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Gericht: Oberverwaltungsgericht Bremen
Urteil verkündet am 14.05.2009
Aktenzeichen: St 2/08
Rechtsgebiete: BremWG, BremStGHG, BVerfGG, LWahlG, VerfBrhv, GeschO StadtVVBrhv


Vorschriften:

BremWG § 5 Abs. 1 Satz 1
BremWG § 7 Abs. 7
BremWG § 42 Abs. 3 Satz 1
BremWG § 42 Abs. 3 Satz 2
BremStGHG § 12 Abs. 1
BremStGHG § 24 Abs. 1
BremStGHG § 24 Abs. 2
BVerfGG § 27a
LWahlG § 22 Abs. 2
VerfBrhv § 34 Abs. 2
VerfBrhv § 34 Abs. 3 Satz 1
VerfBrhv § 35
VerfBrhv § 38 Abs. 1
GeschO StadtVVBrhv § 38 Abs. 2
GeschO StadtVVBrhv § 44
1. Die Kontrolle eines Normentwurfs durch den Staatsgerichtshof setzt voraus, dass der zu beurteilende Entwurf bereits eine genau feststehende, am Maßstab der Verfassung messbare Formulierung gefunden hat. Außerdem muss absehbar sein, dass das Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel der Verabschiedung der Norm fortgeführt werden soll, wenn der Staatsgerichtshof die Vereinbarkeit des Entwurfs mit der Verfassung feststellt. Der Staatsgerichtshof erlässt keine Entscheidungen "auf Vorrat".

2. Eine Fünf-Prozent-Sperrklausel greift erheblich in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Wahlbewerber ein. Nur eine mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane kann eine solche Klausel rechtfertigen (im Anschluss an BVerfGE 120, 82).

3. Auch unter Berücksichtigung der Wahl der haupt- und ehrenamtlichen Magistratsmitglieder durch die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven ist eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats ohne Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

4. Das Ziel, durch Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven ein einheitliches Wahlrecht für die beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven herzustellen, rechtfertigt die mit der Wiedereinführung der Sperrklausel verbundene Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Wahlbewerber nicht.


STAATSGERICHTSHOF DER FREIEN HANSESTADT BREMEN Im Namen des Volkes Urteil

St 2/08

Verkündet am 14.05.2009

In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung eines Normentwurfes

ergeht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2009 durch die Richter

Prof. Dr. Rinken

Arenhövel

Göbel

Prof. Dr. Huber

Prof. Dr. Klein

Lissau

Prof. Dr. Preuß

folgendes Urteil:

Tenor:

Die Streichung der Worte "§ 7 Abs. 7" in § 42 Abs. 3 Satz 1 BremWG ist mit der Bremischen Landesverfassung nicht vereinbar.

Gründe:

A.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die von der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) in erster Lesung beratene Änderung des Bremischen Wahlgesetzes, mit der die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven wieder eingeführt werden soll, mit der Landesverfassung vereinbar ist.

I.

Im Hinblick auf das im Jahr 2006 erfolgreich durchgeführte Volksbegehren "Mehr Demokratie beim Wählen - Mehr Einfluss für Bürgerinnen und Bürger" wurde das Bremische Wahlgesetz (BremWG) durch Gesetz vom 19. Dezember 2006 (Brem.GBl. S. 539) geändert. Die Bürgerschaft (Landtag) nahm den dem Volksbegehren zugrunde liegenden Gesetzentwurf unverändert an, so dass ein Volksentscheid nicht stattfinden musste (§ 1 Ziff. 4 VolksentscheidG). Neben der Einführung des Kumulierens und Panaschierens wurde die Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven abgeschafft. Dementsprechend wurden in § 42 Abs. 3 Satz 1 BremWG, der die Bestimmungen des Wahlgesetzes aufzählt, die auf die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung keine Anwendung finden, die Worte "§ 7 Abs. 7" eingefügt. Die Änderung trat am Tage nach ihrer Verkündung in Kraft, findet jedoch erstmals Anwendung auf die erste nach Ablauf einer Frist von 15 Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes stattfindende Wahl (Art. 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2006, Brem.GBl. S. 539).

Dem gemäß lautet § 42 Abs. 3 Satz 1 BremWG jetzt:

§ 1 Abs. 1a, § 6 Abs. 5, § 7 Abs. 7, § 19 Abs. 1a, § 30 Abs. 2a und 3a sowie § 36a finden keine Anwendung.

§ 7 Abs. 7 BremWG lautet:

Bei Verteilung der Sitze werden nur Wahlvorschläge von solchen Parteien oder Wählervereinigungen berücksichtigt, die mindestens fünf vom Hundert der im Wahlbereich, für den der Wahlvorschlag eingereicht ist, abgegebenen gültigen Stimmen errungen haben.

Mit Beschluss vom 7. Februar 2008 sprach sich die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven mehrheitlich für eine Wiedereinführung der Sperrklausel aus. Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) griffen diese Anregung mit Dringlichkeitsantrag vom 28. Mai 2008 auf (Bremische Bürgerschaft, Drucksache 17/426). Das Bremische Wahlgesetz soll danach wie folgt geändert werden:

In § 42 Abs. 3 Satz 1 werden die Worte "§ 7 Abs. 7" gestrichen.

Der Gesetzentwurf wurde von der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) am 4. Juni 2008 in erster Lesung behandelt und zur weiteren Beratung und Berichterstattung an den nichtständigen Ausschuss "Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts" überwiesen. In den Beratungen des Ausschusses wurde deutlich, dass einerseits Klärungsbedarf im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven besteht und es andererseits erhebliche inhaltliche Differenzen bei der Frage der politischen Beurteilung der Wiedereinführung gibt (Bremische Bürgerschaft Drucks. 17/471, S. 1). Der Ausschuss sprach sich deshalb für eine Prüfung durch den Staatsgerichtshof nach Art. 140 Abs. 1 Satz 1 BremLV aus.

Auf Vorschlag des Ausschusses beschloss die Bremische Bürgerschaft am 3. Juli 2008 (Bremische Bürgerschaft, Beschlussprotokoll, 26. Sitzung, Nr. 17/395):

Der Staatsgerichtshof möge prüfen, ob folgende Änderung des Bremischen Wahlgesetzes zulässig ist:

Das Bremische Wahlgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Mai 1990 (Brem.GBl. S. 321), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. Dezember 2006 (Brem.GBl. S. 539), wird wie folgt geändert: In § 42 Abs. 3 Satz 1 werden die Worte "§ 7 Abs. 7" gestrichen.

Der Antrag ist dem Staatsgerichtshof mit Schreiben des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft vom 21. August 2008 zugeleitet und in der mündlichen Verhandlung am 31. März 2009 gestellt worden.

II.

Der Staatsgerichtshof hat mit Schreiben vom 4. September 2008 der Antragstellerin Gelegenheit zur Vervollständigung des Antrags gegeben. Mit am 15. Oktober 2008 eingegangenem Schriftsatz hat der Präsident der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) eine Stellungnahme des nichtständigen Ausschusses "Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts" vorgelegt, die sich die Bürgerschaft offenbar zu Eigen gemacht hat. Beigefügt waren Stellungnahmen der in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen, die aufgrund eines Beschlusses des genannten Ausschusses eingeholt worden waren.

1. Der Ausschuss verweist zunächst darauf, dass die Initiative der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel von der CDU-Fraktion mitgetragen werde. Die Wiedereinführung der Sperrklausel bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven diene der Herstellung eines einheitlichen Wahlrechts in den Städten Bremen und Bremerhaven. Der Staatsgerichtshof habe mit seiner Entscheidung vom 4. Mai 1981 die Zulässigkeit der Fünf-Prozent-Klausel bestätigt. Neue Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein vom 13. Februar 2008 und des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 9. April 2008 hätten zwar für die mit der Sperrklausel verbundene Durchbrechung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl einen "zwingenden Grund" als Rechtfertigung verlangt. Dieser liege aber für Bremerhaven darin, dass - anders als in Schleswig-Holstein und Thüringen - Oberbürgermeister und Magistrat von der Gemeindevertretung gewählt würden und es um die Gleichheit der Kommunalwahlbedingungen in Bremen und Bremerhaven gehe. Mit der ersten Lesung in der Bürgerschaft und der Überweisung an den zuständigen Ausschuss sei die Wiedereinführung konkret in Aussicht genommen.

2. Die SPD-Fraktion geht davon aus, dass der in erster Lesung beschlossene und an den Ausschuss überwiesene Entwurf eines Änderungsgesetzes eine konkrete Inaussichtnahme der politischen Entscheidung darstelle und damit den Voraussetzungen des Art. 140 Abs. 1 BremLV genüge. Da die Zulässigkeit der Wiedereinführung der Sperrklausel vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 zweifelhaft sei, könne der Staatsgerichtshof angerufen werden. Inhaltlich ergebe sich die Rechtfertigung für die Wiedereinführung daraus, dass die Gleichheit der Kommunalwahlbedingungen in Bremen und Bremerhaven anzustreben sei und die Wahl von Oberbürgermeister und Magistrat durch die Stadtverordnetenversammlung erfolge und dafür stabile Mehrheitsverhältnisse erforderlich seien. Splitterparteien könnten diese Verhältnisse gefährden und so die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretung schwerwiegend stören.

3. Die Fraktion der CDU führt aus, dass sie das Gesetzesvorhaben zur Wiedereinführung der Sperrklausel unterstütze. Die Initiative sei gerechtfertigt, da der Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen zwingend erforderlich sei. Ohne Fünf-Prozent-Klausel sei nämlich eine schwerwiegende Störung der Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung zu befürchten. Anders als in Kommunen, in denen der Bürgermeister direkt vom Volk gewählt werde, habe die Stadtverordnetenversammlung die Mitglieder des Magistrats zu wählen. Eine funktionsfähige Verwaltung sei bei einer aufgrund zersplitterter Mehrheitsverhältnisse arbeitsunfähigen Stadtverordnetenversammlung nicht gewährleistet.

4. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat von einer Stellungnahme abgesehen. Nach ihrer Auffassung sind in der Stellungnahme des Ausschusses (oben 1.) alle grundsätzlichen Argumente für und wider die Wiedereinführung dargestellt.

5. Die FDP-Fraktion trägt vor, die Wiedereinführung der Sperrklausel bedeute einen gravierenden Eingriff in das Verfassungsrecht auf gleiche Wahl und die Chancengleichheit aller Wahlbewerber. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebe es keine erkennbaren Gründe, die diesen Eingriff rechtfertigen könnten. Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung sei auch ohne Wiederaufnahme der Sperrklausel nicht zu befürchten; schon jetzt seien dort sieben Fraktionen vertreten, die trotz (damaliger) Geltung der Fünf-Prozent-Klausel in die Gemeindevertretung eingezogen seien. Erfahrungen anderer Länder, die keine Sperrklausel für Kommunalwahlen hätten, gäben keine Hinweise auf solche Störungen.

Anders als bei Bundestag und Landtagen bestehe bei Kommunen das Erfordernis klarer Mehrheiten zur Sicherung einer aktionsfähigen Regierung nicht. Die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven sei kein Parlament im staatsrechtlichen Sinn, übe keine Gesetzgebungstätigkeit aus, wähle keine Regierung, sondern sei primär mit Verwaltungsaufgaben betraut; außerdem unterliege sie der Rechtsaufsicht des Senats der Freien Hansestadt Bremen. Für eine angeblich notwendige Gleichbehandlung Bremerhavens mit Bremen fehle eine gesetzliche Grundlage. Die Fraktion stimme dem Bundesverfassungsgericht darin zu, dass es gerade in den Kommunen möglich sein müsse, auch ortsgebundene, partikulare Ziele zu verfolgen; den entsprechenden Wählergruppen müsse eine chancengleiche Teilnahme an den Kommunalwahlen gewährleistet sein. Schließlich seien Sperrklauseln kein zulässiges Instrument zur Abwehr verfassungsfeindlicher Splittergruppen.

Abschließend weist die Fraktion darauf hin, dass die Fünf-Prozent-Klausel nicht mehr zeitgemäß sei; auf kommunaler Ebene gebe es sie nur noch ausnahmsweise. Die Erfahrungen in den Ländern, in denen sie nicht mehr gelte, zeigten, dass ihr Fehlen die Funktionsfähigkeit der Gemeinden nicht negativ beeinflusst habe. Mit der Wiedereinführung der Sperrklausel werde zudem der im Volksbegehren von 2006 zum Ausdruck gekommene politische Wille der Bevölkerung missachtet.

III.

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven, die der Staatsgerichtshof gemäß § 12 Abs. 1 BremStGHG i. V. m. § 27a BVerfGG um Stellungnahme gebeten hat, hat diese mit Schriftsätzen, eingegangen am 17. und 19. Dezember 2008, vorgelegt. Angeschlossen waren Äußerungen der Fraktionen von SPD und CDU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen.

1. Der Stadtverordnetenvorsteher führt aus, dass der aus 48 Personen bestehenden Gemeindevertretung gegenwärtig sieben Fraktionen oder Gruppen und ein einzelner Mandatsträger angehörten. Nach der letzten noch unter der Geltung der Sperrklausel durchgeführten Wahl zur Stadtverordnetenversammlung im Jahr 2007 seien sechs Gruppen unberücksichtigt geblieben; 2230 Stimmen seien erforderlich gewesen, um dieses Hürde zu überspringen.

Weiter wird darauf aufmerksam gemacht, dass es keinen Grund für ein unterschiedliches Wahlrecht in den beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven trotz vergleichbarer Aufgabenkataloge gebe. Es sei bundesweit einmalig, dass es in demselben Bundesland unterschiedliche kommunalwahlrechtliche Bestimmungen gebe.

Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung sei bei Nichtwiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Sie ergebe sich zunächst aus der Gefahr eines abgestimmten Obstruktionsverhaltens von Splitterparteien in der Gemeindevertretung, da diese eine geringere Fraktionsdisziplin als etablierte Parteien aufwiesen. Damit könne die Beschlussfähigkeit in Frage gestellt sein. Die Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung werde auch dadurch eingeschränkt, dass wegen der bei Anwesenheit zahlreicher Splittergruppen zu erwartenden längeren Debattenzeit zahlreiche der ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Gemeindevertretung an den Sitzungen nicht mehr vollständig teilnehmen könnten. Splitterparteien könnten sich zu kurzzeitigen Zweckbündnissen zusammenfinden und die Wahl des Oberbürgermeisters und der weiteren hauptamtlichen Magistratsmitglieder gefährden oder verhindern; nicht nur eine Paralysierung der Gemeindevertretung, sondern auch des Magistrats sei zu befürchten. Probleme könnten auch bei der Wahl der ehrenamtlichen Magistratsmitglieder entstehen, insbesondere wenn kleine Gruppen durch Übertritte ihrer Mitglieder zu anderen Gruppen oder Fraktionen sich auflösen würden, weil dann unklar sei, wem bei Wegfall ehrenamtlicher Magistratsmitglieder das Vorschlagsrecht für die Wahl des Nachfolgers zustehe. Entsprechendes gelte für die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse der Stadtverordnetenversammlung.

Zahlreiche Splittergruppen könnten - wie auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt habe - eine Mehrheitsbildung erschweren oder sogar verhindern. Es sei nicht zumutbar, das Eintreffen solcher Umstände abzuwarten und dann erst nachträglich durch Gesetzesänderung zu reagieren. Die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel sei nach allem unverzichtbar.

2. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich die Stadtverordnetenfraktionen der SPD und CDU geäußert. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die angestrebte Wiedereinführung der Sperrklausel nicht der Bekämpfung extremistischer Kräfte oder der Sicherung der Gemeinwohlorientierung diene. Nach einer Darstellung der der Stadtverordnetenversammlung obliegenden Aufgaben werden die Erschwernisse geschildert, denen sich die Versammlung ohne Wiedereinführung der Sperrklausel gegenüber sehe. Hierbei wird insbesondere angeführt, dass die Existenz vieler Splittergruppen die Mehrheitsbildung erschwere und das Fehlen klarer und ihrer Verantwortung bewusster Mehrheiten sich bei der Wahl der Magistratsmitglieder und der Beschlussfassung über den Haushalt negativ bemerkbar machen und das normale Funktionieren des Organs stören könne. Angesichts der seit langem bestehenden Haushaltsnotlage, die haushaltswirksame Wünsche einzelner Stadtverordneter nicht mehr zulasse, könne die Zersplitterung fatale Folgen für die Beschlussfassung haben.

Nach Darlegung der dem Magistrat obliegenden Aufgaben führen die Fraktionen weiter aus, dass sie bei fehlender Sperrklausel mit einer großen Zahl von Parteien oder Gruppen in der Gemeindevertretung rechneten. Auf den Eintritt eines Notstandes müsse der Gesetzgeber nicht warten, bevor er reagieren dürfe. Aus Fällen, die sich bereits in der laufenden Wahlperiode ereignet hätten, seien weitere hinreichende Gründe für die Wiedereinführung der Sperrklausel herzuleiten. So wird auf die bei Mitgliedern von kleinen Parteien (hier: DIE LINKE und die DVU) zu beobachtende Tendenz hingewiesen, dass diese schnell zu anderen Fraktionen oder Gruppen wechselten; dies könne sich bei der Zusammensetzung des ehrenamtlichen Teils der Magistratsmitglieder negativ auswirken. Entsprechendes gelte für die Ausschüsse, die gleichfalls nach dem Verhältnis der Stärke der Fraktionen und Gruppen zusammengesetzt seien. Eine kontinuierliche Arbeit sei damit nicht mehr gewährleistet. Sei aber die Spiegelbildlichkeit der Zusammensetzung der Ausschüsse nicht mehr gewährleistet, müssten die Ausschüsse ihren Status als beschließende Ausschüsse verlieren mit der Folge, dass die vom Plenum zusätzlich zu übernehmenden Aufgaben nicht mehr in den ordentlichen Sitzungen zu bewältigen seien.

Da auch die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder von den Fraktionen und Gruppen vorzuschlagen seien, könne eine Mehrheit der partikulare Interessen verfolgenden ehrenamtlichen Mitglieder bei Abstimmungen durch gemeinsame Obstruktion laufend gegen die Auffassung der hauptamtlichen (und fachkundigen) Magistratsmitglieder entscheiden und damit die Verwaltung der Stadt blockieren.

Angesichts der Stimmenverluste, welche die großen Volksparteien nach aller Erfahrung erlitten, könne es, falls sich Splitterparteien zu vorübergehenden Zweckbündnissen zusammenschlössen, nicht mehr zu Mehrheitsentscheidungen kommen. Da es für die hauptamtlichen Magistratsmitglieder, einschließlich des Oberbürgermeisters, keine Übergangsregelung bei Ausscheiden aus dem Amt gebe, könne die rechtzeitige Nachwahl blockiert werden. Schon jetzt sei festzustellen, dass alle in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien bei der Ausschreibung und Wahl von Spitzenpositionen in der Stadt Bremerhaven, z. B. des Intendanten des Stadttheaters, aber auch bei den Berufungen in die Aufsichtsräte der privatrechtlichen Gesellschaften, mitwirken wollten. Diese Situation werde sich durch Splitterparteien noch verschärfen und zur Paralyse führen. Der Hinweis auf das Bestehen der Rechtsaufsicht durch den Senat sei kein Argument gegen die Gefährdung der Funktionsfähigkeit. Die Fraktionen halten daher die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel für geboten.

