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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 23.07.2009
Aktenzeichen: 1 A 2084/07
Rechtsgebiete: SG, VwGO


Vorschriften:

SG § 55 Abs. 4
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 96 Abs. 1
StPO § 250
Der in der Verwaltungsgerichtsordnung ausdrücklich nur in § 96 Abs. 1 verankerte Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gebietet lediglich, die Identität von beweiserhebenden und fallentscheidenden Richtern bei einer durchzuführenden Beweisaufnahme zu wahren (sog. formelle Unmittelbarkeit).

§ 96 Abs. 1 VwGO lässt sich hingegen kein Gebot "materieller Unmittelbarkeit" entnehmen. Es ist nach dieser Vorschrift also nicht geboten, wegen eines Vorrangs direkter (unmittelbarer oder "sachnäherer") Erkenntnisquellen vor solchen indirekter (mittelbarer oder "sachfernerer") Natur schon generell oder zumindest bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - wie eines Widerspruchs eines Beteiligten gegen eine Verwertung eines indirekten Beweismittels, wie eines Antrags auf Erhebung eines Beweises durch ein direktes Beweismittel oder wie des Umstandes, dass sich dem Gericht eine solche Beweiserhebung aufdrängen muss - nur das direkte Beweismittel zu benutzen.

Ein Grundsatz "materieller Unmittelbarkeit" im Verwaltungsprozess kann auch nicht in Analogie zu § 250 StPO begründet werden.

Die Frage, ob das Gericht darauf verwiesen ist, den "direkteren" Beweis (eventuell zusätzlich zu einem entfernteren) zu erheben, beantwortet sich vielmehr nach § 86 Abs. 1 VwGO, ggf. i. V. m. entsprechenden Beweisanträgen (§ 86 Abs. 2 VwGO). Es ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob das Gericht verpflichtet ist, den Sachverhalt weiter zu erforschen.

Demzufolge kann eine Zeugenvernehmung im gerichtlichen Verfahren im Hinblick auf vorliegende, im Wege des Urkundsbeweises zu verwertende Vernehmungsprotokolle, welche Aussagen des/der potentiellen Zeugen in einem Disziplinarverfahren oder in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wiedergeben, unterbleiben, wenn sich dem Gericht eine solche weitere Beweisaufnahme nicht aufdrängen muss. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn sich aus dem Vorbringen des Beweisgegners wie auch aus den sonstigen Umständen des Falles nichts von Substanz entnehmen lässt, was auch nur geringste Zweifel an der Glaubhaftigkeit der protokollierten Aussagen oder an der Glaubwürdigkeit des/der potentiellen Zeugen wecken könnte, dessen/deren Aussagen in den fraglichen Beweisurkunden protokolliert worden sind.

Der regelmäßig geringere Zuverlässigkeitsgrad eines indirekten Beweismittels findet zudem als "informelle Beweisregel" Eingang in den Prozess der richterlichen Überzeugungsbildung.


Tatbestand:

Der Kläger hat sich als ehemaliger Soldat auf Zeit gegen seine fristlose Entlassung aus der Bundeswehr gewendet. Nachdem er zur Ableistung des neunmonatigen Grundwehrdienstes und eines sich anschließenden freiwilligen zusätzlichen Wehrdienstes von 14 Monaten in die Dienste der Bundeswehr eingetreten war, wurde er, mittlerweile als Hauptgefreiter, in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Die auf vier Jahre festgesetzte Dienstzeit endete mit Ablauf des Monats April im Jahre 2006. Nachdem der Beklagten im Monat April des Jahres 2006 durch Fotos und Videoaufnahmen gestützte Vorwürfe bekannt geworden waren, dass Angehörige der Kompanie, in der auch der Kläger seinen Dienst tat, auf einer bestimmten Stube Betäubungsmittel konsumiert hätten, leitete die Beklagte gegen den Kläger und die übrigen eines solchen Dienstvergehens verdächtigten Soldaten P., U., V., T., L. und O. Disziplinarverfahren ein. Von den neben dem Kläger vernommenen sechs Soldaten gaben fünf an, dass der Kläger sich zumindest gelegentlich an dem Betäubungsmittelkonsum beteiligt habe; der Soldat T. erklärte, dass der Kläger während des Drogenkonsums durch ihn und weitere Kameraden die Stube meistens verlassen habe. Der Kläger hingegen verweigerte bei seinen Vernehmungen die Aussage, erklärte sich aber mit einem Drogenscreening einverstanden. Mit Bescheid des Befehlshabers des Wehrbereichskommandos Z wurde der Kläger gemäß § 55 Abs. 5 SG kurz vor Ablauf des Monats April fristlos aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit entlassen. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde zurückgewiesen. Die Klage vor dem VG blieb ebenso wie die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ohne Erfolg.

