Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.04.2008
Aktenzeichen: 11 A 1386/05
Rechtsgebiete: VwVG NRW, KostO NRW


Vorschriften:

VwVG NRW § 55
VwVG NRW § 59 Abs. 1
VwVG NRW § 77 Abs. 1 Satz 1
KostO NRW § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7
1. Die Pflicht zur Erstattung der Kosten einer im sofortigen Vollzug durchgeführten Ersatzvornahme nach den §§ 59 Abs. 1, 77 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KostO NRW setzt eine rechtmäßige Ersatzvornahme voraus (st. Rspr., m. w. N.).

2. Die Ersatzvornahme im sofortigen Vollzug ohne vorausgehenden Verwaltungsakt gemäß den §§ 55 Abs. 2, 59 VwVG NRW (hier: Verfüllung eines einsturzgefährdeten Wetterschachtes) ist nicht zulässig, wenn der Erlass einer Ordnungsverfügung gegen den der Bergbehörde bekannten Ordnungspflichtigen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und gleichzeitiger Androhung der Ersatzvornahme möglich ist und eventuelle kurzfristige Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht aufheben oder wesentlich beeinträchtigen.


Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostentragungspflicht für Sicherungsarbeiten an einem Wetterschacht, die das seinerzeit zuständige Bergamt durch Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzuges hatte durchführen lassen.

Die Klägerin ist als Rechtsnachfolgerin der X-AG Eigentümerin eines ehemaligen Steinkohle-Bergwerkfeldes, das 1884 aufgefahren und 1903 stillgelegt worden ist. Zur Schachtanlage gehörte ein über 100 m tiefer Wetterschacht mit einem Durchmesser von 2,25 m. Dieser wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt teilweise verfüllt und in den Jahren 1927/28 mit zwei Stahlbetonplatten abgedeckt. Der Schachtkopf des Wetterschachtes liegt unter einer sechsspurig ausgebauten Bundesstraße.

Nach einer genauen örtlichen Lokalisierung des Schachtes im Juli 1997 ließ das Bergamt auf Grund einer zuvor erstellten Leistungsbeschreibung, die sowohl Erkundungs- als auch Sicherungsmaßnahmen umfasste, Erkundungsmaßnahmen durchführen. Die Erkundungsmaßnahmen fanden im Juli 1998 statt. Hierzu wurde die Verkehrsführung auf der nördlichen Fahrbahn der Bundesstraße geändert. Von den drei Fahrstreifen wurden der mittlere und der südliche gesperrt. Der Verkehr wurde sodann über den nördliche Fahrstreifen und eine auf dem ansonsten begrünten Mittelstreifen angelegte Behelfsfahrbahn geführt. Die X-AG wurde über die geplanten Erkundungen informiert, auch um wegen der Lage des Schachtes unter der Bundesstraße ggf. sofortige Sicherungsmaßnahmen einleiten zu können.

Das die Erkundungsmaßnahmen durchführende Unternehmen kam zu dem Ergebnis, dass die Standsicherheit der Tagesoberfläche im unmittelbaren Schachtbereich des Wetterschachtes nicht nachweisbar und somit nicht gewährleistet sei. Nach einem Besprechungstermin gab das Bergamt die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen durch Verfüllen der Resthohlräume mit Baustoff und Verpressen mit Zementinjektion in Auftrag.

Mit Leistungsbescheid vom November 2001 gab die Bergbehörde der Klägerin auf, die Kosten für die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen an dem Wetterschacht zu erstatten. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Anfechtungsklage der Klägerin wies das VG ab (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 3.3.2005 - 8 K 2655/02 -, ZfB 2005, 234). Auf die zugelassene Berufung der Klägerin hob das OVG den angefochtenen Leistungsbescheid auf.

Gründe:

Das Bergamt hat der Klägerin zu Unrecht die Erstattung der Kosten für die Sicherungsmaßnahmen an dem Wetterschacht aufgegeben, die von der Bergbehörde durch Ersatzvornahme im Wege des sofortigen Vollzuges vorgenommen worden sind.

Der Leistungsbescheid kann nicht auf die §§ 59 Abs. 1, 77 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KostO NRW gestützt werden, wonach der Pflichtige der Vollzugsbehörde die Kosten einer Ersatzvornahme zu erstatten hat. Die Kostenerstattungspflicht nach diesen Vorschriften erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des beschließenden Gerichts eine rechtmäßige Ersatzvornahme (vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.10.1977 - IV A 734/76 -, OVGE 33, 155, 156 f., vom 21.8.1997 - 20 A 6979/95 -, juris, Rdnrn. 30 ff., und vom 30.7.1998 - 20 A 5664/96 -, juris, Rdnrn. 20 ff., jeweils m. w. N.).

