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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: 2 L 77/04
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 13 8 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Das Gericht verletzt das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten nicht, indem es andere Gerichtsentscheidungen, ohne diese zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben, verwertet, wenn es in ihnen um für die Beteiligten bekannte rechtliche oder tatsächliche Fragen geht.
Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

Az.: 2 L 77/04

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylrecht - Togo

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 15. Juni 2004 in Greifswald

durch

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin - 7. Kammer - vom 18.12.2003 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe:

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl. §§ 78 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AsylVfG, 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vorliegen.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage zur Rückkehrgefährdung togoischer Asylbewerber nach exilpolitischer Betätigung hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass es sich dabei um Einzelfallentscheidungen handelt, über die zugrundeliegenden verallgemeinerungsfähigen Fragen hat der Senat bereits entschieden (vgl. Beschlüsse vom 30.09.2003 - 2 L 176/03 - und vom 12.01.2004 - 2 L 264/03 -). Die Begründung des Zulassungsantrags rechtfertigt keine erneute Klärung in einem Berufungsverfahren. Die vom Kläger angeführten Quellen bieten keinen Anlass zu weiteren Recherchen. Dass oppositionell eingestellte Journalisten in Togo festgenommen und angeklagt worden sind, ist nichts Neues. Bereits im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02.10.2002, der auch den seither ergangenen Entscheidungen des Senats zugrunde gelegen hat, heißt es auf Seite 11 u. a.: "Oppositionelle Journalisten wurden wiederholt bedroht, vorübergehend festgenommen und teilweise zu Haftstrafen verurteilt." Der zitierte Satz findet sich auch in dem Lagebericht vom 15.08.2003 (Seite 12), der der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegen hat.

Auch wegen der Wahlen vom 01.06.2003 ist ein weiterer Aufklärungsbedarf nicht erkennbar. Der Kläger geht allem Anschein nach selbst nur von einer vorübergehenden Verschärfung der abschiebungsrelevanten Lage aus. Er beruft sich aktuell auch lediglich auf eine im Juni 2003 verfasste Meldung von amnesty international. Dem gegenüber wird im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 15.08.2003 ersichtlich bereits rückblickend über "Zwischenfälle vor, während und nach den Wahlen" berichtet. Nachdem Anfang August 2003 die neue Regierung bekannt gegeben worden sei, sei "nach Einschätzung von politischen Beobachtern nicht in Ansätzen erkennbar, dass sich die politische Landschaft kurz- bis mittelfristig ändern" werde (vgl. Seite 6 f. des Lageberichts).

Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss des Senats vom 21.01.2003 - 2 L 332/02 -, mwN.). Dass dies hier nicht geschehen wäre, ist der Begründung des Zulassungsantrags nicht zu entnehmen. Der Kläger behauptet nicht, seine Schilderung über ein bestimmtes Ereignis, das am 25.06.1998 stattgefunden haben soll, sei vom Gericht ignoriert worden, sondern kritisiert lediglich, dass das Gericht ihm nicht geglaubt habe. Diese Würdigung seiner Angaben ist aber nicht - wie der Kläger meint - als "unzulässige Überraschungsentscheidung" zu bewerten. Allerdings kann auch eine sogenannte Überraschungsentscheidung das rechtliche Gehör verletzen. Dies gilt etwa dann, wenn sie auf neue Gesichtspunkte gestützt worden ist, ohne dass die Verfahrensbeteiligten damit hätten rechnen können (vgl. Beschluss des Senats vom 17.09.2002 - 2 L 196/02 -, mwN.). Dies ist hier aber nicht geschehen. Dass das Verwaltungsgericht dem Vortrag des Klägers auch nach seinem Hinweis auf Presseveröffentlichungen (vgl. Schriftsatz vom 05.01.1999) nicht ohne weiteres folgen würde, lag bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens auf der Hand. Denn das Gericht hat zu dem Vortrag des Klägers eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Dass diese Auskunft für den Kläger ungünstig ausgefallen ist, ist von ihm auch nicht verkannt worden, wie sich aus seinem nachfolgenden Schriftsatz vom 24.11.2003 ergibt. Wenn der Kläger danach noch Möglichkeiten gesehen hat, den Sachverhalt weiter aufzuklären, hätte er spätestens in der mündlichen Verhandlung entsprechende Anträge stellen müssen. Die Verletzung der Aufklärungspflicht gehört im Übrigen nicht zu den Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist (vgl. Beschluss des Senats vom 13.09.2001 - 2 L 159/01 - mwN.).

