Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 17.03.2006
Aktenzeichen: 13 A 2095/02
Rechtsgebiete: RL 2001/83/EG, NemV, LFGB


Vorschriften:

RL 2001/83/EG Art. 1 Nr. 2 lit. b)
NemV § 1 Abs. 1 Nr. 2
LFGB § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
1. Ein Produkt, das aus Kapseln mit 50 mg sog. OPC aus Traubenkernen besteht, ist weder ein Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. b) RL 2001/83/EG noch ein Präsentationsarzneimittel.

2. Ein für ein Nahrungsergänzungsmittel kennzeichnendes (Nähr-)Stoffkonzentrat im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV stellt in der Regel keinen den Zusatzstoffen gleichgestellten Stoff gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LFGB dar.


Tatbestand:

Die Klägerin beabsichtigte, das in den Niederlanden hergestellte, als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnete Produkt P. nach Deutschland einzuführen und hier in der Verkehr zu bringen. Es handelt sich um Kapseln mit je 50 mg sog. OPC (Oligomere Pro(antho)cyanidine) aus Traubenkernen. Die von der Klägerin beantragte Allgemeinverfügung nach § 47a LMBG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6.8.1997 mit der Begründung ab, dass mehrere beteiligte Behörden das Produkt als Arzneimittel eingestuft hätten. Das VG wies die Verpflichtungsklage der Klägerin ab. Nachdem der EuGH ihm im Wege der Vorabentscheidung vorgelegte Fragen zum Gemeinschaftsrecht mit Urteil vom 9.6.2005 - C-211/03 u.a. - beantwortet hatte, gab das OVG der Berufung der Klägerin statt.

Gründe:

Das Produkt P. ist nach § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB verkehrsfähig. Es erfüllt die (positiven) Voraussetzungen der genannten Norm, weil es sich um ein Lebensmittel handelt (I.), das in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig hergestellt und rechtmäßig in den Verkehr gebracht wird (II.). Ferner liegt keine Ausnahme (negative Voraussetzung) gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 LFGB vor (III.), weil das Produkt sowohl den in § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB genannten Verboten (1.) als auch den in § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 1. Halbsatz LFGB in Bezug genommenen Rechtsvorschriften (2.) entspricht.

I. Das Vorliegen eines Lebensmittels kann auf der Grundlage der Definition in Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002, auf die § 2 Abs. 2 LFGB verweist, unproblematisch bejaht werden. Lebensmittel sind danach nämlich alle Stoffe und Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Ob das Produkt darüber hinaus die Voraussetzungen eines Nahrungsergänzungsmittels erfüllt, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB allgemein auf Lebensmittel abstellt, zu denen nach Art. 2 lit. a) RL 2002/46/EG sowie dem weitgehend übereinstimmenden § 1 Abs. 1 Nr. 1 NemV auch Nahrungsergänzungsmittel gehören. Diese werden lediglich wegen der in den zuvor genannten Vorschriften bezeichneten (besonderen) Zweckbestimmung, die normale oder allgemeine Nahrung zu ergänzen, als "spezielle Kategorie von Lebensmitteln" qualifiziert.

Vgl. EuGH, Urteil vom 9.6.2005 - C-211/03 u.a. - (HLH und Orthica), LRE 50, 331 ff., Rdnr. 35.

Geht es wie hier um die Abgrenzung zu einem Arzneimittel, hilft die Bejahung der Lebensmitteleigenschaft nach der Definition in Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 allerdings nicht weiter, weil ein Vorrang der arzneimittelrechtlichen Vorschriften besteht.

... (wird ausgeführt, wie Urteil des Senats vom 17.3.2006 - 13 A 1977/02 -)

Entsprechend diesem Abgrenzungsverständnis ist zu prüfen, ob es sich bei dem Produkt P. um ein Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG handelt, was im Ergebnis zu verneinen ist.

... (wird ausgeführt, wie Urteil des Senats vom 17.3.2006 - 13 A 1977/02 -)

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft bereits eine Eignung des Produkts OPC-85 zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks, der hier mangels anderer Anhaltspunkte nur in Form der Verhütung, Heilung oder Linderung einer Krankheit bestehen könnte, nicht festgestellt werden.

Die von der Beklagten diesbezüglich unter der Überschrift "Pharmakologische Eigenschaften" erwähnten verschiedenen Wirkungen, Effekte, Aktivitäten o.ä. von OPC reichen nicht aus, um die Eignung zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks in dem zuvor dargestellten Sinne zu begründen. Die Annahme dieser Wirkungen o.ä. beruht zum ganz überwiegenden Teil lediglich auf In-vitro-Tests oder Tierversuchen, bezüglich derer dem Senat nicht nur auf Grund seiner Zuständigkeit für das Arzneimittelrecht und den dort zu behandelnden Arzneimittelzulassungsverfahren bekannt ist, dass sie ganz am Anfang der Entwicklung von Humanarzneimitteln stehen, ein Rückschluss von bei In-vitro-Tests und Tierversuchen festgestellten Wirkungen auf entsprechende Wirkungen beim Menschen nicht oder kaum zulässig ist und sie dementsprechend bei der Zulassung eines Humanarzneimittels selbst nach § 22 Abs. 3 AMG keine Berücksichtigung finden können. Unabhängig davon vermögen die angeführten Untersuchungen im vorliegenden Fall vor allem deshalb keinen therapeutischen Zweck zu begründen, weil sie sich zum einen teilweise nicht auf OPC, sondern auf kondensierte Gerbstoffe beziehen, und zum anderen eine überaus große Bandbreite von Wirkungen o.ä. aufweisen. Dementsprechend ist ein Schwerpunkt im Sinne einer Indikation, im Hinblick auf die eine Anwendung bei Menschen in Betracht kommen könnte, nicht erkennbar.

Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass in der Literatur verschiedene klinische Anwendungsgebiete "genannt" würden, handelt es sich offensichtlich um nicht viel mehr als Vermutungen oder Spekulationen, denen kein auch nur halbwegs gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisstand zu Grunde liegt. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die von der Beklagten bezeichneten Anwendungsbeobachtungen. Insoweit handelt es sich um eine scheinbar wahllose Zusammenstellung unterschiedlichster Untersuchungen, von denen nicht eine einzige einen tragfähigen Rückschluss des Inhalts erlaubt, das hier streitige Produkt könne einen therapeutischen Zweck erfüllen. Überwiegend handelt es sich um Untersuchungen mit nicht aus Weintraubenkernen gewonnenen OPC, teilweise lagen wiederum lediglich In-vitro-Tests oder Tierversuche zu Grunde, teilweise wurden Ergebnisse aus der Untersuchung von lediglich drei oder acht Patienten abgeleitet, ganz überwiegend wurden wesentlich größere Mengen an OPC o.ä. eingesetzt, schließlich weisen die Untersuchungsergebnisse eine überaus große Bandbreite von (vermuteten) Wirkungen oder Indikationen aus (diabetische Retinopathie, Schmerzlinderung, chronische venöse Insuffizienz, Verringerung der prämenstruellen Flüssigkeitsretention sowie vieles mehr).

Zugelassene Arzneimittel mit aus Traubenkernen gewonnenen OPC als Wirkstoff sind in Deutschland nicht ersichtlich. Auch Zulassungen mit dem überwiegend wohl aus Strandkiefernrinde gewonnenen Wirkstoff Pygnogenol bzw. Leucocianidol existieren unabhängig davon, ob dieser zu den OPC zu zählen ist oder nicht, nach einer Mitteilung des BfArM in Deutschland nicht. Dass es nach § 109a AMG nachzugelassene Arzneimittel vor allem mit den Flavonoiden Hesperidin und Rutin als Wirkstoff gibt, die nicht zu den OPC gehören, ist irrelevant, weil daraus kein Rückschluss auf das streitige Produkt gezogen werden kann. Was schließlich das von der Beklagten benannte, unter anderem in Frankreich zugelassene Arzneimittel Endotelon mit einem aus Traubenkernen gewonnenen, als "Leucoselect" bezeichneten Wirkstoff anbelangt, ist eine wissenschaftliche Grundlage für die Zulassung dieses Arzneimittels nicht ersichtlich. Nach der von der Beklagten in Bezug genommenen Internetseite (http://www.biochemicals.com/pdf/Grape_ Seed.pdf) ist das Präparat zugelassen zur Verbesserung der Blutzirkulation, d.h. zur Durchblutungsförderung bzw. als Kapillartherapeutikum. Wissenschaftliche Publikationen o.ä., welche die Grundlage für eine solche Zulassung gewesen sein könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit auf der genannten Internetseite ebenso wie auf zahlreichen weiteren Seiten im Zusammenhang mit dem Präparat Endotelon auf eine Studie von Dartenuc et al. (in der englischen Übersetzung: Capillary resistance in geriatry. A study of a microangioprotector - Endotelon, Bordeaux medicine 1980; 13: 903 ff.) hingewiesen wird, sind an anderer Stelle (http://nutritionresource.com/topic.cfm?id/=54) deutliche Vorbehalte sowohl hinsichtlich des Entwurfs dieser Studie als auch hinsichtlich der Aussagekraft ihrer Ergebnisse geäußert worden. Soweit auf eine weitere Studie von Robert et al. (in der englischen Übersetzung: The effect of procyanidolic oligomers on vascular permeability. A Study using quantitative morphology, Pathol. Biol. 1990; 38, 608 ff.) Bezug genommen wird, handelt es sich nach der unter http://www.ncbi.nlm. nih.gov/entrez/query.fcgi?cmd=Retrieve&db=PubMed&list_uids=2165237&dopt=Abstract verfügbaren Zusammenfassung wiederum lediglich um einen Tierversuch. Im Übrigen haben alle in diesem Zusammenhang stehenden Studien gemeinsam, dass wenigstens eine Dosis von 100 mg OPC täglich, also das Doppelte der hier in Rede stehenden Menge verabreicht wurde.

Die oben genannten (Hilfs-)Kriterien ergeben keine eindeutigen Hinweise in die eine oder andere Richtung.

Dies gilt zunächst für die Zusammensetzung des Produkts. Zum einen sind nach der Definition in § 1 NemV (Nähr-)Stoffkonzentrate mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung als charakteristisches Merkmal von Nahrungsergänzungsmitteln anzusehen. Die Annahme einer solchen Wirkung bei OPC als Hauptbestandteil, die als aus Traubenkernen gewonnene (sekundäre) Pflanzenbestandteile natürlichen Ursprungs sind, liegt nahe. Zum anderen sind pflanzliche Bestandteile kennzeichnend für Phytoarzneimittel.

Risiken im Sinne von Gesundheitsgefahren bei der Verwendung des Produkts sind konkret nicht ersichtlich.

Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass Gesundheitsgefahren keine charakteristischen Merkmale eines Arzneimittels sind.

... (wird ausgeführt, wie Urteil des Senats vom 17.3.2006 - 13 A 1977/02 -)

