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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.09.2004
Aktenzeichen: 13 A 3802/02
Rechtsgebiete: BSeuchG, IfSG, OBG NRW, AEG


Vorschriften:

BSeuchG § 13
IfSG § 17
OBG NRW § 18
AEG § 4
Der Deutschen Bahn kann nicht als Zustandsstörerin aufgegeben werden, gegen das Nisten und Brüten von Tauben in einer Bahnunterführung auf ihre Kosten ein Netz spannen zu lassen.
Tatbestand:

Nachdem sich der Beklagte seit 1994 zunächst selbst bemüht hatte, der Verschmutzung durch Tauben unter der Bahnunterführung G. in D. Herr zu werden, erließ er gegen die Klägerin, eine Gesellschaft der Deutschen Bahn, unter dem 24.6.1999 eine auf §§ 10, 13 BSeuchG i. V. m. § 18 OBG NRW gestützte Ordnungsverfügung, mit der er der Klägerin aufgab, innerhalb von vier Wochen nach Zustellung der Verfügung an der Bahnunterführung, durch das Anbringen einer Netzabspannung "das dauerhafte Ansammeln, Nisten und Brüten von Tauben unter der Brückenkonstruktion zu unterbinden".

Durch Urteil vom 17.7.2002 gab das VG der Klage mit der Begründung statt, die Klägerin könne nicht als Störerin herangezogen werden, weil die Gefahr unmittelbar durch das Verhalten der Tauben ausgelöst werde, für das die Klägerin nicht verantwortlich sei.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Beklagte könnte bereits für den Erlass der Ordnungsverfügung wegen der durch § 4 Abs. 2 AEG ausschließlich begründeten Zuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes unzuständig gewesen sein. Der Senat vertieft dies aber nicht, weil die Zuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes (zumindest faktisch) eingeschränkt sein könnte. Anlass zu Zweifeln in diese Richtung gibt der Beschluss des OVG NRW vom 9.9.1994 - 11 B 1447/94 -, OVGE 44, 173 = VRS 88, 237 = GewA 1995, 127. Dieser von den Parteien nicht aufgegriffene Gesichtspunkt bedarf keiner Aufklärung, weil sich die angefochtene Ordnungsverfügung jedenfalls materiell als rechtswidrig erweist:

Der Beklagte stützt sich als Eingriffsnorm auf § 13 Abs. 1 BSeuchG. Vom Vorliegen der Voraussetzungen dieser inzwischen durch Regelungen des Infektionsschutzgesetzes vom 20.7.2000 (IfSG) abgelösten, aber auf den vorliegenden Fall einer Anfechtungsklage, bei der in der Regel auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchbescheides vom 8.2.2000, abzustellen ist, noch anwendbaren Vorschrift kann zu Gunsten des Beklagten ausgegangen werden, zumal die Parteien hierum nicht streiten. Die Berechtigung für die Heranziehung der Klägerin entnimmt er § 18 Abs. 1 OBG NRW, was grundsätzlich mangels entsprechender Regelung im Bundesseuchengesetz statthaft ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.9.1987 - 3 B 21.87 -, JURIS,

§ 18 OBG NRW regelt die Verantwortlichkeit für den Zustand von Sachen wie folgt:

"Geht von einer Sache oder einem Tier eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen den Eigentümer zu richten. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind die nachfolgenden Vorschriften entsprechend auf Tiere anzuwenden."

§ 18 Abs. 1 OBG ist jedoch keine ausreichende Grundlage für die Inanspruchnahme der Klägerin. Das ergibt sich daraus, dass die Gefahr, die von dem Taubenkot ausgeht, nicht unmittelbar mit dem Zustand des Brückenbauwerks ursächlich in Verbindung steht.

Nach der Rechtsprechung besteht allerdings die Haftung eines Grundstückseigentümers als sog. Zustandsstörer wegen der sog. Zustandsverantwortung für ein Grundstück auch dann, wenn die Gefahr von in ein Grundstück eingebrachten Sachen, etwa Kampfmitteln, über die der Eigentümer des Grundstücks schon mangels Kenntnis von ihnen keine Sachherrschaft hat, oder wenn die Gefahr wie Felsbruch von einem Naturereignis ausgeht. Der Grund ist, dass sich aus der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft über das Grundstück wegen der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eine Pflicht ergibt, in Bezug auf dieses Grundstück für Störungsfreiheit zu sorgen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.6.1998 - 1 B 178.97 -, Buchholz, 402.41, Allg. PolizeiR Nr. 65 betreffend vermutete Kampfmittel, und Beschluss vom 31.7.1998 - 1 B 229.97 -, Buchholz, 402.41, Allg. PolizeiR Nr. 66 = NJW 1999, 231, betreffend Felsabgänge.

In diesen Fällen wird aus der Sachqualität des Grundstücks und der Sachherrschaft über das Grundstück die Unmittelbarkeit der Gefahr in Bezug auf das Grundstück abgeleitet.

Ob die Unmittelbarkeit - wie in den vorstehenden Fällen - noch gegeben ist, ist von Fall zu Fall in wertender Betrachtung festzustellen. Der Zustand einer Sache und die Sachherrschaft über sie können im Verhältnis zu der Gefahr oder dem Schaden auch eine nur entferntere, mittelbare Ursache darstellen; solche mittelbaren Ursachen lösen die polizeiliche Zustandshaftung jedoch nicht aus. So liegt der Fall etwa, wenn die Gefahr oder der Schaden unmittelbar durch eine Missbrauchshandlung eines Dritten ausgelöst wird, mag von der Sache auch ein gewisser Anreiz für diesen Missbrauch ausgehen. Deshalb ist etwa der Betreiber eines Flughafens nicht aus allgemeinen Gründen der Gefahrenabwehr verpflichtet, (auf eigene Kosten) Schutz vor terroristischen Anschlägen zu schaffen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.10.1985 - 4 C 76.82 -, DÖV 1986, 287.

