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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 20.11.2008
Aktenzeichen: 13 A 3566/06
Rechtsgebiete: AMNG, AMG, VwGO


Vorschriften:

AMNG Art 3 § 7 Abs. 2
AMG § 29 Abs. 3 Nr. 1
AMG § 105 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
Die Aufzählung der arzneilich wirksamen Bestandteile eines Fertigarzneimittels bei der Anzeige nach Art. 3 § 7 Abs. 2 AMNG bzw. § 105 Abs. 2 AMG ("78er Anzeige") konnte nach dem 30.6.1978 regelmäßig nicht mehr wirksam korrigiert werden.
Tatbestand:

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin zeigte im Juni 1978 ein von ihr vertriebenes Fertigarzneimittel nach dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts an. Als arzneilich wirksame Bestandteile waren Propolis, Sonnenhutextrakt und Vitamin C angegeben. Vermutlich im Jahre 1979 übersandte die Rechtsvorgängerin die entsprechende Seite des Anzeigeformulars noch einmal an das Bundesgesundheitsamt (BGA). Nunmehr war zusätzlich zu den genannten Bestandteilen auch Hagebuttenextrakt als arzneilich wirksamer Bestandteil deklariert. In den Jahren 1990 und 1993 stellte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Anträge auf Verlängerung der fiktiven Zulassung ("Nachzulassung") des Arzneimittels. Im Januar 2001 ging beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Änderungsanzeige der Rechtsvorgängerin der Klägerin ein, der zufolge u. a. der Hagebuttenextrakt aus der Kombination eliminiert worden war. Im Mai 2004 lehnte das BfArM den Antrag auf Nachzulassung mit der Begründung ab, das Arzneimittel sei unzulässig geändert worden, die fiktive Zulassung daher erloschen. Die auf Neubescheidung des Nachzulassungsantrags gerichtete Klage wurde vom VG abgewiesen. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das VG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Verlängerung der fiktiven Zulassung komme nicht in Betracht. Entweder sei durch Hinzunahme eines arzneilich wirksamen Bestandteils, nämlich des Hagebuttenextrakts, nach der Anzeige vom 28.6.1978 eine unzulässige Änderung des Arzneimittels vorgenommen worden oder der Hagebuttenextrakt sei bereits 1978 Bestandteil des Arzneimittels gewesen und demzufolge eine fiktive Zulassung des in dieser Zusammensetzung nicht angezeigten Arzneimittels gar nicht entstanden. Die gegen diese Überlegungen vorgebrachten Einwände der Klägerin vermögen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung nicht aufzuzeigen.

Dass die Hinzunahme eines weiteren arzneilich wirksamen Bestandteils in dem Zeitraum zwischen der Anzeige vom 28.6.1978 und dem Kurzantrag vom 2.1.1990 unzulässig gewesen wäre, stellt die Klägerin nicht in Abrede. Sie trägt vielmehr vor, der in Rede stehende Bestandteil sei bereits vor der Anzeige im Jahre 1978 in dem Arzneimittel enthalten gewesen, eine nachträgliche Änderung habe also nicht stattgefunden.

Die von dem VG für diese, von der Klägerin nunmehr behauptete Sachverhaltsvariante angenommene Folge, dass eine fiktive Zulassung für das Arzneimittel von vornherein nicht habe entstehen können, weil das Arzneimittel in dieser Zusammensetzung nicht gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 AMNG angezeigt worden sei, wird von der Klägerin im Grundsatz ebenfalls nicht in Frage gestellt. Ihr einziger Einwand in diesem Zusammenhang geht dahin, die Schlussfolgerung des VG berücksichtige nicht den Umstand, dass die nachträglich erfolgte Anzeige des Hagebuttenextrakts nur eine deklaratorische Korrektur des Anzeigeformulars der 1978er Anzeige darstelle und keine konstitutive Änderung der Zusammensetzung des Arzneimittels. Dieser Einwand ist unschlüssig, weil auch das VG in dieser Sachverhaltsvariante gerade nicht von einer nachträglichen "konstitutiven" Änderung ausgeht, sondern von dem Versuch einer bloßen Berichtigung des Anzeigeformulars, die es aber für nicht möglich hält.

