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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 25.08.2005
Aktenzeichen: 1 A 4779/03.PVL
Rechtsgebiete: LPVG, StGB


Vorschriften:

LPVG § 66 Abs. 8 Satz 1
StGB § 331
Zur Befugnis des Dienststellenleiters, einen Mitarbeiter, der wegen einer im Zusammenhang mit seiner Amtstätigkeit begangenen Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, im Wege der vorläufigen Regelung gemäß § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW umzusetzen.
Tatbestand:

Der Angestellte I. war seit 1990 im X-Amt des Beteiligten tätig. Der Beteiligte erfuhr im April 2002 durch Schilderungen Dritter von Verhaltensweisen des I., die den Verdacht einer Straftat im Amt rechtfertigten. Gegen I. wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Beteiligte verzichtete zunächst auf weitere arbeitsrechtliche Schritte, weil er den Ausgang des Strafverfahrens abwarten wollte. Im Juli 2003 wurde gegen I., der die Taten stets bestritten hatte, ein Strafbefehl erlassen, in dem ihm zwei selbstständige Vorteilsannahmen im Amt zur Last gelegt wurden (Vergehen nach §§ 331, 53 StGB). Der Strafbefehl wurde nach Rücknahme des Einspruchs gegen ihn rechtskräftig.

Im August 2003 erfuhr der Beteiligte vom Abschluss des Strafverfahrens. Im September 2003 bat er den Antragsteller um Zustimmung gemäß § 72a Abs. 1 LPVG NRW zu einer ordentlichen Kündigung des I. und erklärte, es sei ihm nicht möglich, I. bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in seiner aktuellen Funktion zu belassen. Er werde ihn deshalb mit sofortiger Wirkung im Betriebshof einsetzen, da dort keinerlei Außenkontakte vorlägen. Ab dem Folgetag wurde I. entsprechend eingesetzt. Ihm wurde die ordentliche Kündigung angekündigt und mitgeteilt, dass das Zustimmungsverfahren beim Antragsteller eingeleitet worden sei.

Der Antragsteller verweigerte seine Zustimmung sowohl zur Kündigung als auch zur Umsetzung. Für eine vorläufige Regelung nach § 66 Abs. 8 LPVG NRW sei kein Grund ersichtlich. Wenn die Taten des I. als so schwerwiegend eingeschätzt würden, hätte man nicht über ein Jahr mit der Kündigung warten dürfen.

Während des erstinstanzlichen Verfahrens beschloss die Einigungsstelle bei der Stadtverwaltung, den Anträgen des Beteiligten teilweise zu entsprechen. Sie erteilte die Zustimmung für eine Abmahnung sowie für eine mit einer Rückgruppierung verbundene ordentliche Änderungskündigung zur Umsetzung des I. auf einen Arbeitsplatz außerhalb des X-Amtes des Beteiligten. Eine Zustimmung zu der bereits erfolgten Umsetzung zum Betriebshof wurde "im Hinblick auf das anstehende Verwaltungsgerichtsverfahren nicht getroffen". Der Antrag des Antragstellers, festzustellen, dass die im Wege der Eilmaßnahme gemäß § 66 Abs. 8 LPVG NRW verfügte Umsetzung des Beschäftigten I. sein Mitbestimmungsrecht nach § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 LPVG NRW verletzt habe, blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Voraussetzungen für eine vorläufige Regelung i.S.d. § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW liegen vor. Diese Voraussetzungen hat die Fachkammer zutreffend dargelegt. In derartigen Fällen duldet die Umsetzung des betreffenden Mitarbeiters grundsätzlich "der Natur der Sache nach keinen Aufschub." Der Fachsenat teilt insofern die unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung entwickelte Einschätzung der Fachkammer, dass bei rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung wegen einer im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit begangenen Straftat insoweit ein klarer Fall vorliegt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Verurteilung auf einem Strafbefehl beruht, denn Strafbefehl und (Straf-)Urteil stehen sich bezogen auf ihre Rechtskraftwirkung gleich.

Vgl. Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 48. Auflage 2005, § 410 Rn. 11 f., und Einleitung Rn. 181.

