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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 1 O 5/04
Rechtsgebiete: AsylbLG


Vorschriften:

AsylbLG § 4
AsylbLG § 6
1. Zur Frage eines Behandlungsanspruchs nach den §§ 4, 6 AsylbLG bei Vorliegen einer chronischen Erkrankung.

2. Es besteht kein Anspruch auf eine medizinisch nicht eindeutig indizierte bzw. aufschiebbare Behandlungsform (hier: Nierentransplantation an Stelle der gewährten Dialyse).


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

Az.: 1 O 5/04

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylbewerberleistungsgesetz; hier: Prozesskostenhilfe

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 28. Januar 2004 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 03. Dezember 2003 - 6 A 3240/02 PKH - wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben; Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), nach Maßgabe von § 166 VwGO i.V.m. den §§ 114 ff. ZPO mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung abgelehnt.

Das Beschwerdevorbringen beinhaltet keine Gründe, die die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es bestünden keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, durchgreifend in Frage stellen könnten.

Soweit der Kläger meint, der angegriffenen Entscheidung liege eine offenkundig unzutreffende Auslegung des § 4 Abs. 1 AsylbLG zugrunde, weil das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung unzulässig eng am Wortlaut der zitierten Vorschrift verhafte, geht dieser Einwand fehl.

Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung tragend die rechtliche Erwägung zugrunde gelegt, dass es sich bei dem Nierenleiden des Klägers um eine chronische Erkrankung handele. Ein Leistungsanspruch zur (ursächlichen) Behandlung dieser chronischen Erkrankung bestehe nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht, welcher einen Leistungsanspruch nur zur Behandlung "akuter Erkrankungen und Schmerzzustände" regele. Im Rückschluss daraus bestehe - so die angegriffene Entscheidung - eine Leistungspflicht für die Behandlung chronischer Erkrankungen - mit Ausnahme der Schmerzbehandlung - nicht.

Diese vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung entspricht - soweit ersichtlich - der durchgängigen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2001, B 12 - Erläuterungen zum Asylbewerberleistungsgesetz - Rn. 115; Hohm, in GK-AsylbLG, Stand: Oktober 2003, Bd. 1, III § 4 Rn. 18 ff. <20>; Theis, Das Asylbewerberleistungsgesetz, NJ 1993, S. 505, 506; Scheurer, Die Leistungsansprüche Asylsuchender und vollziehbar zur Ausreise verpflichteter Ausländerinnen und Ausländer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, InfAuslR 1994, S. 265, 270; Deibel, Praktische Probleme bei der Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ZAR 1995, S. 57, 61; Röseler, in: Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Band II, Stand: 01.02.2002, B 166, § 4 AsylbLG Rn. 4 ff.; VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 09.04.1997 - 8 G 638/97 [1] -, NDV-RD 1997, S. 138 mit insoweit zustimmender Anmerkung von Sauer, NDV-RD 1997, S. 139; VGH Mannheim, Urteil vom 04.05.1998 - 7 S 920/98 -, FEVS 49, 33 - zitiert nach JURIS; VG Braunschweig, Beschluss vom 13.04.2000 - 3 B 67/00 -, abgedruckt in GK-AsylbLG, Stand: Oktober 2003, VII - zu § 4 Abs. 1 [VG-Nr. 4]).

Dabei verhält es sich natürlich so, dass Behandlungen, die sich auf die Behebung akuter Krankheitserscheinungen richten, auch wenn diese letztlich ursächlich auf eine chronische Erkrankung zurückzuführen sind, vom Begriff der "akuten Erkrankung" in § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG mit umfasst sind, allerdings nicht die chronische Erkrankung selbst (vgl. VG Frankfurt am Main, a.a.O.; Hohm, in GK-AsylbLG, a.a.O., III § 4 Rn. 20). Ebenfalls selbstverständlich ist, dass die gesetzliche Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG Hilfsleistungen bei Schmerzzuständen aufgrund chronischer Krankheit eröffnet (vgl. VGH Mannheim, a.a.O.).

Das Verwaltungsgericht ist im Übrigen nicht nur auf der Grundlage einer Wortlautauslegung zu der von ihm geäußerten Rechtsauffassung gelangt. Es hat vielmehr zutreffend ebenfalls auf die Systematik sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes abgestellt, ebenso auf dessen Entstehungsgeschichte (vgl. zur Entstehungsgeschichte Hohm, a.a.O., III § 4 Rn. 21). Hinsichtlich des Normzwecks steht § 4 Abs. 1 AsylbLG im Kontext der allgemein vom Asylbewerberleistungsgesetz verfolgten Zielsetzung, durch eine deutliche Absenkung der Leistungen und deren grundsätzliche Umstellung auf Sachleistungen keinen Anreiz zu schaffen, um aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik Deutschland zu kommen (vgl. Hohm, a.a.O., III § 4 Rn. 7). All dies übersieht der Kläger im Rahmen seiner Beschwerdebegründung.