Mit dieser - entscheidenden - Annahme des VG, dass eine Berichtigung der Anzeige nicht möglich sei, setzt sich die Klägerin nicht ansatzweise auseinander, so dass ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan sind. Es spricht im Übrigen Vieles dafür, dass die Einschätzung des VG zutrifft. Eine nach dem 30.6.1978 vorgenommene "Korrektur" dürfte schon deshalb ausscheiden, weil ab diesem Zeitpunkt die Zulassung erloschen war. Die Abgabe nachträglicher Angaben kann nicht dazu führen, dass eine bereits erloschene Zulassung wieder auflebt. Dies würde nämlich zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, da letztlich über lange Zeiträume unklar bliebe, ob für ein Arzneimittel eine Zulassung besteht oder nicht. Dies widerspricht dem System der §§ 31, 105 AMG, Art. 3 § 7 AMNG; mit diesen Regelungen wird ersichtlich die Herstellung klarer Verhältnisse hinsichtlich der Weitergeltung einer Zulassung erstrebt. Auch geht es bei den Angaben im Rahmen der Anzeige nach § 105 Abs. 2 Satz 1 AMG bzw. Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG um Angaben, welche die Identität eines Arzneimittels bestimmen. Solche Angaben sind schon deshalb nicht frei abänderbar oder "korrigierbar", weil sonst eine Kontrolle des Arzneimittels nicht möglich wäre und Änderungen des Arzneimittels faktisch nicht mehr an den gesetzlichen Maßstäben messbar wären. Die tatsächliche Zusammensetzung von Arzneimitteln wird von der Beklagten regelmäßig nicht überprüft, und sie ist - angesichts der in den Blick zu nehmenden langen Zeiträume - auch faktisch nicht mehr überprüfbar.

Schließlich führt entgegen der Auffassung der Klägerin auch das Prinzip des Vertrauensschutzes nicht dazu, dass die Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel verlängert werden kann. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es angesichts des objektiv-rechtlichen Charakters arzneimittelrechtlicher Vorschriften überhaupt auf Vertrauensschutz ankommen kann. Jedenfalls muss die Klägerin sich entgegen halten lassen, dass es ihr - bzw. der früheren Zulassungsinhaberin - oblegen hat, die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels fortwährend zu erhalten. Wird ein Arzneimittel - wie hier - unzulässig geändert, treten die Folgen kraft Gesetzes, mithin unabhängig von der Vorgehensweise der Zulassungsbehörde ein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2007 - 13 A 744/06 -, juris, m. w. N.

Im Übrigen setzt eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten voraus, dass von der Beklagten ein Vertrauensschutztatbestand - d. h. ein Umstand, auf dessen Basis Vertrauen entstehen kann - begründet worden ist. Insoweit kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauensschutztatbestand durch "bloßes Schweigen" begründet werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.6.2007 - 13 A 744/06 -, a. a. O., m. w. N.

Hier wurde jedenfalls ein Vertrauensschutztatbestand zu Gunsten der Klägerin durch "bloßes Schweigen" nicht begründet. Dass die Beklagte der offenbar im Jahre 1979 angezeigten "Berichtigung" der Anzeige nach Art. 3 § 7 Abs. 2 AMNG nicht entgegen getreten ist, konnte von der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht als ein Akzeptieren der "Berichtigung" verstanden werden. Denn nach dem System des Art. 3 § 7 AMNG ging es in diesem Stadium erkennbar darum, der Beklagten einen Überblick über die im Verkehr befindlichen Arzneimittel zu verschaffen. Eine Prüfung der Verkehrs- oder Genehmigungsfähigkeit der Arzneimittel konnte zu diesem Zeitpunkt auch aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmer regelmäßig noch nicht erfolgt sein.

Vgl. auch OVG Berlin, Urteil vom 7.4.2005 - 5 B 8.03 -, juris.

Auch aus dem "Schweigen" des BfArM nach Einreichung des Kurz- und des Langantrags ist kein Vertrauensschutz erwachsen. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde im Anschluss an verschiedene Änderungsanzeigen in den Jahren 1993, 1994, 1995, 1996, 1997, 1998 und 1999 jeweils mit Schreiben des BGA oder des BfArM darauf hingewiesen, dass mit der Entgegennahme der Änderungsanzeige eine abschließende fachliche Beurteilung nicht verbunden sei. Auch hatte das BGA bereits im Rahmen der 6. Bekanntmachung über die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7 AMNG vom 23.10.1990 (BAnz. Nr. 206, S. 5827) darauf aufmerksam gemacht, dass eine materielle Überprüfung der Änderungsanzeigen für fiktiv zugelassene Arzneimittel wegen des Sachzusammenhangs mit dem Nachzulassungsverfahren in vielen Fällen erst nach Einreichung der Dokumentationen nach Art. 3 § 7 Abs. 4 Sätze 4 bis 7 AMNG erfolgen werde.

In diese Richtung auch Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, S. 66 f.

Wenn die Behörden indes der Klägerin gegenüber deutlich gemacht haben, dass die Entgegennahme einer förmlichen Änderungsanzeige kein positives Urteil über deren Inhalt bedeutet, so konnte die Klägerin erst recht nicht davon ausgehen, dass eine bereits zuvor mit formlosen Schreiben angebrachte "Berichtigung" der Anzeige nach Art. 3 § 7 AMNG von den Behörden endgültig akzeptiert worden ist. Nach alldem kann dahinstehen, ob für den Fall, dass Vertrauensschutz zu gewähren wäre, überhaupt als Rechtsfolge die Verlängerung der Zulassung in Betracht kommt oder nur ein Entschädigungs- bzw. Schadensersatzanspruch.

Ende der Entscheidung

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