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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.11.2002
Aktenzeichen: 1 B 1554/02
Rechtsgebiete: GG, VwGO, ZPO, AGVwGO NRW


Vorschriften:

GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 78 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 3
ZPO § 920 Abs. 2
AGVwGO NRW § 5 Abs. 2
Zum Fehlen eines Anordnungsgrundes, wenn ein freigestelltes Personalratsmitglied im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) die Freihaltung des Beförderungsdienstpostens bis zu dem Zeitpunkt erstrebt, in welchem der Dienstherr eine erneute (rechtsfehlerfreie) Auswahlentscheidung in dem Konkurrentenverfahren getroffen hat, ohne dass der Dienstposten selbst wahrgenommen, vielmehr weiterhin die Freistellung in Anspruch genommen werden soll.

Zur Frage der Heranziehung von mehr als drei Jahre zurückliegenden Regelbeurteilungen bei der Auswahlentscheidung in einem Konkurrentenverfahren (Erläuterungen zur Entscheidung des Senats vom 19.9.2001 - 1 B 704/01 -, DÖD 2001, 315 = NVwZ-RR 2002, 594).


Tatbestand:

Der Antragsteller, Verwaltungsamtsrat (Besoldungsgruppe A 12 BBesO) und freigestelltes Personalratsmitglied, bewarb sich bei seinem Dienstherrn auf einen ausgeschriebenen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 13 gD/II gD mit dem Ziel, eine Beförderung zu erreichen. Er beabsichtigte, auch weiterhin als Personalratsmitglied die Freistellung zu beanspruchen. Nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass ein Konkurrent ihm vorgezogen werde, beantragte er beim VG, seinem Dienstherrn im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Dienstposten mit dem vorgezogenen Bewerber zu besetzen, bevor nicht über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden sei. Das VG entsprach diesem Antrag unter Hinweis darauf, dass der Dienstherr zu Unrecht seine Auswahlentscheidung auf mehr als 3 Jahre alte Regelbeurteilungen gestützt habe. Auf die Beschwerde des Dienstherrn lehnte das OVG den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses des VG wegen Fehlens eines Anordnungsgrundes ab.

Gründe:

Dem Antrag des Antragstellers, der geeignet ist, die Beförderung selbst zu verhindern, fehlt es an dem nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erforderlichen Anordnungsgrund.

In Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der von einem Dienstherrn getroffenen Auswahlentscheidung zur Besetzung eines Beförderungsdienstpostens, die auch dann in Beachtung von Art. 33 Abs. 2 GG zu treffen ist, wenn in der Konkurrenz ein freigestelltes Personalratsmitglied steht, vgl. Schnellenbach, Nachzeichnung des fiktiven beruflichen Werdegangs freigestellter beamteter Personalratsmitglieder, ZfPR 2002, 51 ff. (52), liegt ein Anordnungsgrund zwar regelmäßig schon dann vor, wenn mit der Besetzung des Dienstpostens ein faktischer Bewährungsvorsprung oder rechtlich erheblich die Einräumung der Möglichkeit verbunden ist, die Erprobungszeit auf jenem Posten zu beginnen, oder wenn eine Beförderung unmittelbar bevorsteht. Denn im Allgemeinen würde das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache zur Erledigung des Auswahlverfahrens durch endgültige, von dem Konkurrenten nicht anfechtbare Stellenbesetzung führen mit der Folge, dass die Beförderungschance in jenem Auswahlverfahren endgültig beseitigt wäre.

Vgl. zum Streitstand insoweit Schöbener, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in beamtenrechtlichen Konkurrenzsituationen, BayVBl. 2001, 321 ff. (322).

Entsprechend besteht in diesen Fällen für den Konkurrenten um den Beförderungsdienstposten nur die Möglichkeit, durch einstweilige Anordnung der in Rede stehenden Art die Besetzung der Stelle/die Beförderung zu verhindern, wenn er nach erfolgter Bewerbung sein Recht auf fehlerfreie Behandlung im Auswahlverfahren sichern, vgl. zur Art der einstweiligen Anordnung als Sicherungsanordnung in Fällen wie hier: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedylle, VwGO, § 123 Rn. 11 und 63, sowie Schnellenbach, Konkurrenzen um Beförderungsämter - geklärte und ungeklärte Fragen, ZBR 1997, 169 ff. (169), und damit sich die effektive Chance wahren möchte, statt des vom Dienstherrn bevorzugten Konkurrenten die Stelle selbst zu erhalten.

