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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 12 A 5511/00
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60
Die Berufungsbegründungsfrist ist grundsätzlich keine Frist, deren Überwachung und Kontrolle ein Prozessbevollmächtigter seinem Büropersonal überlassen kann.
Tatbestand:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Kostenerstattung für aufgewendete Sozialhilfeleistungen. Das VG wies die Klage ab, das OVG ließ die Berufung gegen das Urteil zu. Die Klägerin reichte die Begründung der Berufung verspätet ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung. Die Berufung der Klägerin wurde als unzulässig verworfen.

Gründe:

Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. (wird ausgeführt)

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO nicht erfüllt sind. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unverschuldet erscheinen lassen. Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Dabei sind an eine Behörde zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt. Dies gilt insbesondere auch für das Auftreten in der Berufungsinstanz, für die prinzipiell Vertretungszwang besteht. Das sog. Behördenprivileg in § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO bezweckt keine Besserstellung der Behörde gegenüber einer anwaltlich vertretenen Privatperson.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4.10.2002 - 5 C 47.01 -, FEVS 54, 390; OVG NRW, Beschluss vom 13.5.1998 - 8 A 2610/96 -, NWVBl. 1998, 408.

Hiervon ausgehend ist nicht dargetan, dass die Klägerin die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten bei der Überwachung der Berufungsbegründungsfrist eingehalten hat. Auf der Grundlage des Sachvortrags der Klägerin ist das Fristversäumnis nicht lediglich auf ein ihr nicht zuzurechnendes Verschulden einer Hilfsperson zurückzuführen. Es beruhte vielmehr - zumindest auch - auf einem Verschulden ihrer mit der Prozessvertretung selbst betrauten Bediensteten, das sich die Klägerin entsprechend § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Der Klägerin ist ein Verschulden schon deshalb anzulasten, weil nach der Organisation ihres Rechtsamts die Kontrolle und Beaufsichtigung der Frist zur Berufungsbegründung im Verwaltungsprozess nicht bei der für die Prozessvertretung zuständigen juristischen Sachbearbeitung verblieb, sondern einer Büroangestellten übertragen worden war. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, denen er eine besondere Sorgfalt widmen muss, gehört die Wahrung prozessualer Fristen. Zur Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, kann er sich zwar grundsätzlich - wie hier geschehen - gut ausgebildeten und sorgfältig beaufsichtigten Büropersonals bedienen.

Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 7.3.1995 - 9 C 390.94 -, NJW 1995, 2122, 2123 m.w.N.

Die Berufungsbegründungsfrist ist aber grundsätzlich keine Frist, deren Überwachung und Kontrolle ein Prozessbevollmächtigter seinem Büropersonal überlassen kann.

Im Ergebnis ebenso Seibert, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juli 2000, § 124a Rn. 280.

Denn Vorkehrungen zur Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sind im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nach wiederholter Änderung des Rechtsmittelrechts in den letzten Jahren keine Routineangelegenheit. Das gilt schon im Hinblick auf die nach Einführung des Berufungszulassungsrechts merklich zurückgegangene Zahl einschlägiger Fälle im jeweiligen Rechtsanwaltsbüro oder in der jeweiligen Behörde. Zudem erfordern es die differenzierten, mit Wirkung vom 1.1.2002 erneut geänderten Regelungen zu den Fristen im zweitinstanzlichen Rechtsmittelrecht, eine besondere Aufmerksamkeit walten zu lassen. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das OVG beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat. Ist - wie hier - ein von der Übergangsvorschrift des § 194 Abs. 1 VwGO erfasster Fall gegeben, ist darüber hinaus zu beachten, dass die Frist für die Berufungsbegründung sich noch nach den bis zum 31.12.2001 geltenden Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über die Zulässigkeit der Berufung richtet.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass gerade bei der Klägerin Berufungsbegründungen in einer Fallzahl zu fertigen waren, die für die Ausbildung von Übung und Routine bei den Vorkehrungen für die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist ausreichend gewesen wären.

Ein weiterer Sorgfaltsverstoß liegt darin, dass die mit der Prozessführung betraute Mitarbeiterin der Klägerin den Eintrag der Rechtsmittelbegründungsfrist nicht eigenverantwortlich überprüft hat, als ihr die Akte nach Eingang des Zulassungsbeschlusses vom 30.6.2003 erstmalig zur Sachbearbeitung vorgelegt wurde (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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