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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 18.05.2005
Aktenzeichen: 13 A 2062/03
Rechtsgebiete: AMG, EG, Richtlinie 2001/82/EG, Richtlinie 2004/28/EG


Vorschriften:

AMG § 2 Abs. 1
AMG § 3
AMG § 4
AMG § 21 Abs. 1
AMG § 69 Abs. 1
EG Art. 28
EG Art. 30
Richtlinie 2001/82/EG Art. 1
Richtlinie 2001/82/EG Art. 5
Richtlinie 2004/28/EG Art. 1
Die Einordnung eines Produkts als (Tier)Arzneimittel richtet sich nach seiner objektiven Zweckbestimmung.

Die nationale Definition des Arzneimittels ist im Sinne des Gemeinschaftsrechts, u. a. der noch nicht umgesetzten Richtlinie 2004/28/EG zu interpretieren.

Die Objektivierung des Arzneimittelbegriffs lässt die Vorstellung des Herstellers oder des Anwenders über die Wirkung oder den Verwendungszweck des eingesetzten Stoffs oder die vom Hersteller vorgegebene äußere Darstellung des Produkts in den Hintergrund treten.

Bei einem in seinem Herstellungsland, einem Staat der Gemeinschaft, als frei verkehrsfähig eingeordneten Arzneimittel ist das in einem Verkehrsverbot des Einfuhrstaates liegende Handelshemmnis gerechtfertigt, wenn von der Anwendung des Arzneimittels die Gefahr von Verätzungen für den Anwender und das Anwendungsobjekt ausgehen.


Tatbestand:

Die in Deutschland ansässige Klägerin bringt die in den Niederlanden hergestellte Flüssigkeit "D." in Verkehr. Sie bezeichnet die mit einem Ameisen- und Essigsäuregehalt bis zu 39 % versehene, zur Anwendung an Rinderklauen bestimmte Flüssigkeit als "Klauenpflegemittel". Nach Analysierung und Einordnung von "D." wegen dessen antiparasitärer Wirkung als (Tier)Arzneimittel durch das Landesfachamt untersagte die Beklagte der Klägerin das Inverkehrbringen von "D." ohne arzneimittelrechtliche Zulassung.

Die u. a. auf eine behauptete freie Verkehrsfähigkeit von "D." in den Niederlanden gestützte Klage hatte keinen Erfolg. Das OVG wies die zugelassene Berufung zurück.

Gründe:

Die Voraussetzungen der von der Beklagten für ihre Untersagungsverfügung herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des § 69 Abs. 1 AMG i. d. F. vom 11.12.1998, BGBl. I S. 3586, die wegen des Charakters der Verfügung als Dauerverwaltungsakt und des aus dem materiellen Recht folgenden maßgeblichen gegenwärtigen Prüfungszeitpunkts, vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.12.1998 - 13 A 2711/97 -, LRE 36, 150; BVerwG, Beschluss vom 23.11.1990 - 1 P 155.90 -, NVwZ 1991, 372, i. d. F. d. Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften vom 15.4.2005, BGBl. I S. 1068, anzuwenden ist, liegen vor: (1.) "D." ist ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1., 4. und 5. AMG i. V. m. Art. 1 Nr. 2 RL 2001/82/EG - i. d. F. d. RL 2004/28/EG -; (2.) als solches ist "D." zulassungspflichtig nach § 21 Abs. 1 AMG i. V. m. Art. 5 RL 2001/82/EG und dem gemäß ist sein Inverkehrbringen ohne Zulassung von der zuständigen Behörde gemäß § 69 Abs. 1 AMG zu untersagen; (3.) die dem entsprechende hier angefochtene Untersagungsverfügung verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht.

