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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 20.02.2004
Aktenzeichen: 10 A 3279/02
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 13 Abs. 2 Satz 3
Bei der Subsumtion, ob im Einzelfall eine unzulässige störende Häufung von Werbeanlagen i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 3 BauO NRW vorliegt, ist sorgfältig zwischen den Begriffen der Häufung und der Störung zu unterscheiden.

Die Häufung setzt ein räumlich dichtes Nebeneinander einer Mehrzahl von mindestens drei Werbeanlagen voraus; in die Betrachtung sind Werbeanlagen der Eigen- und Fremdwerbung einzubeziehen.

Die Störung setzt voraus, dass der für die Häufung maßgebliche örtliche Bereich im Gesichtsfeld des Betrachters derartig mit Werbeanlagen überladen ist, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt. Wann die störende Wirkung eintritt, hängt wesentlich von dem Baugebietscharakter, der vorhandenen Bebauung und der tatsächlichen Nutzung des Gebiets ab.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Anbringung einer beleuchtbaren Werbetafel mit den Maßen von 3,80 m x 2,80 m an der südlichen Gebäudeabschlusswand des Hauses K.-Straße 70 in D. Das benachbarte Grundstück K.-Straße 72 ist straßenseitig nicht bebaut. Auf ihm wird ein Autohandel betrieben. Der Beklagte lehnte den Bauantrag mit der Begründung ab, die Anbringung der Werbeanlage an dem geplanten Ort führe zu einer störenden Häufung von Werbeanlagen und sei infolge dessen nach § 13 Abs. 2 BauO NRW unzulässig. Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Diese hat das VG abgewiesen. Die vom Senat zugelassene Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das VG hat die Klage der Klägerin zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Die beantragte Werbeanlage ist baugenehmigungspflichtig. Sie ist nicht nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 33 BauO NRW genehmigungsfrei, weil sie eine Größe von deutlich mehr als 1 qm aufweist. Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ist die Baugenehmigung nur zu erteilen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Letzteres ist hier jedoch der Fall. Die beantragte beleuchtbare Eurotafel verstößt gegen § 13 Abs. 2 Satz 3 BauO NRW. Danach ist die störende Häufung von Werbeanlagen unzulässig.

Das Verbot der störenden Häufung ist ein Unterfall des allgemeinen Verunstaltungsverbots. Die Regelung selbst begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. OVG NRW, Urteil vom 6.2.1992 - 11 A 2235/89 -, BRS 54 Nr. 129, und zu § 12 Abs. 2 Satz 3 BayBO a.F., BVerwG, Beschluss vom 3.3.1971 - IV CB 99.69 -, BayVBl. 1971, 226). Das BVerwG hat den Begriff der Verunstaltung definiert als einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht bloß beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Eine bauliche Anlage stört das Gesamtbild der Umgebung, wenn der Gegensatz zwischen ihr und der Umgebung von dem Betrachter als belastend oder Unlust erregend empfunden wird. Bei der Beurteilung ist auf das Empfinden des sog. gebildeten Durchschnittsmenschen abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.6.1955 - I C 146.53 -, BVerwGE 2, 172). Maßgeblich ist, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.4.1995 - 4 B 70.95 -, BRS 57 Nr. 109 = NJW 1995, 2648). Die Konkretisierung des Begriffs des "Verunstaltens" in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung genügt den rechtsstaatlichen Geboten der Berechenbarkeit des Rechts, der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit; sie genügt der Aufgabe der Rechtsprechung, Grundsätze zu entwickeln, welche die Entscheidung des Einzelfalls normativ zu leiten imstande sind. Die Tatsache, dass hinsichtlich der Rechtsanwendung im einzelnen Fall ein Rest von Unsicherheit verbleibt, folgt aus der Funktion von Rechtsbegriffen der vorliegenden Art als Einschätzungsermächtigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.1985 - 1 BvR 588/84 -, NVwZ 1985, 819).

Bei der Subsumtion im Einzelfall ist zu beachten, dass zwischen den Begriffen der Häufung und der Störung inhaltlich sorgfältig zu unterscheiden ist.

Die Häufung im Sinne dieser Vorschrift setzt ein räumlich dichtes Nebeneinander einer Mehrzahl gleicher oder verschiedener Anlagen der Außenwerbung voraus. Dabei sind Werbeanlagen jeder Art in die Betrachtung einzubeziehen. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um Fremd- oder Eigenwerbung, genehmigungsfreie, genehmigungspflichtige oder nur geduldete Einrichtungen handelt. Eine Häufung von Werbeanlagen liegt nur vor, wenn mehrere, mindestens aber drei Werbeanlagen in eine enge räumliche Beziehung gebracht werden. Der Begriff der Häufung erfordert, dass diese mehreren Werbeanlagen gleichzeitig im Gesichtsfeld des Betrachters liegen und ihre optische Wirkung gleichzeitig gemeinsam ausüben. Die Werbeanlagen müssen ohne Weiteres mit einem Blick erfasst werden können. Ein Straßenbild darf nicht in verschiedene Teilstrecken aus unterschiedlicher Blickrichtung gleichsam zerlegt werden (OVG NRW, Urteil vom 6.2.1992, a.a.O.).

