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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.04.2007
Aktenzeichen: 10 A 305/05
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 172
1. Mit Hilfe einer Erhaltungssatzung (§ 172 BauGB) darf der Satzungsgeber nur städtebauliche Ziele, nicht aber solche des Denkmalschutzes verfolgen. Städtebauliche Erhaltungsgründe und Gründe des Denkmalschutzes sind deshalb voneinander zu unterscheiden.

2. Die Erhaltung historischer Bausubstanz kann auch aus städtebaulichen Gründen angestrebt und mit dieser Zielsetzung durch eine Erhaltungssatzung verwirklicht werden (Ausstrahlungswirkung des Denkmalschutzes in das Bauplanungsrecht).

3. Die Verweigerung einer nach der Erhaltungssatzung erforderlichen Genehmigung kann nur auf die im Gesetz genannten Gründe (vor allem auf § 172 Abs. 3 BauGB) gestützt werden. Ob einer dieser Gründe gegeben ist, muss unter Berücksichtigung der mit der Satzung verfolgten städtebaulichen Erhaltungsziele und mit Blick auf das Interesse des Eigentümers an der genehmigungspflichtigen Maßnahme (Art. 14 Abs. 1 GG) im Einzelfall entschieden werden.


Tatbestand:

Der Kläger begehrte eine nachträgliche Baugenehmigung für die Umgestaltung der straßenseitigen Fassade seines 1924 errichteten Mehrfamilienhauses. Die von ihm durchgeführten Maßnahmen hatten u.a. dazu geführt, dass die Fenster des Gebäudes durchgängig in stehenden Formaten ausgeführt und mit Absturzsicherungen ausgerüstet worden sind. Das Gebäude lag im Geltungsbereich einer Sanierungssatzung nach § 39h BBauG (jetzt § 172 BauGB). Die beklagte Stadt verweigerte die Baugenehmigung unter Berufung auf die Satzung, weil die Ersetzung liegender durch stehende Fensterformate den historischen, durch Harmonie geprägten Gesamteindruck des Straßenbildes störe. Das VG gab der Klage statt. Der Antrag der beklagten Stadt auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Das VG hat den Beklagten zu Recht zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung verpflichtet. Die Ablehnung des Baugenehmigungsantrages kann nicht auf die Satzung des Beklagten zur Erhaltung baulicher Anlagen gem. § 39h BBauG gestützt werden.

Durch eine derartige Satzung kann u.a. die Änderung baulicher Anlagen im Geltungsbereich der Satzung der Genehmigungspflicht unterworfen werden, um die städtebauliche Eigenart des Gebiets auf Grund seiner städtebaulichen Gestalt zu erhalten. Allerdings darf der Satzungsgeber schon aus kompetenzrechtlichen Gründen mit den rechtlichen Mitteln des § 39h BBauG bzw. des § 172 BauGB nicht der Sache nach Denkmalschutz betreiben, sondern ist auf die Verfolgung städtebaulicher Ziele beschränkt. Diese können zwar - selbstverständlich - die Erhaltung historischer Bausubstanz mit umfassen, denn Gegenstand einer Satzung nach § 39h BBauG bzw. § 172 BauGB kann auch die Ausstrahlungswirkung des Denkmalschutzes in das Bauplanungsrecht sein. Im Kern muss der Grund für die Erhaltung der baulichen Anlagen im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung jedoch ein bodenrechtlich-städtebaulicher sein. Gründe des Denkmalschutzes und städtebauliche Erhaltungsgründe sind also deutlich voneinander zu unterscheiden; dies ändert freilich nichts daran, dass eine bauliche Anlage im Einzelfall sowohl aus städtebaulichen Gründen mit den Mitteln des § 172 BauGB als auch aus denkmalrechtlichen Gründen mit den Mitteln der denkmalrechtlichen Unterschutzstellung oder durch den Erlass einer Denkmalbereichssatzung erhalten werden kann. Entscheidend für jede auf eine Satzung nach § 39h BBauG bzw. § 172 BauGB gestützte Maßnahme ist es, dass eine bauliche Anlage zur Wahrung ihrer städtebaulichen Funktion und Bedeutung erhalten werden soll, auch wenn diese ganz oder teilweise in ihrer historischen Substanz wurzelt. Beschränkt sich die Satzung auf diesen Schutzzweck, wird sie im Grundsatz auch den Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 GG an die Ausgestaltung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums, gerecht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.1.1987 - 1 BvR 969/83 -, NVwZ 1987, 879; BVerwG, Urteil vom 3.7.1987 - 4 C 26.85 -, BRS 47 Nr. 129 (zu § 39h BBauG), Beschluss vom 23.6.1992 - 4 NB 9.92 - (zu § 172 BauGB), und Urteil vom 18.5.2001 - 4 CN 4.00 -, BRS 64 Nr. 1; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 9.12.2005 - 2 B 2.03 -, BRS 69 Nr. 211. Zum parallelen Schutz durch eine Erhaltungssatzung neben einer Gestaltungssatzung und einer Denkmalbereichssatzung: OVG NRW, Urteil vom 24.3.1997 - 10 A 762/95 -; ähnlich Hess. VGH, Urteil vom 9.11.1995 - 4 UE 2704/90 - BRS 57 Nr. 271.

