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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.01.2003
Aktenzeichen: 1 B 1681/02.PVL
Rechtsgebiete: LPVG NRW, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

LPVG NRW § 66 Abs. 8 Satz 1
LPVG NRW § 79 Abs. 2 Satz 1
ArbGG § 85 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 935
ZPO § 940
Zur Frage des Vorliegens eines Verfügungsgrunds für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren, mit der die Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW für eine vorläufige Regelung begehrt wird (hier offen gelassen).

Zum Fehlen eines Verfügungsanspruchs für den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit jener Zielrichtung in einem Fall, in welchem die auf längstens ein Jahr befristete Abordnung eines POK der Kreispolizeibehörde zur Teilnahme an der Arbeit in einem multinationalen Polizeikontingent im Kosovo, das durch eine Resolution der UN eingerichtet wurde, unter Bezugnahme auf § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW als vorläufige Maßnahme verfügt wurde, nachdem der Personalrat der Abordnung mit beachtlicher Begründung nicht zugestimmt hatte.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde, über die der Fachsenat gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 LPVG NRW, §§ 87 Abs. 3 Satz 1, 85 Abs. 2 ArbGG, § 937 Abs. 2 ZPO sowie in entsprechender Anwendung von § 944 ZPO - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.3.1998 - 1 B 53/98.PVL - ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter entscheidet, ist zulässig. Sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

...

Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der im Kern begehrten Feststellung, dass der Beteiligte nicht berechtigt ist, die Abordnung des POK X. als vorläufige Maßnahme nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW aufrechtzuerhalten, liegen nicht vor.

Nach den gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG entsprechend anwendbaren Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozessordnung kann eine einstweilige Verfügung, welche auch eine Feststellung zum Gegenstand haben kann, - OVG NRW, Beschluss vom 14.10.1991 - 1 B 1690/91. PVL, PersR 1992, 60 -, erlassen werden, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts eines Beteiligten vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO), oder wenn die Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 940 ZPO). Die Gefährdung des Rechts bzw. die Notwendigkeit einer Regelung, d. h. der Verfügungsgrund, und der Verfügungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 ZPO). Darüber hinaus darf die einstweilige Verfügung grundsätzlich nicht mehr zusprechen, als im Hauptsacheverfahren möglich ist, und die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen. Allerdings kann es die Effektivität des Rechtsschutzes ausnahmsweise erfordern, durch Erlass einer einstweiligen Verfügung der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, sofern wirksamer Rechtsschutz im ordentlichen Verfahren nicht erreichbar ist und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Folgen führen würde, insbesondere wenn die Versagung des Erlasses einer einstweiligen Verfügung zu einem endgültigen Rechtsverlust oder sonstigen irreparablen Zustand führt. Dabei sind die Belange des Antragstellers und der Beteiligten sorgfältig abzuwägen und strenge Anforderungen an die materiellen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung zu stellen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.2.2001 - 1 B 1591/00.PVL -, PersR 2001, 470 = Schütz/Maiwald, BeamtR ES/D IV 1 Nr. 127, m.w.N.

Diese Anforderungen sind für den Antrag des Antragstellers hier einschlägig. Denn er begehrt die Feststellung der Unzulässigkeit des Vorgehens des Beteiligten nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW, was im Ergebnis dem in dem beim VG bereits anhängigen Hauptsacheverfahren verfolgten Begehren entspricht.

Unter Zugrundelegung der danach einschlägigen strengen Maßstäbe ist der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung abzulehnen. Dabei mag allerdings offenbleiben, ob es bereits an einem ausreichenden Verfügungsgrund fehlt.

- Vgl. zu den besonderen Anforderungen an den Verfügungsgrund in Fällen vorliegender Art: OVG NRW, Beschluss vom 14.1.2003 - 1 B 1907/02.PVL -.

Für die Annahme eines Verfügungsgrunds könnte vorliegend sprechen, dass der Antragsteller in dem genannten Hauptsacheverfahren voraussichtlich effektiven Rechtsschutz zur Klärung der aufgeworfenen konkreten Kompetenzfrage nicht wird erreichen können und zugleich sein Interesse gerade im konkreten Fall auf die Wahrung zumutbarer Arbeitsbedingungen der Beschäftigten der Dienststelle durch Verhinderung weiteren Personalabbaus gerichtet ist. Die Geltendmachung bestehender unzumutbarer Arbeitsbedingungen in Wahrnehmung einer Mitbestimmungskompetenz kann es nämlich je nach Ausgestaltung und Reichweite durchaus unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit ausschließen, die Personalvertretung auf die eventuelle Möglichkeit einer abstrakter Antragstellung im Verfahren zur Hauptsache zu verweisen. Ob ein solcher Fall hier gegeben ist, erscheint hier indes angesichts der insoweit wenig substantiierten Ausführungen des Antragstellers eher fraglich, mag aber offenbleiben.

