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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 1 A 4240/03
Rechtsgebiete: BVL, Gemeinsame Richtlinien für die Beurteilung der Beamten


Vorschriften:

BVL § 40
BVL § 41
BVL § 41a
Gemeinsame Richtlinien für die Beurteilung der Beamten des Bundesamtes für Finanzen, des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen und des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel (BROB)
1. Beamte, die derselben oder einer niedrigeren Besoldungsgruppe angehören als der beurteilte Beamte, sind nicht grundsätzlich von der Mitwirkung am Beurteilungsverfahren ausgeschlossen. Ob die Mitwirkung eines solchen Beamten rechtswidrig ist, ist aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, vor allem nach der jeweiligen Mitwirkungshandlung, zu beurteilen.

2. Für die Würdigung der Zeugenaussage des Beurteilers oder einer anderen am Beurteilungsverfahren beteiligten Person gelten die allgemeinen Grundsätze. Insbesondere sind weder die Glaubwürdigkeit dieser Personen noch die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben per se eingeschränkt.


Tatbestand:

Der Kläger begehrte die Aufhebung einer dienstlichen Beurteilung. Er hatte u.a. gerügt, dass ein ihm ranggleicher Beamter, der als Gruppenleiter sein direkter Vorgesetzter war, an der Gremiumsbesprechung zur Vorbereitung der Beurteilungsrunde teilgenommen hatte.

Gründe:

Die Teilnahme des Beamten X. an der der Erstellung der Beurteilung vorausgegangenen Gremiumsbesprechung stellt keinen Rechtsverstoß dar. Allerdings ist es die selbstverständliche Pflicht des Dienstherrn, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.3.1987 - 2 C 36.86 -, ZBR 1988, 63, sowie Beschluss vom 24.6.1996 - 2 B 97.95 -, ZfPR 1997, 122.

Dies ergibt sich sowohl aus dem Gebot der Chancengleichheit als auch aus dem Gebot eines "fairen Verwaltungsverfahrens". Ein Verstoß gegen diese Grundsätze liegt jedenfalls dann vor, wenn die Beurteilung von einem Beamten erstellt wird, der - in Bezug auf den beurteilten Beamten - der gleichen oder einer niedrigeren Besoldungsgruppe angehört (im Folgenden: ranggleicher Beamter).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.5.1995 - 1 A 2881/91 -, RiA 1997, 45; Bay.VGH, Urteil vom 23.5.1990 - 3 B 89.03631 -, ZBR 1991, 275; Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand: Februar 2005, Teil B, Rn. 465.

Jedoch hat nicht der Beamte X., sondern der nach den Beurteilungsrichtlinien zuständige Beurteiler die Beurteilung des Klägers erstellt. Dieser hat den Beamten X. in der Gremiumsbesprechung lediglich zu den Letzterem in dessen Funktion als Gruppenleiter unmittelbar unterstellten Beamten - dazu gehörte auch der Kläger - befragt, ihn also der Sache nach lediglich um beurteilungsrelevante Informationen gebeten. Dies entnimmt der Senat der Aussage des Beurteilers in der mündlichen Verhandlung vor dem VG. Entgegen der Ansicht des Klägers gelten für die Würdigung dieser Zeugenaussage - ebenso wie für die Würdigung der Aussagen anderer am Beurteilungsverfahren beteiligter Personen - keine Besonderheiten. Insbesondere ist die Glaubwürdigkeit dieser Personen bzw. die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht von vornherein und aus sich heraus eingeschränkt.

Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 23.9.2004 - 2 A 8.03 -, Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 43, vom 7.11.1962 - 6 C 144.61 -, Buchholz 232 § 32 BBG Nr. 6, Beschluss vom 5.11.1985 - 1 WB 20.85 -, NZWehrr 1986, 130 (Leitsätze) und juris; OVG Saarl., Beschluss vom 9.9.2004 - 1 Q 53/04 -, juris, die ebenfalls keine besonderen Anforderungen an die Würdigung der Aussagen von am Beurteilungsverfahren beteiligten Zeugen stellen.