Vgl. hierzu vor allem Schöbener, a.a.O., 322.

So liegt der Fall indes hier nicht. Vielmehr gilt es die Besonderheit zu berücksichtigen, dass der Antragsteller freigestelltes Personalratsmitglied ist und seine Bewerbung nicht auf die Wahrnehmung des ausgeschriebenen Dienstpostens zielt, sondern weiterhin die Freistellung in Anspruch genommen werden soll. Damit verbleibt dem Antragsteller - anders als im aufgezeigten Regelfall einer Bewerberkonkurrenz - aber die Möglichkeit, sein Verlangen nach Beförderung bzw. erneuter Bescheidung seiner Bewerbung unbeschadet der hier streitigen Dienstpostenbesetzung und anstehenden Beförderung des Konkurrenten in einem Hauptsacheverfahren - z. B. nach Widerspruch gegen die Mitteilung über die Bevorzugung seines Konkurrenten - zu verfolgen. Eine Erledigung seines Begehrens könnte ihm hier gerade nicht entgegengehalten werden. Denn für den Fall, dass er nach rechtsfehlerfreier Auswahl sich gegen den Beigeladenen hätte durchsetzen können, stünde ihm ein dem Arbeitsamt A. zuzuteilender Beförderungsdienstposten zur Verfügung, den er als freigestelltes Personalratsmitglied besetzen könnte. Zur Überprüfung der entsprechenden Rechtsfragen ist ein Offenhalten des Auswahlverfahrens gerade hinsichtlich der ausgeschrieben gewesenen Stelle unter Rechtsschutzgesichtspunkten nicht erforderlich: Es ist insoweit zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig, dass der Antragsteller den ausgeschriebenen Dienstposten gerade nicht besetzen, sondern als freigestelltes Personalratsmitglied lediglich befördert werden möchte. Der Antragsteller kann sich dabei grundlegend auf die in §§ 8 und 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG wurzelnde, von der Antragsgegnerin beschriebene Handhabung des Personalhaushaltes in Fällen wie hier berufen, nach welcher für freigestellte und weiterhin freizustellende Personalratsmitglieder neben der konkret zu besetzenden bzw. konkret bestehenden (Beförderungs-)Stelle weitere sog. sonstige Stellen ausgewiesen sind, die parallel zu der zu besetzenden Stelle vergeben werden, wenn sich ein freigestelltes Personalratsmitglied im Stellenbesetzungsverfahren als bestgeeignet durchsetzt mit der Folge, dass der Zweitbeste die konkret wahrzunehmende Stelle und das freigestellte Personalratsmitglied die sonstige (Beförderungs-)Stelle erhält. Das Auswahlverfahren ist deswegen gegebenenfalls nur hinsichtlich der konkret zu besetzenden Stelle erledigt, nicht aber hinsichtlich der für freizustellende oder freigestellte Personalratsmitglieder ausgewiesenen sonstigen Stelle. Eine Verpflichtungs-/Bescheidungsklage mit dem Ziel der Vornahme einer erneuten fehlerfreien Auswahlentscheidung durch den Dienstherrn könnte hier mit Blick auf die Einwände, die der Antragsteller gegen die getroffene Entscheidung erhebt, und mit Blick auf die noch freie sog. sonstige Stelle auch weiterhin erhoben werden.