In dem vorstehend zitierten Urteil wird für das Erfordernis einer Unmittelbarkeit als Grund angeführt, ohne diese würde die polizeiliche Zustandshaftung zu einer konturenlosen Billigkeitshaftung, da andere haftungsbeschränkende Kriterien wie Rechtswidrigkeit oder Schuld fehlen. Dem schließt sich der Senat in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil an.

Im Rahmen der wertenden Betrachtung schlägt durch, dass die Verwirklichung der Gefahr von wilden Tieren ausgeht, das Brückenbauwerk aber - anders als in den beiden Fällen der Kampfstoffe und der Felsabgänge - die Gefahr nicht in sich selbst trägt. Um eine tatsächliche Verbindung zu der Brücke herzustellen, muss auf die Nistplätze in dem Brückenbauwerk abgestellt werden, von denen selbst aber ebenfalls keine Gefahr ausgeht. Unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten ist die Nähe der Tiere zu dem Brückenbauwerk weiter dadurch relativiert, dass sich zwar die Tiere häufig, aber nicht notwendigerweise dort entleeren. Die fehlende Unmittelbarkeit wird auch dadurch erhellt, dass es im Bereich des Beklagten - aktenkundig - nicht nur unter der fraglichen Brücke (und möglicherweise unter weiteren Brücken) Verunreinigung durch Tauben gibt, sondern auch anderenorts und in Großstädten allgemein eine Taubenplage festzustellen ist.

Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.7.2004, Seite 7 "Neue Hackordnung am Opernplatz".

Das Problem würde sich durch die angeordnete Netzabspannung allenfalls örtlich, aber nicht grundsätzlich verändern. Die Gefahr würde sich nämlich verlagern, da kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Verhinderung des Nistens im Bereich der Brücke zu einer insgesamt geringeren Taubenbelastung führen würde. Die Tauben als wilde Tiere würden gegebenenfalls andere Nist- und Brutplätze suchen, und ihren Kot anderenorts abgeben. Zu Gunsten des Beklagten mag allerdings sprechen, dass die Verlagerung der Nester nicht wieder zu einer ähnlichen Konzentration der Tauben und der von ihnen ausgehenden Gefahr führen müsste. Deshalb dürfte das Erfordernis der Eignung der angeordneten Netzabspannung - eine weitere Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung - nicht wegen der bloßen Vertreibung der Tauben zu anderen Nistplätzen entfallen. Ein indizieller Gesichtspunkt bei der Bewertung der Unmittelbarkeit zwischen Gefahr und Brückenbauwerk bleibt die Verschiebung des Problems trotzdem.

Die fehlende Unmittelbarkeit ergibt sich in Bezug auf das klägerische Brückenbauwerk ferner dadurch, dass nicht die Belästigung durch den von den Tauben abgegebenen Kot schon die Gefahr bildet, sondern erst der Umstand, dass dieser auf der Straße trocknet und als Staub von Menschen eingeatmet werden kann. Hinzukommt, dass es sich damit zugleich auch um ein Problem der insoweit nicht ausreichenden Straßenreinigung durch den dafür zuständigen Beklagten handelt.

Diese zu dem Umstand, dass die Tauben wilde Tiere sind, hinzukommenden Gesichtspunkte machen den Fall entgegen dem Vorbringen des Beklagten auch unvergleichbar mit der Inanspruchnahme eines Grundstückseigentümers wegen Ratten, die regelmäßig darin besteht, dass ihm das Auslegen von Rattengift auf seinem Grundstück aufgegeben wird.

Wenn der Beklagte meint, bei der Auslegung des VG würde § 13 Abs. 1 BSeuchG ins Leere gehen, da grundsätzlich niemand als Störer in Anspruch genommen werden könne, ist dem schon wegen der Fallgruppe der Handlungsstörer nicht zu folgen. Außerdem ist grundsätzlich auch eine Inanspruchnahme eines Grundstückseigentümers als Zustandsstörer nicht ausgeschlossen, wenn die Gefahr und das Grundstück hinreichend eng (unmittelbar) in Beziehung stehen, was z. B. im Zusammenhang mit Ratten oftmals durch Lagerung von Unrat oder Abfall oder durch sonstige dem Grundstück eigene Anziehungspunkte der Fall ist. Gegebenenfalls kommt ferner eine Inanspruchnahme sogar nicht verantwortlicher Personen nach § 19 OBG NRW in Betracht. Nicht immer, wenn eine Gefahr zu beseitigen ist, muss auch ein anderer in Anspruch genommen werden können. Ein weiterer Anwendungsbereich des § 13 BSeuchG wäre im Übrigen gegeben, wenn sich der Beklagte, nachdem er seit zehn Jahren mit anderen Mitteln versucht, des Taubenproblems Herr zu werden, entschließen würde, die Tiere zu töten, weil die Behörde nach § 13 BSeuchG wie nach § 17 IfSG nämlich wirksam zu handeln hat. Wie auch die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, würde ihm dann gegenüber den Regelungen des Tierschutzgesetzes ebenfalls § 13 BSeuchG bzw. die Nachfolgeregelung § 17 IfSG zur Seite stehen.



Ende der Entscheidung

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