1. Die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel richtet sich auf der Grundlage eines "objektiven" Arzneimittelbegriffs nach der Zweckbestimmung des Produkts, wie es sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. Die Beurteilung kann an eine ggf. schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung anknüpfen, die wiederum davon abhängt, welche Verwendungsmöglichkeiten solche Mittel ihrer Art nach haben. Mit zu den die Anschauungen der Verbraucher beeinflussenden Umständen gehören dabei regelmäßig die stoffliche Zusammensetzung und die pharmakologischen Eigenschaften eines Mittels. Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung eines Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in der Werbung enthaltenen Indikationshinweise oder Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher entgegen tritt. Des weiteren können vor dem Hintergrund einer umfassenden Berücksichtigung aller Merkmale eines Erzeugnisses für die Verbrauchervorstellung der Umfang der Verbreitung eines Produkts, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern, aber auch Gefahren auf Grund von Nebenwirkungen und Risiken bei längerem Gebrauch von Bedeutung sein; die Auslegung und die Einstufung eines Mittels soll auch danach erfolgen, wie es am ehesten dem Schutz der öffentlichen Gesundheit entspricht.

Vgl. EuGH, Urteile vom 21.3.1991 - Rs C 369/88 -, LRE 28, 1, vom 16.4.1991 - Rs C 112/89 -, LRE 28, 19, und vom 20.5.1992 - Rs C 290/90 -, LRE 28, 170; BVerwG, Urteile vom 24.11.1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132 = NVwZ - RR 1995, 625, und vom 18.12.1997 - 3 C 46.96 -, BVerwGE 106, 90 = NJW 1998, 3433; BGH, Urteile vom 10.2.2000 - I ZR 97/98 -, LRE 38, 157 = ZLR 2000, 375, vom 25.4.2001 - 2 StR 374/00 -, NJW 2001, 2812, und vom 11.7.2002 - I ZR 34/01 -, BGHZ 151, 286 = NJW 2002, 3469; OVG NRW, Beschlüsse vom 26.4.2005 - 13 A 1010/02 - und vom 14.8.2003 - 13 A 5022/00 -, LRE 46, 313 = ZLR 2004, 208.

Mit diesen Kriterien steht der Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG in Einklang mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Die neuesten Begriffsbestimmungen für Humanarzneimittel bzw. - hier in Betracht kommend - Tierarzneimittel finden sich insoweit in den am 30.4.2004 in Kraft getretenen und bis zum 30.10.2005 in nationales Recht umzusetzenden Richtlinien 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2004, L 136/34) und 2004/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (a.a.O.). Danach sind Arzneimittel a) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder von Tierkrankheiten bestimmt sind, oder b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen oder tierischen Körper verwendet oder einem Menschen oder Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Diese Definitionen gehen in ihrem Ursprung zurück auf die entsprechende Begriffsbestimmung in Artikel 1 der - durch Art. 128 Abs. 1 RL 2001/83/EG (ABl. 2001, L 311/67,100) aufgehobenen - Richtlinie des Rates vom 26.1.1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (65/65/EWG) (ABl. 1965, 369/65). Nach den Erwägungsgründen der Richtlinien 2004/27/EG und 2004/28/EG sollen die arzneimittelrechtlichen Bestimmungen nach den durch diese Richtlinien geänderten Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG und RL 2001/82/EG auch zur Anwendung kommen in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist. Dies entspricht der Sicht des EuGH.

Vgl. EuGH, Urteile vom 21.3.1991 - Rs C 369/88 -, LRE 28, 1, vom 16.4.1991 - Rs C 112/89 -, LRE 28, 19; BVerwG, Urteil vom 18.12.1997 - 3 C 46.96 -, a.a.O.

Die Richtlinie 2004/27/EG stellt, wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 3.2.2005 in den Vorabentscheidungsersuchen des Senats GmbH gegen Bundesrepublik Deutschland - Rechtssache C - 211/03 - u. a. unter Nr. 52. (http://curia.eu.int/, dort Rechtsprechung) ausführt, lediglich eine Bekräftigung und Verdeutlichung des bisherigen Gemeinschaftsrechts und der Rechtsprechung zur Definition des Arzneimittels dar, der auch bei noch laufender Umsetzungsfrist Bedeutung zukommt. Gleiches muss gelten für die hier relevante Richtlinie 2004/28/EG für Tierarzneimittel. Sie ist zwar noch nicht in nationales deutsches Recht umgesetzt, aber als Rechtsakt wirksam erlassen, der seitdem auch unabhängig von seiner nationalen Umsetzung dahingehende rechtliche Ausstrahlungskraft entfaltet, dass er - bestätigend und verdeutlichend - das gemeinschaftsrechtliche Verständnis von einem Tierarzneimittel und seine gemeinschaftsrechtliche Abgrenzung von anderen Produkten zum Ausdruck bringt. Insoweit kann bei der Auslegung des nationalen Begriffs des Tierarzneimittels am gemeinschaftsrechtlichen Verständnis bereits gegenwärtig die Richtlinie 2004/28/EG nicht unberücksichtigt bleiben, was noch keine direkte Anwendung der Richtlinie während der laufenden Umsetzungsfrist darstellt.

