Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.05.2002
Aktenzeichen: 12 B 423/02
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG


Vorschriften:

VwGO § 123
BSHG § 11
1. Genügen die einer Einstandsgemeinschaft i.S.d. § 11 Abs. 1 BSHG zur Verfügung stehenden Mittel vorübergehend nicht, den Bedarf insgesamt zu decken, ist zu erwarten, dass sich ein erwachsenes Mitglied der Gemeinschaft, das ein seinen eigenen Bedarf übersteigendes Einkommen erzielt, auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt, wenn dies den übrigen Mitgliedern ermöglicht, ebenfalls den unerlässlichen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Beschränkung ist in einem Umfang von bis zu 20 % des Regelsatzes zu erwarten.

2. Zur Berücksichtigung von Erziehungsgeld bei der Frage, ob eine auf die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt gerichtete einstweilige Anordnung i.S.v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Vermeidung unzumutbarer Folgen nötig erscheint, wenn es die Antragsteller in der Hand halten, ihre (teilweise) sozialhilferechtliche Bedürftigkeit nachzuweisen (hier: Vorlage einer auf den streitbefangenen Zeitraum bezogenen Gewinn- und Verlustrechnung für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Mitgesellschafter einer der Antragsteller ist).


Tatbestand:

Der Antragsgegner gewährte den Antragstellern (nicht verheirateten, aber in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Eltern und ihrem gemeinsamen Kind im Alter von 1 Jahr) keine Hilfe zum Lebensunterhalt mit der Begründung, dieser könne aus eigenen Mittel beschafft werden. Der Antragsteller zu 2. befand sich im Erziehungsurlaub und ging einer 30 Wochenstunden ausmachenden Tätigkeit als Mitgesellschafter der n.-GbR nach; die Antragstellerin zu 1. - Studentin im Urlaubssemester - war ohne Arbeit. Das VG lehnte es ab, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt zu verpflichten. Die Beschwerde der Antragsteller blieb erfolglos.

Gründe:

Die Voraussetzungen des § 123 VwGO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezogen auf die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der Kosten für die Unterkunft liegen nicht vor.

Wie bereits das VG dargelegt hat, kann eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur ergehen, wenn die Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.

Die aus den Antragstellern bestehende Einstandsgemeinschaft (vgl. §§ 122, 11 BSHG) konnte schon bei Eingang der Beschwerde bei dem VG im Februar 2002 und auch anschließend den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzuerkennenden laufenden sozialhilferechtlichen Bedarf (einschl. der Kosten für die Unterkunft) aus den Mitteln decken, die der Antragstellerin zu 1. und insbesondere dem Antragsteller zu 2. zur Verfügung stehen, sie kann es auch bis zum 31.5.2002 (Ende des Monats, in dem die Beschwerdeentscheidung ergeht).

Zu den vor Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes einzusetzenden eigenen Mitteln des Antragstellers zu 2. gehören zunächst sowohl die in dem genannten Zeitraum vorgenommenen Entnahmen in Höhe von monatlich je 750,- EUR als auch der Betrag in Höhe von monatlich 600,-- DM = umgerechnet 306,78 EUR, der ihm als Erziehungsgeld zufließt.

Der Berücksichtigung des Erziehungsgeldes steht im Rahmen der Frage, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden ist, angesichts der hier gegebenen Umstände nicht § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG entgegen, wonach Erziehungsgeld bei der Frage, ob Sozialhilfe zu gewähren ist, als Einkommen außer Ansatz zu bleiben hat.

Für die generelle Berücksichtigung des Erziehungsgeldes im Rahmen des Anordnungsgrundes VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.1.1991 - 6 S 3067/90 -, Juris (Leitsatz); OVG NRW, Beschluss vom 4.4.1991 - 8 B 284/91 -; für eine Berücksichtigung im Einzelfall OVG NRW, Beschluss vom 16.4.1999 - 24 B 1107/98 -; gegen die Zumutbarkeit des vorläufigen Einsatzes des Erziehungsgeldes SächsOVG, Beschluss vom 16.2.2000 - 1 BS 17/00, Sozialrecht aktuell 2000, Heft 10-11, S. 18; Nds. OVG, Beschluss vom 31.7.1996 - 12 M 4000/96 -, Juris; OVG NRW, Beschluss vom 2.6.1992 - 24 B 1430/92 -.

