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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 18.11.2004
Aktenzeichen: 1 M 287/04
Rechtsgebiete: VwGO, GG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 7 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 7 Satz 2
GG Art. 19 IV
1. Eine beachtliche Veränderung der Prozesslage ist als Änderung der Umstände im Sinne von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu werten.

2. Mit Blick auf die "innere Festigkeit" eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO, der immerhin begrenzte Rechtskraft hat und als Vollstreckungstitel dienen kann, sowie unter Einbeziehung des Aspekts der Rechtssicherheit muss es sich um eine Veränderung handeln, die das bisherige Ergebnis der Interessenabwägung umkehren kann.

3. Ob eine Änderung in diesem Sinne beachtlich ist, kann sich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit, des fairen Verfahrens oder unter Berücksichtigung des Umstandes ergeben, wie es zu der Änderung der Prozesslage gekommen ist. Das Verhalten der Beteiligten im Hauptsacheverfahren kann - etwa im Hinblick auf eine ihnen obliegende Mitwirkung bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes - in diesem Zusammenhang ebenso von Bedeutung sein.

4. Der Senat kann als Beschwerdegericht über den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auch in dem Sinne "durchentscheiden", dass er selbst die neu zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft.

5. Auch wenn ein die Abänderungsbefugnis des Gerichts nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO begründendes Bedürfnis dann bestehen kann, wenn das Gericht bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage seine Rechtsauffassung geändert hat oder die Interessenabwägung nachträglich korrekturbedürftig erscheint, ist eine Änderung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO von Amts wegen damit nicht völlig in das Belieben des Gerichts gestellt. Die Befugnis zur Abänderung von Amts wegen ist vielmehr nur dann gegeben, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, den Belangen der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und inhaltlichen Richtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit einzuräumen.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

Az.: 1 M 287/04

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kurabgabe

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 18. November 2004 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. September 2004 - 3 B 1977/04 - geändert:

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 01. September 2003 - 3 B 3504/02 - zu Ziffer 1. wird die aufschiebende Wirkung der beim Verwaltungsgericht Greifswald anhängigen Klage - 3 A 1838/02 - gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2002 angeordnet; die in dem Beschluss zu Ziffer 2. getroffene Entscheidung über die Kosten bleibt unberührt.

Der Antragsgegner trägt die gesamten Kosten des Abänderungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 4.343,95 EURO festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den ihr am 24. September 2004 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts, die mit am 08. Oktober 2004 eingegangenem Schriftsatz fristgerecht (§ 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhoben und ebenso fristgerecht (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) begründet worden ist, hat Erfolg und führt zur Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Im Beschwerdeverfahren prüft das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Das dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügende Beschwerdevorbringen macht zu Recht geltend, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung unrichtig ist.

Mit Blick auf den vorliegend gestellten Abänderungsantrag bestimmt § 80 Abs. 7 VwGO, dass das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben kann (Satz 1). Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (Satz 2).

Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die Voraussetzungen gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO für eine Abänderung des ablehnenden Beschlusses vom 01. September 2003 - Az. 3 B 3504/02 - verneint.

Dem Abänderungsantrag der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 7 VwGO vom 30. August 2004 lag folgende Entwicklung der Prozesssituation zugrunde:

Das Verwaltungsgericht hatte mit Beschluss vom 01. September 2003 - Az. 3 B 3504/02 - den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Es hatte in seinem Beschluss zur Frage der Ordnungsgemäßheit des Satzungsgebungs-verfahrens unter anderem ausgeführt, dass mit Blick auf die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren lediglich gebotene summarische Prüfung insbesondere auch eine Prüfung von Amts wegen, ob der Beschluss der Abgabensätze auf der Grundlage ordnungsgemäßer Kalkulationen erfolgt sei, gegebenenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse. Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde unter dem 14. Januar 2004 - 1 M 162/03 - vom Senat zurückgewiesen.