Eine - wie hier - ohne vorausgehenden Verwaltungsakt durchgeführte Ersatzvornahme (§§ 55 Abs. 2, 59 VwVG NRW) setzt voraus, dass die Anwendung des Verwaltungszwangs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Mit einem derartigen sofortigen Vollzug soll einer Gefahr begegnet werden können, die aufgrund außergewöhnlicher Dringlichkeit des behördlichen Eingreifens ein gestrecktes Vorgehen im Sinne des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, also auf der Grundlage eines unanfechtbaren oder sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes sowie nach vorheriger Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels, nicht zulässt. Ohne das sofortige Tätigwerden der Behörde im Wege des Verwaltungszwanges muss mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Eintritt eines Schadens für ein geschütztes Rechtsgut unmittelbar bevorstehen. Eine solche Situation ist insbesondere dann gegeben, wenn die mit einem Einschreiten gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW verbundenen Verzögerungen die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr aufheben oder wesentlich beeinträchtigen würden, wenn also allein der sofortige Vollzug geeignet ist, die Gefahr wirkungsvoll abzuwenden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.7.1998 - 20 A 5664/96 -, a. a. O., m. w. N.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze waren die Voraussetzungen für einen sofortigen Vollzug hier nicht gegeben. Die Sicherung des Wetterschachtes war hier nicht in einem Maße außergewöhnlich dringlich, dass dem Pflichtigen nicht durch Verwaltungsakt unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und gleichzeitiger Androhung der Ersatzvornahme die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen innerhalb einer kurz bemessenen Frist hätte aufgegeben werden können.

Der mögliche Adressat einer bergbehördlichen Verfügung war der Behörde bekannt. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde jedenfalls seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von der Bergbehörde stets als Ansprechpartnerin angesehen. Das Bergamt hatte ferner die Eigentumsverhältnisse an dem Bergwerkfeld geklärt und spätestens seit dem Jahr 1997 die X-AG als ordnungspflichtige Zustandsstörerin angesehen.

Der Erlass einer Ordnungsverfügung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und gleichzeitiger Androhung der Ersatzvornahme wäre der Behörde möglich gewesen. Der Bergbehörde war auf Grund von Gesprächen seit 1996 bewusst, dass der Vorteil einer Sicherung des Schachtes durch die Stabilisierung der Füllsäule im Verhältnis zu einer Sicherung durch die Erneuerung der Schachtkopfabdeckung darin lag, dass dieselbe Firma, die die Untersuchungsbohrung vornehmen würde, sofort auch die Sicherungsmaßnahmen würde ausführen können.

Ferner war der Bergbehörde spätestens seit Februar/März 1998 der genaue technische Ablauf von Erkundungs- und gegebenenfalls anschließenden Sicherungsmaßnahmen durch die als taugliches Mittel zur Gefahrenabwehr anzusehende Stabilisierung der Füllsäule bekannt. Die bereits erstellte Leistungsbeschreibung war Gegenstand des vom Bergamt durchgeführten Ausschreibungsverfahrens, mit dem neben den Erkundungsmaßnahmen zugleich schon die Sicherungsmaßnahmen ausgeschrieben wurden. Das Bergamt selbst ging also seit diesem Zeitpunkt davon aus, dass unmittelbar im Anschluss an die Erkundungsbohrungen zeitnah Sicherungsmaßnahmen durchzuführen sein würden, wenn die Erkundung zu der Feststellung einer mangelnden Gewährleistung der Standsicherheit der Tagesoberfläche führt. Dass seitens der Bergbehörde im Anschluss an die Erkundung unmittelbar folgend Sicherungsmaßnahmen fest eingeplant waren, und zwar unabhängig von dem Ergebnis der Erkundungsmaßnahmen, ergibt sich ferner aus einem behördeninternen Besprechungsvermerk.

Es wäre angesichts der konkreten zeitlichen Abläufe und Erkenntnisse der Bergbehörde durchaus möglich gewesen, bereits vorsorglich eine Ordnungsverfügung mit Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung der Ersatzvornahme vorzubereiten und diese, nachdem auf Grund der Erkundungsuntersuchungen im Juli 1998 positiv feststand, dass das Mauerwerk des Schachtes nicht tragfähig und die Stabilität der Plattenabdeckung fraglich war sowie dass in der Schachtverfüllung Lockermassen vorhanden waren, unverzüglich zu erlassen. Das Bergamt hat den Erlass einer solchen Ordnungsverfügung aber nicht einmal ansatzweise erwogen, vielmehr von vornherein die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen in eigener Regie geplant, wie die unverzügliche Beantragung von Haushaltsmitteln belegt.