Dessen ungeachtet können hier Gesundheitsgefahren bei der Verwendung des Produkts nicht festgestellt werden. Unabhängig davon, welcher Prognosemaßstab im Rahmen dieser Prüfung anzulegen ist, reichen in Anlehnung an das Lebensmittelrecht hypothetische Vermutungen, wissenschaftlich nicht abgesicherte Aussagen, vgl. zur Wahrscheinlichkeit gemäß Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002 Gorny, Grundlagen des europäischen Lebensmittelrechts, Rdnr. 297, der bloße Verdacht oder die bloße (abstrakte) Möglichkeit des Vorhandenseins von Eigenschaften, welche die Eignung zur Gesundheitsschädigung besitzen, vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: Juli 2005, Band II, C 100, § 8 LMBG Rdnr. 6, sowie C 101, Art. 14 VO (EG) 178/2002 Rdnr. 39, nicht aus. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei regelmäßiger (zusätzlicher) täglicher Aufnahme von 50 mg OPC bestimmte gesundheitliche Störungen beim Menschen auftreten können, liegen nicht vor. Die von der Beklagten in Bezug auf gesundheitliche Risiken aufgeführten Literaturzitate begründen keine erheblichen gesundheitlichen Bedenken und erst recht keine konkrete Möglichkeit einer Gesundheitsgefahr. Bereits vom Ansatz her erscheint es kurios, dass die Beklagte ihre Bedenken aus "neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen" abgeleitet wissen will, sie im Folgenden jedoch in Bezug auf vermeintliche karzinogene Wirkungen auf wissenschaftliche Veröffentlichungen über Tierversuche beispielsweise aus den Jahren 1960, 1968 und 1974 verweist, ohne dass diesbezüglich neuere, die älteren Erkenntnisse bestätigende Veröffentlichungen ersichtlich wären. Im Hinblick auf den Menschen und mit Bezug auf Tannine ist lediglich nebulös die Rede davon, dass mögliche Zusammenhänge gesehen würden. Insgesamt betrachtet kann von einer qualifizierten Risikobewertung (vgl. für den Lebensmittelbereich Art. 3 Nr. 11, 6 Abs. 2 VO (EG) 178/2002) keine Rede sein, weil - ähnlich wie bei den pharmakologischen Eigenschaften - alle möglichen Veröffentlichungen, die im weitesten Sinne mit von Flavonoiden (OPC) ausgehenden Wirkungen, Effekten, Risiken o.ä. zu tun haben, ohne Bewertung und Gewichtung aneinander gereiht werden, obwohl sie teilweise Jahrzehnte auseinander liegen, unterschiedlichste Fragestellungen mit unterschiedlichsten wissenschaftlichen Ansätzen - von In-vitro-Tests über Tierversuche und epidemiologische Studien bis hin zu bloßen Literaturauswertungen - zu Grunde liegen und die Ergebnisse, soweit sie überhaupt aus Weintraubenkernen gewonnene OPC und deren Auswirkungen auf den Menschen betreffen, kaum über Vermutungen und Spekulationen hinausgehen. Zusammengefasst lässt sich lediglich der Schluss ziehen, dass OPC nicht als grundsätzlich oder per se gesundheitlich unbedenklich angesehen werden können, mehr aber auch nicht.

Was den Umfang der Verbreitung anbelangt, ist zunächst davon auszugehen, dass das Produkt jedenfalls in den Niederlanden als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt ist. Darüber hinaus befinden sich zahlreiche vergleichbare und ähnliche Produkte auch in Deutschland im Verkehr. ... (wird ausgeführt) ... Dabei werden statt OPC auch Begriffe wie Traubenkernextrakt, (Bio-)Flavonoide, Polyphenole, Rotweinfeststoff etc. verwendet, was darauf zurückzuführen ist, dass OPC häufig wie hier aus Traubenkernen gewonnen werden, sie insbesondere auch in Rotwein zu finden sind und verschiedene Zuordnungen zu unterschiedlich bezeichneten Stoffgruppen (Polyphenole, Flavonoide, sekundäre Pflanzenbestandteile etc.) vorgenommen werden. Zahlreiche weitere vergleichbare Produkte finden sich im Internet in diversen, auch von deutschen Anbietern betriebenen Reformhäusern, Gesundheitsshops o.ä. Sucht man beispielsweise unter http://www.google.de auf Seiten aus Deutschland mit den Begriffen "Nahrungsergänzung", "OPC" und - um die Suche möglichst auf Handeltreibende zu beschränken - "Warenkorb", ergeben sich allein 35.700 Treffer. Angesichts dessen kann keine Rede davon sein, dass OPC in Deutschland allenfalls als arzneilicher Wirkstoff bekannt seien bzw. sie Lebensmitteln zu arzneilichen Zwecken zugesetzt würden, zumal nach den vorstehenden Ausführungen in Deutschland kein einziges zugelassenes Arzneimittel mit OPC als Wirkstoff existiert. Vielmehr kann nach den vorstehenden Ausführungen nur davon ausgegangen werden, dass OPC zumindest in den entsprechend interessierten Verbraucherkreisen als Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln bekannt sind.

Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist das Produkt im Ergebnis nicht als Funktionsarzneimittel zu qualifizieren. Eine Eignung zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks kann nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht angenommen werden. Ausgehend von einer Vielzahl von Veröffentlichungen selbst aus neuerer Zeit bezüglich Untersuchungen, nach denen OPC vor allem in vitro und am Tier eine überaus große Zahl unterschiedlicher Wirkungen gezeigt haben, scheint es sich bei unbefangener Betrachtung nahezu um ein Allheilmittel zu handeln, das potentiell bei fast jeder menschlichen Krankheit eingesetzt werden kann. Tragfähige Erkenntnisse zur Untermauerung dieses Eindrucks fehlen indes, weil Untersuchungen zu einer wie auch immer gearteten Anwendung am Menschen äußerst vage sind und die insoweit festgestellten Ergebnisse aus unterschiedlichen, oben im Einzelnen bezeichneten Gründen nicht auf das streitige Produkt übertragen werden können. Maßgebliches Gewicht kommt auch den im Zusammenhang mit dem Arzneimittel Endotelon erwähnten Studien nicht zu, weil sie unabhängig von ihrer Aussagekraft bereits auf Grund der weitaus höheren Dosierung keinen tragfähigen Rückschluss auf das hier streitige Produkt erlauben. Stellt man sich angesichts des bei der Beklagten verschiedentlich anklingenden Auffassung, es sei geboten, das Produkt im Rahmen eines Arzneimittelzulassungsverfahren zu untersuchen, die Frage, im Hinblick auf welche Indikation (klinische) Studien veranlasst werden könnten oder sollten, um einen Antrag auf Zulassung als Arzneimittel vorzubereiten, kann keine Antwort gegeben werden. Denn im Hinblick auf eine Menge von 50 mg OPC täglich ist derzeit die Eignung zu einem therapeutischer Zweck schlicht nicht absehbar. Da ferner keine Anhaltspunkte für konkrete Gesundheitsgefahren bei der Verwendung bestehen und die übrigen Hilfskriterien eher unergiebig sind, liegt im Ergebnis kein Funktionsarzneimittel vor. Allein die im Hinblick auf OPC derzeit in weiten Bereichen als noch ungeklärt zu bezeichnende wissenschaftliche Daten- oder Erkenntnislage rechtfertigt die Qualifizierung als Funktionsarzneimittel nicht, auch wenn auf der anderen Seite gesicherte Erkenntnisse über einen ernährungsphysiologischen Nutzen der Aufnahme extrahierter und damit isolierter OPC ebenso wenig vorliegen.