3. Die Stadtverordnetenfraktion der FDP hält die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel für nicht vertretbar. Durch das Volksbegehren von 2006 sei das Votum der Bürgerinnen und Bürger gegen die Sperrklausel deutlich geworden. Die Sperrklausel sei auf kommunaler Ebene nicht mehr zeitgemäß. Ihre Abschaffung in anderen Ländern habe zu einer Belebung der Kommunalpolitik geführt. Im Übrigen wird auf die Stellungnahme der FDP-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft (Landtag) Bezug genommen.

4. Auch die Stadtverordnetenfraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt die Wiedereinführung der Sperrklausel ab. Die kurze Zeitspanne, die seit dem sich gegen die Fünf-Prozent-Klausel aussprechenden Volksbegehren vergangen sei, werfe Glaubwürdigkeitsfragen des politischen Systems auf. Unabhängig davon stehe die Wahlrechtsgleichheit einer Neueinführung entgegen. Unter Rückgriff auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 wird ausgeführt, dass schon jetzt - trotz bei der letzten Wahl noch bestehender Sperrklausel - sieben Fraktionen oder Gruppen in der Stadtverordnetenversammlung vertreten seien, so dass der Hinweis auf die ohne Sperrklausel eintretende Funktionsunfähigkeit nicht nachvollziehbar sei. Die Erfahrungen anderer Bundesländer zeigten, dass das Fehlen von Sperrklauseln die Funktionsfähigkeit der Kommunen nicht gefährdet habe. Im Hinblick auf die Wahl des Oberbürgermeisters durch die Stadtverordnetenversammlung wird darauf aufmerksam gemacht, dass diese Regelung allein auf den Vorschriften der rechtlich als Satzung einzustufenden Stadtverfassung Bremerhavens beruhe. Die Wiedereinführung der Sperrklausel sei verfassungsrechtlich unzulässig.

IV.

In der mündlichen Verhandlung am 31. März 2009 haben die Vertreter der Antragstellerin und der anwesenden äußerungsberechtigten Bürgerschaftsfraktionen (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und DIE LINKE) sowie der Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven ihre Rechtsauffassung dargelegt und teilweise vertieft. Der Landeswahlleiter hat als sachverständige Auskunftsperson die Begriffe des "natürlichen Quorums" und der "faktischen Sperrklausel" erläutert sowie zu der Frage Stellung genommen, wie das Ergebnis der Wahl der Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven in den Jahren 1999, 2003 und 2007 ohne Sperrklausel ausgefallen wäre.

Der Senator für Justiz und Verfassung hat von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

I.

Die Entwicklung des Kommunalwahlrechts in Deutschland zeigt, dass vor allem in den letzten zehn Jahren immer mehr Kommunalwahlgesetze auf eine Sperrklausel verzichtet haben, häufig aufgrund landesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl. hierzu Puhl Die 5%-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht auf dem Rückzug, in: Festschr. für Josef Isensee, 2007, S. 441 ff.; v Arnim Die Unhaltbarkeit der Fünfprozentklausel bei Kommunalwahlen nach der Reform der Kommunalverfassungen, in: Festschr. für Klaus Vogel, 2000, S. 453 ff.; Krajewski DÖV 2008, 345 ff.). Heute gilt die Fünf-Prozent-Klausel für Kommunalwahlen in keinem Flächenstaat mehr. Die Situation stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:

Baden-Württemberg: Keine Sperrklausel.

Bayern: Nichtigerklärung der Sperrklausel durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof 1952, BayVGHE n. F. Bd. 5, Teil II, 66. Keine Sperrklausel.

Brandenburg: Keine Sperrklausel.

Hessen: Wegfall der Sperrklausel durch Gesetz vom 23. Dezember 1999 (GVBl. 2000 I S. 2).

Mecklenburg-Vorpommern: Wegfall der Sperrklausel durch Urteil des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Dezember 2000 (LVerfGE 11, 306 = LKV 2001, 270); Gesetz vom 12. September 2003 (GVBl. S. 442).

Niedersachsen: Keine Sperrklausel.

Nordrhein-Westfalen: Wegfall der Sperrklausel durch Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land NordrheinWestfalen vom 6. Juni 1999 (DVBl. 1999, 1271); Gesetz vom 14. Juli 1999 (GVBl. S. 412).

Rheinland-Pfalz: Wegfall der (seit 1988 auf 3,03% herabgesetzten) Sperrklausel durch Gesetz vom 28. Mai 2008 (GVBl. S. 79).

Saarland: Wegfall der Sperrklausel durch Gesetz Nr. 984 vom 20. August 2008 (ABl. S. 1542); der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hatte in seinem Urteil vom 2. Juni 1998 bei einer 4:4-Entscheidung eine Verfassungswidrigkeit nicht feststellen können (LVerfGE 8, 257).

Sachsen: Keine Sperrklausel.

Sachsen-Anhalt: Keine Sperrklausel.

Schleswig-Holstein: Wegfall der Sperrklausel durch Urteil vom 13. Februar 2008 des Bundesverfassungsgerichts als Landesverfassungsgericht (BVerfGE 120, 82); Gesetz vom 4. März 2008 (GVBl. S. 133).

Thüringen: Wegfall der Sperrklausel aufgrund des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 11. April 2008 (NVwZ-RR 2009, 1); Gesetz vom 9. Oktober 2008 (GVBl. S. 353).

In den Stadtstaaten ist die Situation etwas anders:

Berlin: Für Bezirksversammlungen gilt nach § 22 Abs. 2 LWahlG (GVBl. 1987 S. 2370; 2006 S. 712) eine Drei-Prozent-Sperrklausel. Eine 5:4-Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin vom 17. März 1997 hatte die zunächst bestehende Fünf-Prozent-Sperrklausel für verfassungswidrig erklärt (LVerfGE 6, 28 = LKV 1998, 142).

Hamburg: Für die Wahl der Bezirksversammlungen gilt die Fünf-Prozent-Sperrklausel. Ein Volksentscheid vom 13. Juni 2004 hatte zwar zur Abschaffung der Sperrklausel auf Bezirksebene geführt (GVBl. 2004, S. 313), doch führte der parlamentarische Gesetzgeber 2006 die Sperrklausel für Bezirkswahlen wieder ein (GVBl. 2006 S. 519). Das Hamburgische Verfassungsgericht hat am 27. April 2007 unter Hinweis auf frühere Entscheidungen (insbesondere Urteil vom 6. November 1998, DÖV 1999, 296) diese Wiedereinführung für verfassungsgemäß gehalten (LVerfGE 9, 157 = NordÖR 2007, 301). Eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht am 14. Januar 2008 nicht zur Entscheidung angenommen (2 BvR 1975/07-Kammer). Ein neues Volksbegehren, das sich gegen die Wiedereinführung der Sperrklausel auf Bezirksebene richtet, ist im Februar 2009 zustande gekommen.

II.

Im Land Bremen gilt die Fünf-Prozent-Sperrklausel aufgrund Art. 75 Abs. 3 BremLV für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft (Landtag). Der Staatsgerichtshof hielt seine ursprüngliche Ablehnung der Sperrklausel (BremStGHE 1, 173) angesichts der inzwischen dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1, 208; 6, 84) nicht aufrecht (BremStGHE 4, 111, 123; 6, 253, 268).

Die für die Wahl zum Landtag geltende Fünf-Prozent-Sperrklausel findet - unter dem Vorbehalt abweichender Ortsgesetzgebung (Art. 145 BremLV) - gemäß Art. 148 Abs.1 Satz 2 BremLV in gleicher Weise auf die Stadtgemeinde Bremen Anwendung. Die Geltung der Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven ergab sich bis zu der mit Gesetz vom 19. Dezember 2006 (Brem.GBl. S. 539) erfolgten Änderung aus § 42 Abs. 3 Satz 1 BremWG i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. Mai 1990 (Brem.GBl. S. 321), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Februar 2006 (Brem.GBl. S. 99). Zu der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Frage der Verfassungsmäßigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven hat der Staatsgerichtshof bislang keine Stellung genommen; die Überlegungen in seiner Entscheidung vom 4. Mai 1981 - St 1/80 - bezogen sich auf die Beurteilung der Fünf-Prozent-Sperrklausel in den Wahlbereichen Bremen und Bremerhaven bei der Landtagswahl (BremStGHE 4, 111, 125 f.).

C.

Der Antrag ist zulässig.

I.

Die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes ergibt sich aus Art. 140 Abs. 1 Satz 1 BremLV i. V. m. § 24 Abs. 1 und 2 BremStGHG. Anders als das Bundesrecht, dem eine "vorbeugende Feststellung" der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit noch nicht bestehender Normen mit dem Grundgesetz fremd ist (BVerfGE 1, 396), lässt Art. 140 Abs. 1 Satz 1 BremLV angesichts seiner weiten Fassung die Prüfung eines bloßen Normentwurfs grundsätzlich zu (BremStGHE 1, 42; 1, 96; vgl. auch Koch Die Landesverfassungsgerichtsbarkeit der Freien Hansestadt Bremen, 1981, S. 89 f.). Auch insoweit handelt es sich um "die Entscheidung von Zweifelsfragen über die Auslegung der Verfassung", nämlich der Frage, ob die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Wahlbewerber verstoßen würde. Soweit für die Auslegung des Landesverfassungsrechts bundesverfassungsrechtliche Maßstäbe bedeutsam sind, ist hierfür der Staatsgerichtshof gleichfalls zuständig (BremStGHE 6, 11, 18).

