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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.02.2003
Aktenzeichen: 12 A 3734/00
Rechtsgebiete: SGB I


Vorschriften:

SGB I § 42
SGB I § 42 Abs. 1
SGB I § 42 Abs. 1 Satz 1
SGB I § 42 Abs. 2
SGB I § 42 Abs. 2 Satz 1
SGB I § 42 Abs. 2 Satz 2
§ 42 Abs. 2 SGB I ermächtigt den Träger der Sozialhilfe nicht dazu, die Erstattung der gemessen an der Schlussrechnung des Vermieters zuviel gezahlten Beträge für Mietnebenkosten zu verlangen. Ein vom Vermieter ausgezahltes Guthaben ist bei fortbestehendem laufenden Sozialhilfebezug als Einkommen des Hilfe Suchenden im Zuflussmonat zu behandeln.
Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen die vom Beklagten geforderte Erstattung von Sozialhilfeleistungen, die er ihr hinsichtlich deren Heizkostenvorauszahlungen gewährt hatte.

Einzelne der an die Klägerin gerichteten Sozialhilfebescheide des Beklagten enthielten u.a. den Hinweis: "Soweit in der Berechnung der Sozialhilfe Vorauszahlungen für Heizung oder sonstige Mietnebenkosten enthalten sind, die Sie in Form von Pauschalen an Ihren Vermieter oder ein Energieversorgungsunternehmen entrichten, handelt es sich im rechtlichen Sinne um Vorschussleistungen des Sozialhilfeträgers gemäß § 42 SGB I. (...) Soweit die Ihnen in der Vergangenheit gezahlten Vorschüsse die zustehende Gesamtleistung übersteigen, sind die entstandenen Überzahlungen, die in den Endabrechnungen in aller Regel als Guthaben ausgewiesen werden, von Ihnen unaufgefordert zu erstatten." Nachdem der Energieversorger der Klägerin hinsichtlich der von ihr für die Zeit von Januar 1998 bis Januar 1999 gezahlten monatlichen Abschläge für Heizungskosten ein Guthaben errechnet hatte, forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 24.2.1999 unter Hinweis auf § 42 SGB I auf, die von ihm zuviel gezahlten Beträge zu erstatten und erklärte die Aufrechnung mit den laufenden Sozialhilfeleistungen. Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.4.1999 zurückgewiesen. Auf die Klage der Klägerin hob das VG den angefochtenen Bescheid u.a. mit der Begründung auf, bei den vom Beklagten übernommenen Abschlagszahlungen der Klägerin auf deren Heizkosten handele es sich nicht um Vorschussleistungen i.S.d. § 42 Abs. 1 SGB I. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Die Ausführungen in der Zulassungsschrift führen nicht zu den vom Beklagten geltend gemachten ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche bestehen, wenn durch das Vorbringen des Rechtsbehelfsführers Bedenken von solchem Gewicht gegen die Richtigkeit der erst-instanzlichen Entscheidung hervorgerufen werden, dass deren Ergebnis ernstlich in Frage gestellt ist (vgl. den Beschluss des Senats vom 12.3.2001 - 12 B 1284/00 - m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

Die Beurteilung des VG wird durch das Zulassungsvorbringen des Beklagten nicht ernstlich in Frage gestellt. Ob § 42 SGB I im Bereich des Sozialhilferechts grundsätzlich anwendbar oder generell unanwendbar ist, wogegen sich der Beklagte mit dem Argument wendet, weder aus dem Bundessozialhilfegesetz noch aus dem Sozialgesetzbuch Erstes Buch selbst ergäben sich Anhaltspunkte für den Ausschluss der Anwendbarkeit dieser Vorschrift, kann offen bleiben (vgl. zu dieser Frage Rolfs, in: Hauck/Haines, SGB I, 22. Lfg. Mai 2002, § 42 Rdnr. 57; Rode, in: Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil, 1979, § 42 Rdnr. 3; Giese/Krahmer, SGB I, § 42 Rdnr. 6 ff, Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum SGB I, 2. Aufl. 1981, § 42 Rdnr. 41; Roscher, in: LPK-BSHG, 5. Aufl., § 5 Rdnr. 3). Jedenfalls hat das VG die Anwendbarkeit des § 42 SGB I hinsichtlich der hier in Rede stehenden Sozialhilfeleistungen für Heizkostenvorauszahlungen zu Recht verneint.

Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung seien gegeben gewesen, da die definitive Feststellung der Höhe der zu übernehmenden Heizkostenvorauszahlungen erst nach der jährlichen Endabrechnung durch den Vermieter der Klägerin möglich gewesen sei. Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist. Ein derartiger Fall liegt hier indes nicht vor. Das VG hat zu Recht festgestellt, dass der Anspruch des Hilfeempfängers gegenüber dem Sozialhilfeträger auf Übernahme von Heizkostenvorauszahlung nicht nur dem Grunde nach, sondern auch bereits der Höhe nach feststeht. Dabei ist es zutreffend davon ausgegangen, dass aus sozialhilferechtlicher Sicht wegen der zunächst zu leistenden Vorauszahlungen auf Mietnebenkosten und der später - nach Schlussabrechnung - etwa zu leistenden Nachzahlungen zwei unterschiedliche Bedarfslagen entstehen, die zu verschiedenen sozialhilferechtlichen Verfahrensgegenständen führen. Das ergibt sich aus dem das Sozialhilferecht prägenden Grundsatz, dass die Sozialhilfe dazu dient, eine gegenwärtige, d.h. im Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens bestehende, Notlage zu beheben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.2.1988 - 5 C 89.85 -, = BVerwGE 79, 46 = FEVS 37, 177; OVG NRW, Urteil vom 17.10.2000 - 22 A 5519/89 -, FEVS 52, 303 (307 f.), Beschluss vom 31.1.2003 - 12 E 296/00 -). Danach besteht der sich aus der Verpflichtung zur Vorauszahlung von Mietnebenkosten ergebende sozialhilferechtliche Bedarf darin, dass der Träger der Sozialhilfe dem Hilfe Suchenden die Geldmittel zur Verfügung stellt, die dieser benötigt, um die Lieferung von Wärme bezahlen zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.2.1988, a.a.O.). Dabei ist es unerheblich, ob sich die vom Mieter zu zahlenden monatlichen Vorausleistungen im Nachhinein als zu hoch oder zu niedrig bemessen herausstellen. Sie sind zunächst zum Zwecke der Bedarfsdeckung - bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen - in jedem Fall vom Träger der Sozialhilfe in voller Höhe zu übernehmen. Für die in § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB I vorausgesetzte Annahme, zur Feststellung der Höhe des Anspruchs sei voraussichtlich längere Zeit erforderlich, besteht daher kein Raum. Dementsprechend dürfte es sich bei der Übernahme der von der Klägerin zu leistenden Abschlagszahlungen für Heizungskosten durch den Beklagten ungeachtet der anderslautenden Hinweise in einzelnen Bescheiden nicht um Vorschusszahlungen i.S.d. § 42 Abs. 1 SGB I gehandelt haben, so dass er die Erstattung der gemessen an der Schlussabrechnung zuviel gezahlten Beträge wohl bereits deshalb nicht auf der Grundlage des § 42 Abs. 2 SGB I verlangen darf.

Aber selbst wenn die betreffenden Bescheide auf Grund der erwähnten Hinweise Bewilligungen von Vorschussleistungen sein sollten, wäre der Beklagte - nachdem diese Bescheide bestandskräftig geworden sind, nicht gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I ermächtigt, die Klägerin zur Erstattung des vom Vermieter erstatteten "Heizkosten-Guthabens" aufzufordern. Das ergibt sich schon daraus, dass die Übernahme der monatlichen Vorauszahlungen - objektiv von vornherein erkennbar - in vollem Umfang zur Bedarfsdeckung erforderlich war. Vorschussweise Leistung und zustehende Leistung i.S.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 SGB I stimmten also überein. Damit fehlt es an der für die Erstattungsanforderung in § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I geregelten Voraussetzung, dass die vorschussweise Leistung die zustehende übersteigt.

Ein vom Vermieter ausgezahltes Guthaben ist bei fortbestehendem laufenden Sozialhilfebezug als Einkommen im Zuflussmonat zu behandeln. Ob Bescheide, mit denen Vorauszahlungen des Hilfe Suchenden für Mietnebenkosten übernommen werden, mit einem Widerrufsvorbehalt (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB X) versehen werden können, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Ende der Entscheidung

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