Das Produkt stellt ferner kein Präsentationsarzneimittel dar.

Diese Arzneimittelkategorie ist deswegen geschaffen worden, um den Verbraucher vor Erzeugnissen zu schützen, die tatsächlich keine therapeutische Wirksamkeit haben, die der Verbraucher jedoch auf Grund ihrer Bezeichnung oder, um in der Terminologie der nunmehrigen deutschen Fassung des Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 RL 2001/83/EG zu bleiben, auf Grund ihrer Bestimmung wegen einer solchen Wirksamkeit und damit möglicherweise an Stelle geeigneter Arzneimittel verwendet. Eine Empfehlung, ein Erzeugnis als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten zu nehmen, kann sich beispielsweise aus dem Etikett, dem Beipackzettel oder auch aus mündlichen Hinweisen ergeben. Allerdings stellt die Verbreitung von Informationen über das Erzeugnis, namentlich über seine heilenden oder verhütenden Eigenschaften, durch einen Dritten, der aus eigenem Antrieb und in völliger - rechtlicher und tatsächlicher - Unabhängigkeit vom Hersteller oder vom Verkäufer handelt, für sich allein keine Bezeichnung oder Bestimmung im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Abs. 1 RL 2001/83/EG dar, weil sich daraus nicht entnehmen lässt, dass der Hersteller oder der Verkäufer die Erzeugnisse als Arzneimittel in den Verkehr zu bringen beabsichtigt.

Vgl. zum gesamten Vorstehenden EuGH, Urteil vom 28.10.1992 - C-219/91 - (Ter Voort), Slg. 1992, I 5502, Rdnr. 16 f., 31, in Bezug auf die Richtlinie 65/65/EWG.

Ausgehend hiervon ist es wegen fehlender Zurechenbarkeit unerheblich, dass auf zahllosen Internetseiten die heilende Wirkung von OPC diskutiert und herausgestellt wird und es danach nahezu keine Krankheit gibt, deren Auftreten nicht durch OPC verhindert oder deren Verlauf nicht durch OPC positiv beeinflusst werden kann. Die vorliegende Produktinformation für den deutschen Markt enthält keine Empfehlung, das Produkt vorbeugend oder heilend im Hinblick auf bestimmte Krankheiten oder krankhafte Beschwerden einzusetzen. Selbst wenn man unterstellt, für das Produkt würde mit einer antioxidativen Wirkung geworben, rechtfertigt dies die Einstufung als Präsentationsarzneimittel nicht. Eine Empfehlung, das Produkt als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung von Krankheiten einzunehmen, ließe sich daraus mangels Benennung von solchen zulässigerweise nicht herleiten. Im Übrigen kann nach den in diesem sowie in den Parallelverfahren gleichen Rubrums 13 A 2096/02, 13 A 2097/02 und 13 A 2098/02 zu den Akten gereichten, die antioxidative Wirkung von (Nähr-)Stoffen betreffenden Stellungnahmen nicht davon ausgegangen werden, dass der durchschnittlich informierte und interessierte Verbraucher darunter eine arzneiliche Wirkung verstehen und diese zudem mit einer bestimmten Krankheit in Verbindung bringen würde. Selbst wenn man unterstellte, der Verbraucher werde die antioxidative Wirkung insbesondere im Hinblick auf Krebserkrankungen eine Bedeutung beimessen, so KG Berlin, Urteil vom 10.12.2002 - 5 U 327/01 -, juris, wird man nicht so weit gehen können, eine Verwendung zur Behandlung einer bereits aufgetretenen Krebserkrankung zu unterstellen. Allenfalls erschiene ein diesbezüglicher präventiver Einsatz wahrscheinlich. In diesem Rahmen verwendet würde das Produkt jedoch nicht an Stelle eines geeigneten Arzneimittels eingesetzt, weil allgemein zur Krebsprävention zugelassene Arzneimittel nicht ersichtlich sind.

An der Einschätzung, dass es sich bei dem Produkt weder um ein Funktionsarzneimittel noch ein Präsentationsarzneimittel handelt, ändert die Zweifelsregelung in Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG nichts.

Diese führt entgegen der von der Beklagten wiedergegebenen, in der Literatur vertretenen Auffassung nicht zu einer geringeren Prüfungstiefe bei der Feststellung der Arzneimitteleigenschaft oder aber dazu, dass insoweit eine Offenkundigkeitsprüfung ausreichte.

... (wird ausgeführt, wie Urteil des Senats vom 17.3.2006 - 13 A 1977/02 -)

Anknüpfend daran findet die Zweifelsregelung erst dann Anwendung, wenn unter Berücksichtigung aller Merkmale eines Produkts keine Eindeutigkeit hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft besteht in dem Sinne, dass diese weder (sicher) festgestellt noch (sicher) ausgeschlossen werden kann, weil andernfalls bereits kein Zweifelsfall vorläge. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn in der Zweifelsregelung als Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit gefordert wird, dass "das Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften ... unter die Definition von "Arzneimittel" ... fallen kann." Dies wird im Ergebnis auch der allein maßgebliche Prüfungspunkt sein, weil angesichts der weiten Lebensmitteldefinition des Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 davon auszugehen ist, dass ein streitiges Produkt regelmäßig die Voraussetzungen eines Lebensmittels erfüllt und damit im Sinne der weiteren in der Zweifelsregelung aufgestellten Voraussetzung "unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist." Da hier jedoch die umfassende Prüfung ergeben hat, dass es sich bei dem Produkt P. nicht um ein Arzneimittel handelt, besteht kein Raum für die Anwendung der Zweifelsregelung.

