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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.12.2008
Aktenzeichen: 10 D 104/06.NE
Rechtsgebiete: GG, VwGO, GO NRW, BauGB


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 3
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
GO NRW § 31
GO NRW § 43 Abs. 2
BauGB § 165 Abs. 2
BauGB § 165 Abs. 3
BauGB § 165 Abs. 4
BauGB § 165 Abs. 5
BauGB § 165 Abs. 7
BauGB § 169 Abs. 3
BauGB § 182
Die Antragsbefugnis eines Wohnungsmieters kann sich im Normenkontrollverfahren gegen eine Entwicklungssatzung aus seinem Interesse ergeben, eine Aufhebung des Mietverhältnisses auf der Grundlage der Satzung in Verbindung mit § 182 BauGB zu verhindern.

Nach § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist die Aufzählung der Gründe, die eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme rechtfertigen können, nicht abschließend.

Ein solcher Grund kann die Auflösung einer unvertretbaren Gemengelage - ehemalige Bergarbeitersiedlung neben Chemiepark - sein, die der geordneten städtebaulichen Entwicklung außerhalb des Satzungsgebiets entgegensteht.


Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich gegen die Satzung der Antragsgegnerin über die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs "Westerweiterung Chemiepark N.". Er ist Mieter einer in der ehemaligen Bergarbeitersiedlung T. gelegenen Doppelhaushälfte. Die ca. 6 ha große T.-Siedlung liegt westlich des Chemieparks und ist im übrigen im Wesentlichen von unbebauten Flächen umgeben. Der ca. 680 ha große Chemiepark wird im Norden von dem X.-E.-Kanal, im Osten von einer Zechenanlage und im Süden von einer Autobahn umgrenzt.

Dem Satzungsbeschluss der Antragsgegnerin gingen vorbereitende Untersuchungen für einen ca. 95 ha großen Bereich westlich des Chemieparks voraus. Der festgelegte Entwicklungsbereich hat eine Fläche von ca. 8 ha und umfasst im Wesentlichen die T.-Siedlung. Ziel der Maßnahme ist die Überplanung der als Entwicklungshindernis angesehenen Siedlung um eine Erweiterung des Chemieparks zu ermöglichen.

Der Normenkontrollantrag des Antragstellers blieb erfolglos.

Gründe:

Der Antragsteller ist antragsbefugt. Dem steht nicht entgegen, dass er nur Mieter einer im Geltungsbereich der Entwicklungssatzung gelegenen Wohnung ist und dass die Eigentümerin des Grundstücks die angegriffene Maßnahme ausdrücklich befürwortet.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag stellen, wer geltend machen kann, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden.....

Die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs nach § 165 Abs. 3 BauGB kann unter anderem die Grundlage dafür bilden, bestehende Mietverhältnisse - also auch dasjenige des Antragstellers - gemäß § 182 BauGB aufzuheben; die sich aus § 182 Abs. 2 BauGB ergebenden zusätzlichen Anforderungen an eine Aufhebung des Mietverhältnisses mildern die Folgen einer solchen Maßnahme lediglich ab. Deshalb muss das Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seines Mietverhältnisses in die Abwägung der für bzw. gegen die Entwicklungsmaßnahme sprechenden Belange einbezogen werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im vorliegenden Fall die Grundstückseigentümerin eine Durchführung der Entwicklungsmaßnahme ausdrücklich begrüßt, weil sie ein erhebliches Interesse an der Erweiterung des Chemieparks hat. Der zwischen dem Antragsteller und der Eigentümerin bestehende Interessenkonflikt muss vom Satzungsgeber in seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigt werden; Abwägungsfehler können daher eine Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sowohl zu Lasten des Grundstückseigentümers als auch zu Lasten des Antragstellers als Mieters begründen.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Die Entwicklungssatzung leidet nicht an zu ihrer Unwirksamkeit führenden beachtlichen formellen Mängeln (1.). Sie ist auch materiell rechtmäßig (2.).

1. Durchgreifende formelle Mängel bestehen nicht....

2. Die Satzung der Antragsgegnerin über die förmliche Festlegung des städtebaulichen Entwicklungsbereichs "Westerweiterung Chemiepark N." ist materiell rechtmäßig.

2.1. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme entspricht den Zielen und Zwecken des § 165 Abs. 2 BauGB (§ 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Danach können mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebietes entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde u.a. im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden.

Aus der Stellung des § 165 BauGB im Kapitel "Besonderes Städtebaurecht" ergibt sich, dass das Instrument der Entwicklungsmaßnahme zur Lösung von besonderen städtebaulichen Problemen bestimmt ist und einen qualifizierten städtebaulichen Handlungsbedarf voraussetzt. Das städtebauliche Vorhaben muss den Charakter einer Gesamtmaßnahme haben, die darauf angelegt ist, für einen bestimmten Bereich ein Geflecht mehrerer Einzelmaßnahmen über einen längeren Zeitraum koordiniert und aufeinander abgestimmt vorzubereiten und durchzuführen. Es muss sich um ein koordiniertes Maßnahmenbündel handeln, das durch eine "flächendeckende und zeitlich geschlossene Planungskonzeption für ein exakt umgrenztes Gebiet" verwirklicht werden soll.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, BRS 60 Nr. 229; Beschluss vom 9.11.2001 - 4 BN 51.01 -, BRS 64 Nr. 223; Urteil vom 12.12.2002 - 4 CN 7.01 -, BRS 65 Nr. 230; OVG NRW, Urteil vom 8.4.2002 - 7a D 213/97.NE, juris; Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Aus § 165 Abs. 2 BauGB folgt weiterhin, dass in diesem Zusammenhang auch der räumliche Bezug der Entwicklungsmaßnahme vom Charakter des Besonderen geprägt sein muss.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, BRS 60 Nr. 225.