Bei der Auslegung des § 2 AMG ist - auch im Hinblick auf die Abgrenzung von Tierarzneimittel und Tierkosmetikum - der gemeinschaftsrechtliche Arzneimittelbegriff heranzuziehen, denn die Gerichte haben diejenige Auslegung des nationalen Rechts zu wählen, die dem Inhalt von EG-Richtlinien in der vom EuGH vorgenommenen Auslegung entspricht. Mithin ist der Arzneimittelbegriff auch im Licht des Wortlauts und Zwecks der o.a. jüngsten EG-Arzneimittelrichtlinien zu verstehen, vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 8.4.1987 - 2 BvR 687/85 -, BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459; Nds. OVG, Urteil vom 17.11.1992 - 10 L 233/89 -, juris, selbst wenn den Richtlinien eine unmittelbare Verbindlichkeit zu Lasten des Bürgers nicht zukommt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.1997 - 3 C 46.96 -, a.a.O.

Die mit Art. 1 Nr. 2.b) RL 2001/82/EG i. d. F. d. Art. 1 Nr. 1. RL 2004/28/EG vorgegebene gemeinschaftsrechtliche Definition des Tierarzneimittels, die mit ihrer Formulierung "... verabreicht werden können, um ..." sinngemäß auf die bloße Eignung eines Stoffes / einer Stoffzubereitung zur Herbeiführung der dort beschriebenen Wirkungen abstellt und nicht wie Nr. 2.a) auf seine Bestimmung abhebt, führt dazu, die von § 2 Abs. 1 AMG geforderte Bestimmung dahingehend zu interpretieren, dass sie jedenfalls auch unabhängig von individuellen Vorstellungen des Herstellers oder der Anwender über die Wirkung oder den Verwendungszweck des Stoffes (Stoffzubereitung) nach objektiven Erkenntnissen über die Wirkung des Stoffes (Stoffzusammensetzung) zu beurteilen ist. Dann aber muss erst recht, wie bereits die "Objektivierung" des Arzneimittelbegriffs zum Ausdruck bringt, die Vorstellung des Herstellers oder des Anwenders über die Wirkung oder den Verwendungszweck des/der eingesetzten Stoffs/Stoffzubereitung oder die vom Hersteller vorgegebene äußere Darstellung des Produkts in den Hintergrund treten.

Nach den vorstehenden Kriterien, insbesondere unter Berücksichtigung des "objektivierten" Arzneimittelbegriffs und der jüngsten gemeinschaftsrechtlichen Abgrenzungsvorgabe, ist das von der angefochtenen Untersagungsverfügung betroffene Produkt "D." ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG.

"D." ist eine Stoffzubereitung, die durch Anwendung am tierischen Körper, nämlich im Klauenbereich des Rindes, ggf. auch anderer Tiere, zur Verhütung einer Krankheit objektiv geeignet und bestimmt ist. Objektiv ist es u. a. geeignet, Krankheitserreger und Parasiten, die etwa Wundstellen, Eiterungen, Fäulnis, Pilzbefall etc. an der Klaue bewirken können oder bewirkt haben, abzutöten oder deren Einnisten abzuwehren. Damit hat es im Falle drohender oder vorliegender Erkrankungen am Fuß des Tieres durch Keime oder Parasiten eine Krankheiten dieses Körperteils verhütende oder eine die Funktion eines Körperteils wiederherstellende oder zumindest bessernde Wirkung.

