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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.04.2009
Aktenzeichen: 10 B 459/09.NE
Rechtsgebiete: VwGO, 16. BImSchV


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 6
16. BImSchV
Die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans ist jedenfalls dann geboten, wenn sich aufgrund von Planungsmängeln das Ausmaß der offenkundigen Belastung Betroffener nicht feststellen lässt, aber voraussichtlich erhebliche Änderungen des Plankonzepts erfordert.

Die Festsetzung eines Sondergebietes für ein Besucherzentrum nebst Vorplatz für eine stark frequentierte Einrichtung erfordert eine lärmtechnische Begutachtung, wenn das Gebiet unmittelbar angrenzend an eine reine Wohnbebauung geplant wird.

Die Beurteilung eines Besucherparkplatzes mit ca. 130 Stellplätzen allein nach der 16. BImSchV ist unzureichend.


Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, mit dem diese ein Besucherzentrum nebst Vorplatz und einen Besucherparkplatz mit ca. 125 Stellplätzen für den Archäologischen Park (jährlich ca. 300.000 Besucher) im unmittelbaren Anschluss an die in einem reinen Wohngebiet gelegenen Grundstücke der Antragsteller festsetzt. Der Eilantrag hatte Erfolg.

Gründe:

Der Antrag, den Vollzug des Bebauungsplanes Nr. 164 "Eingangsbereich Archäolo-gischer Park" auszusetzen, ist zulässig - die Antragsteller sind Eigentümer mehrerer Grundstücke in unmittelbarer Nähe des Plangebietes und in erheblichem Maß von Emissionen aus dem Plangebiet betroffen - und begründet.

Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dabei stellt der Begriff "schwerer Nachteil" an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einstweiliger Anordnungen im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz stellt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.5.1998 - 4 VR 2.98 -, NVWZ 1998, 1065.

Der bloße Vollzug eines Bebauungsplans stellt noch keinen schweren Nachteil in diesem Sinne dar. Ein solcher ist vielmehr nur dann zu bejahen, wenn die Verwirklichung des angegriffenen Bebauungsplans in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.

"Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten" sein kann die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans, wenn dieser sich bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtsfehlerhaft erweist und damit von einem zu erwartenden Erfolg des Antragstellers in dem zulässigerweise geführten Hauptsacheverfahren auszugehen ist. Im Hinblick darauf, dass § 47 Abs. 6 VwGO einstweiligen Rechtsschutz nur im individuellen Interesse des jeweiligen Antragstellers gewährt, setzt die Außervollzugsetzung eines offensichtlich unwirksamen Bebauungsplans weiter voraus, dass seine Umsetzung den jeweiligen Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.1.2008 - 7 B 1743/07.NE -, vom 23.5.2007 - 10 B 11/07.NE - und vom 16.5.2007 - 7 B 200/07.NE -, ZfBR 2007, 574.

Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen, nach denen die Antragsteller die Außervollzugsetzung des angegriffenen Bebauungsplans beanspruchen können, hier vor.

Der Bebauungsplan ist offensichtlich unwirksam, da er zumindest erhebliche und ergebnisrelevante Abwägungsmängel im Hinblick auf die aufgrund des Bebauungs-planes zu erwartenden Lärmbelastungen der Antragsteller aufweist. Diese führen dazu, dass die individuelle Betroffenheit der Antragsteller durch die Planverwirk-lichung, die bereits aufgrund der räumlichen Nähe offenkundig und erheblich ist, nicht zutreffend ermittelt worden ist. Aus diesem Grund und weil davon auszugehen ist, dass die unzumutbaren Belastungen der Antragsteller nur durch erhebliche Änderungen des Plankonzepts, ggf. bis hin zur Verlegung des Plangebiets, behoben werden können, ist die Außervollzugsetzung geboten.

Ist in einem Bebauungsplanverfahren eine prognostische Abschätzung von zu erwartenden Immissionen erforderlich, kann diese zwar - je nach den Umständen des Falles - mehr oder weniger grob sein, doch muss sie im Ergebnis hinreichend aussagekräftig sein, um die Wahrung der Zumutbarkeitsschwelle abwägungsgerecht beurteilen zu können.

Diesen Anforderungen genügen die der Abwägungsentscheidung zugrunde liegenden Einschätzungen der zu erwartenden Lärmbelastungen nicht.

