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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.04.2004
Aktenzeichen: 10 B 2429/03
Rechtsgebiete: VwVfG NRW


Vorschriften:

VwVfG NRW § 20 Abs. 1
VwVfG NRW § 20 Abs. 1 Satz 2
VwVfG NRW § 46
In einem Verwaltungsverfahren zur teilweisen Aufhebung der Baugenehmigung für eine Windkraftanlage darf der Nachbar, zu dessen Schutz vor unzumutbarem Lärm die Aufhebung erfolgen soll, bei der vorbereitenden Immissionsmessung nicht in einer Weise unterstützend tätig werden, die über eine bloße technische Hilfe hinausgeht (§ 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW, Mitwirkungsverbot).
Tatbestand:

Der Antragsgegner widerrief die unter Widerrufsvorbehalt erteilte Nachtbetriebsgenehmigung für eine Windkraftanlage, nachdem Immissionsmessungen auf einem benachbarten Grundstück eine Überschreitung der nach der Genehmigung dort maximal zulässigen Lärmwerte ergeben hatten. Bei der Erhebung der dem Widerruf zu Grunde gelegten Messdaten hatten die Eigentümer des Nachbargrundstücks mitgewirkt. Das VG lehnte den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den Widerruf der Nachtbetriebsgenehmigung eingelegten Widerspruchs ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde war erfolgreich.

Gründe:

Das der angegriffenen Verwaltungsentscheidung vorangegangene Verfahren zur Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen ist, soweit bei der Messung der von der umstrittenen Windkraftanlage verursachten Immissionswerte die Nachbarn S. beteiligt waren, wegen eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW fehlerhaft.

Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW darf in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde nicht tätig werden, wer durch die Tätigkeit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann. Die Bestimmungen des § 20 Abs. 1 VwVfG NRW fordern als Ausprägung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens den Ausschluss jeglicher Mitwirkung durch Beteiligte und andere Personen, bei denen nach den maßgeblichen Umständen des konkreten Falles eine Unparteilichkeit des Handelns nicht gewährleistet ist. Untersagt sind nach § 20 Abs. 1 VwVfG NRW alle Handlungen, durch die die in der Vorschrift bezeichneten Personen Einfluss auf die Behördenentscheidung nehmen können.

Der Antragsgegner hat diese Grundsätze nicht beachtet.

Zur Durchführung der der Aufhebungsentscheidung zu Grunde liegenden Geräuschmessungen haben Mitarbeiter des Landesumweltamtes Nordrhein-Westfalen auf dem Grundstück der Nachbarn S. eine etwa 100 kg schwere Geräuschmessstation mit einem an einem abgespannten Mast in 4 m Höhe über Grund angebrachten Mikrofon aufgebaut. Die Nachbarn S. wurden durch einen elektronischen Schlüssel in die Lage versetzt, durch insgesamt achtmalige Inbetriebnahme des Aufzeichnungsgerätes jeweils die Registrierung der von den in der näheren Umgebung vorhandenen Windkraftanlagen ausgehenden Geräusche zu starten, wobei die Aufzeichnung der Geräusche immer für einen festgelegten Zeitabschnitt - nämlich 15 Minuten - erfolgte. Die so gewonnenen Messdaten sind letztlich die Grundlage der Verwaltungsentscheidung, mit der der Antragsgegner die Nachtbetriebsgenehmigung für die in B. auf dem Flurstück XX, Gemarkung H., Flur YY, genehmigte und errichtete Windkraftanlage des Typs TW 1.5 widerrufen hat.

Die Erhebung der Messdaten durch das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen war Teil des Verwaltungsverfahrens, das - was das Ausgangsverfahren angeht - mit dem Bescheid seinen Abschluss gefunden hat. Die Datenerhebung erfolgte auf Veranlassung des für die Anlagenüberwachung zuständigen Staatlichen Umweltamtes und stellte sich definitionsgemäß als eine nach außen wirkende Tätigkeit einer Behörde dar, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet war (§ 9 VwVfG NRW).

In diesem Verfahren sind die Nachbarn S. für das Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen und damit auch für das Staatliche Umweltamt und letztlich für den Antragsgegner tätig geworden, obwohl ihre Unparteilichkeit, die § 20 Abs. 1 VwVfG NRW für alle am Verwaltungsverfahren Beteiligten sicherstellen soll, nicht gewährleistet war. Nach Aktenlage führen die Nachbarn S. vor dem VG eine Klage gegen den Antragsgegner, um die Aufhebung der für die Windkraftanlagen der W.K.-GmbH erteilten Baugenehmigungen zu erreichen. Mit dem hier in Rede stehenden Widerruf der Nachtbetriebsgenehmigung, der von Anfang an als mögliches Ergebnis des Verwaltungsverfahrens im Raum stand, wäre dieses Ziel zum Teil verwirklicht. Es stand mithin von vornherein fest, dass mit der das Verwaltungsverfahren abschließenden Entscheidung für die Nachbarn S. ein unmittelbarer Vorteil verbunden sein konnte, der sich schließlich auch realisiert hat.