Relevante - den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung erfordernde - Rechtsnachteile hat der Antragsteller auch nicht in Ansehung der zu erwartenden Dauer eines möglichen Hauptsacheverfahrens zu befürchten. Der Umstand, dass ihm bei gegebener Sachlage hier die mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verbundene Möglichkeit der Herbeiführung einer entsprechenden zeitigen neuen Auswahlentscheidung nicht eröffnet ist, hat er hinzunehmen. Das Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO zielt gerade nicht auf eine möglichst rasche Verwirklichung bzw. Bestätigung einer geltend gemachten Rechtsposition bzw. einer geltend gemachten Rechtsverletzung. Seine Durchführung kommt vielmehr nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 VwGO ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn anders effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet wäre. Dieser Rechtsschutz ist hier aber wie dargelegt im gegebenen Fall gewährleistet, weil dem Antragsteller auch nach Besetzung der ausgeschriebenen Stelle nichts an Rechten verloren ginge und die Möglichkeit bestünde, im Verfahren zur Hauptsache in Bezug auf die sonstige Stelle eine rechtsfehlerfreie Auswahlentscheidung - sollte die bisherige eine Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers enthalten - herbeizuführen. Dass der Antragsteller auf diese Weise tatsächlich anders als Antragsteller im normalen Konkurrentenstreitverfahren behandelt wird, enthält also keine Benachteiligung i.S.d. §§ 8 und 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG wegen seiner Freistellung, sondern hat seinen Grund in der Systematik des § 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.

Ob das Fehlen des Anordnungsgrundes auch dann anzunehmen wäre, wenn die Gründe, die gegen die Auswahlentscheidung geltend gemacht werden (z. B. betreffend den Bewerberkreis bei fehlender Erfüllung des Anforderungsprofils bei einem/einigen Konkurrenten), eine Berücksichtigung im Verfahren zur Hauptsache nicht mehr zuließen, insoweit effektiver Rechtsschutz wegen Unmöglichkeit der nachträglichen Änderung des Bewerberkreises also in Frage gestellt wäre, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung.

Nicht mehr entscheidungserheblich, wegen eines etwa beabsichtigten Verfahrens zur Hauptsache aber sachdienlich erscheinen dem Senat die folgenden Hinweise zur Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des hier in Rede stehenden Auswahlverfahrens. Entgegen der Auffassung des VG wollte der Senat in der vom VG herangezogenen Entscheidung vom 19.9.2001 - 1 B 704/01 -, DÖD 2001, 315 = NVwZ-RR 2002, 594, nicht einer starren Dreijahresgrenze das Wort reden, soweit an die Aktualität der herangezogenen Beurteilungen zeitliche Anforderungen zu stellen sind. Erst recht sollte kein Umkehrschluss gezogen werden aus der Formulierung im Leitsatz, wonach es regelmäßig nicht zu beanstanden ist, wenn der Dienstherr das Leistungs- und Befähigungsbild der Bewerber anhand von Regelbeurteilungen vergleicht, die sich auf einen Beurteilungszeitraum beziehen, welcher im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung nicht länger als drei Jahre zurückliegt. Der Senat hat nach Darlegung der unterschiedlichen Auffassungen in Literatur und Rechtsprechung zur Frage der ausreichenden Aktualität von bei der Auswahlentscheidung herangezogenen Regelbeurteilungen lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Dienstherr "jedenfalls" dann Bedarfsbeurteilungen nicht gesondert erstellen muss, wenn für die Beurteilung der Geeignetheit der Bewerber taugliche Regelbeurteilungen vorliegen, die nicht älter als drei Jahre sind. Ob darüber hinaus auch noch länger zurückliegende Zeitpunkte ausreichen können, ist damit zwar nicht ausdrücklich, wohl aber der Sache nach offengeblieben. Es dürfte im gegebenen Fall Vieles dafür sprechen, auf gut drei Jahre zurückliegende, die Frage nach der Eignung für den in Rede stehenden Dienstposten (dessen Anforderungsprofil betreffend) ausreichend beantwortende Regelbeurteilungen zurückgreifen zu dürfen, wenn nicht gar darauf zurückgreifen zu müssen, wenn damit zugunsten des freigestellten Personalratsmitglieds mit Blick auf §§ 8 und 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG die Unwägbarkeiten, vgl. zu ihnen Schnellenbach, Nachzeichnung des fiktiven beruflichen Werdegangs freigestellter beamteter Personalratsmitglieder, a.a.O., einer fiktiven Nachzeichnung eines beruflichen Werdegangs im Zeitraum der Freistellung vermieden werden können.

Ende der Entscheidung

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