Denn für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs. Entscheidendes Gewicht erlangt dabei, dass schon alles dafür spricht, dass die angegriffene vorläufige Abordnung des POK X. in Anlegung des im vorliegenden Verfahren nur möglichen Maßstabs einer summarischer Prüfung den Anforderungen an eine vorläufige Regelung nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW genügen dürfte.

Nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW kann der Leiter der Dienststelle bei Maßnahmen, die der Natur der Sache nach keinen Aufschub dulden, bis zur endgültigen Entscheidung (im Mitbestimmungsverfahren) vorläufige Regelungen treffen. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift hat er dem Personalrat die vorläufige Regelung mitzuteilen, sie zu begründen sowie unverzüglich das Verfahren nach den Absätzen 2, 3, 5 und 7 einzuleiten und fortzusetzen. Die Möglichkeit zum Erlass vorläufiger Regelungen betrifft eine Ausnahme zu dem sich aus § 66 Abs. 1 LPVG NRW ergebenden Grundsatz, dass eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, grundsätzlich nur mit dessen Zustimmung getroffen werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.10.1999 - 1 A 3216/97.PVL -, PersR 2000, 168 = PersV 2000, 414; Lorenzen u.a., BPersVG, § 69 Rn. 52.

Die Zulässigkeit einer vorläufigen Regelung nach § 66 Abs. 8 Satz 1 LPVG NRW setzt also voraus, dass ein Mitbestimmungsfall vorliegt, d. h. die Maßnahme der Mitbestimmung unterliegt, dass das Mitbestimmungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, namentlich eine gegebene Zustimmungsverweigerung beachtlich ist, dass die beabsichtigte Maßnahme keinen Aufschub duldet und dass die vorläufige Regelung dem Charakter der Vorläufigkeit ausreichend Rechnung trägt bzw. die besonderen Voraussetzungen für eine endgültige Maßnahme vor Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens - konkrete Gefährdung oder Schädigung überragender Gemeinschaftsgüter - vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.12.1992 - 6 P 6.91 -, PersV 1993, 355 = PersR 1993, 123, - vorliegen. Hierauf beschränkt sich die gerichtliche Nachprüfbarkeit. Ob die vorläufige Regelung zweckmäßig oder - vom personalvertretungsrechtlichen Bereich abgesehen - rechtmäßig ist, ist demgegenüber grundsätzlich unerheblich. Entsprechend ist dem Einwand des Antragstellers im Beschwerdeverfahren nicht näher nachzugehen, ob für die Entsendung von Polizeikräften in den Kosovo im Rahmen des Polizeikontingents der UN "UNMIK" eine erforderliche Rechtsgrundlage fehlt und ob eine Aufgabe der Dienststelle wahrgenommen wird.

Das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts ist vorliegend ebenso wie die Beachtlichkeit der Zustimmungsverweigerung ohne weiteres zu bejahen und zwischen den Beteiligten unstreitig. Des Weiteren ist auf der Grundlage der nach Aktenlage erkennbaren Umstände im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens von einer hinreichenden Dringlichkeit auszugehen. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme entgegen der Einschätzung des Dienststellenleiters der Natur der Sache nach weiteren Aufschub geduldet hätte, sind weder vom Antragsteller substantiiert aufgeführt noch sonst ersichtlich. Unaufschiebbar ist eine Maßnahme der Natur der Sache nach regelmäßig (nur) dann, wenn ohne die Maßnahme eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabenerfüllung in Frage gestellt wäre.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.4.1988 - 6 P 33.85 -, ZBR 1988, 284 = PersR 1988, 159, und vom 2.8.1993 - 6 P 20.92 -, PersR 1993, 395 = PersV 1994, 506.

Abzustellen ist dabei auf die Aufgabenerfüllung aller Dienststellen, auf die sich die Maßnahme auswirkt. Bei Abordnung und Versetzung kann sich eine besondere Dringlichkeit gerade im Hinblick auf die Aufgabenstellung der aufnehmenden Dienststelle ergeben. Entgegen der Ansicht des Antragstellers durften also die besonderen Begehrlichkeiten im Hinblick auf den anstehenden Kontingentwechsel im Rahmen des Polizeikontingents der UN im Kosovo "UNMIK" zur Begründung einer vorläufigen Regelung und zur Aufrechterhaltung derselben herangezogen werden. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die personellen Erfordernisse beim Wechsel des Kontingents im August 2002 für die Dauer des Mitbestimmungsverfahrens vorübergehend hätten anderweitig gedeckt werden können. Dies gilt um so mehr, als - wie bereits die Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen in ihrem angefochtenen Beschluss herausgestellt hat - allgemein bekannt ist, dass auch die "UNMIK"- Sicherheitskräfte im Kosovo mit einem kaum ausreichenden Personalbestand arbeiten müssen.