Im - mit Blick auf § 74 Abs. 1 VwGO fristgemäß anhängig gemachten (Datum des Widerspruchsbescheides: 10. Juli 2002; Zugang bei Antragstellerin: 11. Juli 2002; Klageeingang: 12. August 2002, Montag) - Hauptsacheverfahren zum Az. 3 A 1838/02 forderte die Berichterstatterin den Antragsgegner mit Verfügung vom 17. Mai 2004 unter anderem auf, die der Beschlussfassung über die Kurabgabensatzungen vom 10. September 1997 und 09. Juni 1999 zugrunde gelegte Kalkulation des Abgabensatzes binnen eines Monats vorzulegen. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2004 teilten dann die Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners mit, "die der Beschlussfassung zugrunde gelegte Kalkulation des Abgabesatzes liegt der Klägerin (gemeint ist offenbar: dem Beklagten) leider nicht vor."

Daraufhin erging unter dem 22. Juni 2004 eine Hinweisverfügung der Berichterstatterin an die Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners mit folgendem Inhalt: Für den Fall, dass der Antragsgegner nicht nachweisen könne, dass der Beschlussfassung der Verbandsversammlung über die Satzungen vom 10. September 1997 und 09. Juni 1999 eine Kalkulation (Gegenüberstellung der geplanten Ausgaben und der durch die Beitragserhebung zu erwartenden Einnahmen) zugrunde gelegen habe, werde angeregt, im Hinblick auf die §§ 154 Satz 1, 22 Abs. 3 Ziff. 11 KV M-V, wonach Abgabensätze vor Beschlussfassung durch die Verbandsversammlung ermittelt worden sein müssten, den streitgegenständlichen Bescheid aufzuheben. Die Rechtmäßigkeit einer Abgabenerhebung und damit auch eines Haftungsbescheides setze gemäß § 2 Abs. 1 KAG M-V das Zugrundeliegen einer wirksamen Abgabensatzung, diese nach den zitierten Vorschriften der Kommunalverfassung einen vor Beschlussfassung ermittelten Abgabensatz voraus. Es werde Gelegenheit gegeben, zur Frage der Ermittlung der Abgabensätze durch die Verbandsversammlung binnen 6 Wochen nach Erhalt der Verfügung ergänzend vorzutragen bzw. die Aufrechterhaltung des streitgegenständlichen Bescheids zu prüfen.

Der Antragsgegner hat im Klageverfahren hierauf nicht reagiert.

In der Folge hat sich die Antragstellerin mit ihrem Abänderungsantrag an das Verwaltungsgericht mit der Begründung gewandt, der angefochtene Bescheid sei offenkundig rechtswidrig, da bei der Beschlussfassung über die Satzungen eine Kalkulation nicht zugrunde gelegen habe.

Der Antragsgegner hat sich weder im erstinstanzlichen noch im Beschwerdeverfahren dazu geäußert, ob eine Kalkulation für die Kurabgabensatzung bei Beschlussfassung durch die Verbandsversammlung vorgelegen hat oder nicht bzw. ob eine solche überhaupt existiert.

Mit Blick auf diesen Sachverhalt kann dem Verwaltungsgericht nicht in der Annahme gefolgt werden, die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO lägen nicht vor. Es ist zwar für den Fall, dass der Verbandsversammlung bei der Beschlussfassung über die Abgabensätze eine gültige Kalkulation nicht vorgelegen haben sollte, richtig, dass sich dieser Umstand nicht verändert hätte.

Auf der anderen Seite sind offenbar sowohl die Antragstellerin als auch das Verwaltungsgericht ausweislich der vorstehend in der maßgeblichen Passage wiedergegebenen Entscheidungsgründe des Beschlusses vom 01. September 2003 - 3 B 3504/02 - davon ausgegangen, dass der Beschluss der Abgabensätze auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Kalkulation gefasst worden ist. Die Prozesslage hat sich hinsichtlich dieser Annahme aber nach Maßgabe der vorstehenden Darstellung nachhaltig verändert.

Inzwischen legt die entsprechende Äußerung der Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners in deren Schriftsatz vom 21. Juni 2004 und dessen weiteres Schweigen auf die verwaltungsgerichtliche Verfügung vom 22. Juni 2004, im erstinstanzlichen sowie im Beschwerdeverfahren zur Frage der Existenz einer Kalkulation die Vermutung nahe, dass eine solche gültige Kalkulation bei der Beschlussfassung über die dem angegriffenen Bescheid zugrundeliegenden Satzungen nicht vorgelegen hat.

