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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.08.2007
Aktenzeichen: 10 A 3856/06
Rechtsgebiete: DSchG NRW, GG


Vorschriften:

DSchG NRW § 2 Abs. 5
GG Art. 14 Abs. 1
1. Wissenschaftliche Gründe können auch dann für die Erhaltung eines Denkmals sprechen, wenn das unter Schutz zu stellende Objekt (hier: Römerstraße als Bodendenkmal) seiner Art nach an anderer Stelle bereits Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung gewesen ist. Denn es entspricht dem Wesen wissenschaftlicher Forschung, dass auch ein gefestigter Erkenntnisstand jederzeit durch neue methodische oder inhaltliche Forschungsergebnisse in Frage gestellt werden kann, so dass es für diesen Fall hinreichender Anschauungsobjekte bedarf.

2. Die Bemessung der zur Unterschutzstellung eines Bodendenkmals in die Denkmalliste einzutragenden Fläche (hier: 5 m breiter "Schutzstreifen" entlang einer römischen Straßentrasse) muss dem Interesse des Eigentümers an einer schonenden Belastung seines Eigentums Rechnung tragen, darf zugleich aber sicher stellen, dass auch die im Boden befindlichen, mit der Nutzung des Bodendenkmals im Zusammenhang stehenden Überreste insbesondere gegen Bodenarbeiten im angrenzenden Gelände abgesichert werden.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Miteigentümerin eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks (Flurstück 34), das in einer Länge von ca. 630 m an einen Wirtschaftsweg angrenzt, der auf der Trasse einer früheren Römerstraße verläuft. Sie wendet sich gegen die Eintragung der Wegeparzelle (Flurstück 32) sowie eines im Mittel etwa 5 - 6 m breiten Streifens ihres Grundstücks als Bodendenkmal in die Denkmalliste. Die Unterschutzstellung erfasst sowohl die eigentliche, etwa 12 m breite Straßentrasse als auch einen "Schutzstreifen" auf beiden Seiten der Trasse. Das VG wies die hiergegen gerichtete Klage ab, der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Unterschutzstellung eines im Mittel ca. 5-6m schmalen Streifens des Grundstücks der Klägerin als Teil des Bodendenkmals "Römerstraße" ist nicht zu beanstanden. Dies gilt zum Einen, soweit der in die Denkmalliste eingetragene Teil des Grundstücks Bestandteil der eigentlichen Römerstraße gewesen sein sollte, zum Anderen auch insoweit, als er einen Schutzstreifen darstellt, der seitlich der Römerstraße verläuft.

Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 DSchG NRW sind Bodendenkmäler bewegliche oder unbewegliche Denkmäler, die sich im Boden befinden oder befanden. Denkmäler sind nach § 2 Abs. 1 DSchG NRW u.a. Sachen oder Sachmehrheiten, an deren Erhaltung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht, weil sie bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse sind und weil für ihre Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen. Diese Begriffsbestimmung ist für Bodendenkmäler dahin zu verstehen, dass nicht nur im Boden vermutete Artefakte oder Zeugnisse tierischen oder pflanzlichen Lebens Bodendenkmäler sind oder als solche gelten, sondern dass dies auch für den sie umgebenden Boden gilt, der mit ihnen eine Einheit bildet. Der Gesetzgeber hat sich diese archäologische Sichtweise zu eigen gemacht, da nur so den Besonderheiten und Bedürfnissen der Bodendenkmalpflege Rechnung getragen werden kann. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 5 Satz 2 DSchG NRW, der u.a. Bodenveränderungen als Folge nicht mehr selbständig erkennbarer Bodendenkmäler als Bodendenkmäler fingiert.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. 3.1992 - 10 A 1748/86 -BRS 54 Nr. 123, Beschluss vom 8.4.2003 - 8 A 3553/02 -.