Der Senat hält schließlich auch in Ansehung der von der Beklagten so bezeichneten "Restzweifel" insbesondere an seinem Abwägungsergebnis fest, dass kein Funktionsarzneimittel vorliegt. Die von der Beklagten möglicherweise mit Blick auf das gewünschte Ergebnis - Anwendung des Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG - ausgemachten Zweifel resultieren aus einer nicht hinreichenden qualitativen Bewertung des aktuell zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Erkenntnismaterials, was die Eignung zur Erfüllung eines therapeutischen Zwecks sowie das Bestehen von konkreten Gesundheitsgefahren anbelangt, verbunden mit einer Überbetonung von Sicherheitsbedenken. Abgesehen davon, dass Gesundheitsgefahren ohnehin nicht zu den charakteristischen Merkmalen eines Arzneimittels gehören, können aus diesbezüglichen Bedenken keine die Arzneimitteleigenschaft begründenden "Restzweifel" hergeleitet werden, wenn Anhaltspunkte für konkrete Gefahren nicht bestehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch das Lebensmittelrecht nach den ersten beiden Begründungserwägungen zur Verordnung (EG) 178/2002 sowie nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB in aller erster Linie den (vorbeugenden) Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren bezweckt und sich in diesem Zusammenhang zahlreiche Ermächtigungen finden, die es ermöglichen, beispielsweise Warnhinweise und Sicherheitsvorkehrungen vorzuschreiben (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 6 LFGB) oder weitergehend die Verwendung bestimmter Stoffe mengenmäßig zu beschränken (vgl. §§ 7 Abs. 2 Nr. 1, 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) LFBG). Geht es um Stoffe, die auch mit der normalen Ernährung aufgenommen werden und die seit Jahren in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden, und konzentriert sich die Diskussion um die Arzneimitteleigenschaft im Wesentlichen auf Sicherheitsbedenken, ermöglichen diese Vorschriften gerade mit Blick auf das in Art. 7 VO (EG) 178/2002 normierte Vorsorgeprinzip flexiblere und damit verhältnismäßigere Lösungen, die den Interessen der Verbraucher und der Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln besser gerecht werden als die - für die behördliche Praxis einfachere, weil faktisch zu einem Vertriebsverbot führende - Anwendung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften.

II. Das Produkt wird in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union rechtmäßig hergestellt und rechtmäßig in der Verkehr gebracht (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LFGB). Dies ergibt sich aus den von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung der zuständigen niederländischen Behörde und wird im Übrigen von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

III. Ein die Verkehrsfähigkeit gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 LFGB ausschließender Tatbestand nach Satz 2 der Vorschrift liegt nicht vor.

1. Das Produkt entspricht zunächst den in § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB in Bezug genommenen Verboten. Eine Gesundheitsschädlichkeit des Produkts im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 LFGB, Art. 14 Abs. 2 lit. a) VO (EG) 178/2002 ist nicht gegeben.

Entgegen dem Wortlaut des § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB enthält Art. 14 Abs. 2 lit. a) VO (EG) 178/2002 zwar kein Verbot, sondern nur die Festlegung, dass dann von einem nicht sicheren Lebensmittel auszugehen ist, wenn es gesundheitsschädlich ist. Angesichts der inhaltlichen Anknüpfung des Absatzes 2 des Art. 14 VO (EG) 178/2002 an seinen Absatz 1 und des Zusammenhangs zwischen den Sätzen 1 und 2 des § 54 Abs. 1 LFGB sind die Bezugnahmen in § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB insgesamt dahingehend zu verstehen, dass eine Verkehrsfähigkeit eines Produkts nach Satz 1 der Vorschrift dann nicht besteht, wenn es gesundheitsschädlich ist. Dies muss nicht feststehen, sondern es reicht eine Eignung zur Gesundheitsbeschädigung. Diese allerdings muss tatsächlich und konkret bestehen, d.h. der Stoff muss bestimmte feststellbare Eigenschaften aufweisen, die eine Gesundheitsbeschädigung verursachen können.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., C 101, Art. 14 VO (EG) 178/2002 Rdnr. 39.

Solche sind nach den Ausführungen oben zu den Risiken bei der Verwendung des Produkts jedoch nicht ersichtlich, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung der nach Art. 14 Abs. 4 VO (EG) 178/2002 im Rahmen der Beurteilung einer Gesundheitsschädlichkeit zu beachtenden Kriterien.

Soweit nach Art. 14 Abs. 4 lit. a) VO (EG) 178/2002 die wahrscheinlichen Auswirkungen zu berücksichtigen sind, ist das im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu verstehen, die allein bei einer wissenschaftlichen Unsicherheit, wie sie Art. 7 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 beschreibt, nicht besteht.

Vgl. in diesem Sinne Zipfel/Rathke, a. a. O., Rdnr. 47.

Abzustellen ist dabei angesichts von Art. 14 Abs. 3 lit. a) VO (EG) 178/2002 auf die normale Verwendung des Produkts durch den Verbraucher, während die besondere gesundheitliche Empfindlichkeit von bestimmten Verbrauchergruppen gemäß Art. 14 Abs. 4 lit. c) VO (EG) 178/2002 außer Betracht bleiben kann, weil die zuletzt genannte Vorschrift eine (besondere) Bestimmung im Hinblick auf solche Gruppen voraussetzt, vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., Rdnr. 53 f. die hier nicht besteht. Ausgehend hiervon kann nach den vorstehenden Ausführungen von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Gesundheitsschädlichkeit der Aufnahme von 50 mg OCP täglich für den normalen Verbraucher keine Rede sein.

2. Das Produkt entspricht schließlich den in § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 1. Halbsatz LFGB in Bezug genommenen anderen, dem Zweck des Gesundheitsschutzes im Sinne § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB dienenden Rechtsvorschriften.

Unabhängig davon, ob die Vorschriften der Nahrungsergänzungsmittelverordnung sämtlich dem Gesundheitsschutz dienen, ergibt sich ein Verbot der Verwendung von OPC in Nahrungsergänzungsmitteln zunächst nicht aus § 3 Abs. 1 NemV. Zwar enthält die Vorschrift mittelbar ein Verwendungsverbot, weil sich aus der sog. Positivlistenregelung im Umkehrschluss ergibt, dass alle anderen, nicht in der Anlage 1 aufgeführten Nährstoffe grundsätzlich verboten sind. Dieses Verbot bezieht sich jedoch lediglich auf alle anderen Nährstoffe im Sinne von § 1 Abs. 2 NemV, nicht jedoch auch auf die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV genannten sonstigen Stoffe. Dies kann zum einen aus dem allein auf Nährstoffe abstellenden Wortlaut geschlossen werden. Zum anderen ergibt sich aus der Begründung zur Nahrungsergänzungsmittelverordnung einschließlich der dortigen Bezugnahme auf die Erwägungsgründe der Richtlinie (2002/46/EG) - gemeint ist offensichtlich der achte Erwägungsgrund -, dass der Verordnungsgeber andere als die in § 1 Abs. 2 NemV genannten Nährstoffe sowie die sonstigen Stoffe im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV nicht mit der Verordnung regeln, also auch nicht generell über die Vorschrift des § 3 Abs. 1 NemV von der Verwendung ausschließen wollte. Vielmehr sollten insoweit die bisherigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften, also im Wesentlichen die des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes weiter gelten.