Die Zwecke, die mit der Gewährung von Erziehungsgeld verfolgt werden, sind nicht der Art, dass sie nur durch seinen monatlichen Verbrauch verwirklicht werden können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.9.1997 - 5 C 8.97 -, BVerwGE 105, 199 (202); zu den Zwecken allgemein auch OVG NRW, Urteil vom 20.6.2001 - 12 A 31/01 -; FEVS 53, 151 (158 f.); wie hier auch OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2002 - 12 B 310/02 -.

Indem die Antragstellerin zu 1. und der Antragsteller zu 2. sowohl in der für den erst-instanzlichen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe formblattmäßig eingereichten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als auch in ihrer eigenen "Erklärung zur persönlichen Situation" das Erziehungsgeld ohne Darlegung einer anderen Verwendungsabsicht bei den Einnahmen bzw. bei den Mitteln aufgeführt haben, von denen sie nach ihren Angaben bislang den Lebensunterhalt bestreiten, ist nicht anzunehmen, dass das Erziehungsgeld für bestimmte, der mit ihm beabsichtigten Förderung unterliegende Zwecke "fest eingeplant" ist. Ferner ist jedenfalls gegenwärtig noch nicht zu Grunde zu legen, dass eine Nachzahlung von Sozialhilfe frühestens dann erfolgen könnte, wenn der gesetzliche Förderungszeitraum hinsichtlich des Erziehungsgeldes bereits abgelaufen und mit der Nachzahlung seine spezifische Zweckbestimmung verfehlt wäre. Es ist gerade erst die Hälfte der Bezugszeit von Erziehungsgeld für die Antragstellerin zu 3. verstrichen. Die Antragsteller sind auch nicht etwa jetzt schon auf die Klärung der offenen Fragen durch ein verwaltungsgerichtliches Klageverfahren angewiesen. Es liegt vielmehr - sollten sie eine (teilweise) sozialhilferechtliche Bedürftigkeit nachweisen können - in ihrer Hand, bereits im behördlichen Verfahren eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Sie sind gehalten, den Antragsgegner mit umfassenden Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen, d.h. auch mit einer auf den streitbefangenen Zeitraum, d.h. auf das Jahr 2001 und das laufende Jahr 2002 bezogenen Gewinn- und Verlustrechnung zu einer Entscheidung in ihrem Sinne zu veranlassen: ... Zur Klärung genügen nicht bereits die mit der Antragsschrift an das VG überreichten Gewinn- und Verlustrechnungen zum 31.12.2000 bzw. 30.6.2001. Nach § 4 der Verordnung zu § 76 BSHG sind die Einkünfte aus Gewerbebetrieb bzw. selbständiger Arbeit für das Jahr zu berechnen, in dem der Bedarfszeitraum liegt (Berechnungsjahr); anzusetzen ist grundsätzlich ein Betrag, der auf der Grundlage früherer Betriebsergebnisse aus der Gegenüberstellung der im Rahmen des Betriebes im Berechnungsjahr bereits erzielten Einnahmen und geleisteten notwendigen Ausgaben sowie der im Rahmen des Betriebes im Berechnungsjahr noch zu erwartenden Einnahmen und notwendigen Ausgaben zu errechnen ist. Dabei vermag der Senat die von den Antragstellern behauptete Notwendigkeit, zur Erstellung der erforderlichen Unterlagen einen Steuerberater beauftragen zu müssen, nicht zu erkennen: Mit den bereits vorliegenden Gewinn- und Verlustrechnungen ist der Antragsteller zu 2. in der Lage, die Entwicklung der Geschäfte entsprechend diesen "Mustern" zu dokumentieren. Immerhin hat er bereits die weitere Entwicklung der GbR angegeben bzw. prognostiziert (Umsatzsteigerung von 70 %, zusätzliche Gewinnerwartung ab Sommer durch dann neu betriebene Disc-Jockey-Agentur) und eine ab Dezember 2002 mögliche Erhöhung seiner Entnahme um monatlich 300,- EUR berechnet. ...