Es kann demnach nicht jedes städtebauliche Vorhaben Gegenstand einer Entwicklungsmaßnahme sein. Mit einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme sollen vielmehr nur Ortsteile und andere im vorgenannten Sinne besonders bedeutsame Teile des Gemeindegebietes entwickelt werden.

Unter Ortsteil ist dabei ein Teil des Gemeindegebiets zu verstehen, der wesentliche Teilfunktionen des vorhandenen Ortes in sich vereinigt. Der Ortsteil ist begrifflich mit einer gewissen flächenmäßigen Größe verbunden, welche seine besondere städtebauliche Bedeutung regelmäßig impliziert. Letzteres gilt auch für andere Teile des Gemeindegebiets, die ihrer Fläche nach einem Ortsteil vergleichbar sind. Abgesehen von diesen Gebietsteilen, denen allein auf Grund ihrer Ausdehnung eine besondere städtebauliche Bedeutung beizumessen ist, gehören zu den anderen Teilen des Gemeindegebiets im Verständnis von § 165 Abs. 2 Satz 1 BauGB etwa solche städtebaulichen Gebilde, die wegen ihrer Stellung im Gesamtgefüge des Gemeindegebiets, des Landesgebiets oder der Region städtebaulich bedeutsam sind, insbesondere für das Funktionieren dieses Gesamtgefüges auf der Grundlage aufeinander abgestimmter und tauglicher Teilfunktionen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 1.12.1997 - 10a D 62/94.NE -, a. a. O., und vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Das bedeutet, dass nicht jedes Baugebiet für eine Entwicklungsmaßnahme in Frage kommt. Vielmehr muss der betreffende Gebietsteil ein beträchtliches Eigengewicht haben, das auch im Gesamtgefüge der Gemeinde deutlich wahrnehmbar ist. Der in § 165 Abs. 2 BauGB verwandte Begriff der besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde beinhaltet neben dem quantitativen Aspekt in der Regel auch eine qualitative Komponente.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, a. a. O., und Beschluss vom 9.11.2001 - 4 BN 51.01 -, a. a. O.

Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem festgesetzten Entwicklungsbereich zwar nicht um einen Ortsteil, aber um einen anderen Teil des Gemeindegebietes der Antragsgegnerin. Der Entwicklungsbereich hat zwar nur eine geringe flächenmäßige Ausdehnung von ca. 8 ha. Ihm kommt jedoch aufgrund seiner exponierten Lage unmittelbar neben dem Chemiepark eine besondere Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde zu.

Der Entwicklungsbereich, der im Wesentlichen aus der von Industrie- und Außenbereichsflächen umgebenen T.-Siedlung besteht, ist ohne Bauleitplanung betriebsbezogen neben einer Zeche entstanden und hat nach deren Schließung seine ursprüngliche Funktion als Bereitschaftssiedlung verloren. Seine Bedeutung gewinnt er durch den angrenzenden Chemiepark mit einer Fläche von ca. 680 ha. Die dort vorhandenen Anlagen der chemischen Industrie stellen wegen der von ihnen einzuhaltenden Abstände und Immissionsbestimmungen besondere Anforderungen an den Standort und seine Umgebung. Deshalb stellt sich die T.-Siedlung in zweifacher Hinsicht als ein Entwicklungshemmnis dar. Zum einen stehen schon jetzt Flächen auf dem westlichen Teil des Parkgeländes wegen der erforderlichen Schutzabstände zu den Wohngebäuden für die Ansiedlung und den Betrieb emittierender und störfallrelevanter Anlagen nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Zum anderen befindet sich die Siedlung auf einer Fläche, die als einzige für eine Erweiterung des Chemieparks in Betracht kommt.

Regelmäßig setzt die Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme wegen ihres besonderen Charakters als integrierte Gesamtmaßnahme eine zusammenhängende Fläche des Entwicklungsbereiches voraus. Im Einzelfall kann eine einheitliche Entwicklungsmaßnahme auch auf voneinander getrennten Flächen rechtlich möglich sein. Dies setzt voraus, dass diese Flächen untereinander in einer funktionalen Beziehung zueinander stehen, die die gemeinsame Überplanung und die einheitliche Durchführung zur Erreichung des bestimmten Entwicklungsziels nahe legt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, a. a. O.

.....

Die Antragsgegnerin war auch nicht daran gehindert, einen vorhandenen Baubestand durch die Entwicklungsmaßnahme zu überplanen. Die Gemeinde ist nämlich befugt, ein bereits baulich genutztes Gebiet nach den §§ 165 ff. BauGB zu entwickeln.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.11.2001 - 4 BN 51.01 -, a. a. O.

2.2. Die Entwicklungssatzung erfüllt die Voraussetzungen des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Danach kann die Gemeinde einen Bereich, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll, nur dann förmlich als städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen, wenn das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert, insbesondere zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur Wiedernutzung brachliegender Flächen.

2.2.1. Die Regelung des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB steht in engem Zusammenhang mit § 169 Abs. 3 Satz 1 BauGB, wonach im städtebaulichen Entwicklungsbereich die Enteignung ohne Bebauungsplan zu Gunsten der Gemeinde oder des Entwicklungsträgers zur Erfüllung ihrer Aufgaben zulässig ist. Bei der Prüfung, ob das Wohl der Allgemeinheit die Entwicklungsmaßnahme erfordert, ist daher bereits in Rechnung zu stellen, dass im Grundsatz alle Grundstücke im Entwicklungsbereich in das Eigentum der Gemeinde überführt werden sollen (§ 166 Abs. 3 BauGB), erforderlichenfalls im Wege der Enteignung. Die Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen ist aus diesem Grunde auf den Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses vorverlagert, wobei es sich allerdings um eine eher pauschale Prüfung handelt. Da der Entwicklungsbereich regelmäßig große Flächen beansprucht und im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch keine bis ins Einzelne gehende Plankonzeption vorliegen muss, können die Enteignungsvoraussetzungen zu diesem Zeitpunkt nicht schon für jedes Grundstück abschließend geprüft werden. Das Wohl der Allgemeinheit muss aber generell die geplante Entwicklung in dem beschlossenen räumlichen Umfang - einschließlich der Enteignung - rechtfertigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.1.1982 - 4 C 94.79 -, BRS 39 Nr. 244; Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Nur ein im Verhältnis zu entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen überwiegendes öffentliches Interesse ist als besonderes und als dringend zu qualifizierendes Interesse geeignet, den Zugriff auf privates Eigentum zu rechtfertigen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.6.2008 - 1 BvR 349/04 -, 1 BvR 378/04 -, NVwZ 2008, 1229; BVerwG, Beschlüsse vom 16.2.2001 - 4 BN 55.00 -, BRS 64 Nr. 221 und vom 5.8.2002 - 4 BN 32.02 -, BRS 65 Nr. 232.

