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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 04.09.2008
Aktenzeichen: 10 A 1678/07
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, BauO NRW


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4
BauNVO § 12 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1
BauO NRW § 51 Abs. 7
Von einer im rückwärtigen Grundstücksbereich gelegenen Garagenanlage mit sechs, zum Teil im Kellergeschoss angeordneten Stellplätzen und deren Zufahrt unmittelbar entlang der Nachbargrenze über auf- und absteigende offene Rampen mit teilweise erheblicher Neigung können unzumutbare Störungen i. S. des § 51 Abs. 7 BauO NRW ausgehen.

Planungsrechtlich verletzen sie das Gebot der Rücksichtnahme.


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen einen der Beigeladenen erteilten Vorbescheid und eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit sechs Wohneinheiten und einer Pkw-Stellplatzanlage hinter dem Gebäude. Von den sechs Stellplätzen sind drei im Kellergeschoss und drei weitere Stellplätze in Garagen an der dem Grundstück des Klägers gegenüberliegenden Seite des Baugrundstücks vorgesehen. Die Zufahrt soll über Rampen entlang der Grenze zum Grundstück des Klägers angelegt werden.

Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage wies das VG ab. Das Berufungsverfahren führte zu einer Aufhebung des Vorbescheides und der Baugenehmigung.

Gründe:

Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist rechtswidrig, weil sie gegen § 51 Abs. 7 Satz 1 BauO NRW verstößt. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze und Garagen so angeordnet und ausgeführt werden, dass ihre Benutzung die Gesundheit nicht schädigt und Lärm oder Gerüche das Arbeiten und Wohnen, die Ruhe und die Erholung in der Umgebung nicht über das zumutbare Maß hinaus stören. Dabei ist das Kriterium der Unzumutbarkeit nicht im enteignungsrechtlichen Sinne zu verstehen, sondern meint unterhalb dieser Schwelle liegende Belästigungen durch Lärm oder Gerüche, die der Umgebung, insbesondere der Nachbarschaft billigerweise nicht zugemutet werden können. Die Frage, wann die Benutzung von Garagen oder Stellplätzen die Umgebung unzumutbar stört, lässt sich nicht abstrakt und generell nach festen Merkmalen beurteilen. Vielmehr kommt es entscheidend auf die konkrete Situation an, in der sich die Belästigungen auswirken. Dem entsprechend ist von Bedeutung, an welchem Standort die Garagen oder Stellplätze angeordnet werden sollen und in welcher Lage sich dieser Standort zu dem Grundstück, dem Wohnhaus und gegebenenfalls gegenüber den Wohnräumen des betroffenen Nachbarn befindet. Entscheidend ist weiter der Umstand, wie der Bereich, in dem die Stellplätze oder Garagen errichtet werden sollen bzw. in dem sie sich auswirken werden, zu qualifizieren ist und welche Einwirkungen die Bewohner dort bereits hinzunehmen haben. Dabei ist von dem Grundsatz auszugehen, dass die durch die Nutzung von Stellplätzen oder Garagen verursachten Belästigungen nur selten zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Umgebung führen, wenn die Stellplätze oder Garagen wie üblich und in der Regel durch die Konzeption der Bebauung vorgegeben, nahe der Straße untergebracht werden. Andererseits werden Lärm- und Geruchsbelästigungen von Stellplätzen oder Garagen in rückwärtigen Grundstücksbereichen eher die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Die Grenze ist umso niedriger anzusetzen, je empfindlicher und schutzwürdiger der Bereich, in dem die Stellplätze errichtet werden sollen, hinsichtlich der in § 51 Abs. 7 BauO NRW genannten Schutzgüter ist. Technisch-rechnerisch ermittelte Emissionswerte - seien es Einzelwerte, Wirk- oder Beurteilungspegel - sind dabei für die Beurteilung nicht ausschlaggebend.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.6.2006 - 10 A 80/04 -, BRS 70 Nr. 136; s.a. Beschluss vom 25.9.2000 - 7 B 1118/00 -, BRS 63 Nr. 162; Urteil vom 9.3.1999 - 11 A 4159/96 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblattkommentar, Stand: 1.7.2008, § 51 Rn. 205 ff..