Gründe:

Der angefochtene Bescheid sowie der Beschwerdebescheid sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Ermächtigungsgrundlage für die verfügte fristlose Entlassung ist § 55 Abs. 5 SG in der im Zeitpunkt des Erlasses des Beschwerdebescheides geltenden Neufassung durch Bekanntmachung vom 30.5.2005, BGBl. I S. 1482. Nach dieser Vorschrift kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde.

Die auf diese Ermächtigungsgrundlage gestützte Entlassungsverfügung ist frei von formellen Fehlern. (Wird ausgeführt).

Die Entlassungsverfügung ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG, welche der Entlassungsbehörde einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Beurteilungsspielraum nicht eröffnen,

vgl. BVerwG, Urteile vom 26.9.1963 - VIII C 123.63 -, BVerwGE 17, 5, und vom 31.1.1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361,

sind hier erfüllt.

Der Kläger war Soldat auf Zeit. Seine fristlose Entlassung ist auch noch innerhalb der ersten vier Dienstjahre erfolgt. Der Umstand, dass die reguläre Dienstzeit des Klägers schon zwei Tage nach dem Entlassungszeitpunkt abgelaufen wäre, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos.

Der Kläger hat auch seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt.

Dem Kläger wird in den angefochtenen Verfügungen insofern in tatsächlicher Hinsicht zur Last gelegt, er habe im Zeitraum von September bis Dezember des Vorjahres außerhalb des Dienstes zu mehreren nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten im Block B, Stube S der K-Kaserne in Anwesenheit der bzw. mit den damaligen Hauptgefreiten O., P. und U. sowie den Obergefreiten L. und V. Betäubungsmittel in Form von Cannabis und Amphetaminen konsumiert.

Es steht nach Auswertung des Akteninhalts, insbesondere nach Würdigung der in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen enthaltenen und verwertbaren Vernehmungsprotokolle als Beweisurkunden zur Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) des Senats fest, dass der in den Verfügungen erhobene Vorwurf sachlich gerechtfertigt ist. Eine (weitere) Beweiserhebung war insoweit nicht veranlasst.

Dass der dem Kläger zur Last gelegte Drogenkonsum tatsächlich stattgefunden hat, wird zweifelsfrei durch den Inhalt der in den Akten befindlichen, von dem Senat ausgewerteten Vernehmungsprotokolle belegt, in denen die Aussagen der Soldaten O., P., U., V. und L. während ihrer jeweiligen Vernehmungen im Disziplinarverfahren und die Aussagen der vier zuerst angeführten Soldaten bei der jeweiligen Beschuldigtenvernehmung vor der Kreispolizeibehörde wiedergegeben sind. Alle fünf Soldaten haben im Kern übereinstimmend angegeben, dass der Kläger einige wenige Male an dem Drogenkonsum des - nicht stets deckungsgleichen - Kreises von Soldaten auf der Stube S teilgenommen hat. (wird ausgeführt)

Der Senat ist befugt, die angeführten Vernehmungsprotokolle aus den Disziplinarverfahren und aus den polizeilichen Ermittlungsverfahren als urkundlich vorliegende Beweisergebnisse der behördlichen Verfahren bei seiner Überzeugungsbildung zu verwerten.