II.

Eine präventive Normenkontrolle durch den Staatsgerichtshof ist allerdings nur unter qualifizierten Voraussetzungen zulässig.

Sie setzt zunächst voraus, dass der zu beurteilende Entwurf bereits eindeutige Konturen erhalten, das heißt eine genau feststehende und damit am Maßstab der Verfassung messbare Formulierung gefunden hat. Dies ist ausweislich des dem Staatsgerichtshof vorgelegten Antrags der Fall.

Außerdem muss absehbar sein, dass das Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel der Verabschiedung der Norm fortgesetzt werden soll, wenn der Staatsgerichtshof die Vereinbarkeit des Entwurfs mit der Verfassung feststellt. Der Staatsgerichtshof erlässt keine Entscheidung "auf Vorrat". Eine solche Entscheidung würde dem Erfordernis eines objektiven Klarstellungsinteresses widersprechen (vgl. BremStGHE 6, 11, 18), das auch in einem "objektiven Verfassungsbewahrungsverfahren", wie es Art. 140 Abs. 1 Satz 1 BremLV darstellt (vgl. BremStGHE 4, 74, 78), vorliegen muss. Angesichts der schon durchgeführten, für die Wiedereinführung der Sperrklausel votierenden ersten Lesung am 4. Juni 2008 und der von den drei - die Mehrheit bildenden - Bürgerschaftsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU eingenommenen und in der mündlichen Verhandlung bekräftigten Haltung ist davon auszugehen, dass bei einer die Verfassungsmäßigkeit der Wiedereinführung bejahenden Entscheidung des Staatsgerichtshofs der Gesetzgebungsprozess fortgesetzt wird (vgl. BremStGHE 1, 96, 102); die politische Willensbildung hat sich somit bereits in ausreichender Weise konkretisiert.

III.

Die Bremische Bürgerschaft (Landtag) ist gemäß Art. 140 Abs. 1 Satz 1 BremLV und § 24 Abs. 1 BremStGHG antragsberechtigt. Sie hat ferner in noch ausreichender Weise dargelegt, auf welche Vorschrift der Landesverfassung sich die Zweifel beziehen und aus welchen Gründen die Auslegung zweifelhaft erscheint (§ 24 Abs. 2 Satz 1 BremStGHG; vgl. BremStGHE 6, 149, 160). Insoweit hat die Antragstellerin vor allem auf das in einem Organstreitverfahren ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein vom 13. Februar 2008 (BVerfGE 120, 82) hingewiesen, mit dem eine Verfassungsverletzung festgestellt wurde, weil der Landtag den Antrag einer Fraktion auf Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen im Land zu Unrecht abgelehnt hatte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Antragstellerin selbst Zweifel hat; es genügt, dass objektiv nachvollziehbare Zweifel bestehen (vgl. Neumann Verfassung der Freien Hansestadt Bremen, Kommentar, 1996, Art. 140 Rdnr. 2). Sie sind in den Debatten des nichtständigen Ausschusses "Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts" und in den dem Staatsgerichtshof vorgelegten Stellungnahmen hinreichend zum Ausdruck gebracht worden (vgl. Brem. Bürgerschaft, Drucks. 17/471). Aus den Ausführungen der Antragstellerin insgesamt ergibt sich auch, dass sie der Auffassung ist, dass die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Wahlbewerber der Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht entgegenstehen (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 2 BremStGHG).

D.

Die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Wahl der Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven verstößt nicht deshalb gegen die Landesverfassung, weil der parlamentarische Gesetzgeber eine Regelung beschließt, die der im Volksbegehren von 2006 zum Ausdruck gekommenen Auffassung widerspricht (I.). Sie ist aber verfassungswidrig, weil sie in die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien und sonstigen Wahlbewerber ohne zureichenden verfassungsrechtlich tragfähigen Grund eingreift (II. - IV.).

I.

Die Wiedereinführung der Sperrklausel missachtet den Volkswillen nicht in einer verfassungsrechtlich relevanten Weise. Der dem Volksbegehren 2006 zugrunde liegende Gesetzentwurf ist von der Bremischen Bürgerschaft mit Gesetz vom 19. Dezember 2006 in das Wahlgesetz (Brem.GBl. S. 539) integriert worden (§ 21 Gesetz über das Verfahren beim Volksentscheid i. d. F. vom 22.12.1998, Brem.GBl. 1999 S. 1). Die Bürgerschaft ist aber nicht grundsätzlich verpflichtet, an einer von ihr - aus welchen Gründen auch immer - einmal gefassten gesetzgeberischen Entscheidung festzuhalten. Ob das Abrücken von einem auf Grund des Ausgangs des Volksbegehrens getroffenen Gesetzesbeschluss schon nach relativ kurzer Zeit die Glaubwürdigkeit der Entscheidungsträger beeinträchtigt und die politische Kultur beschädigt (dazu Schefold, NordÖR 2008, 365ff., 366), ist eine Frage, über die der Staatsgerichtshof nicht zu entscheiden hat. Ein Verfassungsverstoß gegen das demokratische Prinzip (Art. 65 Abs. 1 BremLV) ist hierin jedenfalls nicht zu erkennen. Das Problem, unter welchen Umständen der parlamentarische Gesetzgeber ein durch Volksentscheid beschlossenes Gesetz (Art. 73 BremLV) abändern kann, stellt sich im vorliegenden Zusammenhang nicht (vgl. dazu HambVerfG, NordÖR 2007, 301, 304 f.).

II.

Die Wiedereinführung verletzt jedoch den Grundsatz der Gleichheit der Wahl und den Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien oder sonstiger zur Teilnahme an den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung zugelassener Gruppen.

1. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl trägt der vom Demokratieprinzip geforderten egalitären Rechtsstellung der Staatsbürger Rechnung (BVerfGE 121, 266, 295); die Gleichbewertung aller Staatsbürger gehört zu den wesentlichen Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Ordnung (BVerfGE 6, 84, 91; 11, 351, 360). Die Wahlrechtsgleichheit verlangt, dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht möglichst in formal gleicher Weise ausüben können. Dies schließt ein, dass die Stimme jedes Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance (Erfolgswert) haben muss. Da durch die Wahlen über die Verteilung und Legitimation der Macht in hoheitlichen Organisationen entschieden wird, ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen (BVerfGE 95, 408, 417; 120, 82, 102).

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gilt auch für die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven. Für das Land Bremen selbst (Wahl der Bremischen Bürgerschaft/Landtag) ergibt sich die Geltung des Grundsatzes aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BremLV, für die Stadtgemeinde Bremen (Wahl zur Stadtbürgerschaft) aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 148 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BremLV (BremStGHE 6, 253, 263; 7, 111, 123). Für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven ist die Geltung der Wahlrechtsgleichheit ausdrücklich zwar nur einfachgesetzlich in § 42 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 BremWG geregelt, folgt jedoch aus der für die Länder verbindlichen Vorschrift des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG und dem in Art. 65 Abs. 1 BremLV enthaltenen Bekenntnis der Freien Hansestadt Bremen zur Demokratie. Damit wäre es unvereinbar, wenn für die Wahl der Volksvertretung in einer Gemeinde des Landes Bremen der Grundsatz der gleichen Wahl nicht gälte. Der Grundsatz der Wahlgleichheit hat daher auch im Hinblick auf die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven (landes-)verfassungsrechtlichen Rang.

2. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Wahlbewerber ergibt sich für politische Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG; diese Bestimmung wirkt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar in die Landesverfassungen hinein, ist deren Bestandteil (BVerfGE 1, 208, 227; 103, 332, 352 f.; 120, 82, 104; vgl. auch MVVerfG, LKV 2001, 270 ff., 272). Die Chancengleichheit der Parteien ist daher für Landtags- und Gemeindevertretungswahlen innerhalb des Landes Bremen zu gewährleisten. Soweit übrige Wahlbewerber betroffen sind, folgt ihre Chancengleichheit aus dem allgemeinen demokratischen Prinzip und der Wahlrechtsgleichheit. In jedem Fall ist darum die Chancengleichheit der Wahlbewerber, ob es sich um politische Parteien handelt oder nicht, landesverfassungsrechtlich garantiert. Inhaltlich verlangt sie, dass allen Wahlbewerbern grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlverfahren und die gleichen Chancen bei der Verteilung der Sitze zustehen. Sie ist wie die Wahlrechtsgleichheit in einem strikten und formalen Sinn zu verstehen (BVerfGE 120, 82, 104 f.).

3. Eine Fünf-Prozent-Sperrklausel bewirkt die Ungleichgewichtung der Wählerstimmen; diese werden zwar nicht im Hinblick auf ihren Zählwert, aber im Hinblick auf ihren Erfolgswert ungleich behandelt, je nachdem, ob sie für eine Partei oder Wählergruppe abgegeben werden, welche die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hat o der die daran gescheitert ist. Während die letzteren Stimmen ohne Einfluss auf die Sitzverteilung des zu wählenden Gremiums bleiben, können die anderen Stimmen Einfluss nehmen (vgl. BVerfGE 120, 82, 106). Damit wird die Wahlrechtsgleichheit eingeschränkt.