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die der Beigeladenen genehmigte Garagenanlage aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles dem Kläger gegenüber als unzumutbar. Nach dem vorliegenden Bild- und Kartenmaterial und dem Ergebnis der Ortsbesichtigung, das der Berichterstatter dem Senat vermittelt hat, ist mit dem Bauvorhaben der Beigeladenen eine Stellplatzanlage geschaffen worden, die in der Umgebung ohne Vorbild ist. Auf den meisten Nachbargrundstücken sind die Garagen bzw. Stellplätze seitlich neben oder schräg hinter dem Hauptgebäude angeordnet. Der rückwärtige Grundstücksbereich wird fast durchgehend als Garten und Ruhezone genutzt und ist - abgesehen von kleineren Hütten, die der Gartengestaltung dienen - unbebaut. Eine Ausnahme macht lediglich die auf dem Grundstück T.---straße 46 vorhandene Dreifachgarage, die ebenfalls im rückwärtigen Bereich steht. Sie ist jedoch in ihrer störenden Wirkung mit dem Vorhaben der Beigeladenen nicht vergleichbar, da sie ebenso wie die ihr vorgelagerten weiteren Stellplätze des Sechsfamilienhauses T.---straße 46 und auch die auf dem Grundstück T.---straße 54 - 58 vorhandenen vier Stellplätze ebenerdig angefahren werden können. Entsprechendes gilt auch für die Garage auf dem Grundstück I.---straße 13. Die Garagenanlage der Beigeladenen wird dagegen durch Rampen mit teilweise erheblichen Längsneigungen erschlossen. Nach den mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen steigt die unmittelbar am Grundstück des Klägers entlang führende Zufahrt mit einer Gesamtlänge von 24 m von der Straße aus zunächst bis zum Hauseingang auf einer Länge von 9 m mit einer Neigung von 5,6 % auf ein Niveau von 0,5 m über der Bürgersteigoberkante an und fällt hinter dem Hauseingang auf einer Strecke von 13 m mit einer Neigung von 11,5 % zu dem 1,00 m unter dem Bürgersteigniveau liegenden Garagenhof ab. Auf diesem Niveau liegen auch die drei Garagen an der gegenüberliegenden Grenze. Von dem Garagenhof führt eine weitere Rampe mit einer Länge von 6,20 m und einer Neigung von 19,6 % zu den 2,20 m unter dem Bürgersteigniveau liegenden Tiefgaragen. Die Gestaltung der Garagenanlage hat zur Folge, dass die in den Tiefgaragen abgestellten Fahrzeuge bei der Ausfahrt mit entsprechender Geräuschentwicklung die steile Rampe hochfahren müssen. Auch müssen auf dem Garagenhof zwangsläufig Rangiervorgänge stattfinden, weil die Fahrzeuge entweder nicht in einem Zug von der Straße über die Zufahrt in die Garage fahren oder die Garage bis zur Straße verlassen können. Gegen die mit der Nutzung der Garagenanlage typischerweise verbundenen Geräusche (Öffnen und Schließen der Garagentore, Motorengeräusch der ein- und ausfahrenden Fahrzeuge, Türenschlagen, Gespräche vor der Garage etc.) und die von den Fahrzeugen bei der Zu- und Abfahrt erzeugten Abgase ist das Grundstück des Klägers nur unzureichend geschützt. Der Garagenhof erstreckt sich insgesamt etwa 33 m in das Grundstück hinein. Dagegen endet die Grenzgarage auf dem Grundstück des Klägers schon in einer Entfernung von 22 m von der Straßenbegrenzungslinie, mit der Folge, dass die Immissionen ungehindert in den dahinter gelegenen Terrassen- und Gartenbereich gelangen können. Zwar liegt der Garagenhof ca. 1,20 m tiefer als der Garten des Klägers, doch wird die dadurch bewirkte Geräuschdämpfung durch die Schallreflexion an der umgebenden Bebauung mehr als ausgeglichen. Durch die mit der Benutzung der Garagenanlage verbundenen Immissionen wird ein zusätzliches - bisher nicht vorhandenes - Störpotenzial in den rückwärtigen Grundstücksbereich des Klägers hineingetragen, mit dem der Kläger nicht rechnen musste. Dem Schutz der Gebäuderückseiten kommt aufgrund des Ruhebedürfnisses der Bewohner grundsätzlich besondere Bedeutung zu.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.6.2006, a.a.O.; Urteil vom 8.8.1997 - 7 A 3730/96 -.