Die Verwertbarkeit der polizeilichen Vernehmungsprotokolle wird zunächst nicht durch das Vorbringen in Frage gestellt, die dort vernommenen Soldaten hätten als Beschuldigte nicht der Wahrheitspflicht unterlegen, sondern ein "Recht zur Lüge" gehabt. Zwar steht es dem polizeilich vernommenen Beschuldigten nach dem Grundsatz des "nemo tenetur", nach welchem niemand verpflichtet ist, zu seiner Strafverfolgung durch aktives Handeln beizutragen, frei, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. die dies voraussetzenden - hier einschlägig gewesenen - Regelungen des § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO i. V. m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), und er unterliegt bei etwaigen - ihn selbst betreffenden - Angaben zur Sache auch keiner Wahrheitspflicht. Der Beschuldigte darf aber, wenn er sich für eine Aussage zur Sache entscheidet, im Rahmen seiner Vernehmung nicht durch unwahre Angaben die allgemeinen Strafgesetze verletzen, hat also insoweit gerade kein "Recht zur Lüge". Etwaige falsche Angaben können deshalb insbesondere im Hinblick auf §§ 145 d, 164, 185 ff. oder 258 StGB strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Vgl. BGH, Beschluss vom 17.3.2005 - 5 StR 328/04 -, NStZ 2005, 517 = juris, dort Rn. 16; Keller, JR 1986, 30 f.; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 136 Rn. 18; Walther, in: Krekeler/Löffelmann, Anwaltskommentar StPO, 2007, § 136 Rn. 13, 27.

Den vier polizeilich vernommenen Soldaten stand mithin kein "Recht zur Lüge" zu, und insbesondere war es ihnen nicht erlaubt, den Kläger und weitere Kameraden falsch zu verdächtigen.

Die Verwertbarkeit der Vernehmungsprotokolle aus den Disziplinarverfahren und aus den polizeilichen Ermittlungsverfahren wird auch nicht durch die sinngemäße Argumentation des Klägers durchgreifend in Frage gestellt, der Inhalt dieser Protokolle, die eine Vernehmung wiedergäben, welche nicht vor einem Richter erfolgt sei und bei der der Kläger nicht die Möglichkeit zu Nachfragen gehabt habe, könne jedenfalls dann nicht zur Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden, wenn - wie hier - eine unmittelbare gerichtliche Einvernahme der vernommenen Personen als Zeugen im gerichtlichen Verfahren ohne weiteres möglich sei. Der mit diesem Vorbringen angesprochene, in der Verwaltungsgerichtsordnung ausdrücklich nur in § 96 Abs. 1 VwGO verankerte Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme hindert die Verwertung dieser Protokolle durch den Senat ohne weitere Erhebung eines Zeugenbeweises indes nicht. Nach § 96 Abs. 1 VwGO erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung (Satz 1) und kann insoweit insbesondere Augenschein einnehmen, Zeugen, Sachverständige und Beteiligte vernehmen und Urkunden heranziehen (Satz 2).

Unstreitig gebietet diese Vorschrift, die Identität von beweiserhebenden und fallentscheidenden Richtern bei einer durchzuführenden Beweisaufnahme zu wahren (sogenannte formelle Unmittelbarkeit).

Vgl. etwa Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, § 96 Rn. 18; Garloff, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 96 Rn. 1.

Dieses Gebot wird durch die hier in Rede stehende Verwertung von Beweisergebnissen aus behördlichen Verfahren durch den Senat im Wege des Urkundsbeweises nicht tangiert, weil der Urkundenbeweis direkt und ohne zwischengeschaltete Mittelsperson(en) durch das Gericht selbst erhoben wird.

Vgl. Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 47, 46; Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (429 f.); BVerwG, Beschluss vom 13.9.1988 - 1 B 22.88 -, NVwZ 1989, 67.

