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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss verkündet am 19.10.2006
Aktenzeichen: 3 M 63/06
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 8
BauGB § 14
BauGB § 15
BauGB § 31
BauGB § 34
BauGB § 36
1. Die Klage einer Gemeinde gegen eine Entscheidung, durch die das von ihr versagte Einvernehmen nach § 36 BauGB ersetzt wird, kann nur erfolgreich sein, wenn sie dadurch in ihren Rechten verletzt wird (im Anschluss an BVerwG, B. v. 10.01.2006 - 4 B 48/05 - BauR 2006, 815).

2. Die Planungshoheit der Gemeinde umfasst bei erkannter Unwirksamkeit eines eigenen Bebauungsplans nur die Möglichkeiten, diesen in einem Verfahren nach § 1 Abs. 8 BauGB aufzuheben oder zu ändern und dabei ggf. einen Antrag auf Zurückstellung nach § 15 BauGB zu stellen oder eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB zu erlassen.

3. Die Gemeinde kann die Verletzung der materiellen Planungshoheit nicht daraus herleiten, dass sie geltend macht, ihr eigener Bebauungsplan sei unwirksam, das an sich plankonforme Vorhaben sei daher nach § 34 BauGB zu beurteilen und sie habe das somit erforderliche Einvernehmen nach § 36 BauGB zu Recht versagt.


Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss

3 M 63/06

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Baurecht

hat der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern am 19. Oktober 2006 in Greifswald

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 04. Mai 2006 wird geändert.

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die Stadt Pasewalk, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung, durch die zugleich das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB ersetzt worden ist.

Das Baugrundstück liegt in dem Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 2 "Sondergebiet Verkaufshalle im Gewerbegebiet" der Antragstellerin vom 01.08.1991.

Unter dem 03.09.1991 wurde eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Verkaufshalle erteilt, in der in der Folgezeit ein Verbrauchermarkt, ein Möbelmarkt und Baumarkt betrieben wurden.

In den Folgejahren wurden mehrere weitere Baugenehmigungen ausgegeben, für die zum Teil Befreiungen von den Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 ausgesprochen wurden. So wurde mit Bescheid vom 31.01.2002 der Beigeladenen der Umbau und die Erweiterung des Baumarkts einschließlich Gartencenter genehmigt; hierbei wurde eine Befreiung von den Baugrenzen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 erteilt.

Unter dem 03.11.2004 stellte die Beigeladene einen Bauantrag für die Vergrößerung des Gartencenters unter Überschreitung der Baugrenzen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 sowie für die Nutzungsänderung innerhalb der bestehenden Verkaufshalle, wonach der knapp 3.000 qm große Bereich des früheren Möbelmarkts in einzelne Läden unterteilt werden sollte.

Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 04.11.2004 unter Übersendung der Antragsunterlagen auf, über das Einvernehmen nach § 36 BauGB zu entscheiden.

Mit Schreiben vom 03.12.2004 wies die Antragstellerin daraufhin, bislang seien eine Vielzahl von Befreiungen in Hinblick auf die Überschreitung der Baugrenzen erteilt worden. Da diese aus den eingereichten Lageplänen nicht hervorgingen, sei nicht erkennbar, inwieweit durch das jetzige Vorhaben eine Befreiung erforderlich sei. Der Antragsgegner werde daher gebeten, bei der Beigeladenen eine Überarbeitung des Lageplans mit einer Gegenüberstellung der bereits erteilten Befreiungen von den Baugrenzen anzufordern. Daher werde auch um eine Verlängerung der zweimonatigen Frist für die Entscheidung über das Einvernehmen gebeten.

Die Antragstellerin versagte das gemeindliche Einvernehmen unter dem 06.01.2005 mit der Begründung, der Vorhaben- und Erschließungsplan sei unter anderem deswegen unwirksam, weil mit dem Vorhabenträger vor Satzungsbeschluss kein Durchführungsvertrag abgeschlossen worden sei. Die Planung enthalte auch keine textlichen Festsetzungen; die Veröffentlichung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das Vorhaben sei nach § 34 BauGB zu beurteilen und danach unzulässig, weil es schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde erwarten lasse.

Mit Schreiben vom 13.01.2006 kündigte der Antragsgegner der Antragstellerin die Erteilung der Baugenehmigung und die Ersetzung des Einvernehmens an. Die von ihr angeführten Verfahrensmängel führten nicht zur Unwirksamkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2.

