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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 23.07.2008
Aktenzeichen: 10 A 2957/07
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 2 Abs. 2
BauO NRW § 6 Abs. 10 Satz 1
1. Einem 40,30 m hohen Stahlgittermast mit einer Basisabmessung von 1,42 m x 1,42 m und einem Querschnitt von ca. 1,80 m x 1,80 m im Bereich der oberhalb von 36 m angebrachten Mobilfunkantennen kommt regelmäßig gebäudegleiche Wirkung im Sinne von § 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW zu.

2. Der so genannte Technikcontainer (Außenmaße 2,14 m x 1,88 m x 2,60 m) einer Funkfeststation ist ein Gebäude im Sinne des § 2 Abs. 2 BauO NRW.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte im Wege der Verpflichtungsklage die Baugenehmigung für einen grenznah geplanten Stahlgittermast für Mobilfunkantennen (Höhe der Masten: 40,30 m) mit Technikcontainer. Die Klage und der anschließende Antrag auf Zulassung der Berufung blieben erfolglos.

Gründe:

Das VG hat es zu Recht abgelehnt, den Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Mobilfunkfeststation mit einem 40,30 m hohen Rohrfachwerkturm einschließlich Antennen, Einfriedung und Technikcontainer zu verpflichten.

Die geplante Funkfeststation für das Mobilfunknetz hält den erforderlichen Abstand zur Grenze der benachbarten Flurstücke 509, 585 und 572 nicht ein.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Eine der in § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW geregelten Fallgruppen, in denen die Einhaltung von Abstandflächen nicht erforderlich ist, liegt hier nicht vor. Die Abstandflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Ihre Tiefe bemisst sich grundsätzlich nach der Wandhöhe (§ 6 Abs. 4 BauO NRW); sie beträgt in Gewerbegebieten 0,25 H, mindestens aber 3 m (§ 6 Abs. 5 Sätze 1 und 5 BauO NRW). Abstandflächen sind nicht nur vor Außenwänden von Gebäuden einzuhalten, sondern auch vor solchen baulichen Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (§ 6 Abs. 10 Satz 1 BauO NRW).

Nach diesen Vorschriften muss die beantragte bauliche Anlage Abstandflächen einhalten.

Dies gilt ohne weiteres für den so genannten Technikcontainer, da dieser ein Gebäude mit den Maßen ca. 2,14 m x 1,88 m x 2,60 m darstellt. Er ist eine selbstständig benutzbare überdachte bauliche Anlage, die von Menschen betreten werden kann und dazu bestimmt ist, dem Schutz von Sachen zu dienen (§ 2 Abs. 2 BauO NRW). Mit einem Abstand von ca. 1 m zum Flurstück 572 hält er den erforderlichen Abstand zu diesem Grundstück nicht ein; den Bauvorlagen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob auch gegenüber dem Flurstück 509 eine Unterschreitung dieses Maßes vorliegt. Schon aus diesem Grunde ist die beantragte bauliche Anlage insgesamt nicht genehmigungsfähig.

Auch der Rohrfachwerkturm hält die bei einer Höhe von 40,30 m erforderlichen Abstandflächen nicht ein. Sie betragen 10,075 m - der vom Ingenieurbüro e. ermittelte Wert von 10,00 m ist unzutreffend -, da von dem Gittermast Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (§ 6 Abs. 10 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW). Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts; ergänzend ist auszuführen:

Die Beurteilung, ob die Wirkungen einer Anlage mit denen eines Gebäudes vergleichbar sind, hat unter Berücksichtigung der Schutzzwecke des § 6 BauO NRW zu erfolgen. Die Vorschrift soll durch Mindestabstände die Gefahr der Brandübertragung, der Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung, der unangemessenen optischen Beengung oder der Störung des Wohnfriedens vorbeugen und ganz allgemein vermeiden, dass die Lebensäußerungen der in der Nachbarschaft wohnenden und arbeitenden Menschen zu intensiv aufeinander einwirken (sog. Sozialabstand).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.1997 - 7 A 629/95 -, BRS 59 Nr. 110, sowie Beschlüsse vom 10.2.1999 - 7 B 974/98 -, BRS 62 Nr. 133, vom 28.2.2001 - 7 B 214/01 -, BRS 64 Nr. 124, und vom 23.12.2004 - 10 A 2918/02 -, Juris; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Kommentar zur Landesbauordnung NRW, Stand: 1.7.2008, § 6 Rdnr. 29.

Diesen einem Gebäude typischerweise zuzuordnenden Wirkungen vergleichbar sind die von dem beantragten Gittermast ausgehenden Beeinträchtigungen jedenfalls hinsichtlich ihrer optisch bedrängenden Auswirkungen auf die Nachbargrenzen und die weiteren benachbarten Grundstücke.