Dem in § 96 Abs. 1 VwGO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung lässt sich ein weiterer, auf Sicherung einer "materiellen Unmittelbarkeit" der Beweiserhebung abzielender Inhalt, der eine Verwertung der Protokolle hindern könnte, nicht entnehmen. Die Vorschrift gebietet also neben der Wahrung formeller Unmittelbarkeit nicht zugleich auch, wegen eines Vorrangs direkter (unmittelbarer oder "sachnäherer") Erkenntnisquellen vor solchen indirekter (mittelbarer oder "sachfernerer") Natur schon generell oder zumindest bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - wie eines Widerspruchs eines Beteiligten gegen eine Verwertung eines indirekten Beweismittels, wie eines Antrages auf Erhebung eines Beweises durch ein direktes Beweismittel oder wie des Umstandes, dass sich dem Gericht eine solche Beweiserhebung aufdrängen muss - nur das direktere Beweismittel zu benutzen.

Vgl. Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 18 ff., m. w. N. auch zur Gegenauffassung in Fußnoten 40 und 46; Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (431); für die - mit § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO identische - Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO ausführlich auch Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (765 f.); a. A. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 10.9.1979 - 3 CB 117.79 -, Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 38 m. w. N., und vom 22.11.1991 - 1 B 142.91 -, NJW 1992, 1186; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 96 Rn. 3 m. w. N; Garloff, in: Posser/Wolff, a. a. O., § 96 Rn. 2.

Der Wortlaut des § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO gibt für die Annahme, die Norm gebiete die Berücksichtigung nur derjenigen Beweismittel, die ihrem Inhalt nach die Erkenntnis der erheblichen Tatsachen am unmittelbarsten ermöglichen, nichts her. Der Kontext mit § 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO bestätigt dies, da die dortige, nicht abschließende ("insbesondere") Aufzählung von Beweismitteln gerade keine Vorrangregelung erkennen lässt. Auch ein Vergleich mit den in § 96 Abs. 2 VwGO geregelten Ausnahmen vom Unmittelbarkeitsgrundsatz erlaubt es nicht, aus gesetzessystematischen Gründen ein Gebot materieller Unmittelbarkeit in die den Regelfall normierende Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO hineinzulesen. Denn § 96 Abs. 2 VwGO regelt nicht etwa eine ausnahmsweise zulässige Ersetzung eines durch den beauftragten oder ersuchten Richter z. B. erhobenen Zeugenbeweises durch einen auf das insoweit gefertigte Protokoll bezogenen Urkundenbeweis. Einem solchen Verständnis dieser Vorschrift steht nämlich entgegen, dass überzeugende Argumente für die Annahme fehlen, das Beweismittel, das nach der Einschätzung des Gerichts bei der Beweiserhebung sachgerecht zum Einsatz kommen soll, ändere seinen Charakter im Falle einer nicht durch das Gericht, sondern durch einen beauftragten oder ersuchten Richter durchgeführten Beweiserhebung.

Vgl. ausführlich: Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 20.

Bestätigt wird der auf Wortlaut und Systematik gestützte Befund, die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlange allein die Wahrung formeller Unmittelbarkeit, durch deren Entstehungsgeschichte. In dem maßgeblichen, von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung vom 5.12.1957 wird zur Begründung der §§ 97 bis 99 des Entwurfs, welche mit nur geringen Abweichungen den heutigen §§ 96 Abs. 1, 97 und 98 VwGO entsprechen, ausgeführt, dass ausschließlich bewährte und selbstverständliche Verfahrensgrundsätze wiedergegeben würden und im Einzelnen auf die ZPO verwiesen werden könne (BT-Drs. 3/55, S. 41). Zur Begründung der Regelung des - dem heutigen § 96 Abs. 1 VwGO entsprechenden - § 97 des Entwurfs hat der Gesetzgeber damit auf den zivilprozessualen Grundsatz der Unmittelbarkeit Bezug genommen. Dieser in der (bis heute unverändert gebliebenen) Vorschrift des § 355 Abs. 1 ZPO verankerte Grundsatz wurde aber einhellig dahin verstanden, dass er allein die formelle Unmittelbarkeit gewährleiste.