Zu einem beeinträchtigenden Eingriff führt die Fünf-Prozent-Klausel auch hinsichtlich der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Verfehlen sie die mit der Sperrklausel aufgerichtete Hürde, können sie an der Sitzverteilung in der gewählten Gemeindevertretung nicht teilnehmen und auf die Durchführung der Aufgaben dieses Organs keinen Einfluss nehmen. Wie sich aus den Ausführungen des Landeswahlleiters in der mündlichen Verhandlung ergibt, hat zwar die damals noch bestehende Sperrklausel das Ergebnis der letzten Wahl zur Stadtverordnetenversammlung im Jahr 2007 nicht unmittelbar beeinflusst, da die sechs Parteien oder Gruppen, die keine Mandate erlangt haben, auch ohne Sperrklausel dieses Ziel nicht erreicht hätten. Bei den Wahlen 1999 und 2003 jedoch wären bei einer Wahl ohne Fünf-Prozent-Sperrklausel bei unveränderter Stimmenverteilung Kandidaten von zwei weiteren Parteien (1999: AFB - 2 Sitze, FDP - 1 Sitz; 2003: Schill - 1 Sitz, B.H.V - 1 Sitz) in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel greift daher in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien ein.

4. Obwohl die Grundsätze der gleichen Wahl und der Chancengleichheit der Wahlbewerber streng und formal zu verstehen sind, gelten sie nicht schrankenlos. Allerdings bedürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Staatsgerichtshof angeschlossen hat, Einschränkungen dieser Grundsätze zwingender Gründe (BVerfGE 1, 208, 247 ff.; 121, 266, 297; BremStGHE 4, 111, 123; 6, 253, 263 f.). Voraussetzung einer Abweichung von der strikten Wahlrechtsgleichheit ist, dass die Gründe für die Einschränkung durch die Verfassung legitimiert und von einem der Wahlrechtsgleichheit entsprechenden Gewicht und die beschränkenden Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sind. Die Einschränkungen müssen sich von Verfassungs wegen aber nicht als zwangsläufig oder notwendig darstellen (BVerfGE 120, 82, 107). Vielmehr werden auch Gründe als Rechtfertigung des Eingriffs zugelassen, die durch die Verfassung getragen und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit die Waage halten kann. Dabei genügen sich aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung ergebende Gründe, wozu insbesondere die Verwirklichung der mit der Wahl verfolgten Ziele gehört, wie die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung (BVerfGE 95, 408, 418; 121, 266, 297 f.). Das erlaubte Ausmaß des Eingriffs richtet sich danach, mit welcher Intensität in die verfassungsrechtlichen Grundsätze eingegriffen wird. Bei der Abwägung können gefestigte Rechtsüberzeugung und die Rechtspraxis Beachtung finden (BremStGHE 7, 111, 126).

Die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven ist kein Parlament im staatsrechtlichen Sinn. Die Wahrnehmung des örtlich beschränkten Wirkungskreises durch die kommunale Vertretungskörperschaft ist mit der Ausübung von Staatsgewalt durch Parlamente nicht gleichzusetzen. Die Gemeindevertretung ist ein Organ der Verwaltung. Anders als Parlamente üben Gemeindevertretungen keine Gesetzgebungstätigkeit aus. Hieran ändert auch die kollegiale Struktur des Vertretungsorgans sowie die Befugnis zur Satzungsgebung nichts (BVerfGE 120, 82, 112 m. w. N.; dazu auch Dreier, in: ders., Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rdnr. 76). Deshalb können Überlegungen zur Erforderlichkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Bundestags- und Landtagswahlen nicht unbesehen auf Wahlen zur Gemeindevertretung übertragen werden (vgl. BVerfGE 120, 82, 111 f.). Damit wird aber die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung als rechtfertigender Grund für die Einschränkung des Erfolgswerts bei den Wahlen keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen, ist als solcher vielmehr anerkannt (vgl. BVerfGE 120, 82, 112; ThürVerfGH, NVwZ-RR 2009, 1, 2). Die verfassungsrechtliche Beurteilung der festgestellten, durch eine Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel erfolgenden Einschränkung der Gleichheit der Wahl und der Chancengleichheit der Parteien und sonstigen Wahlbewerber hat dabei von den konkreten Funktionen des zu wählenden Organs, also hier der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven, auszugehen.

III.

1. Die Unzulässigkeit der Wiedereinführung der Sperrklausel wäre bereits dann festzustellen, wenn sie dem Zweck diente, verfassungsfeindliche oder extremistische Parteien oder Gruppen von der Repräsentation in der Stadtverordnetenversammlung auszuschließen; denn dem Wahlgesetzgeber stünde es nicht zu, bestimmte Parteien von der Willensbildung des Volkes auszuschließen (BVerfGE 120, 82, 109; ThürVerfGH, NVwZ-RR 2009, 1, 5). Ein solches Motiv lässt sich jedoch auf der Grundlage der dem Staatsgerichtshof vorliegenden Unterlagen nicht feststellen.

2. a) Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung und daraus folgend der Verwaltungstätigkeit der Stadt Bremerhaven ohne Wiedereinführung der Sperrklausel lässt sich nicht mit einer die Intensität der Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien in Rechnung stellenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Zwar ist - wie bereits ausgeführt - die Sicherung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane, d. h. ihrer Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit (vgl. BVerfGE 82, 322, 338; 95, 408, 419), prinzipiell als rechtfertigender Grund für Beschränkungen der genannten verfassungsrechtlichen Grundsätze anerkannt (BVerfGE 120, 82, 112). Angesichts deren Bedeutung für ein freies demokratisches Staatswesen und ihres daraus resultierenden strikten und formalen Verständnisses (oben D. II. 1. und 2.) ist nach der durch Gesetz vom 19. Dezember 2006 (Brem.GBl. S. 539) erfolgten Abschaffung der Sperrklausel für die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung genau zu prüfen, ob ihre Wiedereinführung auch in Zukunft zur Sicherung der Funktionsfähigkeit geeignet und erforderlich ist. Dass die bisherige Geltung der Sperrklausel rechtlich unbeanstandet geblieben war, erübrigt diese Prüfung nicht, weil sich inzwischen die tatsächliche Situation und die rechtliche Betrachtungsweise verändert haben (vgl. BVerfGE 120, 82, 108). Da die Funktionen der Stadtverordnetenversammlung bislang nur unter den Bedingungen der Geltung der Fünf-Prozent-Sperrklausel ausgeübt wurden und auch noch in der bis 2011 laufenden Wahlperiode ausgeübt werden, kann diese Frage nur aufgrund einer Prognose beantwortet werden.

Es entspricht den Prinzipien der Demokratie und der Gewaltentrennung, dass es zunächst dem durch Wahlen legitimierten Gesetzgeber obliegt, diese Prognose vorzunehmen und auf ihrer Grundlage die entsprechenden Regelungen zu beschließen (ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 2). Davon ist auch der Staatsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgegangen (BremStGHE 7, 111, 126 f.). Daran hält er grundsätzlich fest.

Zu beachten ist jedoch, dass in der neueren Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte (vgl. BVerfGE 120, 82, 113 als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein), der sich der Staatsgerichtshof anschließt, und Literatur (Meyer Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl., 2005, § 45 Rdnr. 37; v. Arnim a. a. O, S. 454) die fundamentale Bedeutung der Gleichheit der Wahl für die Hinnahme der demokratischen Mehrheitsentscheidung einerseits und die Gefahr einer Instrumentalisierung des Wahlrechts zur Sicherung des Machterhalts der Mehrheitsparteien andererseits stärker als zuvor erkannt worden ist. Hieraus wird zutreffend auch für Kommunalwahlen die Notwendigkeit der strikten verfassungsgerichtlichen Kontrolle einer Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit gefolgert (BVerfGE 120, 82, 113; VerfGH NRW,DVBl. 2009, 250, 251; Puhl a. a. O, S. 450). Weder die rein theoretische Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane noch die allgemeine und abstrakte Behauptung, es sei ohne Sperrklausel eine solche Beeinträchtigung zu erwarten, würde der verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalten (vgl. auch VerfGH Berlin, LKV 1998, 142, 143; MVVerfG, LKV 2001, 270, 274; BVerfGE 120, 82, 113 f.; a. A. HambVerfG, DÖV 1999, 296 ff., 299). Wegen der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter darf der Gesetzgeber nicht ohne empirische Grundlage darüber befinden, von welchem Wahrscheinlichkeitsgrad an er eine Funktionsstörung annehmen will (Ehlers Jura 1999, 660, 665). Vielmehr müssen die Voraussetzungen einer konkreten, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Volksvertretung vorliegen (BVerfGE 120, 82, 114; ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 2), keineswegs muss jedoch ein Notstand bereits eingetreten sein (ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 2). Es ist Sache des Gesetzgebers, also hier der Antragsstellerin, diese maßgeblichen, d. h. von der konkreten Funktion des zu wählenden Organs ausgehenden Prognosegrundlagen vorzulegen; Sache des Staatsgerichtshofs ist es, zu prüfen, ob aufgrund dieser Darlegung mit einiger Wahrscheinlichkeit Funktionsstörungen zu erwarten sind, deren Schwere der Bedeutung des Eingriffs in die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien die Waage halten können.

b) Nach diesen Maßstäben reichen die vorgetragenen Hinweise nicht aus, um mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit annehmen zu können, dass die bei Wegfall der Sperrklausel nicht auszuschließende, sondern prinzipiell sogar zu erwartende Erhöhung der Anzahl der in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteien oder Gruppen zu einer Erschwerung der Erfüllung ihrer allgemeinen Tätigkeit, insbesondere durch Verzögerung oder Verhinderung der Entscheidungsfindung (Mehrheitsbildung), führen wird. Schwerfälligkeit der Meinungsbildung und durch Vielstimmigkeit ausgelöste Konflikte können in einer demokratischen Organisation nicht als Funktionsstörung qualifiziert werden (VerfGH NRW, DVBl. 1999, 1271ff., 1273; VerfGH NRW, DVBl. 2009, 250, 251; BVerfGE 120, 82, 114 f.; Schmidt-De Caluwe NVwZ 2001, 270., 273). Die Annahme, dass die in der Gemeindevertretung vorhandenen "Splitterparteien" ein abgestimmtes Obstruktionsverhalten praktizieren würden, das zu Funktionsstörungen führen werde, ist nach keiner Richtung hinreichend konkret belegt, um als ausreichend wahrscheinlich gelten zu können; Obstruktionspolitik kann auch bei größeren Parteien nicht ausgeschlossen werden. Nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit ist auch die Behauptung, dass häufige Parteiwechsel und fehlende Fraktionsdisziplin bei Angehörigen von "Splitterparteien" die Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretung beeinträchtigen.