2.2.2. Die strittige Entwicklungsmaßnahme erfüllt auch die inhaltlichen Voraussetzungen des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Danach kann die Gemeinde einen Bereich, in dem eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchgeführt werden soll, förmlich als städtebaulichen Entwicklungsbereich festlegen, wenn das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordert, insbesondere zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstätten, zur Errichtung von Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen oder zur Wiedernutzung brachliegender Flächen. Die in der Regelung enthaltene Aufzählung der Gründe, die die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme erfordern können, ist nicht abschließend. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift ("insbesondere"). An der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme kann auch aus anderen Gründen ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehen.

Dies ist hier der Fall. Nach dem Ergebnis der Voruntersuchungen können gegenwärtig in einem beachtlichen Umfang Flächen auf dem westlichen Teil des Geländes des Chemieparks für die Ansiedlung und den Betrieb emittierender oder störfallrelevanter Anlagen trotz einer grundsätzlichen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden, weil die erforderlichen Schutzabstände zu den Wohngebäuden in der T.-Siedlung nicht eingehalten werden können. Unabhängig von einer flächenmäßigen Erweiterung des Chemieparks stellt die Siedlung bereits für die interne Weiterentwicklung ein beachtliches Hemmnis dar, an dessen Beseitigung nicht nur ein betriebliches, sondern auch ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Die Siedlung selbst hat ihre städtebauliche Rechtfertigung bereits vor Jahren durch die Schließung des Zechenstandorts verloren. Die Wohngebäude sind als Bereitschaftssiedlung betriebsbezogen errichtet worden, ohne dass eine städtebauliche Planung vorausgegangen war. Eine nachträgliche bauplanerische Absicherung und eine Fortentwicklung zu einem nicht betriebsbezogenen Wohnen sind nicht erfolgt. Die Siedlung stellt wegen ihrer Nachbarschaft zu dem Chemiepark einen städtebaulichen Missstand dar, an dessen Korrektur ein qualifiziertes öffentliches Interesse besteht.

2.2.3. Die strittige Entwicklungsmaßnahme dient weiter der Deckung eines in N. bestehenden erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten. Nach dem Ergebnis der Voruntersuchungen ging die Anzahl der Beschäftigten in N. von 33.644 Beschäftigten im Jahr 1980 auf 25.960 Beschäftigte im Jahr 2003 zurück. Auch unter Berücksichtigung einer geänderten Erfassung der Beschäftigten im Bergbau ist seit Beginn der 90er Jahre eine Abkopplung der Stadt und des Kreises von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und ein Rückstand gegenüber den Wachstumsregionen in Nordrhein-Westfalen festzustellen. In der chemischen Industrie hat sich die Zahl der Beschäftigen zwischen 1990 und 1997 um ein Drittel verringert.

Das Bestehen eines erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten begründet hier ein überwiegendes öffentliches Interesse. Dem steht nicht entgegen, dass die Maßnahme zugleich auch im privaten Interesse der E. Immobilien GmbH & Co. KG als Eigentümerin der weitaus meisten Grundstücke im Chemiepark und im Erweiterungsgebiet liegt. Im Bereich des Städtebaus liegen öffentliche und private Interessen häufig dicht nebeneinander und überlagern sich. Eine Entwicklungsmaßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigt zugleich auch die davon berührten Unternehmen. Hierzu gehört hier nicht nur die E. als Grundstückseigentümerin sondern auch eine Vielzahl von chemischen Betrieben, die ihre bestehenden Anlagen auf dem Parkgelände erweitern oder die sich dort neu ansiedeln wollen. Werden durch die Zurverfügungstellung von Erweiterungsflächen gefährdete Arbeitsplätze gesichert oder neue geschaffen, kann darin zugleich ein qualifiziertes öffentliches Interesse liegen.

Vgl. Runkel, in: Ernst/ Zinkahn/ Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Loseblattkommentar, Stand: 1.6.2008, § 165 Rn. 20.

Der in § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB verwendete Begriff "erhöhter Bedarf" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 23.10.1995 - 15 N 94.1693 -, BRS 57 Nr. 286; OVG NRW, Urteile vom 1.12.1997 - 10a D 62/94.NE - und vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, jeweils a. a. O.