Allerdings kann die Berechnung der Einkünfte aus der selbstständigen Tätigkeit bzw. dem Gewerbebetrieb dann entbehrlich sein, wenn - wovon nach den eigenen Angaben der Antragsteller bisher auszugehen ist - allein auf die Höhe der so bezeichneten "Entnahmen" abzustellen ist. Regelmäßig handelt es sich dabei um Leistungen auf Gewinnanteile (vgl. §§ 15, 4 EStG, 122 HGB), mithin um Einkünfte i.S.d. Verordnung zu § 76 BSHG. Der Bewertung als Einkünfte steht dabei nicht entgegen, dass die Leistungen "vorweg" erfolgen. Auch wenn für die n.-GbR periodische Gewinnverteilung gelten sollte (vgl. § 721 Abs. 2 BGB), erfolgte ein Verlustausgleich erst bei Gesellschaftsende, wenn nichts anderes vereinbart wäre (vgl. §§ 707, 735 BGB).

Zu den eigenen Mitteln des Antragstellers zu 2. gehören ferner das ihm bisher gewährte Wohngeld sowie das Kindergeld. Ob auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei dem Kindergeld der Betrag nach § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG in Höhe von monatlich 20,- DM = umgerechnet 10,23 EUR abzusetzen ist, kann hier dahingestellt bleiben. Auch mit dessen Absetzung reichen die den Antragstellern zur Verfügung stehenden Mittel, ihren im Eilverfahren zu berücksichtigenden sozialhilferechtlichen Bedarf zu decken. Insgesamt stehen dem Antragsteller zu 2. zurzeit monatlich zumindest 1.246,24 EUR zur Verfügung.

Auch wenn der Antragsteller zu 2. aus den ihm zufließenden Geldbeträgen seinen bei Betrachtung als Haushaltsvorstand anzusetzenden Regelsatz aufbringen könnte, sind gleichwohl nur 80 % dieses Betrages bei der Bedarfsberechnung für ihn in Ansatz zu bringen. Die Zurechnung von Einkommen des Antragstellers zu 2. in einem Umfang unterhalb des eigenen - nach dem Regelsatz bemessenen - sozialhilferechtlichen Bedarfs im Rahmen der Prüfung, ob den Antragstellern unzumutbare Folgen drohen, ist in Ansehung der zu den Antragstellern bestehenden Bindungen erlaubt.

Anders in einem Fall, in dem der nicht am Verfahren beteiligte Ehemann über Sozialhilfemittel in einem zur Deckung des eigenen vollen Regelsatzbedarfs ausreichendem Umfang verfügte, OVG NRW, Beschluss vom 27.4.2001 - 16 B 341/01 -.

Die Ehe und die eheähnliche Lebensgemeinschaft lassen ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwarten.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234 (264 f.); BVerwG, Urteil vom 17.5.1995 - 5 C 16.93 -, BVerwGE 98, 195 (199) = FEVS 46, 1.

Dasselbe gilt schon wegen der vergleichbaren emotionalen Bindungen im Verhältnis von Eltern zu Kindern, die - wie hier - als "Familie" zusammen leben.

Genügen die einer solchen Familie zur Verfügung stehenden Mittel vorübergehend nicht, den Bedarf insgesamt zu decken, ist zu erwarten, dass sich der Familienangehörige, der ein seinen eigenen Bedarf übersteigendes Einkommen erzielt, auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt, wenn dies den übrigen Familienmitgliedern ermöglicht, ebenfalls den unerlässlichen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Seine Beschränkung ist dabei in einem Umfang von bis zu 20 % des Regelsatzes zu erwarten, weil es nach der gefestigten Rechtsprechung der früher für das Sozialhilferecht zuständigen Senate, der sich der beschließende Senat angeschlossen hat, zur Vermeidung wesentlicher Nachteile i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO im Regelfall ausreicht, wenn einem erwachsenen Hilfe Suchenden dieser Betrag zur Verfügung steht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.2.2001 - 22 B 1771/00 - m.w.N..

