftigen nach einem genauen pflegerischen Konzept als Arbeitgeber besondere Pflegekräfte beschäftigen, (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15.09.2006, L 7 SO 4051/06 ER-B), ist ein nach dem SGB XI geleistetes Pflegegeld nicht auf eine nach § 65 Abs. 1 SGB XII gewährte Leistung anzurechnen. Dem Nachranggrundsatz wird hinsichtlich des Pflegegeldes bereits durch § 66 Abs. 1 SGB XII Rechnung getragen.

Doch kommt es nach § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII zu einer Beschränkung des Anspruchs auf Erstattung der Aufwendungen der Pflegeperson gemäß § 65 Abs. 1 SGB XII. Denn gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII sind Aufwendungen für Pflegepersonen nach § 65 Abs. 1 SGB nicht zu erstatten, soweit Pflegebedürftige es unterlassen, zweckentsprechende Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften in Anspruch zu nehmen. Zweckentsprechend sind Leistungen nach §§ 36, 39, 44 und 45 SGB XI (Lachwitz, in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 66 SGB XII, Rn. 24). Ergänzende Pflegekraftkosten nach § 65 Abs. 1 SGB können grundsätzlich nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Sachleistung der Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI voll in Anspruch genommen wird. Es soll vermieden werden, dass Pflegebedürftige durch eine zu niedrige Inanspruchnahme der Sachleistung nach § 36 SGB XI, etwa durch Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI, statt der Pflegekasse den Sozialhilfeträger mit Pflegekraftkosten belasten (vgl. Krahmer in LPK-SGB XII, § 66 SGB XII Rn. 11).

Die Antragstellerin hat sich entschieden, auf die Inanspruchnahme der ihr zustehenden Pflegesachleistungen der Pflegeversicherung zu Gunsten der Gewährung eines gekürzten Pflegegeldes teilweise zu verzichten. In dem Umfang, in dem sie Leistungen der Pflegekasse nicht in Anspruch nimmt, sind von der Antragsgegnerin gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII Leistungen nach § 65 Abs. 1 SGB XII nicht zu erbringen.

Sie hat im Oktober 2007 von der Pflegekasse ein Pflegegeld in Höhe von € 512,32 bezogen. Aus der Kürzung des Ausgangsbetrages von € 665 um etwa 23 v. H. folgt die Inanspruchnahme von Pflegesachleistungen im Wert von etwa € 330, so dass die Antragstellerin von der Pflegeversicherung eine Gesamtleistung von € 842,32 (= € 512,32 + € 330) in Anspruch genommen hat. Dies bedeutet, dass sie im Umfang von € 589,68 (= € 1.432 ./. € 842,32) ihr zustehende Pflegesachleistungen der Pflegeversicherung nicht in Anspruch genommen hat. Entsprechend verzichtete sie im November 2007 auf Pflegesachleistungen im Gesamtwert von € 608,25 und im Dezember 2007 auf Leistungen im Gesamtwert von € 392,32.

Die von der Antragsgegnerin gemäß § 64 Abs. 1 SGB XII als Kürzungsbeträge in Ansatz zu bringenden Beträge der Nichtinanspruchnahme (10/07: € 589,68; 11/07: € 608,25; 12/07: € 392,32) übersteigen die von der Antragsgegnerin in Abzug gebrachten Beträge der Geldleistungen der Pflegekasse (10/07: € 512,32; 11/07: € 523,75; 12/07: € 338).

Ende der Entscheidung

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