Die Garageanlage verstößt auch gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Dies führt auch zur Aufhebung des Bauvorbescheides.

Der Bereich, in dem die Grundstücke des Klägers und der Beigeladenen liegen, ist nach der Eigenart der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO als allgemeines Wohngebiet anzusehen. In allgemeinen Wohngebieten sind nach § 12 Abs. 1 und 2 BauNVO grundsätzlich Stellplätze für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig. Allerdings sind nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die Vorschrift gilt auch für die in § 12 BauNVO genannten Stellplätze und Garagen. Sie sind vor allem dann unzulässig, wenn ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft führt. Dabei kommt der Zufahrt eine besondere Bedeutung zu, weil - jedenfalls bei Wohnbebauung - der Zu- und Abgangsverkehr die Nachbarschaft regelmäßig am stärksten belastet. Dem gemäß begegnen Garagen und Stellplätze in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern oft rechtlichen Bedenken. Ob sie im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbar sind, richtet sich gleichwohl nach der Eigenart des Baugebiets. Eine generelle, für alle Standorte von Stellplätzen im rückwärtigen (Wohn-)Bereich geltende Beurteilung ist nicht möglich; sie hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.3.2003 - 4 B 59.02, NVwZ 2003, 1516; Urteil vom 7.12.2000 - 4 C 3.00 - NVwZ 2001, 813 = BRS 63 Nr. 160.

Daraus folgt, dass die Nachbarn die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall hinzunehmen haben, dass aber besondere örtliche Verhältnisse auch zu dem Ergebnis führen können, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann. Dabei ist der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundentscheidung Rechnung zu tragen. Dies entbindet jedoch nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall unzumutbare Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Die besonderen Umstände des Einzelfalls können es erforderlich machen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Gestaltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anordnung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht auf Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze in Betracht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.3.2003 a.a.O.; s.a. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblattkommentar, Stand: 1.7.2008, § 51 Rn. 211 ff. m.w.N..

Im vorliegenden Fall ist auch aus städtebaulicher Sicht festzustellen, dass die Garagenanlage mit dem Gebietscharakter nicht vereinbar ist. Das Gebiet östlich der T.---straße ist - wie bereits ausgeführt - durch eine straßennahe Wohnbebauung und eine fast durchgehende rückwärtige Garten- und Ruhezone geprägt. Die Garagen bzw. Stellplätze sind regelmäßig seitlich neben oder schräg hinter dem Hauptgebäude angeordnet. Eine Ausnahme bilden lediglich die auf dem Grundstück T.---straße 46 vorhandene Dreifachgarage und die Garage auf dem Grundstück I.---straße 13, die jeweils im rückwärtigen Bereich stehen, jedoch weder städtebaulich noch hinsichtlich der von ihr verursachten Beeinträchtigungen mit dem Vorhaben der Beigeladenen vergleichbar sind. Die von dem Beklagten angeführte rückwärtige Bebauung der Grundstücke F.---straße 52 und 48 prägt die für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebliche Grundstückssituation nicht, da dort die Bebauung anders strukturiert ist. Auf dem Grundstück Nr. 52 steht das zunächst errichtete Wohnhaus im hinteren Bereich des Grundstücks und die Garagen und Stellplätze sind seitlich von dem Gebäude bzw. zwischen diesem und dem später unmittelbar an der Straße errichteten Wohnhaus angeordnet worden.

Die von dem Beklagten weiter benannten Stellplatzanlagen im Hinterland der Grundstücke T.---straße 41 und 45 sind bereits deshalb nicht prägend, weil sie auf der gegenüberliegenden westlichen Seite der Sandstraße in einem eigenen Blockinnenbereich liegen, der eine andersartige Struktur hat.

Ende der Entscheidung

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