Die im vorliegenden Fall anwendbare Erhaltungssatzung genügt diesen Anforderungen, da sie ausweislich ihrer Begründung die Erhaltung des städtebaulichen Erscheinungsbildes in den Satzungsgebieten aus städtebaulichen Gründen beabsichtigt; die Verfahrensbeteiligten haben Bedenken gegen die Wirksamkeit der Satzung auch nicht geäußert.

Allerdings kann die Versagung der beantragten Baugenehmigung zur Veränderung der straßenseitigen Fensterformate nicht auf § 172 Abs. 3 BauGB in Verbindung mit der Satzung gestützt werden. Die Verweigerung einer nach der Erhaltungssatzung erforderlichen Genehmigung kann nur auf die im Gesetz genannten Gründe gestützt werden, etwa darauf, dass die bauliche Anlage das Ortsbild, die Stadtgestalt oder das Landschaftsbild prägt oder sonst von städtebaulicher, insbesondere geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung ist (§ 172 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Ob einer dieser Gründe gegeben ist, muss für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der mit der Satzung verfolgten städtebaulichen Erhaltungsziele und mit Blick auf das Interesse des Eigentümers an der genehmigungspflichtigen Maßnahme (Art. 14 Abs. 1 GG) entschieden werden.

Danach kann dem Kläger die von ihm begehrte Genehmigung nicht verweigert werden. Nach Wortlaut und Begründung der Erhaltungssatzung und dem mit der Genehmigungspflicht verfolgten Ziel für das hier betroffene Teilgebiet des Stadtbezirks beruht die Erhaltungswürdigkeit der baulichen Anlagen im betroffenen Teil des Satzungsgebiets im Wesentlichen darauf, dass sie Elemente der Einheitlichkeit in der Stadtbildgestaltung - geschlossene gradlinige Bebauung einheitlicher Höhe, prägende Vorgärten, typische Anordnung der Alleebäume, betonte Mittelachse der Gebäude - mit einem hohen Maß an Individualität bei der Fassadengestaltung zu einem harmonischen Gesamteindruck verbinden. Dies wird durch die Feststellungen des VG im Ortstermin bestätigt. Gerade die Individualität der Fassaden, die die Entstehung des Wohnquartiers aus vielen Einzelparzellen - im Unterschied zu einheitlich durchgestalteten Baublöcken - erkennen lässt, macht deutlich, dass die Satzung an die für das Satzungsgebiet typische Verbindung von Homogenität und Vielfalt anknüpft. Eine im Satzungsgebiet beantragte Baugenehmigung kann daher nur versagt werden, wenn sie diese so konkretisierten Erhaltungsgründe beeinträchtigt.

Dies ist indes vorliegend nicht der Fall. Dem Gebäude des Klägers kommt über seine im Zusammenhang mit den Nachbargebäuden bestehende stadtbildprägende Wirkung hinaus keine besondere Bedeutung zu. Insbesondere lässt sich die - moderate - Veränderung der Fensterformate entgegen der Annahme des Beklagten nicht als Verletzung des Satzungszwecks bewerten. Zum einen waren liegende Fensterformate nach den vom Beklagten in das Verfahren eingebrachten Unterlagen schon vor der Fassadenrenovierung nicht dominierend; vielmehr waren zahlreiche Fenster fast quadratisch, möglicherweise leicht stehend (Dachgeschoss) oder sogar ausgeprägt vertikal gegliedert (Mittelachse). Zum anderen zählt die Einheitlichkeit der Fenstergestaltung zwar möglicherweise zu den im Satzungsgebiet vormals zu beobachtenden architektonischen Ausdrucksmitteln. Doch wird in der Satzung selbst als schützenswert gerade nicht dieser Aspekt eingestuft, sondern die Vielfältigkeit der Fassadengestaltung. Im Übrigen herrschten schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung in der historischen Bausubstanz - etwa bei zwei anderen Gebäuden - vertikale Formate vor, ebenso bei den durchgehend vorhandenen vertikal gegliederten Mittelachsen in sämtlichen Gebäuden der nördlichen Straßenseite. Dem entspricht es, dass der Beklagte die Veränderung liegender oder quadratischer Fensterformate in stehende etwa bei dem Nachbargebäude hingenommen hat.

Die übrigen vom Beklagten vorgebrachten Argumente tragen die Ablehnung des Bauantrages ebenfalls nicht, da sie überwiegend denkmalrechtliche und nicht stadtbildbezogene Aspekte in den Vordergrund rücken, die - wie ausgeführt - im Rahmen der Satzung nach § 39h BBauG bzw. § 172 BauGB nur in den engen Grenzen ihrer städtebaulichen Ausstrahlungswirkung relevant sind. Insgesamt kann keine Rede davon sein, dass - gemessen am Satzungszweck - durch die beantragte bauliche Veränderung ein völlig neues Gebäude entsteht. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass der Fassadeneindruck insgesamt deutlich verändert und modernisiert wird. Es kommt jedoch auf die Frage, ob das Gebäude nach der Fassadenumgestaltung noch als Teil eines historischen Baubestandes ohne Einbußen erkennbar ist, nur insoweit an, als dies durch die Satzung geschützt wird. Die für den Schutz durch die Erhaltungssatzung maßgeblichen städtebaulichen Gestaltungselemente werden jedoch durch die beantragte Umgestaltung nur in geringem Maße berührt; eine auch am Schutzzweck des Art. 14 Abs. 1 GG orientierte Auslegung und Anwendung der Satzung lässt deshalb eine Ablehnung des Bauantrags nicht zu.

Ende der Entscheidung

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