Zum Meinungsstand vor Inkrafttreten der VwGO vgl. etwa Nikisch, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1952, § 49 IV (= S.189 f.); Wieczorek, ZPO, Band II, Teil 2, 1957, § 355 Anm. B bis B II c; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 8. Aufl. 1960, § 115 III. 1. b (= S. 564 f.); zum heutigen, soweit ersichtlich unveränderten Meinungsstand vgl. etwa Greger, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 355 Rn. 1, m. w. N.

Ein Grundsatz materieller Unmittelbarkeit im Verwaltungsprozess, der nach dem Vorstehenden nicht aus § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO selbst hergeleitet werden kann, kann auch nicht in Analogie zu § 250 StPO begründet werden. Diese - die vorliegende Fallkonstellation in der Sache treffende - Norm verbietet für den Fall, dass der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person beruht, die Vernehmung dieser Person in der Hauptverhandlung durch die Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung zu ersetzen. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift im Verwaltungsprozess verbietet sich schon deshalb, weil der Gesetzgeber ein solches striktes Verbot erkennbar bereichsspezifisch allein für den Strafprozess aufgestellt, aber im Rahmen der (vielfach geänderten) Verwaltungsgerichtsordnung bis heute darauf verzichtet hat, eine vergleichbare Regelung oder eine Verweisung auf Regelungen der Strafprozessordnung zu schaffen. Der letztgenannte Umstand fällt deshalb besonders ins Gewicht, weil die VwGO, wie insbesondere § 173 Satz 1 VwGO zeigt, durchaus die Regelungstechnik der Verweisung auf eine andere Prozessordnung - die ZPO - kennt, welcher im Übrigen eine Regelung wie die des § 250 StPO ebenfalls fremd ist.

Vgl. Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 21 m. w. N. auch aus der Rechtsprechung des BVerwG; Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (431); für die FGO: Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (764), m. w. N.; für die ZPO: Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., Zweiter Band, Teilband 1, 1987, § 284 Rn. 34 m. w. N.; für den Verwaltungsprozess a. A. - soweit ersichtlich - allein Kopp/Schenke, VwGO, a. a. O., § 96 Rn. 5 (ohne Begründung und unter Hinweis nur auf strafprozessuale Quellen).

Die Auffassung, ein (aus § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuleitender) Grundsatz materieller Unmittelbarkeit gelte zumindest dann, wenn ein Beteiligter - wie hier - einer Verwertung eines indirekten Beweismittels (hier: der Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundsbeweises) widerspreche

- so wohl BVerwG, Beschluss vom 25.8.2008

- 2 B 18.08 -, juris, dort Rn. 13; nur scheinbar in diese Richtung hingegen BVerwG, Beschluss vom 13.9.1988 - 1 B 22.88 -, a. a. O., in juris Rn. 8, 16, wonach Protokolle über Zeugenaussagen gegen den Widerspruch eines Beteiligten wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme zwar nicht als Zeugenbeweis, wohl aber als Urkundsbeweis berücksichtigt werden dürfen -,

wenn ein Antrag auf Erhebung eines direkten Beweismittels, insbesondere auf Zeugenvernehmung gestellt sei oder wenn sich sonst dem Gericht eine Beweiserhebung aufdrängen müsse

- so BVerwG, Beschlüsse vom 10.9.1979

- 3 CB 117.79 -, a. a. O., und vom 13.9.1988

- 1 B 22.88 -, a. a. O. sowie Urteil vom 28.11.1991 - 3 C 37.89 -, juris -,

ist nicht nur den bereits dargelegten grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt, sondern auch noch aus einem zusätzlichen Grund abzulehnen. Gegen diese These in allen ihren Varianten spricht nämlich entscheidend, dass sie der Sache nach eine gespaltene - nämlich auf die fallabhängige Situation verlautbarten Widerspruchs, gestellter Beweisanträge oder sich aufdrängender Beweiserhebung beschränkte - materielle Unmittelbarkeit impliziert, für die sich ein normativer Bezug zu § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht einmal ansatzweise herstellen lässt, und dass sie darüber hinaus eine Begründung für diese Spaltung schuldig bleibt.

