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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 13 A 1668/07
Rechtsgebiete: AMRNOG, AMG


Vorschriften:

AMRNOG Art. 3 § 7
AMG § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
AMG § 105
Eine Änderung i. S. v. § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG i. d. F. des 10. Änderungsgesetzes liegt auch dann vor, wenn der pharmazeutische Unternehmer bestimmt, dass ein Inhaltsstoff des Arzneimittels nicht mehr arzneilich wirksamer Bestandteil, sondern wirksamer Bestandteil ist. Bei einem fiktiv zugelassenen Arzneimittel führt eine solche Änderung, sofern sie zum Zeitpunkt des Zugangs der Änderungsanzeige bei der Zulassungsbehörde unzulässig war, zum Erlöschen der Zulassung.
Tatbestand:

Die Klägerin begehrte die Verlängerung der fiktiven Zulassung des Arzneimittels "Z". Die Beklagte versagte die Nachzulassung. Die dagegen erhobene Klage auf Neubescheidung wies das VG ab. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe die arzneilich wirksamen Bestandteile des Arzneimittels im Jahre 2002 unzulässig geändert, indem sie bestimmt habe, dass der Inhaltsstoff A. nicht mehr arzneilich wirksamer Bestandteil, sondern wirksamer Bestandteil des Präparats sei. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärte Rücknahme der Änderung sei nach Entscheidung der Beklagten über den Nachzulassungsantrag nicht mehr möglich und damit unwirksam. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Fehl geht zunächst die Annahme der Klägerin, sie habe im Jahre 2002 eine Änderung des Arzneimittels lediglich vorgeschlagen. Diese Auslegung ist unzutreffend. Bei verständiger Würdigung des Wortlauts der genannten Anzeige und der ihr zugrundeliegenden Umstände hat die Klägerin verbindlich erklärt, dass der Inhaltsstoff A. nicht mehr arzneilich wirksamer Bestandteil, sondern nur noch wirksamer Bestandteil des Arzneimittels sein soll, um die hierauf bezogenen Bedenken der Beklagten zu beseitigen. Dass die Beklagte die Änderungsanzeige angeblich nur als Vorschlag aufgefasst haben soll, wie die Klägerin behauptet, ist nicht entscheidungserheblich. Abgesehen davon, dass sich dem Akteninhalt kein belastbarer Anhaltspunkt für ein derartiges Verständnis der Beklagten entnehmen lässt, richtet sich die Auslegung der Anzeige allein danach, wie ein objektiver Erklärungsempfänger in der Situation der Beklagten die Mitteilung verstehen musste. Ein solcher Mitteilungsadressat hätte die Anzeige - wie dargelegt - als verbindliche und unbedingte Arzneimitteländerung aufgefasst.

Die im Wege einer verwaltungsrechtlichen Willenserklärung erfolgte Änderung ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sie nicht auf dem von der Beklagten dafür vorgesehenen Formblatt, sondern im Rahmen eines Mängelbeseitigungsschreibens erklärt worden ist. Die Änderungsanzeige hat keinen besonderen Formerfordernissen zu genügen. Zwar ist gemäß § 1 der Verordnung zur Festlegung von Anforderungen an den Antrag auf Zulassung, Verlängerung der Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln (AMZulRegAV) vom 21.12.1989 (BGBl. I S. 2547) ein Antrag nach § 21 Abs. 3 Satz 1 AMG auf Zulassung und nach Artikel 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMRNOG (§ 105 Abs. 3 Satz 1 AMG) auf Verlängerung der Zulassung eines Arzneimittels auf Antragsformularen zu stellen, die von der zuständigen Bundesoberbehörde herausgegeben und im Bundesanzeiger bekannt gemacht werden. Für eine Änderungsanzeige bedarf es indes nicht der Verwendung des hierzu herausgegebenen amtlichen Formblatts nach Maßgabe dieser Verordnung. Seine Benutzung erfüllt keine zwingende Formvorschrift und ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, so dass ein Verstoß nicht zur Unzulässigkeit der Anzeige führt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.4.2009 - 13 A 3057/07 -, juris, m. w. N.

Richtig ist auch die Auffassung des VG, die im Jahre 2002 erklärte Änderung des Arzneimittels sei unzulässig und damit neuzulassungspflichtig gewesen. Die Zulässigkeit einer Änderung beurteilt sich nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Änderungsanzeige geltenden Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, vgl. BVerwG, Urteile vom 21.5.2008 - 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692, und - 3 C 15.07 -, A&R 2008, 184; OVG NRW, Beschluss vom 27.8.2008 - 13 A 4034/05 -, juris, mithin vorliegend nach Maßgabe des § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG i. d. F. des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 4.7.2000 (BGBl. I S. 1002). Nach dieser Vorschrift ist bei einer Änderung der Zusammensetzung der arzneilich wirksamen Bestandteile nach Art oder Menge eine neue Zulassung zu beantragen.