Auf dieses Anhörungsschreiben äußerte die Antragstellerin mit Schreiben vom 31.01.2006, sie halte den Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 2 für unwirksam. Um Amtshaftungsansprüche zu vermeiden, sollte die Genehmigung des Antrags zurückgestellt werden und die Aufhebung der Satzung abgewartet werden. Alsdann sei klar, dass über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB zu urteilen sei.

Das Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung teilte dem Antragsgegner mit Erlass vom 14.02.2005, dort eingegangen am 16.02.2005, mit, der Antragsgegner habe das Einvernehmen der Antragstellerin pauschal, ohne Hinweis darauf, dass es lediglich für die Befreiung wegen Überschreitung des festgesetzten Baukörpers hinsichtlich der überdachten Freifläche des Gartencenters benötigt werde, eingeholt. Dies sei aber rechtlich unerheblich. In dem Anhörungsschreiben der Antragstellerin vom 31.01.2005 habe diese empfohlen, zur Vermeidung von Amtshaftungsansprüchen die Genehmigung des Bauantrags zunächst zurückzustellen. Es werde daher seitens des Ministeriums empfohlen, diese Textpassage als Antrag auf Zurückstellung des Bauantrags gemäß § 15 BauGB auszulegen und den Antrag umgehend in einem von der Baugenehmigung gesondert zu formulierenden Schreiben zu bescheiden.

Bereits tags zuvor, unter dem 15.02.2005, hat der Antragsgegner die angefochtene Baugenehmigung unter Ersetzung des Einvernehmens nach § 36 BauGB erteilt. Zur Begründung der Ersetzung wird ausgeführt: Das Vorhaben liege im Geltungsbereich des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2. Es widerspreche nicht den Festsetzungen dieser Satzung. Planungsrechtliche Gründe stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Eine Versagung des Einvernehmens sei daher rechtswidrig.

Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und begehrte zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Im Rahmen dieses Verfahrens erklärte die Beigeladene, auf die Rechte aus der angegriffenen Baugenehmigung vom 15.02.2005 insoweit zu verzichten, als die Überschreitung der Baugrenzen des Vorhaben- und Erschließungsplans genehmigt worden sei.

Zur Begründung ihres Antrags trug die Antragstellerin vor: Die Baugenehmigung verletze sie in ihrer Planungshoheit. Das Vorhaben sei mit den textlichen Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 nicht vereinbar. Allerdings seien diese wohl nicht Gegenstand der Ausfertigung und der Bekanntmachung des Plans geworden. Das Vorhaben dürfe im Übrigen nicht auf der Basis des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 geprüft werden, sondern müsse nach § 34 BauGB beurteilt werden. Hiernach sei es wegen Verstoßes gegen Abs. 3a dieser Vorschrift nicht genehmigungsfähig.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag, soweit die Beteiligten nicht die Hauptsache für erledigt erklärt hatten, durch den angefochtenen Beschluss vom 04.05.2006, der Beigeladenen zugestellt am 16.05.2006, entsprochen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Baugenehmigung angeordnet. Es hat ausgeführt: Die genehmigungspflichtige Nutzungsänderung sei nach den Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans nicht zulässig, da dieser unwirksam sei, weil ihm zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses der erforderliche Durchführungsvertrag gefehlt habe. Die Unwirksamkeit sei auch von dem Antragsgegner zu berücksichtigen, da ihm insoweit eine Befugnis zur Inzidentkontrolle und -verwerfung zukomme. Die Antragstellerin sei auch nicht nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die Unwirksamkeit des Plans zu berufen. Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 3 a BauGB nicht genehmigungsfähig, da von ihm schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche der Gemeinde zu erwarten seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 29.05.2006 beim Verwaltungsgericht eingegangene Beschwerde der Beigeladenen, die sie mit Schriftsatz vom 16.06.2006, eingegangen beim Oberverwaltungsgericht am gleichen Tag, begründet hat. Sie macht geltend: Es handele sich nicht um ein "Einkaufszentrum", sondern um eine Verkaufshalle, die schon kurz nach der Wende errichtet worden und in drei Einheiten aufgeteilt worden sei. Es gehe im vorliegenden Verfahren nur um den zweiten Teil, den vormaligen Möbelmarkt. Soweit die Baugenehmigung sich ursprünglich auf die Erweiterung des Baumarkts, an den ein Gartencenter angebaut werden sollte, bezogen habe, habe sie, die Beigeladene hierauf verzichtet. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von der Unwirksamkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans ausgegangen. Allerdings könne ein Durchführungsvertrag nicht vorgelegt werden, da er in den ihr zugänglichen Unterlagen nicht enthalten sei. Dies führe jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Plans, da der Bebauungsplan auch ohne den Durchführungsvertrag noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken könne. Auch sei dieser Fehler durch die zeit- und kostengerechte Realisierung des Vorhabens geheilt worden. Zudem sei der Fehler als Verfahrensfehler anzusehen und insoweit nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich. Der Durchführungsvertrag habe nämlich zum Abwägungsmaterial im Sinne von § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB gehört. Auch habe der Fehler keinerlei Einfluss auf das Abwägungsergebnis gehabt. Schließlich müssten die allgemeinen Grundsätze der Planerhaltung dazu führen, dass ein solcher Fehler nicht zur Unwirksamkeit des Plans führe.