Vgl. Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 22; Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (431); für § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO und gerade in Bezug auf die Problematik eines "Widerspruchs" gegen die Berücksichtigung/Verwertung eines weniger unmittelbaren Beweismittels ferner Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (765 f.).

Allerdings gelangen die vom Senat vertretene Auffassung zur mangelnden Einschlägigkeit des Grundsatzes der Unmittelbarkeit einerseits und die zitierte(n) Ansicht(en) des BVerwG andererseits, nach welcher/welchen der Grundsatz der Unmittelbarkeit eine Berücksichtigung von Vernehmungsprotokollen im Wege des Urkundsbeweises (nur) dann hindert, wenn ein Beteiligter (Beweisgegner) dem (substantiiert) widerspricht bzw. die Vernehmung der zuvor vernommenen Person als Zeuge ausdrücklich beantragt oder wenn sich sonst dem Gericht die Vernehmung aufdrängen muss, hier letztlich zu gleichen Ergebnissen. Denn mit der hier vertretenen Auffassung ist noch nicht gesagt, dass eine Verwertung indirekter statt (verfügbarer) direkter Beweise stets und einschränkungslos zulässig wäre. Die insoweit vielmehr einschlägige Regelung des § 86 Abs. 1 VwGO kann, ggf. auch in Verbindung mit entsprechenden Beweisanträgen (§ 86 Abs. 2 VwGO), vielmehr durchaus dazu zwingen, den "direkteren" Beweis (evtl. zusätzlich zu einem entfernteren) zu erheben; zudem findet der regelmäßig geringere Zuverlässigkeitsgrad eines indirekten Beweismittels dabei als "informelle Beweisregel" Eingang in den Prozess der richterlichen Überzeugungsbildung.

Vgl. Rudisile, a. a. O., § 96 Rn. 23; Böhm, Die Verwertung mittelbarer Beweismittel im Verwaltungsgerichtsprozess, NVwZ 1996, 427 ff. (431); für § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO ferner Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (765 f.).

Nach der/den von dem Bundesverwaltungsgericht vertretenen Ansicht(en) gilt nichts anderes. Denn auch insoweit kann im Hinblick auf vorliegende Urkunden eine Zeugenvernehmung nicht nur dann unterbleiben, wenn sich eine Beweisaufnahme nicht aufdrängt, sondern auch bei einem "Widerspruch" des Beweisgegners bzw. einem von diesem gestellten Antrag auf Zeugenvernehmung, welcher schon mangels substantiierten Tatsachenvortrags nicht zu der gewünschten Beweisaufnahme veranlassen kann.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28.11.1991 - 3 C 37.89 -, a. a. O., insbesondere Rn. 16, 19.

Mit Blick darauf, dass der Kläger ausgehend von seinem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich verlautbarten Standpunkt, es sei nicht seine Aufgabe, einen Beweisantrag zu stellen, konsequenterweise einen solchen Antrag nicht gestellt und damit auch keinen substantiierten "Widerspruch" erhoben hat, kann sich vorliegend eine Pflicht des Senats, weiteren Beweis durch Vernehmung der den Kläger belastenden Kameraden als Zeugen zu erheben, nur aus der das Gericht treffenden Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) ergeben. Nach dieser Regelung erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen, ohne hierbei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Hierbei ist ihm bei der Auswahl seiner der Sachverhaltserforschung dienenden, nicht durch eine generelle Rangordnung abgestuften förmlichen und nicht förmlichen Beweismittel ein weites prozessuales Ermessen eingeräumt. Dessen Ausübung ist erst dann zu beanstanden, wenn das Gericht bestimmte, nach seiner materiellen Rechtsauffassung erhebliche Tatsachen nicht oder nicht hinreichend ermittelt, obwohl sich dies als eine in Betracht kommende Maßnahme (auch ohne das Hinwirken eines Beteiligten) aufdrängt, also bei objektiver Betrachtung und normalem Geschehensablauf Gesichtpunkte deutlich werden, die das Gericht zu Zweifeln veranlassen müssen.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28.11.1991 - 3 C 37/89 -, a. a. O., und Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, a. a. O., § 86 Rn. 21 bis 26, m. w. N.

