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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.10.2006
Aktenzeichen: 1 A 4733/04.PVL
Rechtsgebiete: LPVG NRW, Normalvertrag Bühne


Vorschriften:

LPVG NRW § 72 Abs. 1 Satz 1
LPVG NRW § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3
Normalvertrag Bühne § 1
Der Ausschluss der Mitbestimmung in Personalangelegenheiten nach § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW kann sich auch auf einen Orchestergeschäftsführer beziehen.
Tatbestand:

Mit einem befristeten Dienstvertrag wurde Herr C. als Orchestergeschäftsführer eingestellt. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages übt Herr C. eine überwiegend künstlerische Tätigkeit aus. Darüber hinaus enthält § 4 Abs. 2 des Vertrages eine inhaltliche Beschreibung der vertragsgegenständlichen Tätigkeit. In § 6 Abs. 2 des Vertrages heißt es: "Im übrigen richtet sich das Vertragsverhältnis nach dem Normalvertrag und den sonstigen zwischen dem Deutschen Bühnenverein - Bundesverband deutscher Theater - und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger abgeschlossenen Tarifverträgen." Trotz eines entsprechenden Verlangens des Antragstellers lehnte der Beteiligte die Einleitung eines Mitbestimmungsverfahrens in Hinblick auf die Einstellung des Beschäftigten ab. Das daraufhin vom Antragsteller eingeleitete Beschlussverfahren blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Die Einstellung eines Orchestergeschäftsführers unter den vertraglichen Bedingungen, auf denen das Beschäftigungsverhältnis des aus der Dienststelle ausgeschiedenen Beschäftigten C. beruhte, unterliegt nicht der Mitbestimmung des Antragstellers.

Dass bei der Aufnahme der Tätigkeit eines Orchestergeschäftsführers die sich aus § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 1. Mitbestimmungstatbestand - LPVG NRW ergebenden Tatbestandsmerkmale für das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts bei einer Einstellung vorliegen, liegt auf der Hand und ist auch zwischen den Beteiligten nicht streitig. Allerdings besteht dieses Mitbestimmungsrecht nicht uneingeschränkt. Es ist vielmehr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW vollständig ausgeschlossen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 LPVG NRW von einem Antrag des jeweiligen Beschäftigten abhängig.

Vorliegend ist das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers bereits durch § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW vollständig ausgeschlossen, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein entsprechender Antrag des Beschäftigten vorliegt.

Nach § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW gilt § 72 Abs. 1 Satz 1 LPVG NRW nicht für Beschäftigte an Theatern, die nach dem Bühnennormalvertrag beschäftigt werden. Diese Voraussetzungen sind in der Person eines Orchestergeschäftsführers, der unter denselben vertraglichen Bedingungen eingestellt wird, auf denen das Beschäftigungsverhältnis des aus der Dienststelle ausgeschiedenen Beschäftigten C. beruhte, erfüllt.

Der Bühnennormalvertrag im Sinne der vorbezeichneten Bestimmung ist eine Sammelbezeichnung für diejenigen tarifvertraglichen Regelwerke, die die Arbeitsverhältnisse der Bühnenkünstler in verschiedenen Sparten normativ gestalten. Es waren dies bis 31.12.2002 der Normalvertrag Solo - NVSolo - vom 1.5.1924, zuletzt geändert durch Tarifvertrag vom 12.7.1993, sowie der Normalvertrag Chor/Tanz - NVChor/Tanz - vom 2.11.2000, geändert durch Tarifvertrag vom 17.4.2001. Die Verweisung auf das Bühnentarifrecht in § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW ist dynamisch. Angesichts der gegenwartsbezogenen Formulierung der Vorschrift ("... beschäftigt werden") sind die maßgeblichen Bestimmungen des Bühnentarifrechts in der jeweiligen aktuellen Fassung zugrunde zu legen, die in demjenigen Zeitpunkt gelten, in welchem die etwaige personalvertretungsrechtliche Beteiligung ansteht. Aufgrund dieser dynamischen Verweisung hat als Bühnennormalvertrag im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW nunmehr der Normalvertrag Bühne - NVBühne - vom 15.10.2002 zu gelten, der ab 1.1.2003 den Normalvertrag Solo und den Normalvertrag Chor/Tanz abgelöst hat (vgl. § 1 Buchst. a und s des Begleittarifvertrages zum NVBühne).

Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom 7.10.2003 - 6 P 4.03 -, Buchholz 251.7 § 72 NWPersVG Nr. 31 = PersR 2004, 30 = ZTR 2004, 104.