Ein erhöhter Bedarf geht über die allgemeinen Bedürfnisse hinaus, welche die Aufstellung eines Bebauungsplans im Verständnis von § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich machen. Die Entwicklungsmaßnahme ist ein Instrument für besondere Bedarfssituationen, die durch das herkömmliche Instrumentarium des Baugesetzbuches nicht abgedeckt werden können. Die Ausweisung von Bauland zählt zu den typischen planerischen Aufgaben der Gemeinde. Um das einschneidende Instrument der Entwicklungssatzung anzuwenden, genügen demnach nicht die allgemeinen städtebaulichen Belange, die ein Planerfordernis im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB auslösen. Der Gesetzgeber erläutert nicht näher, was unter einem erhöhten Bedarf zu verstehen ist, macht aber deutlich, dass nicht jeder Nachfrageüberhang es rechtfertigt, an Stelle des Mittels der Bauleitplanung vom Instrumentarium des Entwicklungsrechts Gebrauch zu machen. Er knüpft die Anwendung der §§ 165 ff. BauGB an ein besonderes Qualifikationsmerkmal. Ein erhöhter Bedarf im Sinne des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB weist eine sachliche und eine zeitliche Komponente auf. Von einem erhöhten Bedarf kann erst dann gesprochen werden, wenn die Nachfrage das Angebot aus strukturellen Gründen längerfristig deutlich übersteigt. Der Überhang muss zudem so groß sein, dass es zu seiner Beseitigung mit einer Ausweisung von Flächen, die von ihren Dimensionen und ihren Funktionen her hinter den in § 165 Abs. 2 Satz 1 BauGB bezeichneten Merkmalen zurückbleiben, nicht sein Bewenden haben kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Entscheidend ist letztlich, ob nach Ausschöpfung der vorrangig einzusetzenden herkömmlichen Instrumente der Bauleitplanung ein unbefriedigter Nachfrageüberhang verbleibt. Enteignungsrechtlich erforderlich ist die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme als letztes der zur Verfügung stehenden Instrumente.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 1.12.1997 - 10a D 62/94.NE -, vom 19.6.2001 - 10a D 210/97.NE - und vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, jeweils a. a. O.

Die Beantwortung der Frage, ob die Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zur Deckung eines erhöhten Arbeitsstättenbedarfs erforderlich ist, macht eine Prognose in zwei Richtungen notwendig. Zum einen ist der gegenwärtige und künftige Bedarf an Arbeitsstätten zu ermitteln. Zum anderen ist zu ermitteln, welche Möglichkeiten zur Deckung des festgestellten Arbeitsstättenbedarfs ohne die Entwicklungsmaßnahme bestehen. Ergibt sich zwischen dem prognostizierten längerfristigen Bedarf und den anderweitigen Möglichkeiten seiner Deckung eine Lücke, kann zu ihrer Schließung die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme eingesetzt werden, soweit auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen. Der Arbeitsstättenbedarf und die Möglichkeiten seiner Deckung sind für den Zeitraum zu prognostizieren, innerhalb dessen die beabsichtigte städtebauliche Entwicklungsmaßnahme verwirklicht werden soll.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 1.12.1997 - 10a D 62/94.NE -, vom 19.6.2001 - 10a D 210/97.NE - und vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, jeweils a. a. O.

Das bedeutet, dass die Gemeinde anhand der Fakten und Erfahrungswerte, über die sie verfügt, ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die zukünftige Entwicklung des Arbeitsstättenbedarfs zu fällen hat. Dass eine solche Prognosenentscheidung nicht frei von Unsicherheiten ist, macht sie für die planerische Praxis nicht untauglich. Vorauszusetzen ist nur, dass die Prognose in einer der jeweiligen Materie angemessenen, methodisch einwandfreien Weise erarbeitet wird. Dagegen kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die Annahmen, die ihr zugrunde liegen, durch die spätere Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder widerlegt werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.; Beschlüsse vom 16.2.2001 - 4 BN 55.00 -, a. a. O. und vom 5.8.2002 - 4 BN 32.02 -, a. a. O.; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Prognosespielraums der Gemeinde vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.6.2008 - 1 BvR 349/04 -, 1 BvR 378/04 -, a. a. O.

Ein wichtiger Indikator für den Arbeitsstättenbedarf ist die Nachfrage von Unternehmen nach Gewerbeflächen. Denn die Befriedigung dieser Nachfrage garantiert regelmäßig die Errichtung von Arbeitsstätten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.

Hinzukommen muss unter dem Blickwinkel der Arbeitsplatzbeschaffung darüber hinaus, dass die Entwicklungsmaßnahme eine nachfragegerechte Planung zum Inhalt hat, d. h., dass sie darauf abzielt, investitionsbereite Betriebe anzusiedeln, die die Erwartung rechtfertigen, ihren Arbeitskräftebedarf aus dem Kreis der vorhandenen Arbeitskräfte zu befriedigen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.

2.2.4. Eine Überprüfung anhand dieser Maßstäbe ergibt, dass die Entwicklungsmaßnahme zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten im Sinne des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB erforderlich ist. Die Abschätzung, ob in der Zukunft ein erhöhter Bedarf besteht, hat die Antragsgegnerin im Wege einer Prognose ermitteln lassen, die nach den vorstehenden Maßstäben methodisch einwandfrei und nachvollziehbar erstellt wurde. Die von dem Büro Q. E. erstellte Prognose ist in Methode und Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem steht nicht entgegen, dass der Bedarf nicht anhand der konkreten Nachfrage, sondern unter Rückgriff auf ein Rechenmodell ermittelt wurde. Entscheidend ist, ob die Fakten und Daten, die in die Rechnung eingegangen sind, genügend Aussagekraft besitzen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.

Das Büro P. D. hat im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen den aktuelle Flächenbestand im Chemiepark sowie den in den nächsten 15 Jahren bestehenden Flächenbedarf ermittelt. Danach stehen auf dem Gelände des Chemieparks kurzfristig (innerhalb eines Jahres) 10 ha und mittelfristig (innerhalb von vier Jahren) 20 ha zu Verfügung. Außerhalb des Geländes seien nördlich der T.-Siedlung kurzfristig 8 ha und mittelfristig nördlich und südlich insgesamt 30 ha verfügbar. Von der Gesamtfläche könne mit Rücksicht auf die bestehende Wohnsiedlung jedoch weniger als die Hälfte uneingeschränkt für Industrienutzungen herangezogen werden.