Neben dem so gekürzten Regelsatz ist von den eigenen Mitteln des Antragstellers zu 2. sodann das ihm zuzurechnende Drittel der Kosten für Unterkunft und Heizung abzusetzen. Der Senat braucht nicht zu klären, ob die Kosten sämtlicher auf den Antragsteller laufenden Versicherungen zu berücksichtigen sind. Allerdings erscheint die nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG erforderliche Angemessenheit zumindest hinsichtlich der Glasversicherung zweifelhaft. Ebenso begegnet es Bedenken, dass der Antragsteller, nachdem im März 2001 bei dem Antragsgegner die Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt worden war, mit Wirkung vom 1.6.2001 an die Versicherungssumme der im Übrigen offensichtlich erst im zweiten Versicherungsjahr befindlichen Kapitallebensversicherung um 10 % erhöht hat. Sollte insoweit die dynamische Steigerung der Beiträge vereinbart gewesen sein, hätte es nahe gelegen, dies zumindest vorübergehend einzufrieren. Selbst wenn die für Versicherungen des Antragstellers zu 2. anfallende Gesamtsumme berücksichtigt wird, genügt der von seinen eigenen Mitteln verbleibende Betrag, den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Antragstellerinnen zu 1. und 3. zu berücksichtigenden sozialhilferechtlichen Bedarf zu decken.

Dabei vermag die Antragstellerin zu 1. ihren Bedarf (80 % des Regelsatzes für einen erwachsenen Haushaltsangehörigen, 1/3 der Unterkunftskosten sowie den Beitrag für die Krankenversicherung) teilweise aus eigenen Mitteln zu decken, nämlich soweit ihr Wohngeld zufließt. Den Bedarf der Antragstellerin zu 3. hinzugerechnet (Regelsatz und 1/3 der Unterkunftskosten) bleiben zuletzt noch fast 200,- EUR übrig.

In Ansehung dieser wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller sind sie insbesondere entgegen ihren Ausführungen auch in der Lage, die Miete für Mai zu zahlen.

...

2. Von einem den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Mietrückstand ist nicht auszugehen. ...

3. Kommt es nach alledem nicht darauf an, ob die Annahme des VG zutreffend ist, den Antragstellern zu 1. und 2. sei es zumutbar, durch die Aufnahme einer (weiteren) Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften zu erwirtschaften, sind gleichwohl mit Blick auf das Hauptsacheverfahren die folgenden ergänzenden Bemerkungen angezeigt: Wenn der Antragsteller zu 2. im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit bereits eine wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden erreichte, wäre - so die Antragsteller zutreffend - eine weitere (unselbstständige) Tätigkeit nicht mehr zulässig (vgl. § 15 BErzGG). Soweit die Antragstellerin zu 1. die Elternzeit nicht gemeinsam mit dem Antragsteller zu 2. nimmt, muss sie allerdings ihre Arbeitskraft nach § 18 Abs. 1 BSHG zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und ihre unterhaltsberechtigten Angehörigen einsetzen, soweit nicht - bei Teilzeittätigkeit des Antragstellers zu 2. - die geordnete Erziehung der Antragstellerin zu 3. gefährdet würde. Die Antragstellerin zu 1. sollte sich im eigenen Interesse - was bisher unterblieben ist - mit dem konkreten Angebot des Antragsgegners auseinandersetzen, als Assistenzkraft in Teilzeit bei einem Bezirkssozialamt zu arbeiten. Ihre Arbeitsfähigkeit erscheint nach den bislang zur Gerichtsakte gelangten Unterlagen nicht ausgeschlossen.

Ende der Entscheidung

Zurück