Der Orchestergeschäftsführer in der Einrichtung "Bühnen und Orchester" wird nach dem Normalvertrag Bühne beschäftigt. Als solcher ist er Solomitglied nach § 1 Abs. 1 und 2 NVBühne.

Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass sich nach § 6 Abs. 2 des Dienstvertrags das Vertragsverhältnis über die getroffenen Einzelabreden hinaus nach dem Normalvertrag und den sonstigen zwischen dem Deutschen Bühnenverein - Bundesverband deutscher Theater - und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger abgeschlossenen Tarifverträgen richtet. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Orchestergeschäftsführer nach seiner arbeitsvertraglich festgelegten beruflichen Funktion unter den persönlichen Geltungsbereich des Normalvertrags Bühne fällt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer spezifischen Erfahrung am ehesten in der Lage sind, den Kreis derjenigen Personen zu definieren, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund ihrer besonderen Nähe zum künstlerischen Geschehen am Theater besonderer Regelungen bedürfen, die sich von sonst im öffentlichen Dienst geltenden wesentlich unterscheiden. Für die Bestimmung des von § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW erfassten Personenkreises sind daher diejenigen Tarifnormen maßgeblich, die den persönlichen Geltungsbereich des Normalvertrags Bühne beschreiben. Einschlägig sind hier § 1 Abs. 1 und 2 NVBühne.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.10.2003 - 6 P 4.03 -, a.a.O.

Dass § 1 Abs. 2 NVBühne mit seiner Definition des Solomitgliedes namentlich mit Blick auf die umfassende Aufzählung beruflicher Funktionen über die Definition des Bühnenmitglieds in § 1 Abs. 2 NVSolo hinausgeht, wirft in Bezug auf die Anwendung im Rahmen von § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW keine Bedenken auf. Mit seiner Verweisung auf das jeweils aktuelle Bühnentarifrecht hat der Gesetzgeber zugelassen, dass die Tarifvertragsparteien den Entwicklungen des modernen Theaterbetriebes folgend den Kreis der Bühnenmitglieder ausweiten würden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.10.2003 - 6 P 4.03 -, a.a.O.

Mit dieser zukunftsoffenen Vorstellung des Gesetzgebers steht im Einklang, dass § 1 Abs. 2 NVBühne als Solomitglieder nunmehr ausdrücklich auch Orchestergeschäftsführer aufführt.

Denn die Tätigkeit eines Orchestergeschäftsführers ist gekennzeichnet durch ihre besondere Anbindung an die - genuin künstlerische - Tätigkeit des Generalmusikdirektors. Der Orchestergeschäftsführer steht bei seiner Tätigkeit in einem besonderen Näheverhältnis zum Generalmusikdirektor und arbeitet eng mit diesem zusammen. Sein Tätigkeitsbereich ist geprägt durch die Unterstützung des Generalmusikdirektors bei dessen vielfältigen, unzweifelhaft dem künstlerischen Bereich zuzuordnenden Aufgaben.

