Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.07.2006
Aktenzeichen: 10 B 695/06
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 17 Abs. 3
BauO NRW § 40 Abs. 4
BauO NRW § 61 Abs. 1
BauO NRW § 68 Abs. 2
BauO NRW § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 14
Liegt bei Baubeginn entgegen § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW die Bescheinigung eines staatlich anerkannten Brandschutzsachverständigen gem. § 16 Abs. 1 SV-VO nicht vor, ist die Bauaufsichtsbehörde allein aufgrund dieses Rechtsverstoßes berechtigt, die erforderlichen Maßnahmen (Stillegung, Nutzungsuntersagung) zu treffen. Einer Prüfung, ob das Vorhaben den brandschutzrechtlichen Vorschriften tatsächlich genügt, bedarf es nicht.
Tatbestand:

Der Antragsteller wandte sich gegen eine Ordnungsverfügung des Antragsgegners, mit der ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Nutzung der von ihm zu Wohnzwecken vermieteten Räumlichkeiten im Spitzboden seines Gebäudes untersagt worden ist. Der Antragsteller legte Widerspruch ein und beantragte, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen.

Das VG gab dem Antrag statt. Die Beschwerde des Antragsgegners hatte Erfolg.

Gründe:

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.

Das VG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14.2.2006 zu Unrecht wiederhergestellt bzw. angeordnet. Die Ordnungsverfügung ist offensichtlich rechtmäßig, sodass die gebotene Interessenabwägung, ob dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung oder dem Aufschubinteresse des Antragstellers der Vorrang gebührt, zu Ungunsten des Antragstellers ausgeht.

Der Antragsgegner macht unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des Fachbereichs Feuerwehr und Zivilschutz zutreffend geltend, dass die gesetzlichen Anforderungen des § 17 Abs. 3 BauO NRW an einen zweiten Rettungsweg derzeit nicht erfüllt sind. Zu keinem anderen Ergebnis führt der vom VG herangezogene vorläufige Prüfbericht des Brandschutzsachverständigen Dipl.Ing A. vom 11.11.2005. Die unterschiedlichen Bewertungen des Sachverständigen und der Feuerwehr über die Anforderungen an einen zweiten Rettungsweg können insoweit dahinstehen. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist, dass derzeit ein zweiter Rettungsweg, wie er in dem Prüfbericht des Sachverständigen aufgrund der ihm vorgelegten Pläne und Zeichnungen als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend bewertet worden ist, tatsächlich nicht vorhanden ist. Wie sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Fotos ergibt, fehlt jedenfalls im Bereich der Gaube ein Geländer mit einer Höhe von 1,1 m bis 1,2 m. Ob darüber hinaus der von dem Sachverständigen geforderte Dachaustritt und das Wartepodest installiert sind, erscheint nach den vorliegenden Lichtbildern zumindest zweifelhaft.

Die angefochtene Nutzungsuntersagung erweist sich unabhängig von den vorstehenden Ausführungen auch aus anderen Gründen als rechtmäßig. Nach § 61 Abs. 1 BauO NRW haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

Im vorliegenden Verfahren ist der Antragsgegner danach schon wegen eines Verstoßes gegen § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW zum Einschreiten berechtigt. Nach dieser Bestimmung ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren spätestens bei Baubeginn bei der Bauaufsichtsbehörde die Bescheinigung einer oder eines staatlich anerkannten Sachverständigen nach § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BauO NRW, dass das Vorhaben den Anforderungen an den Brandschutz entspricht, einzureichen. Die Ausnahme des Halbsatzes 2 dieser Vorschrift für Wohngebäude geringer Höhe und für Sonderbauten greift hier nicht ein.

Allein ein Verstoß gegen diese Bestimmung berechtigt die Bauaufsichtsbehörde nach § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, ohne dass es darauf ankommt, ob das Vorhaben den brandschutzrechtlichen Vorschriften tatsächlich genügt. Der Bescheinigung nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW kommt für die Einhaltung der Brandschutzvorschriften besondere Bedeutung zu. Es handelt es insoweit um einen Ersatz der präventiven Prüfung des baulichen Brandschutzes durch die Bauaufsichtsbehörde. Der Gesetzgeber hat im vereinfachten Genehmigungsverfahren staatlich anerkannten Sachverständigen die Kontrolle der bautechnischen Nachweise und die Prüfung des Brandschutzes übertragen. Diese sollen durch ihre prüfende und kontrollierende Tätigkeit gewährleisten, dass trotz des Verzichts auf eine präventive bauaufsichtliche Prüfung und eingeschränkten Bauüberwachung eine ordnungsgemäße Bauausführung sichergestellt ist und damit letztlich Gefahren für Leben oder Gesundheit der Bewohner, Benutzer und Besucher der baulichen Anlagen ausgeschlossen sind.

Der Gesetzgeber hat mit der BauO NRW 1995 durch die Verlagerung der bautechnischen Prüfungen auf staatlich anerkannte Sachverständige eine Privatisierung der Bauaufsicht eingeleitet.

Vgl. dazu Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblattkommentar, Stand: April 2006, § 67 Rn. 1 ff., 15 m.w.N., 50 ff. u § 68 Rn. 36 ff.

