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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.08.2007
Aktenzeichen: 13 A 1354/06
Rechtsgebiete: GG, TKG, TKÜV 2005


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14
TKG § 110 Abs. 1
TKG § 115 Abs. 1
TKÜV 2005 § 23 Abs. 1
1. Betreiber von Telekommunikationsanlagen, mit denen Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbracht werden, müssen gegenüber den zur Überwachung berechtigten Stellen grundsätzlich Probeläufe zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Überwachungssystems in seiner Gesamtheit auf eigene Kosten durchführen. Darin liegt kein unzulässiger Grundrechtseingriff.

2. Probeläufe umfassen nicht Schaltungen der berechtigten Stellen zwecks Ausbildung von Personal oder Entwicklung neuer technischer Vorkehrungen.

3. Gegen aus seiner Sicht rechtswidrige Probeläufe kann sich der Netzbetreiber bei der Regulierungsbehörde wehren.


Tatbestand:

Die ein Telekommunikationsnetz betreibende Klägerin schaltete einen von ihr eingerichteten und bereits verlängerten Testanschluss für eine Überwachungsbehörde wegen von dieser verweigerter Kostenübernahme ab. Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die beklagte Regulierungsbehörde der Klägerin, die Schaltung von Test-Überwachungsmaßnahmen von einer Kostenübernahmeerklärung abhängig zu machen und bei Nichtabgabe der Erklärung die Maßnahme abzuschalten. Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage wies das VG ab; die Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG kann die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde Anordnungen und andere Maßnahmen treffen, um die Einhaltung u. a. der Vorschriften des Teils 7 des Telekommunikationsgesetzes und der auf Grund dieses Teils ergangenen Rechtsverordnungen sicherzustellen.

Mit dem angefochtenen Bescheid untersagt die Beklagte der Klägerin ohne Bezug auf ein konkretes Einzelfallgeschehen, die Schaltung von Test-Überwachungsmaßnahmen nach § 23 Abs. 1 TKÜV 2002 - jetzt § 23 Abs. 1 Nr. 3 TKÜV 2005 - von einer Kostenübernahmeerklärung der berechtigten Stelle abhängig zu machen. Diese generelle Untersagung rechtfertigt sich vor folgendem rechtlichen Hintergrund:

Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG hat die Klägerin als Betreiberin einer Telekommunikationsanlage, mit der Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbracht werden, auf eigene Kosten technische Einrichtungen zur Umsetzung gesetzlich vorgesehener Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation vorzuhalten... Bei verständiger Interpretation dieser Vorschrift hat der Netzbetreiber die Verpflichtung zur Anschaffung, Installation und Unterhaltung technischer Einrichtungen zur Telekommunikationsüberwachung für sein Netz und - neben den Pflichten gegenüber der Regulierungsbehörde aus § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 u. 4 TKG - zur Durchführung von Probeläufen zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des Überwachungssystems in seiner Gesamtheit bestehend aus den technischen Überwachungseinrichtungen im Netz, dem Anschluss der jeweils berechtigten Stelle und deren technischen Einrichtungen auf eigene Kosten. So verstanden ist die Vorschrift mit den von der Klägerin in Anspruch genommenen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, 14 und 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Verpflichtung des Netzbetreibers, die Funktionen seiner technischen Überwachungseinrichtungen in seinem Netz im konkreten Überwachungsfall dem Zugriff der berechtigten Stellen zur Verfügung zu stellen, ergibt sich hingegen aus den jeweiligen Fachgesetzen ggf. in Verbindung mit entsprechenden richterlichen Anordnungen; seine Verpflichtung zur Herstellung eines Anschlusses zur Übergabe der mittels der technischen Netzeinrichtungen duplizierten Telekommunikation und Daten folgt aus § 110 Abs. 6 TKG.