Vgl. zu einem Schleuderbetonmast mit einem Durchmesser von zwischen 0,987 m (Basis) und 0,444m (Mastspitze) OVG NRW, Beschluss vom 5.11.2007 - 7 B 1339/07 -.

Die Ausführungen der Zulassungsbegründung führen zu keinem anderen Ergebnis. Der Umstand, dass der streitgegenständliche Mast weder ein außenliegendes Podest aufweist noch in massiver Bauweise errichtet werden soll, ändert an der von ihm ausgehenden gebäudegleichen Wirkung nichts. Denn mit seiner beträchtlichen Höhe von etwa 40 m und den oberhalb einer Höhe von 36 m angebrachten Antennen, die zu einer Gesamtbreite zwischen den Außenflächen der Antennen von über 1,50 m führen, würde er die Umgebung weithin und unübersehbar optisch prägen. Die Wahrnehmung eines solchen Mastes ist trotz seiner relativ schlanken Gestalt unausweichlich und dominant, auch wenn die technischen Vorrichtungen zum Anbringen der Antennen sowie diese selbst eher moderat ausgestaltet sein mögen. Zwar entfaltet eine bauliche Anlage dieser Höhe nicht regelmäßig gebäudegleiche Wirkung, doch wird die dominierende Erscheinung des Mastes im vorliegenden Fall durch seine Bauform nur unwesentlich abgeschwächt. Auch wenn es sich um einen Stahlgittermast handelt, wird die dadurch erzeugte gewisse Transparenz durch die innen liegenden technischen Einrichtungen - Kabelleiter, Innenbühnen als Ruhepodeste, Steigleiter, Stabilisierungskonstruktion sowie Tragkonstruktionen für die Antennen - weitgehend aufgehoben. Der von der Zulassungsbegründung hervorgehobene Umstand, dass die Anlage in einem Gewerbegebiet errichtet werden soll, spielt für die bauordnungsrechtliche Frage der gebäudegleichen Wirkung keine Rolle, da diese Frage unabhängig vom planungsrechtlichen Gebietscharakter beantwortet werden muss.

Auch der weitere Hinweis der Klägerin, dass bei der Auslegung der maßgeblichen Vorschriften die dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften zu beachten seien, ist ohne Belang. Durch einen ministeriellen Erlass können die sich aus der Gesetzesanwendung ergebenden Konsequenzen nicht korrigiert werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.11.2007 - 7 B 1339/07 -.

Im Übrigen führt der Hinweis auch in der Sache nicht weiter, unabhängig davon, dass die Klägerin nicht einmal ausführt, welche Formulierungen welcher Verwaltungsvorschriften ihren Rechtsstandpunkt stützen könnten. Denn das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vertritt in seinen Hinweisen zu §§ 6 und 73 BauO NRW (Stand 1.2.2008, Ziffer 10.2) lediglich die Auffassung, dass Metallgittermasten mit einer Basisabmessung von nicht mehr als 1,5 m x 1,5 m "in der Regel" keine gebäudegleiche Wirkung zukomme und dass insbesondere die Höhe und in der Höhe angebrachte Antennen maßgeblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild der baulichen Anlage ausübten; die oben angeführte Entscheidung vom 5.11.2007 (Betonmast mit Basisdurchmesser von weniger als 1 m) wird als Beispiel für eine gebäudegleiche Wirkung ausdrücklich angeführt. Auch auf der Grundlage dieser Hinweise ist daher die Wertung, dass dem streitgegenständlichen Mast gebäudegleiche Wirkung zukomme, begründet. Denn er unterschreitet zwar das Basismaß, überschreitet dieses Maß jedoch an der Spitze und wirkt - wie ausgeführt - wegen der in die Konstruktion eingebauten technischen Vorrichtungen nicht mehr so transparent, dass sich ein anderes Ergebnis rechtfertigen ließe. Auf die Frage, ob die in den Auslegungshinweisen zum Ausdruck gebrachte Vermutung, ein Metallgittermast mit einer Kantenlänge von weniger als 1,5 m besitze keine gebäudegleichen Wirkungen, überhaupt zutrifft, kommt es daher nicht an.

Der Verstoß gegen § 6 BauO NRW lässt sich durch die Zulassung einer Abweichung nicht beheben. § 73 Abs. 1 BauO NRW lässt eine Abweichung von § 6 BauO NRW regelmäßig nur bei einer grundstücksbezogenen Atypik zu.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.3.2007 - 10 B 275/07 -, BauR 2007, 1027, und vom 5.3. 2007 - 10 B 274/07 -, BauR 2007, 1031.

Eine atypische Grundstückssituation oder sonstige vom Normalfall abweichende Umstände sind hier nicht ersichtlich. Die Gründe des Allgemeinwohls, die die Klägerin für ihr Vorhaben geltend macht, rechtfertigen die Aufgabe des in § 6 BauO NRW verankerten Systems von Abstandflächen nicht.

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