Dass dies ein die Frage der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides maßgeblich bestimmender rechtlicher Gesichtspunkt ist, kann als in der Rechtsprechung des OVG Mecklenburg-Vorpommern geklärt angesehen werden. Nach Maßgabe der §§ 154 Satz 1, 22 Abs. 3 Ziff. 11 KV M-V fällt die Ermittlung des Satzes öffentlicher Abgaben und damit die Kalkulation und Festsetzung von Beitrags- und Gebührensätzen in die Kompetenz des jeweiligen Vertretungsorgans. Um sein ortsgesetzgeberisches Ermessen sachgerecht ausüben zu können, muss dem Vertretungsorgan bei der Beschlussfassung über die Abgabensatzung die Kalkulation des Abgabensatzes vorgelegen haben. Eine beim Satzungsbeschluss fehlende Kalkulation kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeschoben werden. Ist dem Vertretungsorgan für die Beschlussfassung über den Gebührensatz eine Gebührenkalkulation nicht zur Billigung unterbreitet worden oder ist die Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge, weil das Vertretungsorgan das ihm bei der Festsetzung des Gebührensatzes eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausüben konnte (ständige Rechtsprechung des OVG Mecklenburg-Vorpommern; vgl. Urteil vom 12. März 2002 - 4 K 7/01 -, Überblick 2003, 508, 512; Urteil vom 15. November 2000 - 4 K 8/99 -, LKV 2001, 516).

Bereits diese Veränderung der Prozesslage ist als Änderung der Umstände im Sinne von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu werten (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23. Mai 2003 - 1 B 411/03 -, JURIS; OVG Magdeburg, Beschluss vom 14. Januar 1998 - B 2 S 8/98 -, JURIS: Die Änderung der "Beweislage" steht der Änderung der "Sachlage" oder der "Rechtslage" insoweit gleich; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. § 80 Rn. 197 m.w.N.). Eine Veränderung der Umstände kann - etwa aufgrund neuer Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren - auch in nachträglich eingetretenen tatsächlichen Verhältnissen liegen, die die Interessenabwägung beeinflussen können, oder auch in neuen Beweismitteln, durch die die bisherige Entscheidung überholt ist und neu überdacht werden muss (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 20. Juli 1998 - 11 aB 993/98.NE -, NVwZ-RR 1999, 473, zitiert nach JURIS). Der Senat weist allerdings nachdrücklich darauf hin, dass insoweit nicht jede Veränderung in diesem Sinne eine beachtliche Veränderung der Prozesslage bewirken kann. Mit Blick auf die "innere Festigkeit" (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 12. Juni 1996 -10 Q 1293/95 -, DVBl. 1996, 1320 - zitiert nach JURIS) eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO, der immerhin begrenzte Rechtskraft hat und als Vollstreckungstitel dienen kann, sowie unter Einbeziehung des Aspekts der Rechtssicherheit muss es sich um eine Veränderung handeln, die das bisherige Ergebnis der Interessenabwägung umkehren kann. Ob eine Änderung in diesem Sinne beachtlich ist, kann sich im Übrigen aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit, des fairen Verfahrens oder unter Berücksichtigung des Umstandes ergeben, wie es zu der Änderung der Prozesslage gekommen ist. Das Verhalten der Beteiligten im Hauptsacheverfahren kann - etwa im Hinblick auf eine ihnen obliegende Mitwirkung bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes - in diesem Zusammenhang ebenso von Bedeutung sein.

Das Verhalten des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren, insbesondere seine Mitteilung, die der Beschlussfassung zugrunde gelegte Kalkulation des Abgabesatzes "liege leider nicht vor", ferner sein Schweigen zur Frage, ob bei der Beschlussfassung der Verbandsversammlung eine ordnungsgemäße Kalkulation vorgelegen hat, ist als eine nachträgliche Veränderung von Umständen zu betrachten, die die Interessenabwägung - zu Lasten des Antragsgegners - beeinflusst.

Die Prozesslage hat sich umgekehrt: Während das Verwaltungsgericht ursprünglich ohne Weiteres - mangels entgegenstehender Anhaltspunkte - annehmen durfte, der Verbandsversammlung des Antragsgegners habe die erforderliche Kalkulation bei Beschlussfassung vorgelegen, ist es inzwischen überwiegend wahrscheinlich, dass dies nicht der Fall war.