Auch sein weiteres Vorbringen, die vorstehend wiedergegebene Auslegung des Gesetzes sei offensichtlich untragbar, weil es sich bei der chronischen Erkrankung des Klägers um eine solche handele, bei der sich die kurzfristig tödlichen Symptome gerade nicht in Schmerzzuständen äußerten, folglich müsse die durch die verwaltungsgerichtliche Auslegung vorgefundene Situation entweder zu dem Ergebnis führen, dass die gefundene Auslegung unzutreffend und deswegen korrekturbedürftig sei, oder zu der Erkenntnis, dass das Gesetz offenkundig eine Lücke enthalte, die geschlossen werden müsse, vermag die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung nicht zweifelhaft erscheinen zu lassen. Diese Argumentation greift zu kurz.

Durchaus zutreffend ist zwar die Überlegung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass die Behandlung einer chronischen Erkrankung ohne Schmerzzustände grundsätzlich nicht unter § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG subsumiert werden kann. Dies hat aber nicht - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers meint - zur Folge, dass derart chronisch Kranke ohne Behandlung und ihrem Schicksal überlassen bleiben müssten, wenn ihre chronische Erkrankung in ein lebensbedrohliches Stadium tritt. Spätestens dann dürfte die Erkrankung akut im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sein.

Derartige Fälle würden im Übrigen - lägen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht vor - ohne weiteres von der Auffangvorschrift des § 6 Satz 1 AsylbLG erfasst (vgl. Hohm, a.a.O., III § 6 Rn. 141). Danach können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind.

Der Vorschrift des § 6 AsylbLG kommt Auffangcharakter für den Fall zu, dass die nach den §§ 3, 4 AsylbLG zu erbringenden Leistungen im Einzelfall das verfassungsrechtlich gebotene Existenzminimum nicht gewährleisten (vgl. Hailbronner, a.a.O., Rn. 119; Hohm, a.a.O., III § 6 Rn. 6; Deibel, Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, ZfSH/SGB 1994, S. 359, 363 ; Deibel, Praktische Probleme bei der Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ZAR 1995, S. 57, 62; Scheurer, a.a.O., S. 271). Unter dem Tatbestand der Leistungen, die im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind, können insbesondere chronische, aber nicht von Schmerzen begleitete Krankheiten erfasst werden, deren Nichtbehandlung zu Gesundheitsgefährdungen führen würde (vgl. Röseler, a.a.O., § 6 Rn. 11).

Auch wenn es sich nach dem Wortlaut des § 6 Satz 1 AsylbLG um eine Ermessensentscheidung der Behörde handelt, ist mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der "Unerlässlichkeit" dabei davon auszugehen, dass im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen das Entschließungsermessen ("ob" der Leistung) auf Null reduziert ist und folglich eine Verpflichtung zur Leistungsgewährung besteht (vgl. Hohm, a.a.O., III § 6 Rn. 11 f.; Scheurer, a.a.O., S. 271; Deibel, Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, ZfSH/SGB 1994, S. 359, 363 - Soweit sich Deibel und Scheurer jeweils auf die alte Fassung des § 6 Satz 1 AsylbLG <"... dürfen nur ..."> beziehen, können ihre jeweiligen Ausführungen auf die geänderte Formulierung <"... können ..."> ohne Weiteres übertragen werden. Entsprechend hat Deibel nach der Rechtsänderung an dieser Auffassung festgehalten, vgl. Deibel, Das neue Asylbewerberleistungsrecht, ZAR 1998, S. 28, 32). Diese Verdichtung des Ermessens der Behörde kann sich darüber hinaus im Einzelfall auch auf das Auswahlermessen erstrecken, wenn eine bestimmte medizinische Behandlung "unerlässlich" ist, um die Gesundheit zu sichern (vgl. Hohm, a.a.O., III § 6 Rn. 12).

Im Fall des Klägers besteht vor dem Hintergrund dessen, dass die Vorschrift des § 6 AsylbLG als Ausnahme und Auffangvorschrift eng auszulegen ist und nur der Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit dient (vgl. Hohm, a.a.O., III § 6 Rn. 15), jedenfalls - wenn nicht schon nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG - nach § 6 Satz 1 AsylbLG ein Anspruch auf Behandlung in Form der - ihm insoweit auch gewährten - Dialyse. Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers behauptete gesetzliche Lücke besteht demnach offenkundig nicht.

Nach Lage der Dinge sind hinsichtlich der mit der Klage begehrten konkreten Behandlungsform "Nierentransplantation" die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG und erst recht die des § 6 Satz 1 AsylbLG offensichtlich nicht erfüllt. Mit Blick auf die letztgenannte Vorschrift ist es deshalb im Ergebnis unschädlich, dass sich Behörde und Verwaltungsgericht nicht mit dieser Vorschrift auseinander gesetzt haben.