Eine dahingehende Beweisregel lässt sich dem Prozessrecht nicht entnehmen. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes ist unabhängig davon, ob dies im Wege einer richterlichen Rechtsfortbildung oder nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung zulässig wäre, schon aus sachlichen Gründen nicht angezeigt. Dass Zeugen u.U. mit einer Aussage eigene Interessen - im vorliegenden Fall nach Ansicht des Klägers: nachträgliches "Schlüssigmachen" der vom Zeugen erstellten Beurteilung - verfolgen, ist ein allgemeines Problem, das sich nicht auf Erklärungen der an einem Beurteilungsverfahren beteiligten Personen beschränkt. Ein Richter muss sich bei der Verwertung einer jeden Zeugenaussage fragen, ob die Aussage des Zeugen von solchen Interessen beeinflusst sein könnte und wie dies ggf. zu würdigen ist. Im vorliegenden Fall hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Beurteiler in der Gremiumsbesprechung den Beamten X. tatsächlich nur zu den Letzterem unterstellten Beamten befragt hat und der Beamten X. keinen weiteren Einfluss auf den Inhalt der Beurteilung gewonnen hat. Die diesbezügliche Erklärung des Beurteilers ist in sich widerspruchsfrei und auch sonst glaubhaft. Anhaltspunkte dafür, dass der Beamte X. einen darüber hinaus gehenden Einfluss auf die Erstellung der Beurteilung mit ihm ranggleichen Beamten gehabt hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Hat der Beamte X. mithin lediglich mündlich vorgetragene Informationen zu der Beurteilung des Klägers beigesteuert, so verstößt dies weder gegen höherrangiges Recht noch gegen die Beurteilungsrichtlinien.

Dem Beurteiler ist es grundsätzlich nicht verwehrt, einen Vorgesetzten, der mit dem beurteilten Beamten ranggleich ist, zu beurteilungsrelevanten Gesichtspunkten zu befragen und diese Informationen - seien sie ihm mündlich oder schriftlich vorgetragen - für die Beurteilung zu verwerten. Allerdings vertritt der Bay.VGH die Auffassung, dass eine dienstliche Beurteilung bereits dann rechtswidrig ist, wenn ein ranggleicher Beamter einen den Beurteiler nicht bindenden schriftlichen Beurteilungsbeitrag zu dieser Beurteilung abgegeben hat.

Vgl. Urteil vom 23.5.1990 - 3 B 89.03631 -, a.a.O.

Dem folgt der Senat nicht. Allerdings verstößt es - wie schon gesagt - auch nach Auffassung des Senats gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, wenn die dienstliche Beurteilung selbst von einem ranggleichen Beamten erstellt wird, der aufgrund seiner Ranggleichheit mit dem beurteilten Beamten um Beförderungsämter konkurriert. Dies ergibt sich daraus, dass der ranggleiche Beurteiler es jedenfalls in Fällen, in denen wie im vorliegenden nach den einschlägigen Beurteilungsrichtlinien eine Überprüfung der Beurteilung durch einen Zweitbeurteiler oder eine Überbeurteilung nicht vorgesehen ist, in der Hand hätte, potenzielle Mitbewerber um ein Beförderungsamt durch Erteilung einer schlechten Beurteilung "auszuschalten".

Diese Gefahr besteht so nicht, wenn ein ranggleicher Beamter mündlich zu beurteiIungsrelevanten Gesichtspunkten vorträgt oder er einen den Beurteiler nicht bindenden schriftlichen Beurteilungsbeitrag erstellt. Vielmehr verbleibt in diesem Fall die endgültige Erstellung der Beurteilung und damit sowohl die Entscheidung über die Bewertung der Einzelmerkmale als auch die Entscheidung über die Gesamtnote verantwortlich in den Händen einer anderen Person. Das Ausmaß der (möglichen) Einflussnahme des ranggleichen Beamten auf die Beurteilung des Konkurrenten ist somit ungleich geringer, als wenn der ranggleiche Beamte die Beurteilung selbst erstellt. Da ein solches Konkurrenzverhältnis auf der Hand liegt, ist es dem Beurteiler in der Regel auch bewusst, sodass er es in seine Würdigung der erhaltenen Informationen mit einbeziehen kann. Aufgrund dieser "Filterung" des Beurteilungsbeitrags durch den Beurteiler verstößt nicht jede Beteiligung eines ranggleichen Beamten am Beurteilungsverfahren gegen die Grundsätze der Chancengleichheit und des fairen Verfahrens.