Die Störung setzt voraus, dass der für die Häufung maßgebliche örtliche Bereich im Gesichtsfeld des Betrachters derartig mit Werbeanlagen überladen ist, dass das Auge keinen Ruhepunkt mehr findet und das Bedürfnis nach werbungsfreien Flächen stark hervortritt. Wann die störende Wirkung eintritt, hängt wesentlich von dem Baugebietscharakter, der vorhandenen Bebauung und der tatsächlichen Nutzung des Gebiets ab. Dies belegen bereits die Regelungen in § 13 Abs. 4 BauO NRW (OVG NRW, Urteile vom 2.2.1989 - 11 A 2009/87 -, und vom 6.2.2002 - 10 A 3464/01 -, BauR 2003, 1358 (1361); Hess. VGH, Urteil vom 14.4.1982 - IV OE 83/79 -, BRS 39 Nr. 139; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblattkommentar, Stand: 1. Oktober 2003, § 13 Rn. 43).

Verbietet § 13 Abs. 4 BauO NRW ein Einwirken von Fremdwerbung auf vornehmlich dem Wohnen dienende Baugebiete, so ist bei der Beurteilung, ob eine Häufung von Fremdwerbeanlagen stört, zu berücksichtigen, dass diese in Misch-, Kern-,Gewerbe- und Industriegebieten grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.4.1972 - IV C 11.69 -, BRS 25 Nr. 127 m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass beispielsweise eine gewisse Ansammlung von Werbeanlagen bei einem gewerblich geprägten Straßenbild oder einer städtischen Geschäftsstraße in der Regel nicht als störende Häufung angesehen werden darf (vgl. Lechner, in: Simon/Busse, Bay. BauO, Loseblatt-Kommentar, Stand: Oktober 2003, Art. 11 Rn. 716). Das Verbot der störenden Häufung von Werbeanlagen trifft nachkommende Anlagen der Außenwerbung. Dabei kommt der Grundsatz der Priorität zur Anwendung. Nicht genehmigte Anlagen sind dann zu berücksichtigen, wenn mit ihrer Beseitigung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (vgl. OVG NRW, Urteil vom 17.4.2002 - 10 A 4188/01 -, BRS 65 Nr. 147 = BauR 2002, 1231 ff.).

Die Ortsbesichtigung des Vorsitzenden und die Auswertung der angefertigten Lichtbilder haben ergeben, dass sich in unmittelbarer Nähe des geplanten Anbringungsortes derzeit bereits 17 Werbeanlagen befinden, die gleichzeitig mit der geplanten Anlage in den Blick des Betrachters fallen. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei der K.-Straße um eine viel befahrende überörtliche Verbindungsstraße handelt, die gegenüberliegende Straßenseite durch moderne Bürogebäude geprägt ist und der nicht überplante Bereich um das Gebäude K.-Straße 70 jedenfalls in den Erdgeschossen und insbesondere auf den nicht bebauten Grundstücken eine intensive gewerbliche Nutzung aufweist, ist die festgestellte Häufung als störend zu beurteilen. Die Eigenwerbung des Reisebüros auf dem genannten Grundstück mit zwei Vorstehtransparentkombinationen mit jeweils sechs Auslegern wirkt bereits für sich als störend im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 3 BauO NRW. Die 12 Einzelwerbeanlagen für Fluggesellschaften und Reiseveranstalter unterscheiden sich insbesondere in der Farbgebung stark. Sie rahmen die Fassade des Gebäudes K.-Straße 70 beidseitig von der Oberkante des Erdgeschosses bis zur Traufhöhe ein. Diese "Einrahmung" der Vorderfront des Gebäudes mit Werbeanlagen des Reisebüros hat bereits für sich genommen eine überaus negative Auswirkung auf das Erscheinungsbild der Straße in der näheren Umgebung. Diese Kumulation in Verbindung mit der Farbgebung bewirkt eine Aufdringlichkeit der Werbung an der Stätte der Leistung und damit die störende Häufung (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 20.6.2003 - 2 S 16.03 -, GewArch. 2003, 440).

Hinzu treten weitere Flachtransparente und schließlich die Eurotafel und das Superposter an der Giebelwand des Gebäudes K.-Straße 62. Die bereits jetzt vorhandene störende Häufung würde durch die von der Klägerin beantragten Fremdwerbung am Giebel des Gebäudes K.-Straße 70 nochmals nachhaltig verstärkt.

Da es keinen Grundsatz gibt, dass ein mit Werbung bereits überlasteter Ort nicht weiter verunstaltet werden kann, scheidet auch aus diesem Grund eine Genehmigungsfähigkeit der Eurotafel an diesem Anbringungsort aus. Hierin liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG. Der Gleichheitssatz verleiht der Klägerin gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch auf die Beibehaltung einer rechtswidrigen Genehmigungspraxis und die Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung.

Diese Beurteilung fiele nicht anders aus, wenn der Anbringungsort in einem ausgewiesenen Kerngebiet läge, was hier nicht der Fall ist. Eine solche Darstellung im Flächennutzungsplan hat nämlich insoweit keine rechtlich beachtliche Außenwirkung. Auch wenn in Kerngebieten Fremdwerbung grundsätzlich zulässig ist und vom Betrachter erwartet wird, rechtfertigt dies nicht eine derartige Häufung und Konzentration solcher Anlagen im Straßenbild, wie sie hier festzustellen war.

Ende der Entscheidung

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