Zeitlich überbordenden Diskussionen kann im Wege von Geschäftsordnungsmaßnahmen, die gegebenenfalls verschärft werden können, begegnet werden (vgl. § 31 Abs. 2 VerfBrhv, § 50, 51 GeschO StadtVVBrhv); einer Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit bedarf es hierzu nicht. Gegenüber einer solchen Einschränkung fällt auch die möglicherweise fehlende Bereitschaft der Mandatsträger nicht ins Gewicht, selbst bei länger andauernden Sitzungen anwesend zu bleiben; insoweit ist auf die Präsenzpflicht der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung zu verweisen (§ 7 Abs. 1 GeschO StadtVVBrhv). Keinesfalls als rechtfertigender Grund für den Eingriff in die verfassungsrechtlichen Grundsätze ist der Hinweis auf die bei Wahlen feststellbaren Stimmverluste der großen Parteien und darauf zu akzeptieren, dass selbst kleine Parteien oder Gruppen bei der Wahl zu herausgehobenen Posten der Stadtgemeinde Bremerhaven, etwa des Intendanten des Stadttheaters oder der Geschäftsführer städtischer Gesellschaften, mitwirken wollen. Wenn solche Wahlen in den Aufgabenbereich der Stadtverordnetenversammlung fallen, ist es sogar die Pflicht aller ihrer Mitglieder, daran mitzuwirken (§ 18 VerfBrhv, § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO StadtVVBrhv). Es ist schwer, das vorgetragene Argument anders als im Sinne des Versuchs zu verstehen, die eigene Machtposition zu sichern.

Schließlich reicht auch die Möglichkeit, dass bei fehlender Sperrklausel Angehörige von Gruppen Mandate in der Gemeindevertretung erlangen, deren Programme nicht am Gesamtwohl orientiert sind, sondern im Wesentlichen nur Partikularinteressen verfolgen, für die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit nicht aus. Jedenfalls im kommunalen Bereich geht die strikte Entgegensetzung von einem vom Gesetzgeber definierten, auf das Staatsganze bezogenen Gemeinwohl und der Vertretung partikularer Interessen von falschen Voraussetzungen aus, da gerade in Kommunen auch lediglich ortsgebundene Interessen ihren legitimen Platz haben (BVerfGE 120, 82, 109 f.), denen ihrerseits die Chance, das Gemeinwohl mitzuprägen, nicht von vornherein durch exkludierende Wirkung des Wahlrechts genommen werden darf (vgl. auch ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 4).

c) Die durch die Fünf-Prozent-Sperrklausel bewirkte erhebliche Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven nicht nur die allgemeinen, mit anderen Gemeinden ohne weiteres vergleichbaren Verwaltungstätigkeiten ausübt, sondern zusätzlich die Aufgabe hat, die hauptamtlichen Mitglieder des Magistrats zu wählen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 VerfBrhv). Neben dem Oberbürgermeister gibt es weitere - aufgrund der geltenden ortsgesetzlichen Regelung derzeit vier - hauptamtliche Magistratsmitglieder (§ 38 Abs. 1 VerfBrhv).

Die Rechtsprechung hat dem Bestehen oder Nichtbestehen gerade dieser Kreationsfunktion eine besondere Bedeutung für die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit einer Sperrklausel im Kommunalwahlrecht zugemessen (MVVerfG, LKV 2001, 270, 274 f.; ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 3). Mit dem Wegfall des Wahlrechts der Gemeindevertretung und der in allen Flächenstaaten inzwischen etablierten Direktwahl des Bürgermeisters durch das Volk sei das "zentrale Element" entfallen, das bislang die Fünf-Prozent-Sperrklausel habe rechtfertigen können (BVerfGE 120, 82, 116).

Allerdings kann die Tatsache, dass die Stadtverordnetenversammlung die hauptamtlichen Magistratsmitglieder zu wählen hat, nicht ohne weiteres zu der Annahme einer mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Störung ihrer Funktion als Kreationsorgan und sich daraus ergebenden weiteren Funktionsstörungen führen, ohne dass die dieser Funktion zugrunde liegenden rechtlichen Vorschriften gewürdigt, bestehende Abhilfemöglichkeiten geprüft und die erforderlichen Abwägungen vorgenommen werden. Durchzuführen ist eine an den konkreten Verhältnissen im Bremerhaven ausgerichtete "Realanalyse" (vgl. Meyer Wahlgrundsätze, Wahlverfahren, Wahlprüfung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl., 2005, § 46 Rdnr. 40) sowie die Abwägung mit den geschützten Verfassungsgrundsätzen. Eine solche Analyse und Abwägung hat die Antragstellerin nicht vorgenommen.

Die Wahl der hauptamtlichen Magistratsmitglieder erfolgt auf sechs Jahre (§§ 38, 39 VerfBrhv). Vorschlagsberechtigt ist jeder anwesende Stadtverordnete (§ 27 GeschO StadtVVBrhv). Gewählt ist derjenige, für den mehr als die Hälfte der gültigen Stimme abgegeben worden ist. Wird dieses Ergebnis im ersten Wahlgang nicht erreicht, so findet eine engere Wahl zwischen den beiden Personen statt, die im ersten Wahlgang die höchsten Stimmzahlen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los, das der Stadtverordnetenvorsteher zieht (§ 27 Abs. 2 Sätze 1-3 VerfBrhv; § 29 GeschO StadtVVBrhv). Aufgrund dieser Regelungen ist bei Wahlen mit mehreren Kandidaten ein Scheitern der Wahl praktisch ausgeschlossen. Gibt es allerdings nur einen Kandidaten, bedarf er stets mehr als der Hälfte der gültigen Stimmen. Wird dieses Erfordernis nicht erfüllt, so kann dies in der Tat zur Nichtwahl führen, doch ist dies in einer Demokratie grundsätzlich hinzunehmen. Die Suche nach einem mehrheitsfähigen Kandidaten muss dann fortgesetzt werden, wobei eine starke Zersplitterung der Stimmen in der Stadtverordnetenversammlung das Zustandekommen der notwendigen Mehrheit erschweren kann. Obstruktive Stimmverweigerung oder -enthaltung kann indessen die Wahl nicht grundsätzlich gefährden, da ungültige Stimmen (vgl. § 28 Abs. 2 GeschO StadtVVBrhv) und Stimmenenthaltungen nicht bei der Berechnung der Mehrheitsverhältnisse, sondern nur bei der Feststellung der Beschlussfähigkeit mitzählen (§ 28 VerfBrhv). Auch die Vorschrift, dass zur Vornahme von Wahlen die Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung erforderlich ist (§ 25 Abs. 1 VerfBrhv), bedeutet kein unüberwindliches Hindernis für eine zügige Wahl der hauptamtlichen Magistratsmitglieder. Denn es kann ausnahmsweise, wenn die Stadtverordnetenversammlung zum zweiten Mal zur Verhandlung über denselben Gegenstand - wozu auch Wahlen gehören - zusammengerufen wird, auch bei Anwesenheit einer geringeren Zahl von Mitgliedern ein gültiger Beschluss gefasst werden, wenn die Dringlichkeit keinen Aufschub gestattet und dieses bei der Ladung ausdrücklich angezeigt worden ist. Entsprechendes gilt, wenn der Magistrat diese Ausnahme wegen Dringlichkeit beantragt (§ 25 Abs. 2 VerfBrhv). Im Übrigen gilt immer, dass alle Beschlüsse gültig sind, die gefasst sind, wenn die Beschlussfähigkeit nicht angezweifelt worden ist (§ 25 Abs. 1 a. E. VerfBrhv). Die Stadtverordnetenversammlung kann jederzeit vom Stadtverordnetenvorsteher einberufen werden, sie ist unverzüglich einzuberufen, wenn dies von einem Viertel ihrer Mitglieder oder vom Magistrat unter Angabe der zu behandelnden Gegenstände beantragt wird (§ 23 Abs. 1 und 2 VerfBrhv). Die Wahl von hauptamtlichen Magistratsmitgliedern, etwa nach dem Ausscheiden eines dieser Mitglieder, lässt sich also verfahrenstechnisch relativ schnell organisieren und damit auch die Zeit einer Vakanz rasch überbrücken.

Die Abberufung eines hauptamtlichen Magistratsmitglieds vor Ablauf seiner Amtszeit ist von der Stadtverordnetenversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit ihrer 48 Mitglieder (§ 17 VerfBrhv) zu beschließen (§ 41 Abs. 1 VerfBrhv). Eine Stimmenzersplitterung könnte das Zustandekommen dieser Mehrheit erschweren. Die Erschwerung der Abwahl liegt allerdings im Sinn der Etablierung einer kontinuierlichen Verwaltungsführung (vgl. ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 4).

Angesichts der bestehenden Regelungen (Beschlussfähigkeit, Abstimmungsmodalitäten) kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Einzug weiterer Parteien und Gruppen zu Funktionsstörungen oder gar zur Funktionsunfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung und - wegen der von ihr durchzuführenden Wahl des Oberbürgermeisters und der anderen hauptamtlichen Magistratsmitglieder - auch des Magistrats führen würde. Eine mehr als theoretische, ohnehin nie ganz auszuschließende Gefahr ist nicht erkennbar.