Der Kläger trägt in Übereinstimmung mit den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen und vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen ärztlichen Stellungnahmen im Beschwerdeverfahren selbst vor, dass die Nierentransplantation - im Gegensatz zur Dialyse - gegenwärtig aufschiebbar sei. Die Nierentransplantation ist insoweit nicht die "erforderliche" Behandlung der Erkrankung des Klägers im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Ob und (bejahendenfalls) welche ärztliche oder zahnärztliche Behandlung im Einzelfall zur Behandlung einer akuten Erkrankung oder eines Schmerzzustandes erforderlich ist, bemisst sich ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten (vgl. Deibel, Praktische Probleme bei der Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ZAR 1995, S. 57, 61; Theis, a.a.O., S. 506; Hohm, a.a.O., III § 4 Rn. 51). Nicht eindeutig medizinisch indizierte bzw. aufschiebbare Behandlungen sind von der Leistungspflicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ausgeschlossen (vgl. Hohm, a.a.O., III § 4 Rn. 53); es besteht kein Anspruch auf eine optimale und bestmögliche Versorgung (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 26.08.1999 - 9 K 937/99 -, abgedruckt in GK-AsylbLG, Stand: Oktober 2003, VII - zu § 4 Abs. 1 [VG-Nr. 3]). Aus dem potentiell in Betracht kommenden Leistungsumfang sind all diejenigen der ärztlichen Behandlung zurechenbaren Tätigkeiten eines Arztes ausgenommen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände ihrem Wesen nach nicht erforderlich sind (vgl. Theis, a.a.O., S. 506; Deibel, Praktische Probleme bei der Bewilligung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, ZAR 1995, S. 57, 61; Hailbronner, a.a.O., Rn. 115; Hohm, a.a.O., III § 4 Rn. 49).

Da im Falle des Klägers als eindeutig medizinisch indiziert nach Maßgabe der erwähnten ärztlichen Stellungnahmen nur die bereits als Behandlung gewährte Dialyse zu betrachten ist, (noch) nicht jedoch die begehrte Nierentransplantation, liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG für letztere als Behandlungsmaßnahme nicht vor. Dies gilt erst recht im Rahmen der noch strengeren Voraussetzungen des § 6 Satz 1 AsylbLG hinsichtlich des Merkmals der "Unerlässlichkeit".

Soweit im Beschwerdevorbringen der Gesichtspunkt der (ordnungsgemäßen) Ermessensausübung angesprochen ist, verweist der Senat zunächst darauf, dass die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG kein Ermessen vorsieht, sondern eine gebundene Rechtsfolge regelt. Im Übrigen sind sowohl bezüglich der Vorschrift des § 4 als auch der des § 6 AsylbLG bereits - wie erörtert - die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, so dass die Rechtsfolgenseite keiner weiteren rechtlichen Überprüfung zu unterziehen ist.

Das - durchaus im Ansatz nachvollziehbare - zentrale Kostenargument der Beschwerdebegründung, wonach die zu erwartenden Dialysekosten höher als die der begehrten Nierentransplantation ausfallen sollen, ist im Rahmen der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 4, 6 AsylbLG gänzlich irrelevant, da es ausschließlich um die medizinische Indikation einer bestimmten Behandlungsart geht. Abgesehen davon handelt es sich dabei um ein fiskalisches Argument, hinsichtlich dessen ein subjektives Recht des Klägers ausgeschlossen ist. Dieser Gesichtspunkt kann folglich bereits unter dem Blickwinkel der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO keine Berücksichtigung finden.

Ohne dass es darauf noch ankäme, erscheint die Behauptung des Klägers, die Kosten einer Nierentransplantation seien niedriger als diejenigen einer Dialyse bei zu erwartendem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet, als zu pauschal. Soweit der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hinsichtlich der Kostenfrage die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hat, kommt eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch unter Beachtung dieses Umstandes nicht in Betracht. Zum einen folgt hieraus nicht etwa, dass der Rechtsstreit hinsichtlich seiner Erfolgsaussichten mit Blick auf die beantragte und bislang nicht erfolgte Einholung des Sachverständigengutachtens offen wäre. Wie vorstehend dargestellt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 6 Satz 1 AsylbLG nicht vor; dabei kommt es auf den Kostengesichtspunkt - wie gesagt - nicht an. Ein Gutachten ist deshalb nicht einzuholen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf verwiesen, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch deshalb nicht angezeigt sein dürfte, da mögliche Komplikationen und daraus resultierende Folgekosten einer Transplantation naturgemäß nicht im Voraus absehbar und kalkulierbar seien.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 188 Satz 2 VwGO, § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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