Das Mitwirkungsverbot des § 20 Abs. 1 VwVfG NRW betrifft nicht nur die für die Behörde tätigen Amtswalter, sondern auch solche Privatpersonen, die von der Behörde im Verwaltungsverfahren zur Vorbereitung der Entscheidung unterstützend herangezogen werden. Zu den Letzteren gehören hier die Nachbarn S., denen mit der eigenverantwortlichen Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume ein wesentlicher Einfluss auf die Zusammenstellung der maßgeblichen Messdaten und damit auf den Ausgang des Verwaltungsverfahrens eingeräumt worden ist.

Die zu beanstandende Mitwirkungshandlung der Nachbarn S. beinhaltet einen für das Ergebnis der Datenerhebung maßgeblichen Auswahl- und Entscheidungsprozess und ist deshalb im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen keinesfalls als eine von § 20 Abs. 1 VwVfG NRW nicht erfasste "nicht entscheidungsbezogene technische Hilfe" zu beurteilen wie sie etwa Schreibkräfte oder Boten leisten.

Zwar mag es in Fällen wie diesem grundsätzlich sachgerecht sein, die Aufzeichnungszeiträume aktuell nach dem subjektiven Höreindruck am Immissionsort zu bestimmen, um die für die Beurteilung der nächtlichen Geräuschimmissionen maßgebliche volle Nachtstunde zu ermitteln, die den höchsten Beurteilungspegel aufweist, doch darf die Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume in der Regel nicht unkontrolliert dem durch die Immissionen Betroffenen, in dessen Interesse die einen Dritten belastende Verwaltungsentscheidung ergehen soll, überlassen werden. Schon der bloße äußere Schein einer sachwidrigen Verflechtung öffentlicher und privater Interessen oder einer Parteinahme für einen Anderen soll durch § 20 Abs. 1 VwVfG vermieden werden, wobei insoweit der Blickwinkel desjenigen maßgeblich ist, der durch die Verwaltungsentscheidung belastet wird.

Das Erfordernis, bereits den Anschein der Parteilichkeit auszuschließen, gilt hier umso mehr, als die Übertragung der eigenverantwortlichen Bestimmung der Aufzeichnungszeiträume an den Betroffenen bei gleichzeitig fehlender behördlicher Kontrolle des Aufzeichnungsvorgangs die Gefahr der Manipulation in sich trägt. Derjenige, der weiß und sogar zu bestimmen vermag, wann die - nur kurz dauernde - Geräuschaufzeichnung stattfinden wird, kann durch Versetzung der Messeinrichtung, Abschirmung oder Verstärkung von Geräuschen oder sonstige Veränderungen der Geräuschsituation eine Manipulation der Aufzeichnung vorbereiten. Er kann dafür Zeiträume auswählen, in denen er sicher sein kann, dass weder die Vorbereitung der Manipulation, der manipulierte Aufzeichnungsvorgang selbst noch die Beseitigung der Spuren der Manipulation aufgedeckt werden. Verschärfend kommt hinzu, dass die beteiligten Behörden - soweit dies den Akten zu entnehmen ist - weder Vorkehrungen getroffen haben, um eine solche Manipulation zu verhindern oder wesentlich zu erschweren noch bei der Wartung oder beim Abbau der Messvorrichtungen Feststellungen getroffen haben, nach denen sich eine Manipulation der Messergebnisse hinreichend sicher ausschließen lässt. Der Umstand, dass hier letztlich keine konkreten Anhaltspunkte für eine Manipulation ersichtlich sind, ist für die zu bejahende Frage, ob die Nachbarn S. zu dem Personenkreis zählen, für den die Befangenheit gemäß § 20 Abs. 1 VwVfG NRW gesetzlich unwiderleglich vermutet wird, ohne Belang.

Nach allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, die auch in § 46 VwVfG NRW Niederschlag gefunden haben, führt ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 VwVfG NRW nur dann nicht zur Aufhebung des Verwaltungsaktes, wenn sich der Mangel auf die Entscheidung in der Sache nicht ausgewirkt hat. Beruht die Entscheidung der Behörde nicht auf der - unterstellten - Einflussnahme ausgeschlossener Personen, ist der Verfahrensfehler nicht erheblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.5.1984 - 4 C 58.81 -, NVwZ 1984, 718 (721)).

Der insoweit erforderliche Kausalzusammenhang ist hier festzustellen. Die unter wesentlicher Mitwirkung der Nachbarn S. erhobenen Messdaten waren für die im Streit befindliche Verwaltungsentscheidung ausschlaggebend. Dass eine unter Aufsicht der zuständigen Behörde durchgeführte Datenerhebung ohne Beteiligung der Nachbarn S. identische Ergebnisse erbracht hätte und deshalb der Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 20 Abs. 1 VwVfG NRW die angegriffene Verwaltungsentscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 46 VwVfG NRW), ist schon wegen der oben aufgezeigten naheliegenden Manipulationsmöglichkeiten bei der Geräuschmessung jedenfalls nicht offensichtlich, sodass - vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren - der Widerrufsbescheid des Antragsgegners aufzuheben sein dürfte.

Ende der Entscheidung

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