Das "Vorhalten" technischer Einrichtungen zur Telekommunikationsüberwachung beinhaltet, diese zu beschaffen und zu installieren sowie in einem solchen Zustand zu halten, der den jederzeitigen Zugriff der berechtigten Stellen auf ihre Funktionen ermöglicht. Die Formulierung "zur Umsetzung" gesetzlicher Überwachung der Telekommunikation bedeutet, dass die technischen Netzeinrichtungen im Zusammenwirken mit dem Anschluss und den Einrichtungen der berechtigten Stellen in der Lage sein müssen, die Überwachungsmaßnahmen nach den jeweiligen Fachgesetzen zu realisieren. Von einer Umsetzung der Überwachung kann nach allgemeinem Verständnis nur dann die Rede sein, wenn die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems der Überwachung hergestellt und festgestellt ist. Nur in diesem Fall dient eine technische Netzeinrichtung der "Umsetzung" von Telekommunikationsüberwachung. So betrachtet ist die Durchführung eines Probelaufs oder ggf. mehrerer Probeläufe des Systems der Telekommunikationsüberwachung in seiner Gesamtheit notwendiger Teil der Formulierungen "vorzuhalten" - von technischen Einrichtungen - und "zur Umsetzung" - von Telekommunikationsüberwachung - und nicht anders zu sehen als Probeschaltungen der Klägerin bei Bereitstellung oder Überprüfung eines Netzanschlusses für den Vertragskunden.

Die Verpflichtung aus § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG zur Durchführung eines Probelaufs ist indes nicht unbegrenzt. Ein Probelauf dient der Überprüfung, ob die Übergabe der in den technischen Einrichtungen des Netzbetreibers duplizierten Informationen an die technischen Einrichtungen der berechtigten Stellen den zu stellenden Anforderungen entsprechend funktioniert. Er ist daher regelmäßig in absehbarer Zeit zu bewältigen und wird schon begrifflich keine Schaltungen zwecks Ausbildung von Personal der berechtigten Stellen oder Entwicklung neuer technischer Vorkehrungen der berechtigten Stellen umfassen. Hierbei handelt es sich um Ziele, die allein dem Verantwortungsbereich der berechtigten Stellen zuzurechnen sind und keine "gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation" sind sowie vom Wortinhalt "vorzuhalten" ... zur "Umsetzung" in § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG nicht mehr erfasst werden. Auch die Materialien des Gesetzgebungsverfahrens enthalten keinen Hinweis für eine extensive Interpretation der angeführten Gesetzesbegriffe. Zudem folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass Eingriffe in Grundrechtsbereiche des Einzelnen in Verfolgung öffentlicher Anliegen der Gemeinschaft auf das Erforderliche zu beschränken sind. So erscheint es nicht ausgeschlossen und vertretbar, gewisse zu erprobende Funktionen von den berechtigten Stellen in speziellen Testlabors ohne Inanspruchnahme von Einrichtungen im Netz des Netzbetreibers und Diensteanbieters prüfen zu lassen, wie die Klägerin - von der Beklagten unbestritten - dargelegt hat. In Konsequenz zu der nicht unbeschränkten Verpflichtung des Netzbetreibers zu Probeschaltungen und zum Verhältnismäßigkeitsgebot trifft der insoweit auf der Ermächtigungsgrundlage des § 110 Abs. 2 Nr. 1 TKG beruhende § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 5 u. 6 TKÜV 2005 konkretisierende Verfahrensregelungen: Danach bedarf die probeweise Anwendung der vorherigen Anmeldung durch die berechtigte Stelle und einer schriftlichen Bestätigung durch die Bundesnetzagentur, die diese sowohl der berechtigten Stelle als auch dem Verpflichteten übermittelt; in der Anmeldung sind der Grund für die probeweise Anwendung, der Zeitraum der Erprobung ... anzugeben. Auf diese Weise hat die Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde die Möglichkeit, im Rahmen ihrer allgemeinen Befugnisse die Beachtung etwa des Verhältnismäßigkeitsgebots zu prüfen; andererseits ist es dem Netzbetreiber möglich, sich gegen eine Verpflichtung zu einer aus seiner Sicht rechtswidrigen Probeschaltung zu wehren.