Die Ermittlung des Flächenbedarfs erfolgte rechnerisch nach dem GIFPRO-(Gewerbe- und Industrieflächenprognose)-Modell, da nach dem Ergebnis der Untersuchung eine unmittelbare Bedarfsprognose aus betrieblichen oder gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten nicht möglich war. Dabei wurde für die chemische Industrie empirisch eine beschäftigtenbezogene Flächenkennziffer von minimal 500 m² und maximal 750 m² pro Beschäftigten bestimmt. Die Anzahl der Gewerbe- und Industrieflächen beanspruchenden Beschäftigten in der chemischen Industrie wurde für die Stadt N. und ihren Einzugsbereich mit 10.000 Personen angenommen. Unter Berücksichtigung der ebenfalls empirisch ermittelten Mobilitätsquote, die ein Maß für die Häufigkeit der Neugründung, Neuansiedlung oder innerstädtischen Verlagerung von Betrieben darstellt, wurde für einen Zeitraum von 15 Jahren bei einer Flächenkennziffer von 500 m²/Beschäftigten eine Nachfrage von 65 ha und bei einer Flächenkennziffer von 750 m²/Beschäftigten eine Nachfrage von 100 ha prognostiziert.

Die beschriebene Prognosemethode lässt rechtlich erhebliche Zweifel nicht erkennen. Bestätigt wird die Verlässlichkeit der Prognose nach Aussage des Gutachters durch einen Vergleich mit dem Ergebnis von in anderen Städten durchgeführten Betriebsbefragungen und Untersuchungen über die in den letzten Jahren tatsächlich erfolgten Ansiedlungen. Danach ist in einem Zeitraum von 15 Jahren mit einem großen Ansiedlungsfall mit einem Flächenbedarf von 15 bis 25 ha, etwa fünf größeren Ansiedlungsfällen mit jeweils 3 bis 5 ha und rund 30 bis 40 Ansiedlungen mit einem Bedarf von jeweils 1 ha zu rechnen. Hieraus ergebe sich eine Gesamtnachfrage von mehr als 60 ha. Die Ansiedlung größeren Betriebseinheiten mit Flächen von mehr als 5 ha habe bislang nicht realisiert werden können, da sich herausgestellt habe, dass diese nur auf der Basis einer Westerweiterung möglich sei.

Die Voruntersuchung kommt weiter zu dem Ergebnis, dass nach den Grundsätzen der Regionalökonomie die Schaffung eines Arbeitsplatzes in der chemischen Industrie bedingt durch die damit ausgelöste Nachfrage nach sekundären Leistungen das Entstehen von zwei bis drei weiteren Arbeitsplätzen im Einzugsgebiet erwarten lasse.

Diese Feststellungen rechtfertigen insgesamt die der Entwicklungsmaßnahme zugrunde liegende Annahme der Antragsgegnerin, durch eine Westerweiterung des Chemieparks und den Wegfall der Nutzungseinschränkungen für die Flächen im westlichen Teil des vorhandenen Geländes den bestehenden erhöhten Arbeitsstättenbedarf zumindest teilweise decken zu können.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers kann die festgestellte Nachfrage nicht mit den bereits vorhandenen Industrieflächen befriedigt werden. Zwar kann die Festlegung eines städtebaulichen Entwicklungsbereichs zur Deckung eines erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten im Einzelfall unzulässig sein, wenn das Wohl der Allgemeinheit die Durchführung der städtebaulichen Maßnahme nicht erfordert, weil eine Planungsalternative vorhanden ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.3.1998 - 4 BN 4.98 -, BRS 60 Nr. 227.

Einer Entwicklungssatzung kann jedoch nicht entgegen gehalten werden, dass an anderen Standorten beliebige Gewerbeflächen verfügbar sind. Zur Deckung des erhöhten Bedarfs geeignet sind nur solche Flächen, die den mit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme verfolgten Zielen und den sich daraus ergebenden spezifischen Standortanforderungen genügen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.

Eine Erweiterung des Chemieparks kommt nur in westlicher Richtung in Betracht, da ihr in den anderen Richtungen städtebaulich nicht überwindbare Hindernisse entgegenstehen. Als gleichwertige Alternativstandorte stehen für die Betriebe, die eine Ansiedlung im Bereich des Chemieparks in Betracht ziehen, auch weder der interkommunale Industriepark E.-N. noch der Chemiestandort H.-T. zur Verfügung. Beide Standorte verfügen nicht über die spezielle Infrastruktur, die die Standortgesellschaft des Chemieparks N. interessierten Betrieben anbieten kann und die nach dem Ergebnis der Voruntersuchungen die besondere Attraktivität des Parks ausmacht. Das Industriegebiet T. kann zudem aufgrund seiner Lage auf dem Gebiet der Stadt H. der Antragsgegnerin nicht als Alternative für ihre Planungen vorgehalten werden.

Insgesamt ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass die Entwicklungsmaßnahme geeignet und erforderlich ist, einen im Gemeindegebiet bestehenden erhöhten Arbeitsstättenbedarf zu befriedigen.

2.2.5. Die Antragsgegnerin hat die von der Entwicklungssatzung betroffenen Belange bilanziert. Der Gesetzgeber hat der Gemeinde mit der Entwicklungssatzung zugleich das Enteignungsrecht zum Erwerb grundsätzlich aller Grundstücke im Entwicklungsbereich vor Aufstellung verbindlicher Bebauungspläne verliehen (§ 169 Abs. 3 BauGB). Eingriffe in das private Eigentum können aber nur zum Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sein (Art. 14 Abs. 3 GG). Vom Wohl der Allgemeinheit erfordert wird die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme indes nur, wenn die Maßnahme durch ein dringendes, im Verhältnis zu entgegenstehenden öffentlichen und/oder privaten Interessen überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Erforderlich ist deshalb auf dieser Ebene eine Bilanzierung der verschiedenen entgegenstehenden Interessen, die allerdings nicht mit planerischer Abwägung gleichzusetzen ist.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5.8.2002 - 4 BN 32.02 -, vom 16.2.2001 - 4 BN 55.00 - und vom 9.11.2001 - 4 BN 51.01 -, jeweils a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Die Antragsgegnerin hat eine solche Bilanzierung vorgenommen. Sie lässt sich jedenfalls sinngemäß aus der Satzungsbegründung entnehmen. So hat die Antragsgegnerin die privaten Interessen der Eigentümer, Pächter und Mieter im Gebiet des Entwicklungsbereichs ermittelt. Sie hat dabei deren Interesse an einer weiteren Nutzung der betroffenen Flächen, Gebäude und Wohnungen ebenso erkannt wie die Notwendigkeit der Bereitstellung von Ersatzwohnungen und von Entschädigungszahlungen bei der Aufhebung von Miet- und Pachtverhältnissen sowie von Kostenübernahmen für die Verlagerung eines Gewerbebetriebes. Sie hat auch die entgegenstehenden öffentlichen Interessen im Blick gehabt. Der mit der Realisierung der Entwicklungsmaßnahme verbundene Verlust von Waldflächen wird ebenso in der Satzungsbegründung angeführt wie auf die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie der Wasserwirtschaft eingegangen wird.