Bei der Unterschutzstellung einer abgegrenzten Grundstücksfläche als Bodendenkmal genügt es wegen des mit einer Unterschutzstellung verbundenen Eingriffs in Grundrechtspositionen der Grundstückseigentümer und -nutzer allerdings nicht, dass das Vorhandensein eines Bodendenkmals nur vermutet oder für überwiegend wahrscheinlich gehalten wird. Andererseits muss wegen der für Bodendenkmäler bestehenden Besonderheit, dass eine durch Grabungen vermittelte sichere Anschauung gleichzeitig auch eine zumindest partielle Zerstörung des Denkmals bedeutet, keine vollständige Gewissheit über das Vorhandensein eines Bodendenkmals bestehen. Erforderlich ist vielmehr, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der betroffenen Fläche ein Bodendenkmal vorhanden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 5. 3.1992 - 10 A 1748/86 -, BRS 54 Nr. 123, und vom 28. 3.1995 - 11 A 3554/91 -; Beschlüsse vom 8. 4.2003 - 8 A 3553/02 - und vom 31. 8.2006 - 10 A 1504/06 -

Dieses hohe Maß an Wahrscheinlichkeit muss sich auf zwei Aspekte beziehen: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit muss sowohl angenommen werden können, dass in der unter Schutz gestellten Fläche überhaupt ein Bodendenkmal vorhanden ist, als auch, dass dies für die gesamte von der Unterschutzstellung betroffene Fläche gilt.

Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil gerecht. Das VG ist aufgrund der vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege vorgelegten fachwissenschaftlichen Bewertungen zu Recht davon ausgegangen, dass die betroffene Fläche als Bereich, in dem sich ein Teilstück einer von K. aus verlaufenden Römerstraße befindet, denkmalwert im Sinne des § 2 Abs. 1 DSchG NRW ist und dass dessen Erhaltung als Bodendenkmal im öffentlichen Interesse liegt. Das betroffene Gelände ist als bedeutend für die Geschichte des Menschen einzustufen und in die Denkmalliste einzutragen, weil für seine Erhaltung wissenschaftliche Gründe sprechen.

Entgegen der Annahme der Klägerin ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass sich im Boden der in ihrem Eigentum stehenden Parzelle 34 ebenso wie in der eigentlichen Straßenparzelle 32 Zeugnisse der ehemaligen römischen Fernverbindungsstraße befinden. Bei dieser Einschätzung, die durch ein bloßes "Bestreiten mit Nichtwissen" nicht in Frage gestellt werden kann, handelt es sich nicht um bloße Mutmaßungen. Denn der Verlauf der Straße unterliegt keinem Zweifel - darin stimmen alle Beteiligten überein -, so dass im Hinblick auf die über die Techniken der Herstellung und Reparatur sowie Benutzung derartiger römischer Wege bzw. Straßen vorhandenen und im vorliegenden Verfahren aktenkundig gemachten Kenntnisse anzunehmen ist, dass nicht nur Überreste der Straße selbst noch vorhanden sind, sondern auch seitlich der Straße Spuren ihrer Nutzung und der durchgeführten Bauarbeiten zur Erhaltung und Erneuerung der Straße. Dies ergibt sich schon aus der Feststellung, dass die fragliche Wegeparzelle bis heute als Weg genutzt wird und dass Reparaturmaßnahmen an den römischen Straßen lediglich zu einer allmählichen Überlagerung der ältesten Bauschichten durch jüngere geführt haben, die auf die vorhandenen Reste aufgebracht wurden. Diese Annahmen lassen sich aus den an anderer Stelle durchgeführten Untersuchungsmaßnahmen ableiten und auf die im vorliegenden Fall streitgegenständliche Fläche übertragen.

Vgl. zur Zulässigkeit derartiger Analogieschlüsse zur Beweisführung OVG NRW, Urteil vom 5. 3. 1992 - 10 A 1748/86 -, BRS 54 Nr. 123.

Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es im Bereich der unter Schutz gestellten Parzellen 32 und 34 (teilweise) anders gewesen sein könnte bzw. dass zu irgend einem Zeitpunkt sämtliche Reste der ehemalige Römerstraße entfernt worden sein sollten, denn mangels abweichender Nachfolgenutzungen gab es keine Veranlassung, eine derart kostspielige Maßnahme durchzuführen.