Dies dient einerseits der Entlastung der Bauaufsichtsbehörden, führt andererseits aber zu einer gesteigerten Verantwortung des Bauherrn, des Entwurfsverfassers und der staatlich anerkannten Sachverständigen. Nach § 16 Abs. 1 der Verordnung über staatlich anerkannte Sachverständige nach der Landesbauordnung (SV-VO) haben diese zu prüfen, ob das Vorhaben den Anforderungen an den baulichen Brandschutz entspricht und bescheinigen die Vollständigkeit und Richtigkeit der brandschutztechnischen Nachweise. Zur Bescheinigung gehören der Prüfbericht, in dem Umfang und Ergebnis der Prüfung niederzulegen sind, und eine Ausfertigung der brandschutztechnischen geprüften Bauvorlagen. Im Prüfbericht sind die Forderungen der Brandschutzdienststelle kenntlich zu machen.

Im vorliegenden Verfahren hat der staatlich anerkannte Sachverständige für die Prüfung des Brandschutzes eine derartige Bescheinigung nicht erteilt. Stattdessen hat er in einem "Vorläufigen Prüfbericht" vom 11.11.2005 unter der Überschrift "Zusammenfassung der Prüfung" ausgeführt: "Nach dem derzeitigen Stand der Brandschutztechnik bestehen gegen den geplanten Ausbau keine Bedenken wegen des Brandschutzes". Abgesehen davon, dass dies in der Sache unzutreffend sein dürfte, widerspricht diese Vorgehensweise § 16 Abs. 1 SV-VO und wird der beschriebenen besonderen Verantwortung des Sachverständigen nicht gerecht. Entgegen den gesetzlichen Vorschriften wird die Prüfung des Brandschutzes - und der Streit darüber - in die Bauaufsichtsbehörde zurückverlagert. Im Übrigen enthält der "Vorläufige Prüfbericht" den ausdrücklichen Hinweis, die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen und stellt schon deshalb keinen brandschutztechnischen Nachweis im Sinne der genannten Vorschriften dar.

Werden die in § 68 Abs. 2 BauO NRW genannten Nachweise oder Bescheinigungen nicht spätestens vor Baubeginn eingereicht, kann dies gemäß § 84 Abs. 1 Nr. 12 BauO NRW mit einem Bußgeld geahndet werden. Die Bauaufsichtsbehörde kann unabhängig davon wegen des nicht von der Hand zu weisenden Gefährdungspotenzials bis zur Vorlage der Unterlagen die erforderlichen bauaufsichtlichen Maßnahmen, etwa durch Stillegung der Baustelle, ergreifen.

Vgl. Heintz, in: Gädtke/Temme/Heintz, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen, 10. Auflage 2003, § 68 Rz. 39 und 42.

Ausgehend von diesen Grundsätzen rechtfertigt auch die Nichtvorlage der Bescheinigung gemäß § 68 Abs. 2 Nr. 3 BauO NRW die angefochtene Nutzungsuntersagung. Bereits unter dem 23.6.2004 war der Sondereigentümer auf die fehlende Bescheinigung hingewiesen und zum Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung angehört worden. Gleichwohl hat er bislang einen entsprechenden Nachweis nicht erbracht.

Unterliegt die angefochtene Ordnungsverfügung danach keinen Bedenken, geht die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Die hier in Rede stehenden Gefahren sind so gewichtig, dass dem besonderen öffentlichen Interesse, die Gesundheit und das Leben zu schützen, der Vorrang gebührt. In diesem Zusammenhang und für das weitere Verfahren merkt der Senat an, dass bereits erhebliche Zweifel an dem Bestehen eines ersten Rettungsweges bestehen. Nach § 17 Abs. 3 BauO NRW müssen für jede Nutzungseinheit in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum zwei Rettungswege vorhanden sein. Der erste Rettungsweg muss in Nutzungseinheiten, die nicht zu ebener Erde liegen, über mindestens eine notwendige Treppe führen. Ob die in den Bauantragsunterlagen so bezeichnete "Spartreppe" zum Spitzboden, bei dem es sich um ein eigenes Geschoss im Sinne dieser Vorschrift handeln dürfte, weil er sich auf einer anderen Ebene als die übrige Wohnung befindet, den Anforderungen an eine notwendige Treppe gemäß § 36 BauO NRW genügt, ist nach dem vorliegenden Lichtbild zumindest zweifelhaft. Was den zweiten Rettungsweg angeht, ist nach den Bauvorlagen das Dachfenster zwar mit einer Höhe von 0,9 m genehmigt. Das Lichtbild lässt insoweit jedoch vermuten, dass es höher als 1,20 m über der Fußbodenoberkante angeordnet ist und damit gegen § 40 Abs. 4 BauO NRW verstößt. Darüber hinaus spricht bei vorläufiger Prüfung einiges für die in der Stellungnahme vom 9.5.2006 vertretene Einschätzung der Feuerwehr, dass der vorgesehene zweite Rettungsweg im Brandfall nicht nutzbar sein dürfte.

Ende der Entscheidung

Zurück