Diesen privaten und öffentlichen Interessen hat die Antragsgegnerin das öffentliche Interesse an der internen Weiterentwicklung sowie der Erweiterung des Chemieparks gegenüber gestellt und als überwiegend bewertet. Sie konnte davon ausgehen, dass die Eigentümer der weitaus meisten Flächen im Entwicklungsbereich mit der Entwicklungsmaßnahme einverstanden sind, hat aber auch erkannt, dass zur Überwindung der im übrigen entgegenstehenden Eigentumsrechte ein qualifiziertes öffentliches Interesse erforderlich ist.

Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung für die Entwicklungsmaßnahme maßgeblich auf die weitere Erwägung gestützt, dass aufgrund der alternativlosen Lagegunst des Entwicklungsbereichs die entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen zurückstehen müssen. Die geltend gemachten öffentlichen Belange könnten in die Planung der Westerweiterung integriert werden. Den Anforderungen der Bewohner könne im Falle der Westerweiterung nicht unmittelbar nachgekommen werden, aber die geschaffenen Voraussetzungen reduzierten die wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen des erforderlichen Umzugs erheblich und würden in der Mehrzahl der Fälle auch zu besseren Wohn- und Lebensverhältnissen führen. Angesichts der hohen Qualität des Standorts Chemiepark und seiner besonderer Bedeutung für die Region sei in der Abwägung den Anforderungen des Chemieparks der Vorzug vor anderen Forderungen zu geben.

Das Ergebnis dieser Gesamtabwägung ist nicht zu beanstanden. Die Erwägungen tragen die Annahme eines für die Entwicklungsmaßnahme streitenden überwiegenden öffentlichen Interesses.

2.3. Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Umsetzung der im Entwicklungsbereich geplanten Maßnahmen mit Mitteln des allgemeinen Städtebaurechts keinen geeigneten Weg zur einheitlichen Vorbereitung und zügigen Durchführung der angestrebten Entwicklungsziele darstellt. Sie konnte den städtebaulichen Entwicklungsbereich förmlich festlegen, weil nach dem Ergebnis der vorbereitenden Untersuchungen ein Teil der Grundstückseigentümer ihre von der Maßnahme betroffenen Grundstücke grundsätzlich nicht veräußern wollte und insbesondere viele Mieter der T.-Siedlung nicht bereit waren, ihre Wohnungen aufzugeben. Im Hinblick auf die mit der förmlichen Festlegung eines Entwicklungsbereichs verbundene "enteignungsrechtliche Vorwirkung" (vgl. § 169 Abs. 3 Satz 1 BauGB), die unter dem Vorbehalt des Artikels 14 Abs. 3 GG stehen, kommt es nicht nur darauf an, ob der festgestellte Entwicklungsbedarf allgemein durch eine Bauleitplanung im Gemeindegebiet bewältigt werden kann, sondern auch darauf, ob die geplante Entwicklungsmaßnahme als solche nicht gleichfalls durch Instrumente des allgemeinen Städtebaurechts durchgeführt und verwirklicht werden kann. Könnte die Gemeinde die geplante Maßnahme ebenso im Wege der herkömmlichen Bauleitplanung realisieren, bedürfte es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten der besonderen städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nicht. Diese wäre dann nicht zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich, weil ein weniger einschneidendes städtebauliches Instrument zur Verfügung stünde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.9.2007 - 1 BvR 1698/04 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 27.5.2004 - 4 BN 7.04 -, BRS 67 Nr. 229, und Urteile vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 - und - 4 CN 2.97 -, jeweils a. a. O.; Beschluss vom 9.11.2001 - 4 BN 51.01 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Die planerische Entwicklung ist - wie bereits oben dargelegt - im Sinne einer Gesamtmaßnahme auf die Realisierung verschiedener Einzelmaßnahmen angelegt, die ein koordiniertes Vorgehen in organisatorischer, zeitlicher, baulicher und finanzieller Hinsicht erfordert. Dieses Zusammenspiel der verschiedenen Maßnahmen lässt sich im Rahmen eines Bebauungsplans oder mehrerer Bebauungspläne nicht oder jedenfalls nicht zügig durchführen. Ein Bebauungsplan und eine Entwicklungssatzung verfolgen unterschiedliche Zielsetzungen: Der Bebauungsplan enthält die rechtsverbindlichen Festsetzungen für die städtebauliche Ordnung der Gemeinde (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Als Regelung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG gestaltet er die Art und Weise der Bodennutzung, löst aber als Angebotsplanung für den Eigentümer im Plangebiet keine die negative Baufreiheit überwindende Realisierungsverpflichtung aus.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.3.1998 - 4 BN 5.98 -, BRS 60 Nr. 11.