Was als arzneilich wirksamer Bestandteil anzusehen ist, ergibt sich im Falle der Neuzulassung aus dem Zulassungsbescheid, der die vom Antragsteller im Antrag als arzneilich wirksam deklarierten Bestandteile festsetzt. Eine "Umdeklaration" eines arzneilich wirksamen Bestandteils in einen wirksamen oder sonstigen Bestandteil ist nicht möglich, weil alle Prüfungen hinsichtlich Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität auf den im Antrag als arzneilich wirksame Bestandteile bezeichneten Inhaltsstoffen beruhen. Die Änderung eines arzneilich wirksamen Bestandteils liegt daher auch dann vor, wenn ohne Änderung der Stoffe eines Arzneimittels die bisherigen arzneilich wirksamen Bestandteile anders eingruppiert werden. Da die §§ 105 ff. AMG i. d. F. des Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes für die Änderung eines arzneilich wirksamen Bestandteils nach dem 31.1.2001 nur für homöopathische Arzneimittel eine abweichende Regelung treffen, ist § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG auf fiktiv zugelassene Arzneimittel in gleicher Weise anzuwenden wie auf neu zugelassene Arzneimittel. Es besteht kein Raum für eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Änderung eines arzneilich wirksamen Bestandteils hinsichtlich neu zugelassener und fiktiv zugelassener Arzneimittel.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, juris.

Der Gesetzgeber hat in § 105 AMG, der Art. 3 § 7 AMRNOG im Jahre 1976 (BGBl. I S. 2445) entspricht, und den folgenden Vorschriften ausdrücklich geregelt, wann und unter welchen Voraussetzungen Besonderheiten gegenüber den §§ 21 ff. AMG (Zulassung von Arzneimitteln) zu berücksichtigen sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.2.2009 - 13 A 813/08 -, juris, und vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, a. a. O.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: Januar 2009, § 105 Rn. 3.

Die Vorschriften des AMRNOG bestimmten bei ihrer Verabschiedung, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits in Verkehr befindlichen Arzneimittel vorerst ohne Zulassungsverfahren in ihrem Bestand zu erhalten (Art. 3 § 7 Abs. 1 AMRNOG). Die späteren Änderungen von Art. 3 § 7 AMRNOG betrafen die Arzneimittelsicherheit und waren Maßnahmen gegen den Zulassungsstau bei der Zulassungsbehörde.

Eingehend hierzu BVerwG, Urteile vom 21.5.2008 - 3 C 14.07 und 3 C 15.07 -, jeweils a. a. O.

Deshalb findet auch § 29 AMG auf Änderungen des fiktiv zugelassenen Arzneimittels grundsätzlich Anwendung. Dies zeigt schon der Wortlaut der Vorschriften. Die Regelung in § 105 Abs. 3a Satz 1 AMG, wonach Änderungen nach § 29 Abs. 2a Nr. 1 und 3 AMG "nur" zulässig sind, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, impliziert die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 29 Abs. 2a AMG. Auch der Zusatz "abweichend von § 29 Abs. 3" in § 105 Abs. 3a Satz 2 AMG ergibt nur vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 29 AMG auf fiktiv zugelassene Arzneimittel einen Sinn. § 105 Abs. 3a AMG ist somit auf § 29 AMG als "Grundregelung" bezogen und mit diesem zusammen zu lesen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15.7.2008 - 13 A 1707/05 -, A&R 2008, 238, und vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, a. a. O.; Kloesel/Cyran, a.a.O., § 105 Rn. 19a und 22.

Der Wortlaut der §§ 105 Abs. 3a, 136 Abs. 2a AMG, die teils weiterhin, teils bis zum 31.1.2001 Ausnahmen von der in § 29 Abs. 3 Satz 1 AMG getroffenen Bestimmung regeln, bietet keinen Anhaltspunkt für eine über diese Regelungen hinausgehende unterschiedliche Behandlung von zugelassenen und fiktiv zugelassenen Arzneimitteln. Der Gesetzgeber hat die bis zum Inkrafttreten des Zehnten Änderungsgesetzes bestehenden weitgehenden Änderungsmöglichkeiten nach § 105 Abs. 3a AMG a. F. aus Gründen der Beschleunigung des Nachzulassungsverfahrens aufgehoben, zumal in der Vergangenheit für einen Großteil der Arzneimittel ausreichende Möglichkeit bestand, diese an den neuen Erkenntnisstand anzupassen. Belange der arzneimittelrechtlichen Sicherheit spielten keine Rolle.

Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Zehnten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 14/2292, S. 8, zu § 105 Abs. 3a AMG.

Die Änderung der arzneilich wirksamen Bestandteile löst die Neuzulassungspflicht aus (vgl. § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2a Nr. 2 AMG). Es bedarf einer Prüfung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, da sich das Arzneimittel aus Arzneimittelsicherheitsaspekten als neues Produkt darstellt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, a. a. O.; Brixius, in: Frehse, Arzneimittelrecht in der Praxis, 2007, S. 121 f.

Eine Neuzulassungspflicht ist zum Zwecke der Gefahrenabwehr auch erforderlich, wenn bei einem fiktiv zugelassenen Arzneimittel - wie hier - arzneilich wirksame Bestandteile in wirksame oder sonstige Bestandteile umdeklariert werden. Anderenfalls ließe sich das vom Gesetzgeber errichtete System von zulässigen und unzulässigen, die arzneimittelrechtliche Zulassung vernichtenden Änderungen nach § 29 Abs. 2a und 3 AMG sowie § 105 Abs. 3a AMG umgehen. Auch § 4 Abs. 19 AMG i. d. F. des Vierzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 29.8.2005 (BGBl. I S. 2570) fügt sich stimmig in dieses System ein. Durch das Vierzehnte Änderungsgesetz ist der Begriff arzneilich wirksamer Bestandteil in Anpassung an die im europäischen Recht verwendete Terminologie durch den Begriff "Wirkstoff" ersetzt worden. Nach § 4 Abs. 19 AMG sind Wirkstoffe Stoffe, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile zu dienen. Es reicht daher für eine Änderung der Zusammensetzung der Wirkstoffe (arzneilich wirksamen Bestandteile) aus, dass der Inhaber der Zulassung oder der fiktiven Zulassung die Bestimmung eines Inhaltsstoffes zum arzneilich wirksamen Bestandteil ändert.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, a. a. O.

Ob die Zuordnung von Inhaltsstoffen dann keinen weiteren Voraussetzungen unterliegt, wenn Inhaltsstoffe schlechterdings keine Wirkstoffqualität haben, lässt der Senat offen, weil es auf diese Frage in Bezug auf das hier fragliche A. ersichtlich nicht ankommt.

Vgl. hierzu Kloesel/Cyran, a. a. O., § 4 Rn. 60.

Durch die nach alledem unzulässige Änderung der arzneilich wirksamen Bestandteile des Arzneimittels ist die fiktive Zulassung erloschen. Die fiktive Zulassung bleibt nach dem System des in § 105 AMG geregelten Nachzulassungsverfahrens nur bestehen, soweit und solange sich dieses Verwaltungsverfahren auf das angezeigte Arzneimittel in seiner ursprünglichen oder in einer zulässig geänderten Form bezieht. Liegen diese Voraussetzungen - wie hier - nicht (mehr) vor, wird der Zulassungsfiktion des § 105 Abs. 1 und 2 AMG die sie tragende Grundlage entzogen, weil es einen vom Gesetzgeber als schützenswert erachteten Verfahrensgegenstand dann nicht mehr gibt.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 31.10.2006 - 13 A 3269/05 -, vom 20.11.2008 - 13 A 3566/06 -, vom 27.8.2008 - 13 A 4034/05 -, jeweils juris, und vom 25.3.2009 - 13 A 1046/08 -, a. a. O.

Der Umstand, dass etwa die im Ersten und Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgesehenen erweiterten Änderungsmöglichkeiten von fiktiv zugelassenen Arzneimitteln (allein) aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und der Verfahrensbeschleunigung geschaffen wurden, ändert nichts daran, dass sich die fiktive Zulassung als solche nach wie vor auf dem Gedanken des Bestandsschutzes gründet. Das Vertrauen des pharmazeutischen Unternehmers in die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels ist deshalb nur in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen und oben dargestellten Rahmen schutzwürdig.

Siehe wiederum BVerwG, Urteile vom 21.5.2008 - 3 C 14.07 und 3 C 15.07 -, jeweils a. a. O.

Aus den vorstehend dargelegten Folgen einer unzulässigen Änderung der arzneilich wirksamen Bestandteile für die fiktive Zulassung ergibt sich zugleich, dass die nicht privilegierte Änderung des Gegenstandes des Nachzulassungsverfahrens nicht mehr zurückgenommen werden kann. Das wird von der Klägerin im Berufungszulassungsverfahren auch nicht (mehr) in Frage gestellt.

Ende der Entscheidung

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