In Anwendung dieser Grundsätze bestand zu einer weiteren Beweiserhebung durch Vernehmung der den Kläger belastenden Kameraden als Zeugen keine Veranlassung.

Hierbei mag dahinstehen, ob dies schon daraus folgt, dass der durch einen Rechtsanwalt vertretene Kläger eine solche Beweiserhebung nicht ausdrücklich beantragt hat.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22.2.1988 - 7 B 28.88 -, NVwZ 1988, 1019, und vom 13.9.1988 - 1 B 22.88 -, a. a. O.

Denn eine solche weitere Beweisaufnahme musste sich dem Senat jedenfalls auch unabhängig von dem soeben genannten Gesichtspunkt nicht aufdrängen.

Vgl. dazu, dass das Gericht, das sich auf die Verwertung von Urkunden beschränken will, nur durch substantiierte Einwendungen und Beweisanträge zu einer Erhebung des unmittelbaren Zeugenbeweises gezwungen werden kann und eine grundlose bzw. unsubstantiierte Einwendung dann vorliegt, wenn man sich nach Lage der Dinge nicht vorstellen kann, dass eine erneute Erhebung des Beweises durch das Gericht zu einem anderen Ergebnis führen würde, Rüsken, Beweis durch beigezogene Akten, BB 1994, 761 ff. (766); vgl. ferner BFH, Urteil vom 21.6.1988 - VII R 135/85 -, BFHE 153, 393 = juris, dort Rn. 13 bis 15, wonach es einer zeugenschaftlichen Vernehmung einer bereits durch ein Strafgericht als Angeklagte vernommenen Person durch das Finanzgericht zusätzlich zu oder anstelle einer Erhebung nur des entsprechenden Urkundsbeweises nicht bedarf, wenn der Gegner des (bloßen) Urkundsbeweises seine Einwendungen gegen die Verwendung strafgerichtlicher Feststellungen und entsprechende Beweisanträge nicht substantiiert und insbesondere keine "annehmbare Erklärung" für seine Erwartung gibt, die seinerzeit angeklagte Person werde ihre früheren Aussagen ändern, was im konkreten Fall umso mehr gelte, als Grundlage für die strafgerichtlichen Feststellungen neben den Aussagen dieser Person auch die Aussagen anderer Mitangeklagter gewesen seien; dazu, dass solche Anträge, mit denen (unter der bloßen Bezeichnung als Beweisantrag) lediglich solche tatsächlichen Behauptungen aufgestellt werden, denen keine konkreten Anhaltspunkte zugrunde liegen, die also "aus der Luft gegriffen" und lediglich auf Ausforschung eines nur vermuteten Sachverhalts gerichtet sind, keine (erheblichen) Beweisanträge im Rechtssinne sind, vgl. etwa Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, a. a. O., § 86 Rn. 65, m. w. N.

Dem Vorbringen des Klägers wie auch den sonstigen Umständen des Falles lässt sich nichts von Substanz entnehmen, was auch nur geringste Zweifel an der Glaubhaftigkeit der protokollierten Aussagen oder an der Glaubwürdigkeit der den Kläger belastenden Soldaten wecken könnte; vor diesem Hintergrund wäre eine weitere Beweisaufnahme, wie auch etwa das entsprechende pauschal gebliebene schriftsätzliche Vorbringen des Klägers zur Notwendigkeit einer Eruierung des Wahrheitsgehaltes der den Kläger belastenden Aussagen verdeutlicht, auf eine Suche nach Entlastungsmomenten hinausgelaufen, ohne dass eine Richtung für den denkbaren Erfolg tatsachengestützt vorgegeben gewesen wäre (wird im einzelnen ausgeführt).