Weiter bietet ein Bebauungsplan auch keine Handhabe für eine Beendigung bestehender schuldrechtlicher Miet- und Pachtverhältnisse. Dem gegenüber ist die städtebauliche Entwicklungssatzung Ausdruck einer auf Durchführung angelegten Gesamtmaßnahme (vgl. § 165 Abs. 1 und § 166 Abs. 1 Satz 1 BauGB), deren Verwirklichung u.a. auch die Aufstellung von Bebauungsplänen dient (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Ohne die Entwicklungsmaßnahme könnte die Antragsgegnerin eine zügige, einheitliche und lückenlose Durchführung ihres Planungskonzepts nicht bewerkstelligen. Wenn nicht alle Grundstücke im Entwicklungsbereich erworben und nicht alle schuldrechtlichen Nutzungsrechte aufgehoben werden könnten, wäre eine Umsetzung der Maßnahme nicht durchführbar. Die mit der Entwicklungsmaßnahme verfolgten städtebaulichen Ziele können auch nicht mit weniger einschneidenden Mitteln verwirklicht werden. Die Gemeinde darf eine Entwicklungssatzung erst beschließen, wenn sie geprüft hat, ob sich die von ihr angestrebten Entwicklungsziele nicht mit den Instrumenten des allgemeinen Städtebaurechts einschließlich des Abschlusses von städtebaulichen Verträgen erreichen lassen (§ 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Solange Grund zu der Annahme besteht, dass insbesondere vertragliche Lösungen als geeignetes Mittel der einheitlichen Vorbereitung und zügigen Durchführung der städtebaulichen Maßnahme in Betracht kommen, erfordert das Wohl der Allgemeinheit nicht den Einsatz des besonderen Instrumentariums des städtebaulichen Entwicklungsrechts.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.5.2004 - 4 BN 7.04 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Nach diesem Maßstab hat die Antragsgegnerin sich zu Recht für den Einsatz des besonderen entwicklungsrechtlichen Instrumentariums entschieden. Im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen ist die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer und Nutzungsberechtigten in dem Gebiet geprüft worden. Dabei sind den Betroffenen in Gesprächen das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, der Ablauf eines solchen Verfahrens in den Grundzügen, die mit der Maßnahme verfolgten allgemeinen Ziele und Zwecke sowie die Möglichkeit eines Ankaufs der Grundstücke und einer Hilfestellung bei einem Wohnungswechsel erläutert worden. Auch danach standen einige Eigentümer sowie die Mehrzahl der Mieter der Maßnahme ablehnend gegenüber. Die Antragsgegnerin konnte daher davon ausgehen, dass eine einvernehmliche Regelung als realistische Perspektive und damit zugleich Handlungsinstrument des allgemeinen Städtebaurechts ausschied. Gegenüber der zunächst geplanten Durchführung einer städtebaulichen Sanierungsmaßnahme hat die Antragsgegnerin der Entwicklungsmaßnahme mit der überzeugenden Begründung den Vorzug gegeben, dass in diese nur die Flächen einbezogen werden müssen, die zur zweckmäßigen Durchführung der Maßnahme erforderlich sind, und dass die Entwicklungsmaßnahme im Vergleich zur Sanierung im zu erwartenden Konfliktfall eine Entscheidung zugunsten der städtebaulichen Zielsetzung erlaube.

2.4. Die Antragsgegnerin konnte bei Beschluss der Entwicklungssatzung davon ausgehen, dass die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalb eines absehbaren Zeitraums gewährleistet ist (§ 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BauGB). Die Frage, ob eine zügige Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme gewährleistet ist, kann nicht allgemein und einheitlich nach einem bestimmten Zeitraum beurteilt werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, und Beschluss vom 27.5.2004 - 4 BN 7.04 -, jeweils a. a. O.

Insoweit kommt es maßgeblich auf den Umfang der jeweiligen Entwicklungsmaßnahme an. Die Antragsgegnerin hat für die Durchführung der Entwicklungsmaßnahme eine Zeitrahmen von 15 Jahren angenommen. Dabei ist sie davon ausgegangen, dass vor einer Aufhebung der Miet- und Pachtverhältnisse angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung stehen muss (§ 182 Abs. 2 BauGB) und noch Verhandlungen über einen Erwerb der restlichen Flächen zu führen sind. Weiter hat sie berücksichtigt, dass für die Umsetzung der Entwicklungsmaßnahme Bebauungspläne aufzustellen und städtebauliche Verträge mit der E. AG bzw. der E. Immobilien GmbH & Co. KG abzuschließen sind, bevor dann über den der Flächenbedarfsprognose zugrunde gelegten Zeitraum eine Ansiedlung der Betriebe erfolgen kann. Der angenommene Zeitraum ist aufgrund der vorgesehenen komplexen Gesamtmaßnahme nicht unangemessen. Im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses bestanden keine Gründe, welche die Prognose der Antragstellerin als unrealistisch erscheinen ließen. Dieser Zeitpunkt ist maßgeblich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a. a. O.

Verzögerungen in der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme berühren die Wirksamkeit der Satzung nicht.

2.5. Die strittige Entwicklungssatzung erfüllt die an sie aus § 165 Abs. 3 Satz 2 BauGB zu stellenden Anforderungen. Danach sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Diese maßnahmenbezogene Abwägung ist zu unterscheiden von der enteignungsrechtlichen Abwägung nach § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB (siehe dazu oben unter 2.2.4). Erst mit der dort getroffenen positiven Entscheidung über die an den Maßstäben des Art. 14 Abs. 3 GG zu messende Rechtfertigung der Entwicklungsmaßnahme ist der Weg frei für die nach § 165 Abs. 3 Satz 2 BauGB vorzunehmende Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange.

Vgl. Runkel, a. a. O., § 165 Rn. 91.

Im Rahmen dieser Abwägung hat sich der Satzungsgeber gegebenenfalls auch damit zu befassen, welche mit Umsiedlungen oder ähnlichen Eingriffen verbundene Belange betroffen und wie eingriffsbedingte Wirkungen auszugleichen oder zu mildern sind.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.2.2001, - 4 BN 55.00 -, a. a. O.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers sind Fehler bei der Abwägung nicht zu erkennen. Sie hat das Abwägungsmaterial vollständig ermittelt und die betroffenen Belange mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt.