Dem Antragsgegner komme auch nicht eine Verwerfungskompetenz gegenüber dem Vorhaben- und Erschließungsplan zu.

Im übrigen sei das Vorhaben nach § 34 BauGB genehmigungsfähig. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einem Einkaufszentrum ausgegangen. Es hätte auch durch Augenscheinseinnahme klären müssen, ob und welche Auswirkungen in Hinblick auf zentrale Versorgungsbereiche von dem Vorhaben der Antragstellerin ausgehen könnten. Das Verwaltungsgericht habe zudem das Einzelhandelskonzept der Stadt Pasewalk unzutreffend gewürdigt.

Schließlich setze sich die Antragstellerin in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen und führt u.a. aus: Eine fehlende Verwerfungskompetenz des Antragsgegners sei im vorliegenden Verfahren unerheblich, weil jedenfalls dem Gericht die Befugnis der inzidenten Prüfung des Vorhaben- und Erschließungsplans zukomme. Ihre Versagung des Einvernehmens verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, weil sie nur die Konsequenzen aus der erkannten Unwirksamkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans ziehe.

Der Antragsgegner hat sich im Bewerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde ist nach Maßgabe des Vorbringens der Beigeladenen (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO) begründet.

Voraussetzung für den Erfolg des Antrags der Antragstellerin als Gemeinde ist, dass sie sich auf eine ihr zukommende Rechtsposition berufen kann. Dies ist - wie nachfolgend dargelegt wird - mangels eigener Verwerfungskompetenz hinsichtlich ihres Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 nicht der Fall. Diesen Gesichtspunkt hat der Senat von Amts wegen zu berücksichtigen, obwohl ihn die Beigeladene als Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht explizit angesprochen hat. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO fixiert das Beschwerdegericht nicht ausnahmslos auf den Vortrag des Beschwerdeführers und verbietet dem Gericht nicht jede Amtsermittlung. Eine solche Amtsermittlung kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn ein im Ansatz im Verfahren eingeführter tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkt vorliegt, der von ins Auge springender Bedeutung für einen potentiellen Mangel des strittigen Verwaltungsakts ist und allenfalls noch der klarstellenden Darlegung durch einen anderen Beteiligten als den Beschwerdeführer bedarf (vgl. VGH München, B. v. 27.08.2002 - 8 CS 02.1514 - VGHE 55, 150 = NVwZ-RR 2003, 154 = BayVBl 2003, 304 - zit. nach juris; vgl. auch Senatsbeschluss 04.01.2006 - 3 M 144/05 - DÖV 2006, 790 - zit. nach juris). Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift geltend gemacht, die Antragstellerin setze sich in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten. Damit ist die Frage der Verwerfungskompetenz der Antragstellerin als Gemeinde angedeutet. So hat auch die Antragstellerin den Vortrag verstanden und in ihrer Beschwerdeerwiderung ausgeführt, ihre Versagung des Einvernehmens verstoße nicht gegen Treu und Glauben, weil sie nur die Konsequenzen aus der erkannten Unwirksamkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans ziehe. Zwar ist das Problem der Verwerfungskompetenz im bisherigen Verfahren allein in Hinblick auf den Antragsgegner als Bauaufsichtsbehörde erörtert worden, es liegt aber auf der Hand, dass sich diese Frage auch und in erster Linie zunächst in Hinblick auf die Antragstellerin stellt.

