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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 29.07.2002
Aktenzeichen: 1 M 79/02
Rechtsgebiete: StVG, StVZO, BZRG


Vorschriften:

StVG § 4 Abs. 3 Nr. 3 n.F.
StVG § 29 Abs. 7
StVG § 65 Abs. 9
StVG § 29 Abs. 1 a.F.
StVZO § 13a Abs. 2 a.F.
BZRG § 52 Abs. 2 a.F.
1. Einzelfall der Tilgung einer Ordnungswidrigkeit im Verkehrszentralregister gemäß § 65 Abs. 9 StVG n.F.

2. § 52 Abs. 2 BZRG a.F. betrifft nur Verkehrsstraftaten und ist auf Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht analog anwendbar.

3. § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG n.F. ist nicht einschlägig, wenn die Voraussetzungen des § 13 a Abs. 3 Satz 2 StVZO a.F. vorliegen.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluß

Az.: 1 M 79/02

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Entziehung der Fahrerlaubnis

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 29. Juli 2002 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Ziffer 1. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 03. Juni 2002 - 4 B 1104/02 - wird aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 24. April 2002 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 03. Juni 2002 - 4 B 1104/02 - ist zulässig und begründet.

Unter Berücksichtigung der dargelegten Gründe der eingelegten Beschwerde überwiegt im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung des erkennenden Gerichts - nachdem ein Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen und damit das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist - das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 24. April 2002 das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides.

Die Entziehung der die (alten) Klassen 3 bis 5 umfassenden Fahrerlaubnis des Antragstellers kann bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) auf § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. gestützt werden. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich (nach dem Punktsystem) 18 oder mehr Punkte ergeben, da der Betroffene dann kraft gesetzlicher Vermutung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt.

Im Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts ergeben sich jedoch für den Antragsteller nach dem Punktesystem nicht (mehr) 18 oder mehr Punkte. Denn die ausweislich der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 19. Dezember 2001, nach der sich für den Antragsteller ein Punktestand von insgesamt 18 Punkten ergab, am 07. Juni 1997 rechtskräftig oder unanfechtbar gewordene Verwaltungsentscheidung wegen einer am 10. April 1997 begangenen Ordnungswidrigkeit, die am 18. Juni 1997 im Verkehrszentralregister eingetragen und mit 3 Punkten bewertet worden war, kann im Rahmen des § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. keine Berücksichtigung mehr finden. Denn diese Entscheidung ist spätestens am 07. Juni 2002 tilgungsreif gewesen und kann auch aufgrund § 52 Abs. 2 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung (Bundeszentralregistergesetz, BZRG a.F.) keine Berücksichtung mehr finden.

Gemäß § 65 Abs. 9 StVG n.F. werden Eintragungen, die - wie hier - vor dem 01. Januar 1999 im Verkehrzentralregister eingetragen worden sind, bis zum 01. Januar 2004 nach den Bestimmungen des § 29 in der bis zum 01. Januar 1999 geltenden Fassung (StVG a.F.) in Verbindung mit § 13 a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO a.F.) getilgt; die Entscheidungen dürfen nach § 52 Abs. 2 BZRG a.F. verwertet werden, jedoch längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilungsfrist entspricht. Abweichend hiervon gilt § 29 Abs. 7 StVG n.F. in der Fassung dieses Gesetzes auch für Entscheidungen, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes (dem 01.01.1999) bereits im Verkehrzentralregister eingetragen waren.

Gemäß § 29 Abs. 1 StVG a.F. sind Eintragungen in das Verkehrszentralregister nach Ablauf bestimmter Fristen zu tilgen, die der Bundesminister für Verkehr mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung festsetzt (vgl. Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung). Bei Ordnungswidrigkeiten darf die Tilgungsfrist nicht mehr als zwei Jahre betragen, wenn keine weiteren Eintragungen über den Betroffenen in dem Verkehrszentralregister enthalten sind. Nach § 13 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a StVZO a.F. beträgt die Tilgungsfrist bei Ordnungswidrigkeiten zwei Jahre, wobei die Frist hier mit dem Tag der Unanfechtbarkeit der Entscheidung beginnt (vgl. § 13 a Abs. 1 Satz 4 StVZO a.F.). Jedoch bestimmt § 13 Abs. 3 StVZO:

"Eintragungen von strafgerichtlichen Entscheidungen mit Ausnahme solcher, in denen von Strafe abgesehen worden ist, hindern die Tilgung aller anderen gerichtlichen Entscheidungen und der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten; Eintragungen von Entscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten hindern die Tilgung von Entscheidungen wegen anderer Ordnungswidrigkeiten. Abweichend von Satz 1 wird die Eintragung einer Entscheidung wegen einer Ordnungswidrigkeit - ausgenommen einer solchen nach § 24 a StVG - spätestens nach Ablauf von fünf Jahren getilgt."

Danach begann hier die Tilgungsfrist mit dem 07. Juni 1997 zu laufen und endete - da eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG nicht vorlag - aufgrund der weiteren im Verkehrszentralregister enthaltenen Eintragungen spätestens nach Ablauf von fünf Jahren, also mit Ablauf des 06. Juni 2002.