Auch eine Berücksichtigung weiterer Kriterien stützt die Wertung, dass sich diese Umkehrung der Prozesssituation als veränderter Umstand im Sinne von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO darstellt. Die Änderung der Prozesslage ist auf Grundlage der Amtsermittlung durch das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren und der Äußerungen bzw. des Schweigens des Antragsgegners hervorgerufen worden. Die derzeitige Ungewissheit hinsichtlich der Existenz einer Kalkulation, die auf der Verbandsversammlung vorgelegen haben könnte, hat ihre Ursache in der Sphäre des Antragsgegners. Demgegenüber tritt der Umstand, dass die Antragstellerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten nicht "ins Blaue hinein" eine Überprüfung der Kalkulation vorgenommen oder versucht haben, zurück. Im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Umstand, dass der Antragsgegner einen belastenden Verwaltungsakt erlassen hat und die Zwangsvollstreckung betreibt, ist es als Gebot eines fairen Verfahrens erforderlich, dass der Antragsgegner die Existenz einer Kalkulation und die Vorlage derselben bei Beschlussfassung durch die Verbandsversammlung angesichts der insofern gerechtfertigten Zweifel nunmehr nachweist. Der Antragsgegner kann nicht einerseits die Zwangsvollstreckung betreiben und sich andererseits der gebotenen Mitwirkung bei der Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden Umstände verweigern. Durch die neue Prozesssituation wird die vorzunehmende Interessenabwägung entscheidend beeinflusst; ein Überdenken ihres Ergebnisses und der bisherigen Entscheidung drängt sich geradezu auf.

Die Verneinung der Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO stellt sich in der konkret vorliegenden Konstellation - gerade auch mit Blick auf die vom Antragsgegner betriebene Zwangsvollstreckung, die er ausweislich des Schriftsatzes vom 27. September 2004 lediglich bis zum Abschluss des Abänderungsverfahrens und nicht etwa bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ausgesetzt hat - als Verletzung des Justizgewährungsanspruchs nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 4 GG bzw. als unzumutbare Überspannung der Rechtsschutzzugangsvoraussetzungen dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 -, NJW 2004, 2887 - zitiert nach JURIS). Die Außerachtlassung der seitens des Antragsgegners unzureichenden Mitwirkung bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes verlagert im Ergebnis die Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten von Antragstellerin und Antragsgegner einseitig in einer Weise auf die Antragstellerin, die mit dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeinem Prozessgrundrecht folgenden Recht auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 -, NJW 2004, 2887 - zitiert nach JURIS) nicht mehr vereinbar ist.

Der Senat kann als Beschwerdegericht über den Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auch in dem Sinne "durchentscheiden", dass er selbst die neu zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft. Das Beschwerdegericht ist nicht auf die bloße Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO beschränkt, auch wenn es vorliegend nicht Gericht der Hauptsache ist (vgl. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO). Eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht ist in der Prozessordnung nicht vorgesehen und kommt folglich nicht in Betracht. Eine solche oder gar die Stellung eines erneuten Antrages beim Verwaltungsgericht liefe einer prozessökonomischen Verfahrensgestaltung zuwider und ist mit dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als eines Eilverfahrens in keiner Weise vereinbar.

Im Rahmen der nach dem Maßstab des § 80 Abs. 5 VwGO neu zu treffenden Entscheidung überwiegt nunmehr das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollziehungsinteresse. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich ohne Weiteres, dass derzeit überwiegend wahrscheinlich von einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides auszugehen ist und die im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung deshalb zu Lasten des Antragsgegners ausgeht. Dafür spricht auch das geschilderte Prozessverhalten des Antragsgegners im Hauptsache- wie im Abänderungsverfahren.

Nach alledem kommt es nicht auf die Frage an, ob die Antragstellerin ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen ist, den Umstand, dass gegebenenfalls bei der Beschlussfassung über die Abgabensätze keine gültige Kalkulation vorgelegen hat, im Verfahren Az. 3 B 3504/02 vorzutragen.

Mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen kann an sich offenbleiben, ob die Begründung des Verwaltungsgerichts, mit der es auch eine Abänderung von Amts wegen gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO abgelehnt hat, tragfähig ist. Soweit eine Abänderung gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden ist, ist ohnehin fraglich, ob diese Entscheidung vom Beschwerdegericht überprüft werden kann bzw. das Beschwerdegericht eine eigene Entscheidungskompetenz gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO hat (OVG Hamburg, Beschluss vom 03. Februar 1995 - Bs VII 2/95 -, NVwZ 1995, 1004, zitiert nach JURIS).

Der Senat weist jedoch darauf hin, dass das Verwaltungsgericht den Maßstab für eine Abänderung von Amts wegen gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO verkannt haben dürfte, und nimmt das Verfahren deshalb zum Anlass, diesen Maßstab zu konkretisieren.

Die Abänderungsbefugnis des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO setzt zunächst nicht zwingend voraus, dass die in § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bezeichneten Voraussetzungen, das Vorliegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände, erfüllt sind. Vielmehr eröffnet § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO dem Gericht der Hauptsache immer dann die Möglichkeit der "jederzeitigen" Änderung seiner ursprünglichen Entscheidung, wenn hierzu ein Bedürfnis besteht. Dies ist im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO auf der Grundlage einer nur summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergeht, die auch ohne das Vorliegen veränderter Umstände überprüfbar sein muss. Ein die Abänderungsbefugnis des Gerichts nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO begründendes Bedürfnis kann etwa dann bestehen, wenn das Gericht bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage seine Rechtsauffassung geändert hat oder die Interessenabwägung nachträglich korrekturbedürftig erscheint, etwa weil dem Gericht Umstände bekannt werden, die ihm vor Erlass der - ursprünglichen - Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht bekannt waren (vgl. zum Ganzen: OVG Weimar, Beschluss vom 03. Dezember 1998 - 3 EO 896/96 -, DVBl. 1999, 480 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 19. April 1994 - 1 BvR 87/94 -, LKV 1994, 333, zitiert nach JURIS; VGH Kassel, Beschluss vom 12. Juni 1996 - 10 Q 1293/95 -, DVBl. 1996, 1320, zitiert nach JURIS).

Eine Änderung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO von Amts wegen ist damit allerdings nicht völlig in das Belieben des Gerichts gestellt. Zutreffend ist deshalb die Überlegung des Verwaltungsgerichts, "nicht jeder nachträglich bekannt werdende Gesichtspunkt" könne eine Abänderung rechtfertigen. Die Befugnis zur Abänderung von Amts wegen ist vielmehr nur dann gegeben, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen, den Belangen der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und inhaltlichen Richtigkeit den Vorrang vor der Rechtssicherheit einzuräumen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 04. Februar 1999 - 11 B 74/99 -, DVBl. 1999, 998, zitiert nach JURIS). Insoweit können die hinsichtlich der Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vorstehend entwickelten Kriterien entsprechend berücksichtigt werden. Eine amtswegige Abänderung ist aber jedenfalls zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gegeben sind; ein bloßer Meinungswandel des Gerichts dürfte eine Abänderung von Amts wegen demgegenüber jedenfalls nicht ohne Weiteres rechtfertigen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 04. Februar 1999 - 11 B 74/99 -, DVBl. 1999, 998, zitiert nach JURIS), obwohl nach verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur die amtswegige Abänderungsbefugnis an keine besonderen Voraussetzungen gebunden sein soll (vgl. die Nachweise bei OVG Münster, Beschluss vom 04. Februar 1999 - 11 B 74/99 -, a.a.O.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes wäre im vorliegenden Fall angesichts der Entwicklungen nach dem Beschluss vom 01. September 2003 eine Abänderung von Amts wegen ohne Weiteres zumindest zulässig gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die Kostenentscheidung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 01. September 2003 bestehen bleibt, weil das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ein selbstständiges, neues Verfahren ist und es sich bei ihm nicht um ein Rechtsmittelverfahren handelt (vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rn. 108). Die Änderung des ursprünglichen Beschlusses erfolgt gerade nicht etwa wegen dessen Unrichtigkeit.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 52, 53 Abs. 3 GKG, wobei der Betrag der festgesetzten Abgabe für das Eilverfahren zu vierteln ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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