Der Senat kann offen lassen, ob sich bei Überprüfung des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 objektiv ergibt, dass dieser ungültig ist, und daher als weitere Folge der Antragsgegner als untere Baurechtsbehörde - objektiv - berechtigt und/oder gehalten gewesen wäre, die Ungültigkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans seiner Entscheidung zu Grunde zu legen und - wovon die Antragstellerin ausgeht - das Vorhaben nach § 34 BauGB zu beurteilen. Die Antragstellerin kann sich nämlich nicht auf die von ihr angenommene Unwirksamkeit des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 berufen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Klage einer Gemeinde, die Adressatin einer Entscheidung geworden ist, durch die das von ihr versagte Einvernehmen ersetzt wird, nur erfolgreich sein, wenn sie durch diese in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Regelung in § 36 BauGB begründet hinsichtlich der materiellen Planungshoheit keine Rechte, sondern setzt sie vielmehr voraus. Wenn eine Verletzung der Planungshoheit einer Gemeinde zu verneinen ist, kann diese sich daher auch nicht mit Erfolg gegen die Ersetzung des Einvernehmens wenden. Es muss also festzustellen sein, dass mit der Planungshoheit verknüpfte materielle Rechte der Gemeinde verletzt wurden (BVerwG, B. v. 10.01.2006 - 4 B 48/05 - BauR 2006, 815). Dies ist nicht der Fall. Die Antragstellerin kann die Verletzung der materiellen Planungshoheit nicht daraus herleiten, dass das Vorhaben nach § 34 BauGB zu beurteilen sei und sie zu Recht das Einvernehmen nach § 36 BauGB versagt habe. Auf diese Vorschriften könnte sich die Antragstellerin nämlich nur dann berufen, wenn sie davon ausgehen darf, der Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 2, den sie selbst beschlossen hat, sei unwirksam. Es ist der Antragstellerin aber verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit eines von ihr erlassenen Bebauungsplans bzw. hier Vorhaben- und Erschließungsplans zu berufen.

In seinem Urteil vom 21.11.1986 - 4 C 22.83 - BVerwGE 75, 142 = NJW 1987, 1344 (vgl. auch die Parallelentscheidungen zum Az. 4 C 60/84 - BRS 46 Nr. 4 = ZfBR 1987, 98 = UPR 1987,1884 und zum Az. 4 C 37/84 - NJW 1987, 1348) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt:

"Das Bundesbaugesetz - jetzt Baugesetzbuch - bestimmt, dass der Bebauungsplan als Satzung zu beschließen und bekannt zu machen ist (§§ 10, 12 -jetzt § 10 BauGB). Eine Norm kann - abgesehen von der Nichtigerklärung in einem gerichtlichen Normenkontrollverfahren wie es für den Bebauungsplan § 47 VwGO vorsieht - grundsätzlich nur in dem für die Normsetzung geltenden Verfahren aufgehoben werden. So sieht es auch das Bundesbaugesetz (§ 2 Abs. 6 - jetzt § 1 Abs. 8 BauGB -) für den Bebauungsplan vor; er ist in dem Verfahren, das für seine Aufstellung gilt, aufzuheben. Etwas anderes gilt auch nicht für den Fall, dass der Bebauungsplan an einem zur Ungültigkeit führenden Fehler leidet. Das gebietet die Rechtssicherheit; denn mit dem Erlass und der Verkündung eines Bebauungsplans tut der Satzungsgeber der Öffentlichkeit kund, dass die von ihm beschlossene Satzung Geltung beansprucht. Leidet die Satzung an einem Fehler, so ist dies im allgemeinen nicht für jedermann erkennbar, an den sich die Satzung richtet. Der durch Normgebung gesetzte Rechtsschein ist deshalb durch einen Gegenakt der Normsetzung, d. h. beim fehlerhaften Bebauungsplan durch dessen förmliche Aufhebung, zu beseitigen, wenn der Fehler nicht "geheilt" oder "heilbar" ist. Das ist für Bebauungspläne, die eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewährleisten sollen (§ 1 Abs. 6 BBauG - jetzt § 1 Abs. 5 und 6 BauGB -), auch deshalb unumgänglich, weil mit deren Aufhebung im allgemeinen zugleich darüber zu entscheiden ist, welche Ordnung an die Stelle der mit dem fehlerhaften Plan beabsichtigten Ordnung treten soll. Die mit dem Fortfall eines Bebauungsplans an dessen Stelle tretenden §§ 34 und 35 BBauG können zur Zulässigkeit von Vorhaben führen, die einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zuwiderlaufen, so dass im Sinne des § 1 Abs. 3 BBauGB die erneute Aufstellung eines Bebauungsplans erforderlich ist. Aus diesem Grunde hat die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der Bürger (§§ 2 Abs. 5,2 a BBauG) eine wichtige Bedeutung auch für Bebauungspläne, die die Gemeinde wegen eines die Ungültigkeit begründenden Fehlers förmlich aufheben will. Die Beteiligung soll auch dazu dienen, der Gemeinde Erkenntnisse darüber zu vermitteln, ob die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans im Sinne des § 1 Abs. 3 BBauG - jetzt § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB - erforderlich ist und welche Belange dabei zu berücksichtigen sind.