Selbst wenn die Antragstellerin die Wahrscheinlichkeit von Funktionsstörungen bei Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel höher eingeschätzt haben sollte, wäre es ihre Pflicht gewesen zu prüfen, ob es zur Abhilfe nicht mildere Mittel gibt als den mit der Sperrklausel verbundenen erheblichen Eingriff in Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit. Durch die Regelung von Grundsätzen nach Art. 145 Abs. 1 Satz 2 BremLV kann der Landesgesetzgeber Vorgaben für die Organisation der Gemeinden machen, die eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit ihrer Organe ausschließen. Auch die Aufsicht über die Gemeinden (Art. 147 Abs. 1 BremLV) kann diesem Ziel dienen.

Im Übrigen ist nicht deutlich geworden, welche neuen fundierten Überlegungen seit der Abschaffung der Sperrklausel im Dezember 2006 zu der Wiederaufnahme der erheblichen Einschränkung von Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit führen sollen.

d) Auch die Aufgabe der Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven, die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder zu wählen, stützt nicht die Annahme, dass es beim Einzug von "Splitterparteien" zu einer Funktionsunfähigkeit der Gemeindevertretung kommt.

Nach § 38 Abs. 1 VerfBrhv besteht der Magistrat neben den hauptamtlichen auch aus ehrenamtlichen Mitgliedern, wobei die Zahl der ehrenamtlichen Mitglieder die der hauptamtlichen übersteigen muss. Derzeit hat der Magistrat entsprechend ortsgesetzlicher Festlegung (§ 38 Abs. 3 VerfBrhv) fünf hauptamtliche und sechs ehrenamtliche Mitglieder.

Die Stadtverordnetenversammlung wählt die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder für die Dauer ihrer Wahlzeit (4 Jahre). Bei der Wahl sind die Vorschläge der Fraktionen und Gruppen im Verhältnis ihrer Sitze in der Stadtverordnetenversammlung (d'Hondt) zu berücksichtigen, wobei die Stärke der Fraktionen oder Gruppen in der ersten Sitzung einer Wahlperiode maßgeblich ist (§ 39 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VerfBrhv). Anders als die hauptamtlichen Magistratsmitglieder führen die ehrenamtlichen ihre Tätigkeit bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fort (§ 39 Abs. 3 VerfBrhv). Eine echte Vakanz kann damit nur im Fall des Todes oder sonstiger Unfähigkeit zur Amtsausübung eintreten. Da die sonstigen wahlrechtlichen Bestimmungen (Beschlussfähigkeit, Mehrheitserfordernisse) mit denen der Wahl der hauptamtlichen Mitglieder identisch sind, ist auf das hierzu bereits Ausgeführte zu verweisen.

Es ist nicht auszuschließen, dass nach diesen Regeln die Reihe der - bisher sechs - ehrenamtlichen Magistratsmitglieder durch den Einzug von "Splitterparteien" in die Stadtverordnetenversammlung politisch bunter wird. Dass sich allein hieraus Funktionsstörungen mit einiger Wahrscheinlichkeit ergeben könnten, ist ebenso wenig zu erwarten wie es wahrscheinlich ist, dass es zu Wahlen der ehrenamtlichen Mitglieder durch die Stadtverordnetenversammlung nicht kommen wird. Angesichts der bestehenden Begrenzung der Gesamtzahl der ehrenamtlichen Mitglieder auf sechs und der angeordneten Sitzverteilung nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren ist auch wenig plausibel, dass die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder die Arbeit des Magistrats lahm legen werden. Unverständlich und ungeeignet für eine Rechtfertigung der Wiedereinführung der Sperrklausel ist die geäußerte Befürchtung, dass Unklarheiten darüber entstehen könnten, wer nach dem Ausscheiden ehrenamtlicher Magistratsmitglieder bei der Ersatzwahl vorschlagsberechtigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 Sätze 4 und 5 VerfBrhv), wenn die Splittergruppe, die zunächst das Vorschlagsrecht ausgeübt hatte, wegen Übertritts ihrer Mitglieder zu anderen Fraktionen oder Gruppen nicht mehr existiert. Das Problem lässt sich durch sinnvolle Auslegung der einschlägigen Bestimmungen lösen. Es versteht sich von selbst, dass auch das Argument, es bestehe bei Splittergruppen die Gefahr, dass die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder gegen die hauptamtlichen Mitglieder stimmen und die Verwaltungsgeschäfte blockieren könnten, die ins Auge gefasste schwerwiegende Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit schon deshalb nicht trägt, weil diese Vermutungen durch keinerlei konkrete Hinweise untermauert sind; vielmehr handelt es sich um eine rein theoretische Möglichkeit.

Sollten gleichwohl in Einzelfällen Schwierigkeiten auftreten, ist auf die schon nach der bestehenden Rechtslage bestehenden Abhilfen gegen Funktionsstörungen zu verweisen; insoweit ist neben dem bereits erwähnten Instrumenten auch das Widerspruchsrecht des Oberbürgermeisters gegen nach seiner Ansicht rechtswidrige Magistratsbeschlüsse (§ 47 VerfBrhv) zu nennen. Nicht von Vornherein können ferner Veränderungen der rechtlichen Grundlagen außer Betracht bleiben, die gegenüber der mit der Sperrklausel verbundenen erheblichen Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit bei der erforderlichen Abwägung den Vorzug verdienen könnten. Hinzuweisen ist schließlich auf Erfahrungen, die in anderen Bundesländern bei Fehlen einer kommunalwahlrechtlichen Sperrklausel gemacht worden sind. Zwar sind Erfahrungen anderer Länder wenig hilfreich, wenn sich die rechtlichen Regelungen nicht gleichen (vgl. BVerfGE 120, 82, 122); aber im hier diskutierten Zusammenhang bestehen durchaus vergleichbare Situationen, weil - selbst bei Direktwahl der Bürgermeister - der Gemeindevertretung auch in diesen Ländern immer noch die Wahl der Beigeordneten oder entsprechender Funktionsträger obliegt. Funktionsstörungen in diesem Kontext sind nicht bekannt (vgl. auch ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 4).

e) Eine Gefährdung der Funktion der Stadtverordnetenversammlung ist auch insoweit nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erkennen, als es um die Zusammensetzung und Arbeit ihrer Ausschüsse geht; jedenfalls ist eine Wiedereinführung der Sperrklausel aus diesem Grund nicht zu rechtfertigen.

Nach § 35 VerfBrhv werden Art und Zahl der zu bildenden Ausschüsse in der Geschäftsordnung oder durch Ortsgesetz geregelt; § 44 GeschO StadtVVBrhv sieht die Einsetzung von zehn Ausschüssen vor. Die Ausschüsse können zur Vorbereitung der Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung oder auch zur Erledigung einzelner Angelegenheiten oder bestimmter Arten von Angelegenheiten bestellt werden (§ 34 Abs. 1 VerfBrhv, § 45 GeschO StadtVVBrhv).

Gemäß § 34 Abs. 3 Satz 1 VerfBrhv werden die Ausschüsse in der Weise gebildet, dass die Sitze auf die Vorschläge der Fraktionen und Gruppen der Stadtverordnetenversammlung nach der Reihenfolge der Höchstzahlen (d'Hondt) verteilt werden; die Ausschüsse bestehen aus mindestens zehn Stadtverordneten und dem zuständigen Magistratsmitglied als Vorsitzendem, der kein Stimmrecht hat (§ 34 Abs. 4 Satz 1 VerfBrhv). Weitergehend regelt § 38 Abs. 2 GeschO StadtVVBrhv, dass die Ausschüsse aus 11 Stadtverordneten bestehen, aber die Fraktionen oder Gruppen, die nach dem d'Hondtschen System leer ausgegangen sind, in jedem Ausschuss einen - weiteren - Sitz erhalten. Stadtverordnete, die keiner Fraktion oder Gruppe angehören, erhalten in bis zu vier Ausschüssen einen weiteren Sitz (§ 38 Abs. 2 GeschO StadtVVBrhv). Die Stadtverordnetenversammlung ist berechtigt, die Ausschussbeschlüsse aufzuheben oder abzuändern, sofern der Magistrat oder ein Drittel der Ausschussmitglieder dies beantragen; solche Anträge haben aufschiebende Wirkung (§ 34 Abs. 2 VerfBrhv). Die Ausschüsse müssen neu gebildet werden, wenn ihre Zusammensetzung nicht mehr dem Verhältnis der Stärke der Fraktionen und Gruppen der Stadtverordnetenversammlung entspricht und ein Antrag auf Neubildung gestellt wird (§ 34 Abs. 3 Satz 4 VerfBrhv).

Es ist jenseits theoretischer Annahme nicht deutlich, wie bei Geltung dieser rechtlichen Bestimmungen ohne Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel eine Funktionsunfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung eintreten könnte; hinzuweisen ist hier vor allem auf die erwähnte in § 34 Abs. 2 VerfBrhv enthaltene Kontrollmöglichkeit durch Ausschussmitglieder selbst und den Magistrat.