Die wegen einer am 10. April 1997 begangenen Ordnungswidrigkeit ergangene Verwaltungsentscheidungen kann auch nicht aufgrund des § 52 Abs. 2 BZRG a.F. im Rahmen des § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. Berücksichtigung finden. Diese Vorschrift betrifft nach Auffassung des Senates bei der in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung ausdrücklich nur Verkehrsstraftaten und ist auf Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht analog anwendbar.

Nach § 52 Abs. 2 BZRG a.F. darf - abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG, wonach mit der Tilgung einer Tat auch das Verbot ihrer Verwertung einherging - eine frühere Tat trotz Tilgung in einem Verfahren berücksichtigt werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hatte, wenn die Verurteilung wegen dieser Tat in das Verkehrszentralregister einzutragen war (sog. "ewige Verwertung"). § 52 Abs. 2 BZRG a.F. betrifft jedoch - ebenso wie § 51 Abs. 1 BZRG a.F. - ausdrücklich eine Verurteilung und damit - auch aufgrund des § 4 BZRG a.F. - nur Verkehrsstraftaten (so wohl auch VGH München, Beschluß vom 24.10.1996 - 11 CS 96.3256 -, NZV 1997, 198). Eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 BZRG a.F. auf Entscheidungen, die Ordnungswidrigkeiten betreffen, bei denen eine Zuwiderhandlung ohne kriminelle Tatschuld vorliegt, scheidet aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1996 - 1 C 12.95 -, BVerwGE 101, 24 i.Z.m. dem Widerruf einer Waffenbesitzkarte und § 51 Abs. 1 BZRG m.w.N.; OVG Münster, Urteil vom 27.10.1995 - 19 A 3360/95 -; vgl. zu § 52 Abs. 2 BZRG a.F. und n.F. - allerdings bei Vorliegen einer Straftat - auch BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 3 C 14/01 -, NVwZ-RR 2002, 93).

Nach vorläufiger Einschätzung des Senates kann im Rahmen der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG n.F. im vorliegenden Fall die am 10. April 1997 begangene und mit 3 Punkten bewertete Ordnungswidrigkeit auch nicht aufgrund des - über § 65 Abs. 9 Satz 2 StVG n.F. anwendbaren - § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG n.F. Berücksichtigung finden.

Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG n.F. wird eine Eintragung nach Eintritt der Tilgungsreife zuzüglich einer Überliegefrist von drei Monaten gelöscht. Dadurch soll verhindert werden, daß eine Eintragung getilgt wird, obwohl möglicherweise schon vor Eintritt der Tilgungsreife eine weitere eintragungspflichtige Entscheidung ergangen ist, die eine Tilgung zwar wegen der Tilgungshemmung nach § 29 Abs. 6 StVG n.F. hindern würde, die aber dem Kraftfahrt-Bundesamt mangels Mitteilung noch nicht bekannt sind. Da in diesem Fall eine Bewährung nicht stattgefunden hat, wäre eine Tilgung nicht gerechtfertigt (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 29 Abs. 7 StVG n.F., abgedruckt bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 29 StVG Rdnr. 1 d; Hentschel, a.a.O., § 29 StVG Rdnr. 11; BGH, Entscheidung vom 22.04.1980 - 1 StR 625/79 -, zitiert nach Juris, zu § 44 BZRG a.F). Die Vorschrift des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG n.F. ist nach ihrem Sinn und Zweck jedoch nicht einschlägig, wenn die Voraussetzungen § 13 a Abs. 3 Satz 2 StVZO a.F. vorliegen, da dann ein Fall einer "Tilgungshinderung" denknotwendig nicht mehr vorliegen kann. Denn § 13 a Abs. 3 StVZO Satz 2 a.F. setzt für die dort genannten Fälle hinsichtlich des Ablaufs der Tilgungsfrist eine absolute zeitliche Obergrenze und nimmt somit kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Frist eine Bewährung des Fahrerlaubnisinhabers an, mit der Folge, daß die Eintragung bereits mit Ablauf dieser Frist gelöscht wird. Aufgrund dessen ist nach Auffasung des Senates die von dem Gesetzgeber bei der Neufassung des § 29 Abs. 8 StVG gegebene Begründung, daß es für die nur im Verkehrszentralregister enthaltenen Eintragungen (Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungsentscheidungen) keines ausdrücklichen Verwertungsverbotes bedarf, wenn diese im Verkehrszentralregister getilgt und nach Absatz 7 gelöscht sind (abgedruckt bei Hentschel, a.a.O., § 29 StVG Rdnr. 1 e), in einem Fall wie dem Vorliegenden, insbesondere mit Blick auf die zu § 29 Abs. 7 StVG gegebene Gesetzesbegründung (siehe oben), einschränkend zu sehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung in Höhe der Hälfte des in einem Hauptsacheverfahren betreffend die Entziehung einer Fahrerlaubnis der (alten) Klassen 3 bis 5 anzunehmenden Regelstreitwertes, der angesichts der beruflichen Nutzung der Fahrerlaubnis um die Hälfte des Regelstreitwertes zu erhöhen wäre und somit insgesamt 6.000,00 Euro betragen würde, beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG (vgl. OVG Greifswald, Beschluß vom 21.03.2001 - 1 M 115/00 -).

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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