Das nach alledem maßgebliche Abstellen des Senats bei seiner vorstehend insgesamt vorgenommenen Beweiswürdigung auf den Inhalt der Vernehmungsprotokolle und damit auf indirekte (mittelbare) Beweismittel ist keinen durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Zwar wird ein urkundsbeweislich verwertetes Vernehmungsprotokoll wegen der Zwischenschaltung der seinerzeit protokollführenden Person jedenfalls dem Grundsatz nach als weniger zuverlässig eingestuft als eine zeugenschaftliche Vernehmung der vernommenen Person durch das Gericht. Diesem Aspekt misst der Senat bei seiner Beweiswürdigung hier indes keine maßgebliche Bedeutung bei.

Der genannte grundsätzliche Einwand geringerer Zuverlässigkeit nur indirekter Beweismittel wird vorliegend zum einen schon durch die Erwägung durchgreifend abgeschwächt, dass keine Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die fraglichen Soldaten den Kläger in Wahrheit gar nicht belastet haben und der gegenteilige Text in den Vernehmungsprotokollen erst durch eine unrichtige Protokollierung zustande gekommen ist. Gegen eine unrichtige Protokollierung spricht zunächst schon, dass der Kläger nach den Inhalten der Protokolle nicht etwa nur durch eine, sondern durch fünf Personen im Kern übereinstimmend belastet worden ist, die zudem die Richtigkeit des Protokollierten jeweils durch ihre Unterschrift bestätigt haben. Ferner konnte der Senat insgesamt neun den Kläger übereinstimmend belastende Beweisurkunden verwerten, die außerdem nicht nur in zwei ihrer Art nach unterschiedlichen Verfahren (in den Disziplinarverfahren einerseits und in den Ermittlungsverfahren andererseits) angefertigt worden sind, sondern auch von insgesamt vier verschiedenen Protokollführern herrühren. Darüber hinaus haben die Soldaten O., P., U. und V. ihre den Kläger belastenden, im Disziplinarverfahren gemachten Aussagen jeweils bei der weiteren Vernehmung im polizeilichen Ermittlungsverfahren als inhaltlich zutreffend bestätigt, was die Gewähr für deren Richtigkeit noch erhöht. Schließlich spricht gegen eine fehlerhafte Protokollierung auch der Umstand, dass die jeweiligen Schilderungen weder komplex gewesen sind noch sonst besondere Anforderungen an Erfassung und sprachliche Darstellung durch die vernehmende Person gestellt haben und deshalb leicht zu protokollieren waren. Zum anderen kann insoweit auf die vorstehenden (hier nicht wiedergegebenen) Ausführungen des Senats verwiesen werden, nach welchen die Einwände des Klägers gegen die Richtigkeit des ihm gemachten Vorwurfs und auch die sonstigen Umstände des Falles nicht geeignet waren, auch nur geringste Zweifel an der Glaubhaftigkeit der protokollierten Aussagen oder an der Glaubwürdigkeit der den Kläger belastenden Soldaten zu wecken. Namentlich die protokollierten Ergebnisse der disziplinaren Ermittlungen als bloßen Parteivortrag einzuschätzen, der einfach und damit schon durchgreifend bestritten wird/werden kann, wie dies der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten hat, erscheint dem Senat nach alledem völlig fernliegend.

In dem nach alledem feststehenden gelegentlichen Drogenkonsum des Klägers auf der Stube S liegt ein Verstoß gegen die Dienstpflichten, den der Kläger schuldhaft, und zwar offensichtlich vorsätzlich begangen hat. Ein Verbleiben des Klägers in seinem Dienstverhältnis würde auch die militärische Ordnung sowie daneben - selbständig hinzutretend - auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden, und die Beklagte hat das ihr in § 55 Abs. 5 SG eingeräumte Ermessen, wie jedenfalls schon die das Vorliegen eines atypischen Falles zu Recht verneinende Begründung des Beschwerdebescheides verdeutlicht, fehlerfrei ausgeübt (wird jeweils ausgeführt).



Ende der Entscheidung

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