Aus der Formulierung "auf eigene Kosten" in § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG folgt schließlich, dass der Netzbetreiber die Verpflichtung zur Anschaffung, Installation, Unterhaltung und Probelauf erfüllen muss, ohne die Kosten hierfür etwa den berechtigten Stellen in Rechnung stellen zu können. Insoweit handelt es sich um allgemeine Kosten des Netzes, die der Betreiber in die allgemeinen Nutzungsentgelte einstellen kann. Ob er aus den in der Berufung dargelegten Gründen zur Entgelterhebung für die Durchführung realer Überwachungsmaßnahmen berechtigt sein könnte, kann schon wegen der vorliegend nur streitbefangenen Test-Schaltungen offen bleiben.

Im Licht des so interpretierten § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG und des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebots bringt § 23 Abs. 1 TKÜV 2005 demnach mit der Begrenzung der probeweisen Anwendung der Überwachungsfunktionen auf das notwendige Maß nichts anderes zum Ausdruck als bereits aus übergeordnetem Recht folgt. Die Frage, ob § 110 Abs. 2 TKG insoweit eine ausreichende Verordnungsermächtigung darstellt, stellt sich nicht.

In der Verpflichtung der Netzbetreiber und Diensteanbieter zur Vorhaltung technischer (Netz)Einrichtungen zur Umsetzung der Telekommunikationsüberwachung auf eigene Kosten im Sinne der beschriebenen Interpretation, d. h. einschließlich der Verpflichtung zu Probeschaltungen, liegt kein Verstoß gegen die von der Klägerin angeführten Grundrechte.

Ein unzulässiger Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) ist nicht feststellbar.

Wenn nicht die oben beschriebene Verpflichtung aufgrund ihrer von Anbeginn der Privatisierung des Telekommunikationssektors geltenden Verbindlichkeit bereits zum Berufsbild eines jeden Telekommunikationsanlagenbetreibers im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 1 TKG gehört, so beinhaltet sie doch jedenfalls nur eine Berufsausübungsregelung und kein Berufszugangsverbot.

Das durch Gesetz einschränkbare Recht der freien Berufsausübung, hier die Art und Weise des Gestaltens und Betreibens von Telekommunikationsanlagen sowie die Bestimmung der Entgelte für die erbrachten Leistungen, ist insoweit durch § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG eingegrenzt. Die gesetzlich statuierte Inpflichtnahme eines Betreibers von Telekommunikationsanlagen zur Mitwirkung bei der Telekommunikationsüberwachung und zur Einstellung der diesbezüglichen Kosten in die staatlich regulierten allgemeinen Entgelte - in Konsequenz zur Kostentragungspflicht - dient den wichtigen Gemeinschaftsanliegen der Verhütung und Aufklärung von Straftaten. Sie belastet den einzelnen Betreiber mit Blick auf die wichtigen Gemeinschaftsbelange nicht unverhältnismäßig; die Kosten der Mitwirkung an der Telekommunikationsüberwachung sind für ihn im allgemeinen nur durchlaufende Posten. Die Mitwirkungspflicht trifft jeden Telekommunikationanlagenbetreiber im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 1 TKG und dieser konnte von Anbeginn der Privatisierung des Telekommunikationssektors an nicht auf eine insoweit belastungsfreie Berufsausübung vertrauen:

Eine privatrechtliche Unternehmenstätigkeit des Betreibens von Telekommunikationsnetzen/-anlagen und des Angebots von Telekommunikation für die Öffentlichkeit ist erst durch Auflösung des entsprechenden früheren staatlichen Monopols und Übertragung der Netzinfrastruktur des früheren staatlichen Teil-Sondervermögens Deutsche Bundespost TELEKOM auf die Klägerin durch Entscheidung des Gesetzgebers möglich geworden ist (vgl. hierzu das Postneuordnungsgesetz - PTNeuOG - vom 14.9.1994, BGBl. I 2325). Bei Inkrafttreten der post- und telekommunikationsrechtlichen Neuregelung am 1.1.1995 war die Klägerin als neuer privater Netzbetreiber und Diensteanbieter bereits zur Mitwirkung bei der Telekommunikationsüberwachung verpflichtet. Gemäß § 10b FAG i. d. F. d. Art. 5 PTNeuOG war die Gestaltung der technischen Einrichtungen zur Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen des Fernmeldeverkehrs ... von dem Betreiber der Fernmeldeanlage im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Post und Telekommunikation festzulegen. Hieraus folgt die Vorstellung des Gesetzgebers von einer Verpflichtung des Netzbetreibers zur Installation technischer Einrichtungen im Netz zur Ermöglichung von Telekommunikationsüberwachung durch die berechtigten Stellen. Diese Verpflichtung ist durch die nachfolgende telekommunikationsrechtliche Gesetzgebung im Grundsatz nicht geändert worden. Die Klägerin hat die Netzstruktur wie auch die unternehmerische Tätigkeit mit dieser Verpflichtung bzw. Belastung behaftet von ihrer Rechtsvorgängerin übernommen und war seinerzeit der einzige Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes; die in der Folgezeit auf den Markt getretenen Netzbetreiber unterfallen im Grundsatz ebenfalls der dargestellten Verpflichtung zunächst aus dem Fernmeldeanlagengesetz, später aus dem Telekommunikationsgesetz 1996 und heute aus dem aktuellen Telekommunikationsgesetz. Hieraus folgt, dass ein privater Betreiber von Telekommunikationsanlagen, der Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit erbringt, niemals auf eine Geschäftstätigkeit ohne Mitwirkung bei der Telekommunikationsüberwachung vertrauen konnte.

Ein Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) liegt in der Pflicht zur Vorhaltung technischer Netzeinrichtungen zur Telekommunikationsüberwachung auf eigene Kosten, einschließlich des Probelaufs, ebenfalls nicht. Die Klägerin hat das Eigentum am Telekommunikationsnetz und das Recht am laufenden Unternehmensbetrieb bereits mit der Belastung einer entsprechenden Verpflichtung übernommen. Diese Verpflichtung umfasste von Anfang an die Anschaffung, Installation, Unterhaltung und den Probelauf (= Vorhaltung zur Umsetzung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen) auf eigene Kosten. Denn § 10b FAG i. d. F. d. PTNeuOG sah eine Entschädigung oder ein Entgelt nicht vor und mangels einer entsprechenden gesetzlichen Regelung waren bzw. sind staatliche Stellen zu einer Entschädigungs- oder Entgeltleistung nicht befugt. Ferner entsprach die seinerzeit unterlassene Koppelung der Inpflichtnahme des Netzbetreibers an eine Entschädigungs-/Entgeltregelung der allgemeinen Vorstellung, dass staatliche Stellen bzw. Unternehmungen untereinander für ihre Beiträge zur Erfüllung öffentlicher Anliegen nicht ausgleichspflichtig sind.

Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG kann die Regulierungsbehörde Maßnahmen mit dem Ziel der Einhaltung der Vorschriften des Teils 7 des Telekommunikationsgesetzes treffen. Das Einschreiten und die Wahl des Mittels stehen in ihrem Ermessen. Der angefochtene Bescheid ist ermessensfehlerfrei.

Es ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen, dass sie in der den Ausgangspunkt bildenden Auseinandersetzung mit dem Bundesgrenzschutz der Regulierungsbehörde gegenüber die Probeschaltung in dem aufgezeigten Verfahren nach § 23 Abs. 1 Sätze 5 u. 6 TKÜV 2005 beanstandet hat. Macht ein Telekommunikationsanlagenbetreiber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, hat er die Probeschaltung zu akzeptieren und entgeltfrei durchzuführen, d. h. ein Kappen der Schaltung oder Aufrechterhalten nur gegen Entgeltzusage der berechtigten Stelle ist rechtswidrig. Die Regulierungsbehörde hatte daher keinen Anlass zu prüfen, ob etwa die Probeschaltung überflüssig oder überzogen und damit rechtswidrig war, und konnte von einer beanstandungsfreien, rechtmäßigen Probeschaltung ausgehen. Vor dem Hintergrund war eine generelle Untersagung, Schaltung von Testüberwachungsmaßnahmen - nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 TKÜV 2005 - von einer Kostenübernahmeerklärung abhängig zu machen, sachlich gerechtfertigt und auch ein geeignetes Mittel, auf die Einhaltung der einschlägigen telekommunikationsrechtlichen Vorschriften hinzuwirken.

Ende der Entscheidung

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