Vgl. BR-Drs. 248/04, S. 14.

Angesichts dieser Begründung kann auch § 3 Abs. 2 NemV nicht dahingehend ausgelegt werden, dass mit der Zulassung der in der Anlage 2 aufgeführten Stoffe als Zusatzstoffe zu ernährungsphysiologischen Zwecken alle anderen, nicht in der Anlage 2 erwähnten Stoffe als nicht zugelassene und damit grundsätzlich verbotene Zusatzstoffe eingestuft werden sollten, zumal für diese Regelung nicht § 2 Abs. 3 Nr. 1 LMBG als Ermächtigungsgrundlage herangezogen wurde. Schließlich ist das sich aus § 3 Abs. 3 NemV ergebende Verwendungsverbot nicht einschlägig, weil sich die Vorschrift ausdrücklich auf andere Vitamin- und Mineralstoffverbindungen bezieht, zu denen OPC nicht gehören.

Weiterhin sind die Verbote des § 6 LFGB nicht tangiert, weil OPC bei der Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln keine Zusatzstoffe darstellen.

Die Zusatzstoffeigenschaft von OPC ist nach § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB - die dortige Formulierung "stehen gleich" hat angesichts von § 4 Abs. 1 Nr. 2 LFGB keine substantielle Bedeutung - zu beurteilen, weil ein Zusatz hier nicht aus technologischen Gründen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 LFGB in Verbindung mit der Verordnung über die Zulassung von Zusatzstoffen zu Lebensmitteln zu technologischen Zwecken (Zusatzstoff-Zulassungsverordnung), anwendbar über Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts, erfolgt. Maßgeblich ist aus systematischer Sicht mit Blick auf die europarechtlichen Regelungen in erster Linie die Definition in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz LFGB einschließlich der dort normierten Ausnahmen, nicht dagegen der zweite Halbsatz der Nr. 1. Auch wenn es sich bei § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB insgesamt um eine rein nationale Vorschrift handelt, weil das europäische Recht lediglich die in § 2 Abs. 3 Satz 1 LFGB geregelten technologischen Zusatzstoffe kennt, übernimmt § 2 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz LFGB weitgehend die Regelungs- oder Definitionssystematik des § 2 Abs. 3 Satz 1 LFGB, mit der wiederum die europäische Zusatzstoffdefinition des Art. 1 Abs. 2 RL 89/107/EWG in nationales Recht umgesetzt wird. Bestandteil dieser europäischen Definition sind die eingangs geregelten Ausnahmen vom Zusatzstoffbegriff. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer vorrangigen Geltung der weiteren Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 2. Halbsatz LFGB ausgegangen werden. Ein solches Verständnis ergibt sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung. Im Hinblick auf § 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB wird lediglich erläutert, dass sich die Gleichstellung auf Stoffe beziehe, die anderen als technologischen Gründen dienten, und dabei eher beiläufig erwähnt, dass dies unter Einbeziehung der Ausnahmen in § 2 Abs. 1 zweiter Halbsatz LMBG erfolge.

Vgl. BT-Drs. 15/3657, S. 58.

Letztlich bedarf diese Frage jedoch keiner abschließenden Beantwortung, weil sowohl nach dem ersten als auch nach dem zweiten Halbsatz des § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 LFGB kein Zusatzstoff vorliegt.

Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz LFGB handelt es sich bei OPC nicht um Zusatzstoffe, weil sie eine charakteristische Zutat von Nahrungsergänzungsmitteln als besondere Lebensmittelkategorie darstellen. Mit dem Wort charakteristisch wird eine Eigenschaft bezeichnet, die das besondere einer Sache oder seiner Erscheinung ausmacht. Dabei ist auf das Lebensmittel abzustellen, dem die Zutat zugesetzt wird, weil eine Zutat für sich nicht charakteristisch sein kann. Hiernach ist eine Zutat für ein Lebensmittel dann charakteristisch, wenn das Lebensmittel durch ihren Zusatz besondere, typische Eigenschaften erhält. Ob dies der Fall ist, kann sowohl nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als auch auf Grund der Beschaffenheit eines Lebensmittels festgestellt werden.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., C 102, § 2 LFGB Rdnr. 30 ff.

Ausgehend hiervon sind bereits nach der Definition in § 1 Abs. 1 NemV charakteristische Zutaten von Nahrungsergänzungsmitteln die in § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV genannten, nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NemV auf der Verpackung anzugebenden Konzentrate von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen, weil durch diese jeweils eine Präzisierung der die Lebensmittelkategorie der Nahrungsergänzungsmittel kennzeichnenden, in § 1 Abs. 1 Nr. 1 NemV beschriebenen (besonderen) Zweckbestimmung, die allgemeine Ernährung zu ergänzen, erfolgt. Da sich erst aus dem jeweiligen (Nähr-)Stoffkonzentrat - hier die OPC - ergibt, in welcher Beziehung mit dem Produkt die allgemeine Ernährung ergänzt werden kann oder soll, handelt es sich jeweils um die für das in Rede stehende Nahrungsergänzungsmittel charakteristische Zutat. Dass OPC in Bezug auf normale, d.h. nicht unter die Nahrungsergänzungsmittelverordnung fallende Lebensmittel nicht als charakteristische Zutat angesehen werden können, rechtfertigt keine andere Einschätzung. Wenn es wie hier um ein besonderes Lebensmittel bzw. um eine besondere Kategorie von Lebensmitteln geht, nämlich Nahrungsergänzungsmittel, die in Gestalt der Nahrungsergänzungsmittelverordnung eine eigenständige Regelung erfahren haben, dann kann bei der Beantwortung der Frage der Zusatzstoffeigenschaft auch nur auf diese Kategorie abgestellt werden. Bestätigt wird diese Sichtweise durch die als produktgruppenspezifisch zu bezeichnenden Regelungen in § 3 Abs. 1 bis 3 NemV.