Dem somit gebotenen förmlichen Aufhebungsverfahren für die "Beseitigung" eines von der Gemeinde als ungültig erkannten Bebauungsplans kann auch nicht entgegengehalten werden, ein nichtiger Bebauungsplan sei rechtlich nicht existent und könne folglich nicht als Rechtssatz aufgehoben werden. Diese Ansicht verkennt, dass die Nichtigkeit eines Bebauungsplans im allgemeinen nicht offenkundig ist und dass der Plan, solange er nicht in dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren, nämlich durch förmliche Aufhebung ... oder in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO - jetzt § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO -, "beseitigt" ist, den Schein der Rechtsgeltung erzeugt.

Dieses Ergebnis wird durch die §§ 155 a, 115 b und 183 f BBauG - jetzt §§ 214 f. BauGB - bestätigt. Sie verfolgen das Ziel, aus Gründen der Rechtssicherheit den Bestand von Bauleitplänen zu sichern und Fehler, die die rechtsstaatlichen Anforderungen an Planung und Normsetzung sowie die Grundsätze der Bauleitplanung nicht berühren, weitgehend auf die Gültigkeit des Plans nicht durchschlagen zu lassen. Ist durch einen Verfahrens- oder Formfehler gleichwohl die Gültigkeit des Plans berührt, so kann die Gemeinde nach §§ 155 a Abs. 5 und 183 f Abs. 3 BBauG unter Behebung des Fehlers in einem erneuten Verfahren den Bebauungsplan rückwirkend in Kraft setzen. Die Regelung setzt voraus, dass die Gemeinde prüft, ob und wie der Fehler - wenn er überhaupt beachtlich ist (vgl. § 155 a Abs. 1 und 2, 155 b BBauG - jetzt §§ 214 f. BauGB) - behebbar ist, und dann entscheidet, ob und wie sie ihn behebt. Diese Möglichkeit würde der Gemeinde entzogen, wenn die höhere Verwaltungsbehörde die Befugnis hätte und von ihr Gebrauch machte, mit verbindlicher Wirkung gegenüber der Gemeinde die Nichtigkeit eines solchen Bebauungsplans festzustellen.

Übrigens ist die Gemeinde nicht nur befugt, sondern auch gehalten, den als nichtig erkannten Bebauungsplan, wenn sie die die Nichtigkeit begründenden, behebbaren Fehler nicht beheben will, nach den Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen (...) aufzuheben. Das gebietet - wie schon ausgeführt - die Rechtssicherheit."