Diese naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechende objektive Wirkung hat es auch in den vom Hersteller empfohlenen Lösungskonzentrationen. Obwohl die Wirkung auf den vorliegenden Beschreibungsblättern für "D." neben den dort angeführten Vorteilen bei Verwendung des Mittels nicht angegeben ist, kommt es dem Hersteller und dem Anwender erkennbar auf die naturwissenschaftliche Wirkung der Ameisen- und Essigsäure an, und ist diese unausgesprochen ein wesentlicher, wenn nicht sogar der wesentliche Wirkstoff auch aus Sicht des Anwenders. Denn nur bei dem Effekt "Klauengesundheit", der jedenfalls auf einem Beschreibungsblatt der Klägerin als die Grundlage für die verschiedenen nachfolgenden Vorteile herausgestellt ist, macht es für den Anwender Sinn, das Produkt entgeltlich zu erwerben und einzusetzen.

Der Senat ist auf Grund seiner Kenntnisse über die landwirtschaftliche Tierhaltung davon überzeugt, dass der Anwender von "D.", nämlich in aller Regel der Landwirt, der die Rinderhaltung im Stall oder auf der Weide betreibt, durch Parasiten ausgelöste Entzündungen oder Hornzerstörung im Klauenbereich seiner Rinder bekämpfen und diesen Tiererkrankungen vorbeugen muss. Derartige durch das Stehen des Rinderfußes in verunreinigter Streu, Weideland, Kot usw. drohende Erkrankungen beeinträchtigen die Milchproduktion und können zur vorzeitigen Schlachtung des Tiers und somit zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten beim Tierhalter führen. Dieser wird die Kosten für ein antiparasitäres Klauenbehandlungsmittel nur aufwenden, wenn sie erforderlich sind, um die Gesundheit der Tiere wieder herzustellen oder zu erhalten, nicht aber der Ästhetik und des sauberen Äußeren der Klauen wegen. Die Rinderklaue ist typischerweise mit unansehnlichen Substanzen behaftet. Käme es dem Landwirt nur auf eine ästhetische Rinderklaue an, könnte ein solcher Effekt durch deren Reinigung von Erdreich, Kot usw. durch schlichten Einsatz von Wasser preisgünstiger erzielt werden.

Damit erfüllt "D." sowohl die Merkmale des § 2 Abs. 1 und 4 AMG als auch die Definition des Tierarzneimittels nach Art. 1 Nr. 2.b) RL 2001/82/EG i. d. F. d. Art. 1 Nr. 1 RL 2004/28/EG. Das gilt selbst dann, wenn die Einordnung von "D." als Arzneimittel oder Kosmetikum auch von seinem Verwendungszweck aus Verbrauchersicht abhängig gemacht würde, denn der Senat ist davon überzeugt, dass es vom Anwender - in aller Regel der Landwirt - weit überwiegend zur Erzielung pharmazeutischer Wirkungen im Sinne des § 2 Abs. 1 und 4 AMG eingesetzt wird. Insoweit drängt sich dem Senat die Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Bestimmungszweck von "D." aus Anwendersicht nicht auf.

Dass von dem fraglichen Produkt eine Gesundheitsgefahr für Mensch und/oder Tier ausgehen müsse, verlangt die Definition "Arzneimittel" nach den genannten Vorschriften nicht. Wohl kann eine solche Gefahr ein Kriterium für die Ermittlung sein, ob ein Stoff pharmakologische Wirkung hat und deshalb ein Arzneimittel "nach der Wirkung" vorliegt. Dass im Übrigen solche Gefahren gegeben sind, ist nachfolgend dargelegt.