Die Verwendung der OPC als charakteristische Zutat eines Nahrungsergänzungsmittels erfolgt auch im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz LFGB üblicherweise. Zwar entsteht in diesem Verfahren nach dem Beklagtenvortrag der Eindruck, als gebe es in Deutschland keine Nahrungsergänzungsmittel mit OPC. Dies ist indes nach den Ausführungen oben zur Verbreitung entsprechender Produkte unzutreffend. Im Übrigen stellen die OPC bei der ganz überwiegenden Anzahl der im Internet angebotenen Nahrungsergänzungsmittel das alleinige Stoffkonzentrat oder aber jedenfalls den hervorgehobenen Hauptbestandteil dar. Von daher kommt es auf die von der Beklagten problematisierte Frage, ob bei einer Einzelfallbetrachtung eines Stoffgemischs eine charakteristische Zutat bestimmt werden kann, nicht an. Zwar mag es für normale Lebensmittel ausgeschlossen sein, zur Bestimmung oder Prüfung der Üblichkeit der Verwendung eines Stoffs vor allem auf das Internet abzustellen. Dies liegt vor allem daran, dass normale Lebensmittel im weit überwiegenden Maße wie von alters her in entsprechenden Lebensmittelgeschäften/Supermärkten erworben werden. Geht es jedoch um eine verhältnismäßig junge Produktgruppe wie die Nahrungsergänzungsmittel, die auf nationaler Ebene erst im Jahr 2004 mit der Nahrungsergänzungsmittelverordnung eine eigenständige Regelung erfahren haben, dann kann nicht auf eine - ohnehin nicht gegebene - traditionelle Verwendung abgestellt werden, sondern es sind die diesbezüglich gebräuchlichen Beschaffungswege und Gepflogenheiten in den Blick zu nehmen. Dazu gehört hinsichtlich der Nahrungsergänzungsmittel offensichtlich, dass diese häufig zusammen mit anderen Gesundheitsartikeln und sog. Sportlernahrung über das Internet vertrieben werden, auf das im Übrigen die Beklagte selbst in anderem Zusammenhang Bezug nimmt. Anhaltspunkte dafür, dass mit dem Wort "üblicherweise" in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz LFGB eine traditionelle Betrachtungsweise vorgeschrieben werden sollte, bestehen nicht, weil die Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 3 LFGB keinen entsprechenden Hinweis enthält und das Wort weder in § 2 LMBG verwendet wurde noch in Art. 1 Abs. 2 RL 89/107/EWG enthalten ist. Selbst wenn man das Wort als Hinweis auf die allgemeine Verkehrsauffassung begreift, ist damit keine traditionelle Betrachtungsweise vorgegeben, weil die Verkehrsauffassung ohnehin zeitlichen Wandlungen unterworfen ist und sie sowohl vergangenheitsbezogen als auch zukunftsorientiert geprüft werden kann.

Vgl. Zipfel/Rathke, a. a. O., C 100, § 17 LMBG Rdnr. 110; Meyer/Reinhardt, Das neue Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - eine Mogelpackung, WRP 2005, 1437 (1448).

Aus § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 2. Halbsatz LFGB ergibt sich kein anderes Ergebnis, d.h. auch nach dieser Vorschrift sind OPC von den Zusatzstoffen ausgenommen. Zunächst sind OPC als aus Traubenkernen gewonnene (sekundäre) Pflanzenbestandteile natürlicher Herkunft, auch wenn die chemische Zusammensetzung der in dem Produkt enthaltenen OPC nicht vollständig geklärt ist. Jedenfalls wird ihre molekulare Struktur, wie sie in den Traubenkernen vorliegt, nach den Äußerungen der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Mitarbeiter des BfArM durch das vom Hersteller des Produkts angewendete Extraktionsverfahren nicht verändert. Darüber hinaus werden OPC nach allgemeiner Verkehrsauffassung jedenfalls im Rahmen von Nahrungsergänzungsmitteln wegen ihres Nährwertes verwendet. Der Begriff des Nährwertes ist zum einen in einem weiten, nicht auf Stoffe mit einer energieliefernden Wirkung beschränkten Sinne zu verstehen, was sich unter anderem an den zu den Nährstoffen gezählten Vitaminen und Mineralstoffen zeigt, und zum anderen nicht abschließend festgelegt, sondern für neue, durch den wissenschaftlichen Fortschritt bedingte Erkenntnisse offen.

Vgl. in diesem Sinne Zipfel/Rathke, a. a. O., C 102, § 2 LFGB Rdnr. 70 f., und C 101, Art 2 VO (EG) 178/2002 Rdnr. 79 f.

Im Übrigen entspricht die Vorschrift inhaltlich dem früheren § 2 Abs. 1 2. Halbsatz LMBG. Die dort genannten Verwendungen wurden zusammengefasst als ernährungsphysiologische Zwecke bezeichnet.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.11.1987 - 3 B 26.87 -, dokumentiert in juris.

Die in der Vorschrift erwähnte allgemeine Verkehrssauffassung umfasst die Einschätzung aller an dem Verkehr mit dem betreffenden Lebensmittel beteiligten Kreise, also der Hersteller, Händler und Verbraucher. Dabei kommt der Verbrauchererwartung als wesentlichem Bestandteil der allgemeinen Verkehrsauffassung entscheidende Bedeutung zu.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.6.1995 - 9 S 449/93 -, LRE 32, 116 (302).