Hinsichtlich der Festsetzung der Sondergebietsfläche "Besucherzentrum und Vorplatz APX", die sich auf einer Länge von 80 m mit einem Abstand von 3 m hinter der rückwärtigen, nord-östlichen Grundstücksgrenze der Antragsteller und weiterer Anwohner erstreckt, fehlt es bereits an einer Prognose der zu erwartenden Lärm-immissionen. Die Antragsgegnerin beschränkt sich darauf, die Auswirkungen der geplanten Veranstaltungen mit Volksfestcharakter auf dem Gelände zu beurteilen. Insoweit sieht sie den Schutz der Anwohner durch das nachgelagerte Erlaubnisver-fahren als sichergestellt an. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch, dass der Vorplatz gemäß der Planbegründung Ziffer 6.1 als "Anlage eines öffentlichen Platzes mit hoher Aufenthaltsqualität beabsichtigt" ist, mithin ist gerade Ziel der Planung, dass sich dort Besucher des Besucherzentrums sowie des Archäologischen Parks ggf. auch länger aufhalten sollen. Dies entspricht zumindest für die Sommermonate auch der Lebenserfahrung, zumal über den angrenzenden Parkplatz auch der Besucher-verkehr mit Reisebussen abgewickelt werden soll, die an anderer Stelle auf den schon bestehenden Parkplätzen parken sollen. Insoweit ist insbesondere mit Besu-chergruppen zu rechnen, die darauf warten, abgeholt zu werden. Dass dadurch nicht unerhebliche Lärmbelastungen entstehen können, liegt auf der Hand. Diese sind aber im Planaufstellungsverfahren offenkundig nicht berücksichtigt worden.

Ebenso wenig hat die Antragsgegnerin in ihre Planung einbezogen, dass durch den neu angelegten Verbindungsgang, der direkt an den Grundstücksgrenzen zumindest des Antragstellers zu 1) vorbei führt, zielgerichtet Besucherströme in die Innenstadt bzw. aus der Innenstadt zum Archäologischen Park geführt werden sollen. Der neue Eingang zum Park soll - außerhalb des Plangebietes - unmittelbar westlich des Grundstücks der Antragsteller zu 2) und 3) entstehen. Das entsprechende Grund-stück hat die Antragsgegnerin zu diesem Zweck bereits erworben. Die Antragsteller sind dadurch zwangsläufig weiteren Lärmimmissionen ausgesetzt.

Hinzu kommt als weiterer, konkret nicht in die Abwägung einbezogener Belang, dass die Antragsteller zumindest bei der Gartennutzung ständig Blicken der Nutzer des neuen Verbindungsweges ausgesetzt sein werden. Dies gilt namentlich für den Antragsteller zu 1). Angesichts des Umstandes, dass um den gesamten Gartenbereich seines Grundstücks herum nunmehr Verkehrsflächen festgesetzt werden, befindet er sich durch die Planung unvermeidlich in einer exponierten Insellage.

Die fehlende Einbeziehung der durch das Besucherzentrum entstehenden Immissionen und sonstigen Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung fallen um so stärker ins Gewicht, als auch die Ermittlung der von dem Parkplatz mit 123 Pkw- und 8 Taxi-Stellplätzen ausgehenden Lärmbelastungen namentlich für das Grundstück des Antragstellers zu 1) unzureichend ist. Die Antragsgegnerin hat ihre Abwägungsentscheidung allein auf eine von ihr in Auftrag gegebene schalltechnische Untersuchung gestützt. Das Gutachten geht jedoch von einer unzutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Situation aus. Es ermittelt die zu erwartende Lärmbelästigung ausschließlich auf der Basis der 16. BImSchV, die hier keine, jedenfalls keine alleinige Anwendung finden konnte. Bei dem Parkplatz handelt es sich nicht um eine öffentliche Straße im Sinne von § 1 Abs. 1 der 16. BImSchV, § 41 Abs. 1 BImSchG. Der hier vorliegende selbständige Parkplatz, der nicht lediglich die Verkehrsströme einer Straße, sondern den Besucherverkehr des Archäologischen Parks aufnehmen soll, stellt nach § 2 Abs. 1 StrWG NRW keine öffentliche Straße dar. Dementsprechend fällt er nicht unter den Anwendungsbereich der 16. BImSchV.

Vgl. dazu Jarass, BImSchG, 7. Auflage 2007, § 41 Randziffer 11; Czajka, in: Feldhaus, BImSchR, § 41 BImSchG Randziffer 27; Bracher, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht (Loseblatt-Kommentar), § 41 BImSchG Randziffer 19; Walprecht/Cosson, StrWG NRW, 2. Aufl. 1986, § 2 Rz. 5.

Unabhängig davon kann die 16. BImSchV weder direkt noch mittelbar zur Beurteilung des Lärms auf einer bestimmungsgemäß für Parkzwecke in Anspruch genommenen öffentlichen Verkehrsfläche herangezogen werden. Parkplatzlärm zeichnet sich durch spezifische Merkmale aus, die sich von den Straßengeräuschen des fließenden Verkehrs unterscheiden und einen anderen Informationsgehalt aufweisen. Parkplatztypische Geräusche wie etwa Türenschlagen und Gespräche sind durch die 16. BImSchV und die RLS-90 nicht zu erfassen.