Das alles bestreitet (im Grundsatz) auch der Antragsteller nicht. Er will aber einen Ausnahmefall dann annehmen, wenn der Dienststellenleiter zunächst keine Maßnahme ergriffen hat. Dem ist nicht beizupflichten: An der generellen Bewertung der Unaufschiebbarkeit einer Maßnahme i.S.d. § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW ändert sich nichts, wenn dem Beteiligten der Verdacht einer einschlägigen Straftat gegen einen Beschäftigten bereits vor der Verurteilung - und sei es auch längere Zeit - bekannt war und er dennoch zunächst untätig geblieben ist, um den Ausgang eines strafgerichtlichen Verfahrens abzuwarten. Für die Einschätzung, ob eine Maßnahme ohne Aufschub geboten ist, sind nämlich allein die objektiven Gegebenheiten entscheidend. Es ist unerheblich, ob der Beteiligte die Dringlichkeit selbst geschaffen hat, indem er das Mitbestimmungsverfahren nicht früher eingeleitet hat. Eine vorläufige Regelung ist daher grundsätzlich auch dann zulässig, wenn diese nur deshalb erforderlich geworden ist, weil der Leiter der Dienststelle aus Gründen, die er zu vertreten hat, das Mitbestimmungsverfahren verspätet einleitet. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass die Vorschrift des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW ausschließlich dem Schutz öffentlicher Belange dient.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27.10.1999 - 1 A 3216/97.PVL -, PersR 2000, 168, sowie vom 28.1.2003 - 1 B 1681/02.PVL -, PersR 2004, 64; Cecior/Vallendar/Lechtermann/Klein, Personalvertre-tungsrecht NRW, Stand: April 2005, § 66 Rn. 436 f, m.w.N.

Auch stellt sich die Rechtslage nicht so dar, dass schon frühzeitig - und gewissermaßen "auf Vorrat" - ein personalvertretungsrechtliches Mitbestimmungsverfahren eingeleitet werden muss. Mit der Regelung des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW wollte der Gesetzgeber dem Dienststellenleiter gerade in Fällen, die plötzlich eine vorher nicht konkret absehbare Wendung nehmen, die Möglichkeit geben, angemessen auf die neue Situation zu reagieren, wenn sich die Zustimmung des Personalrats nicht schnell genug herbeiführen lässt.

Das Zuwarten des Dienststellenleiters kann für sich genommen auch nicht als durchgreifendes Indiz gegen die Dringlichkeit der später ergriffenen Maßnahme gewertet werden. Bei der Einleitung und dem weiteren Fortschreiten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ist es eine Frage der wertenden Betrachtung der Umstände des Einzelfalls, welche Konsequenzen der Dienststellenleiter jeweils zu ziehen hat. Es kann jedenfalls nicht angenommen werden, dass in sämtlichen denkbaren Fällen schon vor Eintritt der Rechtskraft einer strafgerichtlichen Entscheidung, Maßnahmen, z.B. in Form einer Umsetzung, zu ergreifen sind. Außerdem besagt das Zuwarten nur etwas über die subjektive Einschätzung der Situation durch den Dienststellenleiter, nicht aber über die objektiv zu beurteilende Unaufschiebbarkeit einer Maßnahme. Jedenfalls tritt mit einer rechtskräftigen Verurteilung eine entscheidende Zäsur ein, die dem bisherigen Sachverhalt eine neue Wendung gibt. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung kann der Dienststellenleiter nämlich nicht mehr ohne weiteres von der Unschuldsvermutung ausgehen, sondern wird er in der Regel seinen weiteren Entscheidungen zugrunde legen, dass der betreffende Bedienstete die ihm vorgeworfene(n) Tat(en) tatsächlich begangen hat.

Vor allem aber ist die Zielrichtung einer vorläufigen Umsetzung in die bei Regelungen nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW vorzunehmende Abwägung einzustellen. Bei einer solchen Maßnahme geht es nicht nur um die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten im Amt, sondern auch um den Schutz des Ansehens der Dienststelle und ihres Leiters, also um ihre Außendarstellung. Insbesondere aufgrund dieses Aspekts ist grundsätzlich sofort nach Kenntnisnahme von der Rechtskraft einer strafgerichtlichen Entscheidung zu handeln. Denn der Dienststellenleiter kann keinen Einfluss darauf nehmen, wann die im Amt begangene Straftat und die Tatsache, dass eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist, in der Öffentlichkeit bekannt wird.

Den vorstehenden Ausführungen kann auch nicht entgegen gehalten werden, in den meisten derartigen Fällen verbleibe jedenfalls noch genügend Zeit, um vor Vollzug der (als vorläufige Regelung) beabsichtigten Umsetzung ein Mitbestimmungsverfahren durchzuführen. Dieses Argument des Antragstellers verkennt, dass vorläufige Regelungen i.S.d. § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW nicht der Mitbestimmung unterliegen. Dies gilt unabhängig davon, ob die als vorläufige Regelung getroffene Maßnahme als solche, d.h. wenn sie nicht als vorläufige Regelung ergriffen worden wäre, mitbestimmungspflichtig wäre und ob die vorläufige Regelung ihrerseits - gemessen an den Voraussetzungen des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW - rechtmäßig ergangen ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der Dienststellenleiter - wie in den vom Antrag erfassten Fällen - eine vorläufige Regelung getroffen hat. Dementsprechend ist bezüglich einer vorläufigen Regelung auch kein Mitbestimmungsverfahren durchzuführen, sondern nur bezüglich der eigentlich beabsichtigten ("Dauer"-)Maßnahme.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.2.2004 - 1 A 2672/02.PVL -, juris, mit ausführlicher Begründung und weiteren Nachweisen; Cecior u.a., a.a.O., § 66 Rn. 421, 447.

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