Dieser Rechtsprechung folgt der Senat. Eine zur Bauleitplanung befugte Gemeinde kann die unerwünschten Folgen einer Genehmigung auf Grund eines erkannt unwirksamen Bebauungsplanes nicht dadurch verhindern, dass sie dessen Ungültigkeit geltend macht. Aus § 1 Abs. 8 BauGB ergibt sich, dass die Gemeinde - allein - die Befugnis hat, den Bebauungsplan aufzuheben oder zu ändern. Sofern sie befürchtet, dass bis zum Abschluss eines solchen Verfahrens auf der Grundlage des Bebauungsplanes von ihr städtebaulich nicht gewollte Vorhaben genehmigt werden müssen, kann sie nach einem entsprechenden Aufstellungsbeschluss eine Zurückstellung nach § 15 BauGB beantragen oder eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB erlassen. Die materielle Rechtspostion der Antragstellerin liegt mithin darin, bei erkannter Unwirksamkeit des Plans - ggf. auf Hinweis der Bauaufsichtsbehörde - diesen in einem Verfahren nach § 1 Abs. 8 BauGB aufzuheben oder zu ändern und dabei ggf. einen Antrag auf Zurückstellung nach § 15 BauGB zu stellen oder eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB zu erlassen. Die Planungshoheit der Gemeinde umfasst diese Möglichkeiten, nicht aber die, sich inzident auf die Unwirksamkeit des eigenen Bebauungsplans zu berufen, unbeschadet des Umstandes, dass das Gericht zur inzidenten Verwerfung befugt wäre. Auf die Möglichkeit eines Zurückstellungsantrags hatte das zuständige Ministerium in seinem Erlass vom 14.02.2005 ausdrücklich hingewiesen.

Diese Schritte hat die Antragstellerin nicht dargelegt. Sie hat insbesondere nach Aktenlage keinen wirksamen Zurückstellungsantrag gestellt.

Nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauGB hat, wird eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Den Stellungnahmen der Antragstellerin lässt sich ein Zurückstellungsantrag nicht entnehmen. In dem Schreiben vom 03.12.2004 bat sie, bei der Beigeladenen eine Überarbeitung des Lageplans mit einer Gegenüberstellung der bereits erteilten Befreiungen von den Baugrenzen anzufordern, und um eine Verlängerung der zweimonatigen Frist für die Entscheidung über das Einvernehmen. In dem Schreiben vom 06.01.2005, durch das das Einvernehmen ausdrücklich versagt wurde, ist das für einen Zurückstellungsantrag vorgesehene Feld nicht angekreuzt und die Begründung des Schreibens nimmt auch keinen Bezug zu Erwägungen in Richtung auf eine Zurückstellung. Im übrigen sind die Voraussetzungen für eine Zurückstellung auch nicht dargetan oder aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich.

Auch in dem Anhörungsschreiben vom 31.01.2006 kann ein wirksamer Zurückstellungsantrag nicht erblickt werden. Hier hat die Antragstellerin geäußert, sie halte den Vorhaben- und Erschließungsplan Nr. 2 für unwirksam; um Amtshaftungsansprüche zu vermeiden, sollte die Genehmigung des Antrags zurückgestellt werden und die Aufhebung der Satzung abgewartet werden. Es sind aber nicht die materiellen Voraussetzungen einer Zurückstellung dargelegt. Zudem ist auch nicht dargetan, für welchen Zeitraum eine Zurückstellung beantragt wird (vgl. dazu Reidt in Geizer/Bracher/Reidt: Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004 Rn. 2409).

Danach könnte die Antragstellerin durch das ersetzte Einvernehmen des Antragsgegners nach § 36 BauGB nur dann in ihrer materiellen Planungshoheit verletzt sein, wenn das Vorhaben den Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 nicht entspricht und damit der Antragsgegner zu Unrecht davon ausgegangen ist, es bedürfe nicht des Einvernehmens der Antragstellerin wegen einer erforderlichen Entscheidung nach § 31 BauGB. Auch ein solcher Fall liegt nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vor: Zum einen hat der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid ausdrücklich angenommen, dass das Vorhaben den Festsetzungen des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 entspricht und hat somit ausdrücklich keine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ausgesprochen. Auch die Antragstellerin ist nicht davon ausgegangen, dass das Einvernehmen wegen einer planungsrechtlichen Befreiung erforderlich ist. Zum anderen wäre dieser Gesichtspunkt jedenfalls im vorliegenden Beschwerdeverfahren auch deswegen unerheblich, weil die Beteiligten hinsichtlich der Bebauung des Grundstückes über die Baugrenze des Vorhaben- und Erschließungsplans Nr. 2 hinweg die Hauptsache für erledigt erklärt haben. Diese Überschreitung der Baugrenze durch die Überdachung der Parkplätze war aber nach Vortrag der Beteiligten der Grund für die Notwendigkeit einer Befreiung gewesen.

Nach alledem musste die Beschwerde Erfolg haben und der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 3 Nr. 1 und 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist gem. § 152 Abs. 1 und § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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