BVerwG, Beschluss vom 14.11.2000 - 4 BN 44.00 -, NVWZ 2001, 433; Urteil vom 2.10.1998 - 4 B 72/98 -, NVWZ 1999, 523; BayVGH, Urteil vom 30.4.1993 - 22 B 92.936 - GewArch 1993, 387 f.; Jarass, BImSchG, 7. Auflage 2007, § 41 Randziffer 11; Kutscheidt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht (Loseblatt-Kommentar), § 3 BImSchG Randziffer 28; Schulze-Fielitz, UPR 1994, 1, 5; im Ergebnis auch Bracher, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht (Loseblatt-Kommentar), § 41 BImSchG Randziffer 20.

Zur Beurteilung der von Parkplätzen ausgehenden Lärmimmissionen ist daher zumindest grundsätzlich auch bei der gerichtlichen Überprüfung einer planerischen Entscheidung die TA-Lärm, ggf. unter Einbeziehung weiterer technischer Regelungen heranzuziehen, um zu einer tragfähigen Immissionsprognose zu kommen.

BVerwG, Urteil vom 2.10.998 - 4 B 72/98 -, NVWZ 99, 523, 527; Beschluss vom 14.11.2000 - 4 BN 44/00 -, NVWZ 2001, 433; BayVGH, Urteil vom 30.4.1993 - 22 B 92.936 - GewArch 1993, 387 f.; Jarass, BImSchG, 7. Auflage 2007, § 3 Randziffer 77, § 22 Randziffer 9.

Eine solche Prognose lag der planerischen Abwägungsentscheidung nicht zugrunde, die vom Parkplatz zu erwartenden Lärmemissionen wurden vielmehr in unzulässiger Weise verkürzt, nämlich nur insoweit betrachtet, als sie vom Fahrzeugbetrieb selbst ausgehen.

Wegen dieser unzureichenden Ermittlung abwägungserheblicher Belange werden die Antragsteller, die unmittelbar angrenzend an die geplanten Anlagen in einem festgesetzten reinen Wohngebiet wohnen, bei der gebotenen umfassenden Bewertung voraussichtlich auch unzumutbaren Immssionsbelastungen ausgesetzt, die als schwerer Nachteil die begehrte Aussetzung begründen. Denn aus dem vorgelegten Gutachten selbst ergibt sich mit hinreichender Sicherheit, dass die von der Parkplatznutzung ausgehenden Immissionen die Zumutbarkeitsschwelle für die Antragsteller überschreiten werden. Unter Zugrundelegung der 16. BImSchV ermittelt der Gutachter für das Grundstück des Antragstellers zu 1) eine allein durch den Parkplatzverkehr eintretende Immissionsbelastung von 49,2 db (A) tags und 41,9 db (A) nachts sowie unter Berücksichtigung der Vorbelastung einen Lärmpegel von 49,9 db (A) tags und 42,6 db (A) nachts. Der nächtliche Immissionsrichtwert für ein reines Wohngebiet nach der hier zumindest dem Grunde nach anzuwendenden TA-Lärm für ein reines Wohngebiet beträgt 35 db (A), und wird hier damit um ca. 7 db (A) überschritten. Auch der Tagesrichtwert, der nach dieser Berechnung um 0,1 db (A) bzw. 0,8 db (A) unterschritten würde, wird bereits mit Einbeziehung der erforderlichen Zuschläge nach der TA-Lärm für impuls- und informationshaltige Geräusche erheblich überschritten, ohne dass die weiter zu erwartende Belastung durch das Besucherzentrum nebst Vorplatz einbezogen wäre. Aus diesem Grund konnte der Senat dahingestellt lassen, ob die auf dem Parkplatz entstehenden Immissionen diesem Besucherzentrum als anlagenbezogen zuzuordnen sind - wofür vieles spricht - und deshalb eine Gesamtbetrachtung erforderlich wäre.

Der Senat lässt vor diesem Hintergrund offen, ob weitere materiell-rechtliche Mängel vorliegen, die ebenfalls zum Erfolg des Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren führen könnten. Fraglich ist insbesondere, ob der Bebauungsplan letztlich ohne Not einen Immissionskonflikt dadurch auslöst, dass er den Parkplatz und das Besucherzentrum mit Vorplatz unmittelbar an die Grenze eines reinen Wohngebietes heranrückt, obwohl nach der ursprünglichen Planung und dem Vortrag der Antragsteller eine von ihrem Grundstück weiter entfernt liegende Fläche nördlich der alten Trasse der Bundesstraße in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen dürfte. Der Senat weist darauf hin, dass eine besondere Dringlichkeit für die Anlage des Parkplatzes angesichts des Umstandes, dass dieser in erster Linie dem neuen Besucherzentrum und dem neuen Eingang zum Archäologischen Park dienen soll, die beide derzeit noch nicht einmal in einem konkreten Planungsstadium sind, kaum besteht. Die Annahme, es gäbe keine ernsthaften, da nicht unmittelbar zu realisierenden Planungsalternativen, ist deshalb nicht bedenkenfrei.

Ende der Entscheidung

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