Probleme könnte freilich die über die Vorschriften der Stadtverfassung hinausreichende Vorschrift der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung bereiten (§ 38 Abs. 2), die bei zahlreichen Splittergruppen die Zahl der Ausschussmitglieder tatsächlich erhöhen und durchaus dazu führen kann, dass die Sitzverhältnisse der Ausschüsse die der Stadtverordnetenversammlung selbst nicht nur nicht widerspiegeln, sondern möglicherweise sogar umkehren. In der Tat wäre es problematisch, solchen Ausschüssen dann Aufgaben zur Vorbereitung der Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung oder gar zur selbstständigen Erledigung zu übertragen. Eine Rechtfertigung für die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel folgt daraus jedoch nicht. Die Problematik lässt sich nämlich - ganz ohne Eingriff in die fundamentalen Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit - durch Änderung der Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung beheben, auch wenn dabei berücksichtigt wird, dass alle Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung die gleichen Rechte und Pflichten haben und deshalb auf die Mitwirkung in mindestens einem Ausschuss Anspruch haben (vgl. OVG Bremen, NVwZ 1990, 1195 f.). Eine solche Regelung steht der Stadtverordnetenversammlung offen; sie ist dabei nicht einmal durch die Stadtverfassung, die ihrerseits (nur) Satzungsqualität hat, eingeschränkt. Im Übrigen sieht § 34 Abs. 3 Satz 4 VerfBrhv die Möglichkeit der Rejustierung der Zusammensetzung der Ausschüsse bei Verlust ihrer Entsprechung zum Verhältnis der Stärke der Fraktionen und Gruppen selbst vor. Die Antragstellerin hat diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen (vgl. dazu BVerfGE 120, 82, 120 f.) und es unterlassen, sie mit der Intensität der Beeinträchtigung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit abzuwägen.

f) Schließlich ist auch nicht zu erkennen, dass die Funktionsfähigkeit der Stadtverordnetenversammlung unter dem Gesichtspunkt ihrer Verantwortung für die Haushaltswirtschaft mit einiger Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre, wenn die Sperrklausel abgeschafft bliebe.

Die Stadtverordnetenversammlung hat vor Beginn eines jeden Rechnungsjahres den Haushaltsplan durch Ortsgesetz (Haushaltssatzung) festzustellen. Die Satzung soll so rechtzeitig verabschiedet werden, dass sie möglichst sechs Wochen vor Beginn des Rechnungsjahres dem Senat, der sie zu genehmigen hat, vorgelegt werden kann (§§ 55, 57 VerfBrhv). Der von der Stadtverordnetenversammlung zu beschließende Haushaltsplan muss alle voraussehbaren Einnahmen und Ausgaben des kommenden Rechnungsjahres enthalten. Die Stadtverordnetenversammlung ist dafür verantwortlich, dass der Haushaltsplan die Mittel bereitstellt, die erforderlich sind, um die der Stadt obliegenden Aufgaben ausreichend zu erfüllen, und er ausgeglichen ist (§ 56 VerfBrhv).

Dass allein die Erschwerung der Diskussion, die mit einer politischen Zersplitterung der Stadtverordnetenversammlung verbunden sein wird, die Sperrklausel nicht zu rechtfertigen vermag, wurde bereits ausgeführt (siehe oben D. III. 2. b). Es sind aber auch keine plausiblen Gründe dafür erkennbar, dass eine zersplitterte Gemeindevertretung nicht in der Lage ist, letztlich zu einem positiven, d.h. den Haushaltsplan feststellenden Beschluss zu gelangen; die mögliche Einbringung von Partikularinteressen begründet nicht, dass die gemeinsam bestehende Verantwortung im Rahmen des vorhandenen finanziellen und rechtlichen Spielraums nicht wahrgenommen werden wird. Dass ein Haushaltsplan überhaupt nicht festgestellt werden kann, ist angesichts der bereits erörterten Regeln über Beschlussfähigkeit und Abstimmungsmodalitäten nicht wirklich wahrscheinlich, auch weil kleinere Parteien ohne Haushalt ihre eigenen Vorstellungen nicht realisieren können (vgl. ThürVerfGH NVwZ-RR 2009, 1, 4).

Zwar kann, wie gleichfalls schon ausgeführt, die prognostische Gefährdung der Funktionsfähigkeit nicht allein unter Hinweis darauf verneint werden, dass diese mit den Mitteln der Staatsaufsicht jederzeit gewährleistet werden kann. Die bestehenden kommunalrechtlichen Sicherungen dürfen aber bei der notwendigen Abwägung auch nicht völlig unberücksichtigt bleiben (vgl. VerfGH NRW, DVBl. 1999, 1271, 1273). So ist darauf hinzuweisen, dass Obstruktion mit Hilfe der Geschäftsordnung bekämpft werden kann, dass rechtswidrige Haushaltsbeschlüsse beanstandet werden können, ja müssen (§§ 32, 66 VerfBrhv) und dass, sollte der Haushaltsplan tatsächlich einmal nicht festgestellt werden können, der Senat das Erforderliche anordnen und gegebenenfalls selbst durchführen kann (§§ 67, 68 VerfBrhv). Die von der Antragstellerin geäußerten Befürchtungen sind weiterhin im Lichte der Erfahrungen zu sehen, die in allen Ländern gemacht worden sind, welche die Sperrklausel nicht (mehr) kennen. Da die Feststellung des Haushaltsplanes stets Aufgabe der Gemeindevertretung ist, sind solche Erfahrungen durchaus beachtlich. Insoweit sind aber jedenfalls solche Störungen nicht bekannt geworden, die der mit der Wiedereinführung der Sperrklausel verbundenen Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien die Waage halten würden.

IV.

Schließlich bieten weder der Hinweis auf die besondere Struktur der Freien Hansestadt Bremen noch das Argument, die Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel sei nötig, um für die beiden Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven wieder ein einheitliches Wahlrecht und damit die Gleichheit der Wahlrechtsbedingungen herzustellen, einen verfassungsrechtlich tragfähigen Grund, um die damit verbundene erhebliche Beschränkung der Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien zu rechtfertigen.

Der bremische Staat "Freie Hansestadt Bremen" (Art. 64 BremLV) besteht aus den beiden Städten Bremen und Bremerhaven (Art. 143 BremLV; dazu BremStGHE 4, 111, 130). Aufgrund der besonderen rechtlichen Konstruktion des Art. 148 BremLV sind, solange die Stadtgemeinde nichts anderes bestimmt, die Stadtbürgerschaft und der Senat die gesetzlichen Organe der Stadtgemeinde Bremen (Satz 1). Die Stadtbürgerschaft besteht aus den von den stadtbremischen Wählern mit der Wahl zur Bürgerschaft im Wahlbereich Bremen gewählten Vertretern (Satz 3). Wegen der Teilidentität von Bremischer Bürgerschaft (Landtag) und Stadtbürgerschaft Bremen (vgl. Göbel in: Mann/Püttner [Hrsg.], Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band I, 3. Aufl. 2007, § 26c Bremen Rdnr. 17) findet die von Art. 75 Abs. 3 BremLV für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft (Landtag) angeordnete Fünf-Prozent-Sperrklausel auch auf die Stadtbürgerschaft Bremen Anwendung (Art. 148 Abs. 1 Satz 2 BremLV). Durch die Trennung der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft von der Wahl zur Stadtbürgerschaft Bremen ließe sich diese Koppelung freilich auflösen. Die Entscheidung hierfür liegt gemäß Art. 145 Abs. 1, 148 Abs. 1 Satz 1 BremLV bei der Stadtgemeinde Bremen (BremStGHE 7, 111, 129). Der Staatsgerichtshof hat wegen dieser von der Landesverfassung selbst legitimierten organschaftlichen Verschränkung des Landes Bremen mit einer seiner Gemeinden, der Stadtgemeinde Bremen, den bremischen Gesetzgeber nicht für verpflichtet gehalten, die bestehende Rechtslage zu korrigieren (BremStGHE 6, 253, 267 f.). Daran wird festgehalten. Die traditionsreiche besondere Ausprägung der Stadtstaatlichkeit der Freien Hansestadt Bremen rechtfertigt die Übernahme der für Landtagswahlen anerkannten Fünf-Prozent-Sperrklausel (BremStGHE 6, 253, 268) auf die Stadtbürgerschaft Bremen und insoweit auch die Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Diese besondere Situation besteht für die zweite Gemeinde der Freien Hansestadt Bremen, die Stadt Bremerhaven, nicht. Sie hat ihre eigenen Organe, die Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat (§ 5 VerfBrhv). Die Wahlen zu beiden Repräsentationsorganen (Bremische Bürgerschaft und Stadtverordnetenversammlung) finden getrennt statt. Art. 144 Satz 2 BremLV unterstreicht das Recht und die Möglichkeit für die Stadt Bremerhaven, im Rahmen der Gesetze sich von der Stadtgemeinde Bremen zu unterscheiden.

Der politische Wunsch, das Kommunalwahlrecht im Land Bremen zu vereinheitlichen, reicht für die mit der Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Klausel verbundene Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der Bewerber nicht aus. Die Existenz nicht übereinstimmender Kommunalwahlregeln innerhalb eines Landes ist gewiss ungewöhnlich, doch ergibt sich die Ungewöhnlichkeit der Konstruktion aus der Teilidentität einer Gemeindevertretung mit dem Landesparlament. Dies ist jedoch kein zwingender Grund, andere Gemeinden - oder genauer: die andere Gemeinde - des Landes entsprechenden Regeln zu unterwerfen. Die mit der Sperrklausel verbundene Intensität des Eingriffs in die genannten verfassungsrechtlichen Grundsätze schließt den Wunsch auf Wiederherstellung der Rechtseinheit als Rechtfertigungsgrund aus. Nur zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Regeln zur Wahl der Bürgerschaft und Stadtbürgerschaft ohnehin nicht vollständig auf die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven Anwendung finden können, sondern der Modifizierung bedürfen (vgl. § 42 BremWG).

V.

Nach allem ist somit festzustellen, dass die mit der Streichung der Worte "§ 7 Abs. 7" in § 42 Abs. 3 Satz 1 BremWG intendierte Wiedereinführung der Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven gegen die Verfassung verstößt.

E.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gebührenfrei ist und Auslagen nicht erstattet werden (§ 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BremStGHG).

F.

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

Ende der Entscheidung

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