Wenn in der angefochtenen Entscheidung nicht alle Punkte der Auskunft des Auswärtigen Amtes wiedergegeben worden sind, so liegt auch darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Außerdem hat das Verwaltungsgericht ersichtlich nicht in Zweifel gezogen, dass der Kläger bereits in Togo Mitglied einer oppositionellen Partei gewesen ist (vgl. Seite 7 unten Urteilsabdruck).

Die Annahme des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zur Frage der Rückkehrgefährdung des Klägers aufgrund exilpolitischer Tätigkeiten lediglich einzelne Anknüpfungspunkte isoliert betrachtet, beruht ersichtlich auf einem Missverständnis der Entscheidungsgründe. Das Vorliegen subjektiver Nachfluchtgründe wird über mehrere Seiten geprüft (Seite 14 ff. Urteilsabdruck), u. a. werden auch die vom Senat hierzu entwickelten Grundsätze wiedergegeben. Zwar behandelt das Verwaltungsgericht auch einzelne Aktivitäten des Klägers. Die Entscheidung macht aber - wenn sich dies nicht ohnehin von selbst versteht - auch ausdrücklich deutlich, dass eine umfassende Betrachtung stattgefunden hat, so heißt es etwa auf Seite 16: "Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Kläger sich durch seine exilpolitische Tätigkeit in einer Weise exponiert hat, die geeignet wäre, die Aufmerksamkeit der togoischen Sicherheitskräfte auf sich zu ziehen."

Das Verwaltungsgericht hat das rechtliche Gehör des Klägers schließlich auch nicht dadurch verletzt, dass es seine Entscheidung auf die Entscheidungen anderer Gerichte gestützt hat, ohne diese zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben. Damit hat das Verwaltungsgericht seine rechtliche Bewertung nicht herausgehobener exilpolitischer Betätigung von Asylbewerbern in Deutschland untermauert. Zwar kann eine unzulässige Überraschungsentscheidung auch dann gegeben sein, wenn ein Gericht seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte stützt, mit denen die Verfahrensbeteiligten nicht rechnen konnten. Das Gericht verletzt das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten aber nicht, indem es andere Entscheidungen, ohne diese zuvor in das Verfahren eingeführt zu haben, verwertet, wenn es ihnen um für die Beteiligten bekannte rechtliche oder tatsächliche Fragen geht. So liegt der Fall hier. Die rechtliche Relevanz der Frage, ob dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Togo politische Verfolgung wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten droht, war offensichtlich. Der Kläger hat in mehreren Schriftsätzen ausdrücklich auf solche Tätigkeiten aufmerksam gemacht und zahlreiche Belege darüber vorgelegt. Der Begründung des Zulassungsantrags ist auch nicht zu entnehmen, dass der Kläger Veranlassung gehabt hätte, darauf zu vertrauen, dass das Verwaltungsgericht auch "nicht exponierte Mitglieder der Exilopposition als ausreichend gefährdet" ansehen würde. Wenn der Kläger selbst zu dieser Frage weitere Gerichtsentscheidungen oder Sachverständigenstellungnahmen hätte einführen wollen, wäre dazu spätestens in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit gewesen. Eine andere Frage ist, ob auf solche Gerichtsentscheidungen hinzuweisen ist, die wegen in ihnen enthaltener Tatsachenfeststellungen verwertet werden sollen. Dass es im vorliegenden Fall darum geht, ist aber der Begründung des Zulassungsantrags nicht zu entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

Ende der Entscheidung

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