Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 13 A 1178/05
Rechtsgebiete: AMG


Vorschriften:

AMG § 8 Abs. 1 Nr. 2
Die Bezeichnung stellt bei freiverkäuflichen Arzneimitteln eine für die Kaufentscheidung maßgebliche Informationsquelle dar. Dies rechtfertigt es hinsichtlich der Anforderungen der Bezeichnung an Wahrheit, Eindeutigkeit und Klarheit einen strengen Maßstab anzulegen.

Durch den Bezeichnungszusatz "Forte" kann ein Irrtum über die Wirksamkeit des Arzneimittels hergerufen werden. Dies gilt auch für traditionell zugelassene Arzneimittel.


Gründe:

Der Senat teilt die Auffassung des VG, dass die Bezeichnung "Forte" für das als Arzneimittel in den Verkehr gebrachte Präparat irreführend im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AMG ist. Sie ist irreführend, weil sie geeignet ist, bei einem beachtlichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises unrichtige Verbrauchererwartungen über wesentliche Eigenschaften des Arzneimittels zu wecken.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.5.2007- 13 A 3657/04 -, juris; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand Okt. 2007, § 8 AMG, Anm. 22); Sander, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand Oktober 2007, § 8 AMG, Anm. 5);

Abzustellen ist - wie auch sonst im Arzneimittelrecht - auf das Verständnis eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers.

Vgl. BGH, Urteil vom 21.7.2005 - I ZR 94/02 -, LRE 52, 302; OVG Berlin-Bb, Urteil vom 21.9.2006 - 5 B 12.05 -, Pharma Recht 2007, 54; OLG Hamburg, Urteil vom 3.2.2005 - 3 U 212/03 -, juris.

Die streitgegenständliche Bezeichnung richtet sich nicht nur an fachlich informierte Kreise, wie Apotheker und Ärzte, sondern an das allgemeine Publikum, da das streitgegenständliche Produkt in Apotheken, aber auch in Drogeriemärkten und Lebensmittelfilialen frei verkäuflich und für jedermann zur Selbstmedikation angeboten wird.

Anders als Ärzte und Apotheker, die sich von Berufs wegen bereits fachlich vollständig über die Eigenschaften des Arzneimittels informieren und sich nicht vorrangig an der Bezeichnung des Präparats orientieren, sondern ihr Augenmerk auf Angaben zur Art des Arzneimittels, zu den in ihm enthaltenen Wirkstoffen, zu ihren Konzentrationen und ihrer Zusammensetzung richten, misst das nicht fachlich befasste Publikum der Bezeichnung eine besondere Bedeutung zu. Mangels anderweitiger umfassender Informationsmöglichkeiten und fehlender fachlicher Verkaufsberatung stellt die Bezeichnung bei frei verkäuflichen Arzneimitteln eine für die Kaufentscheidung maßgebliche Informationsquelle dar. Dies rechtfertigt es, hinsichtlich der Anforderungen der Bezeichnung an Wahrheit, Eindeutigkeit und Klarheit einen strengen Maßstab anzulegen.

Vgl. insoweit auch OVG NRW, Urteil vom 23.5.2007 - 13 A 3657/04 -, a.a.O.

Der angesprochene Verkehrskreis wird, was der Senat aus eigener Anschauung und Erfahrung beurteilen kann, weil seine Mitglieder zu dem allgemeinen Publikum gehören, dem Bezeichnungszusatz "Forte" anders als die Klägerin meint, nicht nur einen unspezifischen Bedeutungsgehalt in dem Sinne beimessen, dass zwischen Arzneimitteln ein irgendwie gearteter Unterschied besteht. Den das Arzneimittel als "stark" hervorhebenden Zusatz wird dieser vielmehr mit der für die Kaufentscheidung wesentlichen Erwartung verbinden, dass es einen hohen Wirkstoffgehalt, namentlich eine erhöhte Menge oder Konzentration arzneilich wirksamer Bestandteile gegenüber dem Basispräparat oder sonstigen Präparaten mit gleichem Wirkstoff enthält.

Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.9.1991 - 2 U 59/91 -, Pharma Recht 1992, 146; Sander, a.a.O., § 8 AMG, Anm. 5) f.; Kloesel/Cyran, a.a.O., § 8 AMG, Anm. 22); vgl. demgegenüber OLG Hamburg, Urteil vom 12.7.2007 - 3 U 39/07 -, juris, zur Verwendung des Zusatzes "forte" gegenüber Fachpublikum.

Die im Vergleich zu anderen Präparaten erfolgte Höherdosierung des Präparats wird der angesprochene Verkehrskreis - schon weil die Höherdosierung ansonsten sinnlos wäre - mit der Vorstellung einer im Vergleich zum Basismedikament oder zum Alternativpräparat bestehenden besonderen Wirksamkeit und Nützlichkeit verbinden. Hiervon dürfte auch die Klägerin ausgehen, da sie den von der Beklagten zugestandenen und auf die erhöhte Dosis hinweisenden Bezeichnungszusatz "350 mg" als nicht ausreichend erachtet und dem Zusatz "Forte" offensichtlich eine darüber hin- ausgehende absatzfördernde Aussagekraft beimisst.

Für die Beurteilung der Irreführungsgefahr unerheblich ist, ob das Arzneimittel nach § 21 AMG oder nach §§ 105, 109 a AMG zugelassen wurde, da nicht zu erwarten ist, dass der angesprochene Verkehrskreis mit den Modalitäten der Arzneimittelzulassung vertraut ist. Die Erwartung einer wegen des Zusatzes "Forte" geweckten stärkeren Wirksamkeit entfällt letztlich auch nicht wegen des Hinweises "Traditionell angewendet... . Diese Angaben beruhen ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung". Zwar mag dieser Hinweis geeignet sein, die Vorstellung auszuräumen, dass die besondere Wirksamkeit bezogen auf das Anwendungsgebiet auf wissenschaftlicher Basis überprüft wurde. Der Hinweis legt aber die Annahme nahe, dass die behauptete besondere Stärke und Wirksamkeit zumindest durch Überlieferung und langjährige Erfahrung belegt werden kann und durch die bei Arzneimitteln erforderliche behördliche Zulassung gedeckt ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.5.2007 - 13 A 3657/04 -, a.a.O.

Das streitgegenständliche Arzneimittel enthält zwar nach den Angaben der Klägerin den arzneilich wirksamen Bestandteil Kieselerde in einer Dosierung von 350 mg pro Kapsel, wohingegen ihr Präparat mit 104 mg wesentlich weniger Kieselerde enthält und auch Vergleichspräparate nach Angaben der Klägerin regelmäßig weniger stark dosiert sind. Eine die Höherdosierung rechtfertigende besondere Wirksamkeit bezogen auf das Anwendungsgebiet "Zur Vorbeugung von brüchigen Fingernägeln und Haaren, zur Kräftigung des Bindegewebes" wurde aber nicht nachgewiesen. Ob ein Nachweis möglich gewesen wäre, kann letztlich dahinstehen, weil die Klägerin im vorliegenden Verfahren zwar die Wirksamkeit ihres Produkts allgemein, nicht aber eine die Bezeichnung "Forte" rechtfertigende verstärkte Wirksamkeit ihres Präparats im Vergleich zum Basispräparat oder sonstigen Präparaten mit gleichem Wirkstoff behauptet hat.

Der Hinweis der Klägerin auf andere Arzneimittel mit dem Bezeichnungszusatz "Forte" vermag dem Begehren ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Beklagte hat die den Bezeichnungszusatz "Forte" rechtfertigenden Umstände im Schriftsatz vom 12.12.2005 dargelegt. Soweit die Verwaltungspraxis der Beklagten sich im Einzelfall als rechtswidrig erweisen sollte, könnte die Klägerin hieraus zu ihren Gunsten nichts herleiten.

Ende der Entscheidung

Zurück