Mag auch der Hersteller oder der Vertreiber von "D." das Produkt als Pflegemittel bezeichnen und seine arzneiliche Wirkung erkennbar überspielen wollen, ändert das nichts an dem objektiven Vorhandensein der auch erkennbar gewollten arzneilichen Wirkungen. Dass diese und nicht etwa eine kosmetische Wirkung für ihn wie auch für den Anwender im Vordergrund stehen, wird augenfällig durch die Produktinformation, nach der die beste Infektionsdruck - d.h. Infektionsgefahr - mindernde Wirkung auf der "sauberen" Klaue - etwa "nach" dem in gewisser Weise kosmetisch wirkenden Einsatz von Wasser - erzielt wird. Damit steht zugleich fest, dass "D." nicht gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 4 AMG deshalb kein Arzneimittel ist, weil es "ausschließlich" dazu bestimmt ist, äußerlich am Tier zur Reinigung oder Pflege ... angewendet zu werden. Zwar hängen das Erscheinungsbild und die Zweckbestimmung eines Produkts weitgehend von der Konzeption des Herstellers über Wahl und Konzentration der im Produkt enthaltenen Wirkstoffe sowie seiner Form und seiner Bezeichnung ab. Jedoch stützt dies angesichts der "Objektivierung" des Arzneimittelbegriffs für sich genommen noch nicht die Einschätzung, dass es nicht als Arzneimittel einzuordnen ist. Auch wenn ein Hersteller ein Produkt nicht als Arzneimittel, sondern als Kosmetikum bezeichnet und darstellt, steht dies einer Einstufung als Arzneimittel nicht entgegen, wenn sie - wie hier - bei objektiver Bewertung gerechtfertigt bzw. geboten ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.11.1994 - 3 C 2.93 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2005 - 13 A 1010/02 -; Rehmann, AMG, § 2 Rdn. 28.

Die von der Klägerin geforderte Abgrenzung nach dem überwiegenden Verwendungszweck wie zwischen Arzneimittel und anderen, keine Kosmetika darstellenden Mitteln ist nicht vorzunehmen. Denn das Arzneimittelgesetz gibt selbst vor, dass lediglich bei einer "ausschließlichen" Zweckbestimmung zur Reinigung, Pflege ... ein Kosmetikum vorliegen kann (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 AMG). Den von der Klägerin in dem Zusammenhang geforderten Aufklärungen ist daher nicht nachzukommen.

2. "D." ist ein (Tier-)Arzneimittel, das im voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht wird und damit ein Fertigarzneimittel ist. Als Fertigarzneimittel im Sinne der §§ 2 Abs. 1, 4 Abs. 1 AMG darf es gemäß § 21 Abs. 1 AMG nur bei Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde - eine Genehmigung eines gemeinschaftsrechtlichen Organs oder eine Freistellung nach § 36 AMG kommt erkennbar nicht in Betracht bzw. liegt nicht vor - in den Verkehr gebracht werden. Die Bindung eines legalen Inverkehrbringens dieses Produkts an eine Zulassung folgt ferner aus Art. 5 RL 2001/82/EG. An einer solchen Zulassung für "D." fehlt es. Dem darin liegenden Gesetzesverstoß kann die zuständige Behörde, hier die Beklagte, gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG durch Untersagung des Inverkehrbringens begegnen.

Ermessensfehler sind bezüglich der Entscheidung der Beklagten, das weitere Inverkehrbringen von "D." zu untersagen, nicht feststellbar. (wird ausgeführt)

Die Beklagte war auch nicht mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht gehalten, von der Untersagungsverfügung abzusehen. Denn der angefochtenen Ordnungsverfügung steht, wie unter 3.) ausgeführt, Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Insofern ist die Klägerin dadurch, dass die Beklagte dem gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkt im Verwaltungsverfahren möglicherweise noch nicht die gebührende Bedeutung zugemessen hat, nicht in ihren Rechten im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.

3. Die Klägerin behauptet, "D." sei in den Niederlanden frei verkehrfähig. Die Richtigkeit dessen unterstellt, stellt die angefochtene Ordnungsverfügung zwar eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art. 28 EG dar, weil die Untersagung des weiteren Inverkehrbringens des in den Niederlanden hergestellten Produkts "D." dessen Einfuhr nach Deutschland letztlich sinnlos macht. Das darin liegende Handelshemmnis ist jedoch durch Art. 30 EG gerechtfertigt. Danach steht u. a. Art. 28 EG Einfuhr-... Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen ... Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren ... gerechtfertigt sind.