Ist mithin davon auszugehen, dass sich im Bereich der Unterschutzstellung Reste der ehemaligen Römerstraße befinden, sprechen entgegen der Einschätzung der Klägerin wissenschaftliche Gründe für ihre Erhaltung. Für ihre gegenteilige Ansicht stützt sich die Klägerin im Kern auf die Einschätzung, römische Straßen seien inzwischen hinreichend erforscht, so dass es keine wissenschaftlichen Gründe mehr geben könne, das an ihrem Grundstück verlaufende Teilstück - sollte es vorhanden sein - zu erhalten und zu schützen. Diese Ansicht verkennt das Wesen wissenschaftlicher Forschung grundlegend. Wissenschaftliche Forschung dient der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese sind - unabhängig davon, wie sicher sie im Einzelfall und zu einem gegebenen Zeitpunkt erscheinen mögen - dadurch charakterisiert, dass jederzeit ein Wandel des gewonnenen Erkenntnisstandes möglich erscheinen muss, dass also jederzeit bisher unbekannte materielle oder methodische Aspekte auftauchen können, die das bisher gewonnene Wissen in Frage stellen. Auch für diesen Fall, das heißt für den Fall zukünftiger - derzeit nicht absehbarer - wissenschaftlicher Forschung sollen Bodendenkmäler erhalten werden. Denn es erscheint als jederzeit möglich, dass sich die scheinbar fest stehenden Kenntnisse über das römische Straßen- und Wegesystem oder über das römische Straßenbauwesen erneuter Untersuchung und Prüfung stellen müssen. Sollten in diesem Fall die vorhandenen Untersuchungsobjekte nicht mehr vorhanden sein, wäre ein weiterer Erkenntnisfortschritt allein aus diesem Grund gefährdet.

Soweit die Unterschutzstellung eines Geländestreifens auf dem Grundstück der Klägerin damit begründet wird, neben der eigentlichen Wegetrasse sei auf beiden Seiten ein jeweils 5m breiter Schutzstreifen nötig, so ist auch dies nicht zu beanstanden. Der Schutzstreifen wird zu Recht damit begründet, dass eine trennscharfe Begrenzung des eigentlichen Wegebauwerks entlang heutiger Parzellengrenzen nicht mit Sicherheit angenommen werden kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es bei Straßen ohne Randbebauung leichte Unregelmäßigkeiten im Streckenverlauf gegeben hat, die durch die Hinzunahme des Schutzstreifens "aufgefangen" werden können. Außerdem ist anzunehmen, dass auf beiden Seiten der Straße in unmittelbarer Nähe zu ihr nicht nur Überreste der früheren Nutzung der Straße zu finden sein werden, sondern auch Spuren der Arbeiten an der Straße bzw. ihrer baulichen Erneuerung. Für den als Schutzstreifen bezeichneten Geländestreifen entlang der Römerstraße ist demnach ebenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er Teile des Bodendenkmals "Römerstraße" bzw. eigenständige Bodendenkmäler enthält. Die Bemessung eines solchen Schutzstreifens muss einerseits dem Interesse des Eigentümers an einer möglichst schonenden Inanspruchnahme seines Eigentums gerecht werden. Sie darf andererseits sicher stellen, dass die genannten, im Zusammenhang mit der Straße und ihrer Nutzung stehenden Überreste nicht der Vernichtung anheimfallen, sondern durch eine hinreichende Breite des Schutzstreifens abgesichert werden. Schließlich mag der Schutzstreifen im vorliegenden Fall dem zusätzlichen Zweck dienen, Auswirkungen von Bodenarbeiten in unmittelbarer Nähe zu dem Bodendenkmal auf das Denkmal zu vermeiden. Im Bereich einer landwirtschaftlich nutzbaren Fläche erscheint die Anlage eines Schutzstreifens von 5 m Breite entlang der eigentlichen Straßentrasse sachgerecht, beide Funktionen zu erfüllen.

Ende der Entscheidung

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