Nach dem Ergebnis der vorbereitenden Untersuchungen befinden sich die weitaus meisten Grundstücksflächen bereits in der Hand von Eigentümern, die bereit sind, an der Entwicklungsmaßnahme mitzuwirken. Mit den anderen Eigentümern waren zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen. In den Verhandlungen mit den Mietern war eine einvernehmliche Regelung nicht erkennbar. Die Antragsgegnerin hat den Konflikt erkannt, der sich aus der Verdrängung der vorhandenen Wohnnutzung durch die geplante Entwicklungsmaßnahme ergibt. Sie hat dem Interesse an der Westerweiterung mittels der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme größeres Gewicht beigemessen als den entgegenstehenden privaten Interessen der Eigentümer und Bewohner des Entwicklungsbereichs. Sie ist sich der Tatsache bewusst gewesen, dass zum Teil erheblich in private Eigentums- und Nutzungsrechte eingreifen wird. Diese konkurrierenden Interessen will sie dadurch zu einem gerechten Ausgleich bringen, dass sie für die Eigentümer und Mieter Entschädigungszahlungen sowie die Kostentragung für Umzüge bzw. eine Betriebsverlagerung vorgesehen hat. Die hierfür voraussichtlich entstehenden Kosten sind im Rahmen der vorbereitenden Untersuchungen ermittelt und für ihre Deckung bereits Mittel in Höhe von zwei Millionen Euro eingeplant worden. Die Antragsgegnerin hat weiter in die Abwägung eingestellt, dass mit den eingeplanten Entschädigungen sowie Hilfestellungen, die eine geplante Informations- und Beratungsstelle leisten soll, die wirtschaftlichen und organisatorischen Belastungen des erforderlichen Umzugs erheblich reduziert werden. Diese Erwägungen lassen Abwägungsfehler nicht erkennen.

Der Antragsteller rügt, die Antragsgegnerin habe sich nicht ausreichend mit Planungsalternativen befasst. Ob eine Standortalternative besteht, die vorrangig in Betracht zu ziehen gewesen wäre, beurteilt sich nach dem Grad der Eignung der Alternativfläche zur Verwirklichung der städtebaulichen Zielvorstellung und nach der Bedeutung der Belange der betroffenen Grundstückseigentümer. Muss der Planungsraum, etwa in Bezug auf die Nähe standortrelevanter Einrichtungen oder die Anbindung an das Verkehrsnetz, bestimmten Anforderungen entsprechen, denen andere Standorte nicht oder nur unzureichend genügen, braucht die Gemeinde nicht mit diesen weniger geeigneten Flächen Vorlieb zu nehmen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.3.1998 - 4 BN 4.98 - und Urteil vom 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, jeweils a. a. O.

Dass für die Antragsgegnerin ein anderer Standort für das geplante Entwicklungsvorhaben als der förmlich festgelegte Entwicklungsbereich von dem räumlichen Umfang und der Lage ernsthaft in Betracht gekommen wäre, ist nicht ersichtlich. Im Hinblick auf eine interne Weiterentwicklung ergibt sich dies bereits aus der Natur der Sache. Für eine Erweiterung des Chemieparks kommen aus den bereits dargelegten Gründen wegen der erforderlichen Anbindung an seine spezielle Infrastruktur nur Flächen in Betracht, die sich unmittelbar an das vorhandene Gelände anschließen. Dabei kann nur auf die westlich angrenzenden Flächen zurückgegriffen werden, weil einer Erweiterung in die anderen Richtungen städtebaulich nicht überwindbare Hindernisse entgegenstehen.

2.6. Der Entwicklungsbereich ist auch - soweit die T.-Siedlung betroffen ist - zweckmäßig abgegrenzt (§ 165 Abs. 5 Satz 1 BauGB).

Vgl. dazu, dass die Frage der Zweckmäßigkeit der Abgrenzung Teil der Abwägung ist: BVerwG, Urteil vom 4.3.1999 - 4 C 8.98 -, BRS 62 Nr. 229 (zur Sanierungssatzung).

Die Antragsgegnerin hat den Entwicklungsbereich nach Durchführung der vorbereitenden Untersuchungen, die sich auf eine deutlich größere Fläche (ca. 95 ha) bezogen haben, mit einer wesentlich kleineren Fläche (ca. 8 ha) festgesetzt. Sie hat damit die aus der Untersuchung gewonnene Erkenntnis umgesetzt, dass nur für diesen Bereich die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im oben dargelegten Sinn erforderlich ist, während in den übrigen Teilen des Untersuchungsgebietes wegen der dort bestehenden Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer und Nutzer die geplanten Ziele mit Mitteln des allgemeinen Städtebaurechts verwirklicht werden können. Dies ist unter Abwägungsgesichtspunkten nicht zu beanstanden.

Die Antragsgegnerin hat die Belange des Umwelt- und Naturschutzes, der Landschaftspflege und der Wasserwirtschaft gesehen und in ihrer Abwägung ausreichend berücksichtigt. Sie hat dargelegt, dass der Ausgleichspflicht für die Waldflächen, die der Westerweiterung weichen müssen, im Rahmen der Bauleitplanung Rechnung getragen werden kann und die wasser- und naturschutzrechtlichen Belange, die bei einer Verlegung des F.-Baches zu beachten sind, in einem wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren berücksichtigt werden können. Diese Erwägungen, die erkennen lassen, dass eine Lösung der Problematik grundsätzlich möglich ist, reichen hier aus. Die Entwicklung konkreter planerischer Konzepte zum naturschutz- bzw. wasserrechtlichen Ausgleich konnte den sich anschließenden Bebauungsplanverfahren bzw. der wasserrechtlichen Planfeststellung überlassen werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.11.2003 - 10a D 124/01.NE -, a. a. O.

Ende der Entscheidung

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