Eventuelle kurzfristige Verzögerungen, die durch den Erlass einer Ordnungsverfügung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entstanden wären, hätten die Wirksamkeit erforderlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht aufgehoben oder wesentlich beeinträchtigt. Entgegen der Begründung des Leistungsbescheides war der Sofortvollzug der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen aufgrund der Oberflächennutzung durch den Straßenverkehr auf der Bundestraße im konkreten Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung im Juli 1998 nicht zwingend geboten.

Es mag mit der beklagten Bergbehörde und dem VG zwar davon ausgegangen werden, dass die Gefahr eines Absackens der Lockermassenfüllsäule im ehemaligen Wetterschacht bestand. Wie in dem angefochtenen Leistungsbescheid weiter ausgeführt ist, konnte auf Grund der zuvor gewonnenen Untersuchungsergebnisse die Standsicherheit der Tagesoberfläche im unmittelbaren Schachtbereich nicht nachgewiesen werden. Ein mögliches Abgehen der Lockermassenfüllsäule im Wetterschacht erforderte indes keine sofortige Abhilfe derart, dass nicht mit der Anordnung und Durchführung von Gefahrenbeseitigungsmaßnahmen im gestreckten Vollzug einer sofort vollziehbaren Ordnungsverfügung hätte zugewartet werden können. Der Schachtkopf des nur 2,25 m Durchmesser aufweisenden Wetterschachtes lag nach dem Ergebnis der Lokalisierungsuntersuchung im Juli 1997 etwa mittig - mit einer leichten Verschiebung nach Süden hin - unter dem mittleren Fahrstreifen der nördlichen Fahrbahn der Bundesstraße. Sowohl dieser Fahrstreifen als auch der südlich anschließende Fahrstreifen waren indes bereits für die Durchführung der Erkundungsmaßnahmen für den Kfz-Verkehr gesperrt worden. Der gesamte Verkehr über die Bundestrasse lief zudem auf Grund der Anordnung einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nur verlangsamt über den nördlichen Fahrstreifen und die zusätzlich eingerichtete Behelfsspur auf dem (zuvor begrünten) Mittelstreifen. Selbst das - ohnehin nur im schlimmsten Fall - für möglich gehaltene Abgehen der Lockermassen-Füllsäule in der Größenordnung von erheblich mehr als einigen Metern, insbesondere im Fall von Wasserzutritten, hätte also allenfalls den Bereich betroffen, der ohnehin für den Kfz-Verkehr gesperrt war. Zudem ist noch zu berücksichtigen, dass die beiden - wenn auch möglicherweise nicht mehr völlig belastungsfähigen - Stahlbetonplatten der ursprünglichen Schachtabdeckung noch vorhanden waren. Für die Gefahr des Entstehens eines größeren Einsturztrichters, der auch benachbarte Bereiche erfasst hätte, lässt sich dem Akteninhalt nichts entnehmen.

Hiernach kann also keine Rede davon sein, dass der Erlass einer für sofort vollziehbar erklärten Ordnungsverfügung unter Festlegung kürzester Ausführungsfristen und gleichzeitiger Androhung der Ersatzvornahme (§ 63 Abs. 2 VwVG NRW) zu einer wesentlichen Verzögerung und damit der Verhinderung einer effektiven Gefahrenabwehr geführt hätten. Das Bergamt selbst hatte für die Durchführung der Sicherungsmaßnahme einen Zeithorizont von 4 Wochen vor Augen. Zudem hätte die X-AG, wenn sie die Arbeiten nicht selbst hätte ausführen wollen, auf die bereits vorliegenden Angebote der auch von der Bergbehörde als fachlich kompetent eingestuften Unternehmen zurückgreifen können, ohne als private Auftraggeberin an das Erfordernis eines vorausgehenden Ausschreibungsverfahrens gebunden zu sein.

Anhaltspunkte für die Annahme, dass die X-AG die ihr im Wege einer für sofort vollziehbar erklärten Ordnungsverfügung aufzugebenden Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig selbst ausgeführt hätte oder durch Dritte hätte durchführen lassen, sind nicht ersichtlich.

Die Kosten der rechtswidrig durchgeführten Ersatzvornahme kann die Beklagte auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ersetzt verlangen; denn ein Rückgriff auf diese Rechtsinstitute scheitert daran, die §§ 59, 77 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KostO NRW hinsichtlich der Ersatzvornahmekosten eine abschließende Spezialregelung enthalten (vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 21.8.1997 - 20 A 6979/95 -, a. a. O., Rdnr. 48).

Ende der Entscheidung

Zurück