So im Ergebnis auch BVerwG, Beschluss vom 24.6.1996 - 2 B 97.95 -, ZfPR 1997, 122. Es ist vielmehr im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Beteiligung eines ranggleichen Beamten gegen diese oder andere Rechtsgrundsätze verstößt.

Befragt der Beurteiler einen Vorgesetzten des beurteilten Beamten, der mit diesem bezogen auf das Statusamt ranggleich ist, zu beurteilungsrelevanten Gesichtspunkten, so ist dies nicht von vornherein rechtlich zu beanstanden. Denn der Beurteiler bezieht damit den Befragten nicht im formellen Sinne in das Beurteilungsverfahren ein. Er schöpft vielmehr lediglich eine - sich je nach Nähe der Zusammenarbeit des betroffenen Vorgesetzten mit dem zu Beurteilenden ggf. sogar aufdrängende - Informationsquelle aus, um sich auf dieser Grundlage sodann ein eigenes Werturteil bilden zu können. Auf das Beurteilungsergebnis wirkt sich dies nicht unmittelbar aus.

Die Situation ähnelt in gewisser Weise derjenigen bei Befragung eines gegenüber dem beurteilten Beamten voreingenommenen Vorgesetzten. Die Voreingenommenheit eines Vorgesetzten, der vorbereitend an der Erstellung einer Beurteilung mitgewirkt hat, zieht jedoch (ebenfalls) nicht automatisch die Rechtswidrigkeit dieser Beurteilung nach sich. Vielmehr ist die Beurteilung in einem solchen Fall nur dann rechtswidrig, wenn der Beurteiler die von dem voreingenommenen Vorgesetzten erlangten Informationen seiner Beurteilung ungeprüft zugrunde legt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.8.1992 - 1 WB 106.91 -, ZBR 1993, 89 m.w.N., sowie Beschluss vom 18.7.1979 - 1 WB 105.78 -, ZBR 1980, 290; Schnellenbach, a.a.O., Rn. 469.

Ist dagegen der Beurteiler selbst voreingenommen, so schlägt dies unmittelbar auf die Beurteilung durch.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.9.2004 - 2 A 8.03 -, a.a.O.; Schnellenbach, a.a.O., Rn. 466.

Diese Differenzierung zeigt, dass die "Filterfunktion" des Beurteilers - wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung - in Rechtsprechung und Literatur bereits anerkannt ist. Diese "Filterfunktion" rechtfertigt es, dass mündlich vorgetragene Informationen eines ranggleichen Beamten die Rechtswidrigkeit der Beurteilung nur dann begründen, wenn diese Informationen für den beurteilten Beamten nachteilige Äußerungen enthalten und der Beurteiler diese ungeprüft übernimmt. Anhaltspunkte dafür, dass Letzteres hier der Fall ist, sind weder vom Kläger vorgetragen noch ersichtlich. Außerdem hatte der Kläger in den Gesprächen, die vor Erstellung der streitgegenständlichen Beurteilung stattfanden, ausreichend Gelegenheit, seinen Standpunkt darzulegen. Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Beurteiler die Angaben des Beamten X. ungeprüft und unbewertet in die Beurteilung übernommen hat.

Die Beurteilungsrichtlinien schließen es ebenfalls nicht aus, dass der Beurteiler den Beamten X. in der Gremiumsbesprechung zu beurteilungsrelevanten Gesichtspunkten befragte (wird ausgeführt).

Soweit der Kläger vorgetragen hat, der Berichterstatter habe dem Beurteiler einen vom Beamten X. gefertigten Beurteilungsentwurf vorgelegt, kann dahingestellt bleiben, ob dies zutrifft. Die Beurteilung ist nämlich auch dann nicht rechtswidrig, wenn man die diesbezüglichen Angaben des Klägers zu seinen Gunsten als wahr unterstellt. Ein solcher unverbindlicher Entwurf unterscheidet sich nicht wesentlich von einer mündlichen oder schriftlichen Information über beurteilungsrelevante Gesichtspunkte. Die Tatsache, dass der Beamte X. einen solchen Entwurf erstellt hat, verstößt aus den bereits dargelegten Gründen weder gegen höherrangiges Recht noch gegen die Beurteilungsrichtlinien.

Ende der Entscheidung

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