Dies findet seine Bestätigung in den detailliert aufgeführten Aufgabenstellungen nach dem Dienstverteilungsplan der Einrichtung "Bühnen und Orchester", die nach übereinstimmenden Bekundungen des Antragstellers und des Beteiligten typisch für das Berufsbild eines Orchestergeschäftsführers sind. Dort ist das Tätigkeitsfeld des Orchestergeschäftsführers allgemein dahingehend beschrieben, dass diesem grundsätzlich die Aufgaben obliegen, die ein spezielles fachliches Verständnis als Orchestermusiker voraussetzen. Aus der sich daran anschließenden beispielhaften Aufzählung der Angelegenheiten, die unter diese allgemeine Aufgabenbeschreibung zu fassen sind, ist insbesondere hervorzuheben, dass es dem Orchestergeschäftsführer obliegt, die Orchesterbesetzung für Konzerte, Opern, Operetten usw. in Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor bzw. dem Kapellmeister zu regeln, dass er für die Spielfähigkeit des Orchesters in der vorgeschriebenen Besetzung verantwortlich ist und dass er bei der Programmgestaltung des Orchesters und dessen Präsentation im Außenauftritt nach den künstlerischen Vorstellungen des Generalmusikdirektors mitarbeitet. Im Weiteren obliegt dem Orchestergeschäftsführer die Vorbereitung und Durchführung von Marketingmaßnahmen und Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit in Abstimmung mit dem Generalmusikdirektor, die Teilnahme an Regiesitzungen, Spielplan- und Dispositionsgesprächen mit dem Generalmusikdirektor, Intendanten, künstlerischen Betriebsbüro und Orchestervorstand sowie die Beratung des Generalmusikdirektors und Verwaltungsleiters bei den ihnen obliegenden Orchesterverwaltungsarbeiten. Zu erwähnen ist schließlich auch noch, dass der Orchestergeschäftsführer die Stellenausschreibungen vorbereitet, an der Bewerberauswahl teilnimmt und die Aushilfsmusiker verpflichtet. All diese Aufgaben belegen - auch unter Berücksichtigung der ebenfalls wahrzunehmenden Aufgaben im administrativen und organisatorischen Bereich -, dass das Tätigkeitsfeld des Orchestergeschäftsführers zwar auf der Schnittstelle zwischen dem künstlerischen Bereich und dem Bereich der Bühnenverwaltung liegt, seinem Schwerpunkt nach aber durch die besondere Anbindung an den künstlerischen Bereich und insbesondere die Aufgaben des Generalmusikdirektors künstlerisch geprägt ist. Damit unterscheidet sich die Tätigkeit einer Orchestergeschäftsführer auch ganz wesentlich von der Tätigkeit eines Geschäftsführers in einem wirtschaftlichen Unternehmen.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist es deshalb - ähnlich wie bei einem Referenten für Öffentlichkeitsarbeit - vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 7.10.2003 - 6 P 4.03 -, a.a.O. - oder einem Referenten des Intendanten - vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 9.6.2004 - 1 A 2774/02.PVL -, PersR 2005, 81 = PersV 2004, 420 = ZTR 2005, 110 - gerechtfertigt, dass die Tarifvertragsparteien die Orchestergeschäftsführer nunmehr grundsätzlich demselben Regelwerk unterwerfen wie die Einzeldarsteller und alle sonstigen Personen, die traditionell zu den Bühnenmitgliedern zählen. Die Einbeziehung dieses Personenkreises in den Ausschlusstatbestand des § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW ist die Beachtung der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Grenzen von der dynamischen Verweisung auf den Bühnennormalvertrag gedeckt. Die Orchestergeschäftsführer sind in ähnlicher Weise kunst- und bühnenbezogen tätig wie diejenigen Personen, die in der Aufzählung des § 1 Abs. 2 NVSolo enthalten waren und die der Gesetzgeber bei der Schaffung des Ausschlusstatbestandes im Blick hatte. Der Gesetzgeber kann die Position eines Orchestergeschäftsführers als Vertrauensstellung ansehen, deren Besetzung er der Theaterleitung allein überlassen will. Dass diese tarifliche Weiterentwicklung Leitvorstellungen des nordrhein-westfälischen Landesgesetzgebers im Bereich des Personalvertretungsrechts zuwiderläuft, kann nicht festgestellt werden.

Da für das Vorliegen einer Beschäftigung auf der Grundlage eines Bühnennormalvertrags i.S.v. § 72 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 3 LPVG NRW maßgeblich darauf abzustellen ist, ob der betreffende Beschäftigte nach seiner arbeitsvertraglich festgelegten Funktion unter den persönlichen Geltungsbereich des Normalvertrags Bühne fällt - vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.10.2003 - 6 P 4.03 -, a.a.O. -, kommt es nicht auf die vom Antragsteller für erforderlich erachtete Aufklärung an, wie die konkrete Tätigkeit des Orchestergeschäftsführers C. ausgestaltet gewesen ist. Dieser Umstand könnte allenfalls dann erheblich sein, wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass - um die Mitbestimmungsrechte des Personalrats auszuschließen - nur formal im Arbeitsvertrag eine Funktion festgelegt worden ist, die aber tatsächlich nicht ausgeübt werden soll. Davon kann vorliegend aber nicht die Rede. Vielmehr ist im Gegenteil festzustellen, dass der Orchestergeschäftsführer C. in vielfältiger Weise im künstlerischen Bereich tätig gewesen ist, indem er etwa den Generalmusikdirektor bei der Programmgestaltung beraten, selbständig Konzerte und andere musikalische Produktionen erarbeitet und organisiert sowie die Arbeit der Einrichtung in der Öffentlichkeit dargestellt hat. Dem entsprechen auch sowohl die Angaben zum Schwerpunkt der Arbeit des Orchestergeschäftsführers in § 4 Abs. 2 des Dienstvertrags als auch die Beschreibung der Tätigkeiten des Orchestergeschäftsführers in der Stellenausschreibung.

Ende der Entscheidung

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