Ausgehend hiervon wird ein in einem Nahrungsergänzungsmittel enthaltenes (Nähr-)Stoffkonzentrat, auch wenn es sich um ein in der breiten Öffentlichkeit eher unbekanntes Stoffgemisch wie die OPC handelt, bereits deshalb nach allgemeiner Verkehrsauffassung wegen seines Nährwerts im Sinne einer ernährungsphysiologischen Zwecksetzung verwendet, weil die Produktgruppe der Nahrungsergänzungsmittel insgesamt gerade mit dieser Zweckbestimmung hergestellt, in den Handel gebracht und von den Verbrauchern in der entsprechenden Erwartung erworben wird. Bei lebensnaher Auslegung wird die Verbrauchererwartung Produkte, insbesondere den in ihnen enthaltenen (Nähr-)Stoffkonzentraten, die als Nahrungsergänzungsmittel bzw. mit der ausdrücklichen Bestimmung, die allgemeine Ernährung zu ergänzen, in den Verkehr gebracht werden, in einem weiteren Sinne als Nährstoffe oder für die Ernährung nützliche Stoffe auffassen. Dies gilt jedenfalls für diejenigen Verbraucherkreise, die Nahrungsergänzungsmitteln überhaupt Beachtung schenken oder sich für diese interessieren und damit als potentielle Käufer in Betracht kommen, und auf die sich die Betrachtung zulässigerweise beschränken kann.

Vgl. in diesem Sinne BVerwG, Beschluss vom 18.10.2000 - 1 B 45.00 -, LRE 40,166 (167).

Die Existenz und der wirtschaftliche Erfolg der Produktgruppe der Nahrungsergänzungsmittel beruht gerade darauf, dass dem interessierten Verbraucher wenigstens suggeriert wird, seine Ernährung bedürfe einer Ergänzung eben in Gestalt des in dem jeweiligen Produkt enthaltenen (Nähr-)Stoffkonzentrats bzw. der Konzentrate, auch wenn dies wegen § 4 Abs. 4 NemV so ausdrücklich nicht gesagt werden darf. Wird die Verbrauchersicht aber bereits durch die Präsentation des jeweiligen Nahrungsergänzungsmittels entsprechend geprägt, kommt es nicht entscheidend darauf an, dass OPC jedenfalls nach gegenwärtiger wissenschaftlicher Beurteilung nicht als für den Menschen essentiell angesehen werden. Ebenfalls irrelevant ist bei einer festgestellten Verbrauchererwartung die Frage, ob möglicher Weise ein unzulässiger oder unredlicher Handelsbrauch vorliegt.

Vgl. in diesem Sinne BVerwG, Urteil vom 25.6.1987 - 3 C 34.86 -, LRE 21, 339 (342 f.), sowie Beschluss vom 15.3.1989 - 3 B 89.88 -, LRE 23, 208 (209).

Anhaltspunkte dafür, dass die Verbraucherwartung durch den Einsatz von OPC in normalen Lebensmitteln zu arzneilichen Zwecken geprägt ist, bestehen außer der entsprechenden Behauptung der Beklagten nicht. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass neben den im Wesentlichen über das Internet vertriebenen Nahrungsergänzungsmitteln mit OPC überhaupt in größerem Umfang "normale" Lebensmittel mit zugesetzten OPC im Handel sind.

Die vorstehende Auslegung steht mit europäischen Rechtsvorschriften, insbesondere der Richtlinie 89/107/EWG in Einklang. Anhaltspunkte dafür, dass OPC - wie die Beklagte andeutet - nach dem "Gesamtzusammenhang der EG-Zusatzstoffvorschrift" offensichtlich ein Zusatzstoff sein sollen, bestehen nicht. Die genannte Richtlinie regelt nach ihrem Art. 1 Abs. 2 lediglich aus technologischen Gründen zugesetzte Zusatzstoffe, was auf ein einem Nahrungsergänzungsmittel zugesetztes (Nähr-)Stoffkonzentrat offensichtlich nicht zutrifft. Ferner gilt die Richtlinie nach ihrem Art. 1 Abs. 3 lit. d) gerade nicht für Stoffe, die Lebensmitteln zu Ernährungszwecken beigefügt werden. Auch der Richtlinie 2002/46/EG kann nicht entnommen werden, dass die in deren Art. 2 lit. a) genannten, gleichberechtigt neben den Nährstoffen stehenden sonstigen Stoffe mit ernährungsphysiologischer oder physiologischer Wirkung als Zusatzstoffe angesehen wurden. Dies hätte bereits deswegen keinen Sinn gemacht, weil dadurch mangels eines auf europäischer Ebene bestehenden, dem § 6 LFGB vergleichbaren generellen Zusatzstoffverbots keine Verwendungsbeschränkung eingetreten wäre.

Das vorstehende Auslegungsergebnis steht schließlich nicht in Widerspruch zu den Vorstellungen oder Erwartungen des Gesetz- und Verordnungsgebers bei der Normierung der Nahrungsergänzungsmittelverordnung und des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches. Nach der bereits oben wiedergegebenen Begründung zur Nahrungsergänzungsmittelverordnung ist der Verordnungsgeber hinsichtlich anderer als der in § 1 Abs. 2 NemV genannten Nährstoffe sowie hinsichtlich der sonstigen Stoffe im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 NemV von der Weitergeltung der bisherigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften ausgegangen, ohne sich Vorstellungen darüber zu machen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Normierung der Nahrungsergänzungsmittel Einfluss auf die Auslegung insbesondere der Zusatzstoffvorschriften haben kann - wofür auch keine Notwendigkeit bestand. Auch der Gesetzesbegründung speziell zu § 2 Abs. 3 LFGB, vgl. BT-Drs. 15/3657, S. 58, kann nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber diesbezüglich konkrete Vorstellungen hatte. Allein die dort ausdrücklich erklärte Absicht, ein bisheriges nationales Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für sämtliche Stoffe, deren Verwendung auf Gemeinschaftsebene noch nicht geregelt ist, fortzuführen, gibt für die konkrete Auslegung der neu geschaffenen Zusatzstoffdefinition(en) nichts her. Feststellen lässt sich allenfalls eine gewisse Widersprüchlichkeit, weil trotz der vorstehend dargestellten Intention und trotz des offensichtlichen Bemühens, die Zusatzstoffe nach nationalem Recht nicht als solche zu bezeichnen ("stehen gleich"), um eine Kollision mit dem europäischen Zusatzstoffbegriff zu vermeiden, die Definition in § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 1. Halbsatz LFGB gleichwohl zunächst einmal in weitgehender Anlehnung an die aus der Richtlinie 89/107/EWG entnommene europäische Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 3 Satz 1 LFBG gefasst worden ist.

Ende der Entscheidung

Zurück