Unerheblich ist ferner, ob der Beteiligte - wie vom Antragsteller geltend gemacht - im Kern die Dringlichkeit dadurch selbst geschaffen hat, dass er das Mitbestimmungsverfahren für die im August 2002 vorgesehene Maßnahme (erst) im Mai 2002 eingeleitet hat. Denn eine vorläufige Regelung ist grundsätzlich auch dann zulässig, wenn diese nur deshalb erforderlich geworden ist, weil der Leiter der Dienststelle aus Gründen, die er zu vertreten hat, das Mitbestimmungsverfahren verspätet einleitet.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.10.1999 - 1 A 3216/97.PVL -, a.a.O.

Umstände, die eine abweichende Gewichtung rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen des Beteiligten dem Versuch entsprach, - landesweit - bei Abordnungen von Polizeibeamten zum Zwecke von Auslandseinsätzen im Rahmen der Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an UN-Kontingenten, die vorgesehene Beteiligung der Personalvertretung zu umgehen bzw. zu vereiteln, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Solche ergeben sich namentlich nicht daraus, dass beim Kontingentwechsel im August 2002 weitere Polizeibeamte aus Nordrhein-Westfalen vor Abschluss eines Mitbestimmungsverfahrens von anderen Behörden im Rahmen vorläufiger Regelungen abgeordnet worden sein sollen. Denn für jene Abordnungen lässt sich eine entsprechende Dringlichkeit aus der Natur der Sache ableiten. Auch der zeitliche Zusammenfall der Notwendigkeit vorläufiger Regelungen war sachlich bedingt durch den anstehenden Personalbedarf im Rahmen des einheitlichen Kontingentwechsels. Aus Nordrhein-Westfalen standen im August insgesamt 10 Personen zur Ausreise an.

Die getroffene Regelung genügte schließlich den Anforderungen an die "Vorläufigkeit".

Vorläufige Regelungen sind im Grunde auf unaufschiebbare Maßnahmen zu beschränken. Das Mitbestimmungsverfahren soll offen bleiben und die vorläufige Maßnahme soweit als möglich hinter der beabsichtigten zurückbleiben. Es muss also ein Spielraum verbleiben, die Regelungen je nach dem Verlauf des Stufen- bzw. Einigungsverfahrens modifizieren zu können. Maßnahmen, die diesen Anforderungen nicht genügen, sind auf Fälle der Gefährdung überragender Gemeinschaftsgüter oder -interessen beschränkt.

Vorliegend ist ein Spielraum für weitergehende Modifizierungen im Mitbestimmungsverfahren durch die in Streit stehende Abordnung als vorläufige Maßnahme im Grunde erhalten geblieben. Sie ist auch insoweit hinter der ursprünglich zur Mitbestimmung gestellten Maßnahme zurückgeblieben, als diese eine Abordnung ohne weitere zeitliche Begrenzung also eine solche "bis auf Weiteres" betraf. Demgegenüber ist die erfolgte Abordnung auf längstens ein Jahr verfügt und zugleich mit der Bezeichnung als vorläufig und dem Hinweis des noch weiter durchzuführenden Mitbestimmungsverfahrens zum Ausdruck gebracht worden, dass der Bestand der Verfügung vom Ausgang jenes Verfahrens abhängig sein soll. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Zweck der Maßnahme und auch der Grund ihrer Unaufschiebbarkeit eine tage- oder eine wochenweise Überstellung der Dienstkräfte nicht sinnvoll erscheinen lassen konnten, sondern Maßnahmen von möglichst langer Dauer forderten. Es ist unmittelbar einsichtig, dass es für ein vernünftiges Arbeiten im Rahmen eines Polizeikontingents der UN im Ausland personeller Maßnahmen von zeitlicher Kontinuität bedarf.

Allerdings verbleiben deshalb Bedenken im Hinblick auf den verfügten zeitlichen Rahmen der Abordnung, weil die Jahresfrist ersichtlich nicht mit Blick auf die voraussichtliche Dauer des Mitbestimmungsverfahrens gewählt worden ist, sondern gleichermaßen für alle Polizeibeamte, die im Rahmen des Kontingentwechsels im August 2002 entsprechend abgeordnet worden sind. Die Frage bedarf indes keiner Vertiefung, weil hier auch die Vorwegnahme der beabsichtigten - zur Mitbestimmung gestellten - Maßnahme zulässig wäre. Denn die Maßnahme betrifft ein ganz überragendes Gemeinschaftsgut (hier die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an von der UN gestütztem Wiederaufbau eines ausländischen Krisengebietes).

Bestehen danach keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine vorläufige Regelung vorlagen, steht bereits dies vorliegend dem Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung entgegen. Vergleichbar gewichtige Interessen des Antragstellers daran, die Abordnung als vorläufige Maßnahme zunächst zu verhindern, sind nicht festzustellen. Sie ergeben sich namentlich nicht im Hinblick auf die verbleibenden Bedenken an der Handhabung des § 66 Abs. 8 LPVG NRW durch den Beteiligten (Handeln auf der Grundlage einer Weisung; (ursprünglich) fehlende nähere Begründung).

Ende der Entscheidung

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