Das Verbot des Inverkehrbringens eines zulassungspflichtigen Fertigarzneimittels ohne Zulassung ist im Ergebnis ein Einfuhr- und Durchfuhrverbot, das erkennbar dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier dient, was keiner weiteren Begründung bedarf. Den durch Inverkehrbringen eines zulassungspflichtigen, aber nicht zugelassenen Fertigarzneimittels nicht gegebenen Gesundheitsschutz im Sinne des Arzneimittelgesetzes herzustellen, ist Zweck der hier angefochtenen Untersagungsverfügung betreffend "D." ohne Zulassung. Folglich stellt es an sich, wenn ein industriell hergestelltes Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels gemäß Art. 1 RL 2001/82/EG i. d. F. d. Art. 1 Nr. 1 RL 2004/28/EG fällt, keine durch Art. 28 EG verbotene Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar, den Importeur im Ergebnis zu verpflichten, vor der Vermarktung des Erzeugnisses im Einfuhrmitgliedstaat gemäß der Richtlinie 2001/82/EG eine Verkehrsgenehmigung einzuholen.

Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 29.4.2004 - Rechtss. C-150/00 - (Kommission/Österreich), Rdn. 57, noch zu Art. 1 Nr. 2 RL 65/65 und zur Abgrenzung Arzneimittel/Lebensmittel, http://www.jurisweb.de, Rechtsprechung.

Allerdings können unterschiedliche Wertungen der zuständigen Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft dazu führen, dass ein Einfuhrmitgliedstaat einem Produkt die Eigenschaft eines Arzneimittels zuerkennt, während der Staat der Herstellung oder ein anderer Mitgliedstaat es als frei verkehrsfähiges Produkt, etwa als Kosmetikum, wertet. In diesem Fall unterliegt es dem den Gesundheitsschutz betreffenden Ermessen der Behörden des Einfuhrmitgliedstaats zu entscheiden, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen des Arzneimittels eine vorherige Zulassung verlangen (vgl. hierzu EuGH, a.a.O., Rdn. 85 m.w.N.). Hierbei ist zur Vermeidung einer fehlenden Rechtfertigung des in dem gleichwohl verfügten Verkehrsverbot liegenden Handelshemmnisses der Verhältnismäßigkeitgrundsatz zu beachten, der nur bei im Einzelfall nachgewiesener Erforderlichkeit des Verbots für die zu schützenden Interessen und realen Gesundheitsrisiken bei Inverkehrbringen des Produkts ohne Zulassung gewahrt ist.

Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 30.11.1983 - Rs. 227/82 - (Van Bennekom), EuGHSlg. 1983, 3883, Rdn. 39/40; Urteil vom 29.4.2000 - Rs. C-150/00 - (Kommission/Österreich), Rdn. 85/89.

Bei der Risikobewertung sind dem Mitgliedstaat Schutzmaßnahmen auch nach dem Vorsorgeprinzip erlaubt.

Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 23.9.2003 - Rs. C-192/01 - (Kommission/Dänemark), EuGHSlg. I 9693/9739, Rdn. 49.

Zwar spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, dass "D." auch in den Niederlanden nicht frei verkehrsfähig ist, d.h. von den dortigen zuständigen Behörden von Rechts wegen als Arzneimittel und ohne Zulassung oder Genehmigung als nicht verkehrsfähig angesehen wird... Die von der Klägerin behauptete freie Verkehrsfähigkeit von "D." in den Niederlanden im oben beschriebenen Sinne - also nicht ein mangels Aufmerksamwerden der Behörden unbeanstandetes Inverkehrbringen - kann nämlich unterstellt werden. Deshalb braucht die von der Beklagten erbetene Stellungnahme der niederländischen Behörden nicht abgewartet zu werden. Denn selbst wenn sie die freie Verkehrsfähigkeit bestätigte, wären die in der Rechtsprechung des EuGH geforderten Voraussetzungen für eine Rechtfertigung eines Handelshemmnisses nach Art. 30 EG vorliegend gegeben:

Die Beklagte hat "D." einer wissenschaftlich fundierten Untersuchung auf seine Zusammensetzung und seine pharmakologischen Wirkungen unterzogen, mithin eine einzelfallbezogene Bewertung vorgenommen. Sie hat festgestellt und dargelegt, dass von dem Produkt eine reale Gesundheitsgefahr ausgeht. Diese liegt darin, dass, wie zur Überzeugung des Senats durch den fachwissenschaftlichen Untersuchungsbericht der LÖGD belegt ist und von der Klägerin eingeräumt wird, wesentliche Bestandteile des Produkts "D." Ameisensäure und Essigsäure sind und von diesen, ebenfalls zur Überzeugung des Senats, schädigende Wirkungen für Tier und Mensch ausgehen können. Diese Säuren, insbesondere die erstere, wirken, wie den Senatsmitgliedern bereits aus naturwissenschaftlichem Schulunterricht und im Übrigen allgemein bekannt sowie durch Internetrecherchen - etwa unter http://de.wikipedia.org/wiki/Ameisensäure - belegt ist und von der Klägerin auch nicht bestritten wird, ätzend und ihre Dämpfe reizen Atemwege und Augen. Die unsachgemäße Handhabung schon des Behältnisses mit dem unverdünnten Produkt und die unsachgemäße Mischung der Flüssigkeit oder ihre unsachgemäße Anwendung am Tier, etwa durch zu hohe Säurekonzentration, kann beim Tier und beim anwendenden Menschen gewebezerstörende schmerzhafte Verätzungen und Beeinträchtigungen der Atemwege und der Augen bewirken. Der Anwender muss Schutzkleidung gegen Spritzer tragen und/oder von der Spritzdüse Abstand wahren. Selbst im vom Hersteller vorgegebenen verdünnten Zustand kann "D." beim Tier auch am unverletzten Fuß bei Einsatz in zu kurzen Intervallen Rötungen, Reizungen und Verätzungen und solche Wirkungen erst recht an verletzten Hautpartien auslösen. Die in "D." enthaltene Säurekonzentration ist ausreichend, um die beschriebenen Verätzungen und Reizungen zu bewirken. Sie ist ersichtlich auch so zur Vernichtung von Parasiten beabsichtigt und zur Kosmetik unüblich.

Dieses "D." anhaftende Gefahrenpotential für Mensch und Tier ist nicht erst dann erwiesen, wenn ein konkreter Schadensfall nachgewiesen ist. Ein solcher soll gerade nach Sinn und Zweck des Gesetzes vermieden werden. Eine Gefahr ist deshalb bereits dann anzunehmen, wenn bei realistischer Betrachtung der Eintritt eines solchen Schadens auf Grund bestimmter Eigenschaften des Produkts nicht völlig fern liegt. Das ist hier der Fall.

Vor dem Hintergrund drängt sich dem Senat die von der Klägerin begehrte Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten zur potentiell schädigenden Wirkung der wesentlichen Inhaltstoffe von "D." und damit von "D." selbst nicht auf. (wird ausgeführt)

Diesen Gefahren kann begegnet werden durch eine im Zulassungsverfahren nachzuweisende Beschreibung der pharmakologischen Wirkung des Produkts und durch Warn- und Anwendungshinweise auf dem Behältnis und/oder in der Packungsbeilage (vgl. § 11 Abs. 1 Nrn 2, 8, 9, 10 u. 13 AMG), die dem Zulassungsantrag beizufügen sind und deren Fehlen oder Mängel einen Grund für die Versagung der Zulassung darstellen (vgl. §§ 22 Abs. 7, 25 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 4 AMG). Hieran fehlt es vorliegend bei dem Fertigarzneimittel "D.". Das reicht für die Annahme eines realen Gesundheitsrisikos für Tier und/oder Mensch und damit als Rechtfertigung des in dem Verbringungsverbot liegenden Handelshemmnisses aus. Ob den beschriebenen Gefahren mit dem nötigen Nachdruck bereits durch entsprechende "Etikettierung" Rechnung getragen werden könnte, wie die Klägerin meint, kann offen bleiben. Im Übrigen ist auch der Wortlaut der "Etikettierung" Gegenstand des Zulassungsverfahrens (§ 22 Abs. 7 AMG). Solange, wie hier, eine ausreichende "Etikettierung", die auf die Gefahren hinweist und warnt sowie Sofortmaßnahmen im Verätzungsfall beschreibt, nicht vorliegt, ist ein Außerverkehrziehen des streitbefangenen Produkts jedenfalls kein unverhältnismäßiges Mittel zur Beseitigung der Gefahr.

Ende der Entscheidung

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