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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.06.2007
Aktenzeichen: 13 A 4748/06
Rechtsgebiete: BÄO, GG


Vorschriften:

BÄO § 6 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 12 Abs. 1
Die Anordnung des Ruhens der Approbation nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO setzt ein rechtskräftiges Strafurteil nicht voraus.

Die Anordnung des Ruhens der Approbation nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO ist auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt, wenn Straftaten gegen die Ehre und Würde von Personen in Frage stehen und sich im Strafverfahren Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr ergeben haben.


Tatbestand:

Der Kläger wandte sich gegen die Anordnung des Ruhens der Approbation als Arzt. Diese war angeordnet worden, nachdem Anklage gegen ihn u. a. wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses, Körperverletzung und Nötigung erhoben worden war. Die entsprechenden Strafurteile des Amtsgerichts und des Landgerichts gegen den Kläger sind noch nicht rechtskräftig. Ein während des Strafverfahrens erlassenes vorläufiges Berufsverbot (§ 132a StPO) wurde vom BVerfG aufgehoben.

Das VG wies die Klage gegen die Ruhensanordnung unter Berücksichtigung des Strafurteils des Amtsgerichts zurück. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, bei dem das Strafurteil des Landgerichts berücksichtigt wurde, hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet und der ermöglichen soll, unbillige oder grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h., wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: April 2006, § 124 Rn. 26 ff; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 124 Rdnrn. 6 ff.; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.4.2007 - 13 A 3784/05 -, vom 29.3.2007 - 13 A 22/06 - und vom 8.3.2007 - 13 A 1417/05 -.

In diesem Sinne bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG, die Klage gegen die Anordnung des Ruhens der Approbation als Arzt abzuweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Zulassungsantrag, das BVerfG habe entschieden, dass die Anordnung des Ruhens der Approbation nur bei konkreter Gefahr für Gemeingüter in Betracht komme, und das VG habe seine Individualinteressen nur unzureichend mit den Allgemeininteressen abgewogen und sich nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, ob angesichts des Zeitraums seit den ihm vorgeworfenen Straftaten und seines fortgeschrittenen Alters die Gefahr einer erneuten Pflichtverletzung bestehe.

Das VG hat zutreffend die Voraussetzungen und den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO dargelegt und ist mit nicht zu beanstandenden Erwägungen - u. a. unter Berücksichtigung des Urteils des erweiterten Schöffengerichts - zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anordnung des Ruhens der Approbation des Klägers als Arzt durch die Beklagte rechtmäßig ist. Dem schließt sich der Senat auf der Grundlage einer eigenständigen Würdigung, die sich nunmehr auch auf das Strafurteil des Landgerichts gegen den Kläger erstreckt, sowohl hinsichtlich der Wertung des strafrechtlich relevanten Verhaltens des Klägers als auch hinsichtlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für seine Approbation als Arzt an. Auch nach Auffassung des Senats begründet das dem letztgenannten Strafurteil zu Grunde liegende Verhalten des Klägers in der Vergangenheit, nämlich der sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen, die Anstiftung zum Diebstahl und eine Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, seine Unwürdigkeit und Unzulässigkeit zur Ausübung des Arztberufs.

Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO knüpft an die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, an; eine strafrechtliche Verurteilung oder gar ein rechtskräftiges Strafurteil wird somit nicht vorausgesetzt. Konsequenterweise ist ohne Bedeutung, dass das Strafurteil des Landgerichts noch nicht rechtskräftig ist und demzufolge - wie der Kläger meint - rechtlich noch nicht abschließend geklärt ist, ob und welche strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen er sich hat zuschulden kommen lassen. Das Tatbestandsmerkmal "Verdacht einer Straftat" im Rahmen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO und - wenn dies zusätzlich für erforderlich gehalten wird - auch das Merkmal, dass eine Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sind mit der Verurteilung des Klägers durch das Strafurteil des Landgerichts eindeutig gegeben. Die notwendige eigenständige Würdigung im Rahmen dieser Bestimmung erfordert auch nicht die (erneute) Aufarbeitung der Vorwürfe gegen den Kläger unter strafrechtlichen Gesichtspunkten einschließlich etwaiger Entlastungsmomente durch die Gerichte eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, weil die strafrechtliche Wertung menschlichen (Fehl-)Verhaltens vorrangig Sache der Strafgerichte ist und auch die verwaltungsgerichtliche Verwertung eines ergangenen Strafurteils, bei dem keine gewichtigen Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der darin enthaltenen Tatsachenfeststellungen erkennbar sind, Teil der Würdigung ist, ob ein Arzt unwürdig und/oder unzuverlässig zur Ausübung seines Berufs ist. Dies gilt auch im Hinblick auf den besonderen Patientenkreis von Suchterkrankten, die der Kläger behandelt hat. Das Landgericht hat diesem Umstand in seinem Urteil Rechnung getragen und die Frage der Glaubwürdigkeit der den Kläger belastenden Zeugen einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. Für den Senat besteht auf Grund des insoweit relativ pauschalen Vorbringens des Klägers, die Einnahme von Drogen setze die Wahrnehmungsfähigkeit der Konsumenten herab, keine Veranlassung, die Tatsachenfeststellungen in dem Strafurteil in Frage zu stellen.

Das Vorbringen des Klägers im Zulassungsantrag verkennt zudem den besonderen Charakter der Maßnahme des Ruhens der Approbation. Bei der Anordnung des Ruhens der Approbation handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme, die dazu bestimmt ist, in unklaren Fällen oder Eilfällen einem Arzt die Ausübung ärztlicher Tätigkeit für bestimmte oder unbestimmte Zeit zu untersagen, wenn dies im Interesse der Allgemeinheit und zum Schutz von Patienten und/oder Patientinnen geboten ist. Sie erfasst insbesondere die Fälle, in denen eine Ungeeignetheit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs (noch) nicht endgültig feststeht und eine solche vorübergehender Natur in Frage steht. Steht die Ungeeignetheit oder Unwürdigkeit zur Ausübung des Berufs endgültig fest, darf die Approbation nicht zum Ruhen gebracht, sondern muss deren Widerruf nach § 5 Abs. 2 BÄO erwogen werden. Dementsprechend ist die Anordnung des Ruhens der Approbation, wenn sie den ihr zugedachten Zweck einer Präventionsmaßnahme zur Abwehr von Gefahren für einen unbestimmten Patientenkreis und damit zum Schutz der Allgemeinheit erfüllen soll, von ihrer Natur her insofern auf einen schnellen Vollzug angelegt, als es sich um eine vorläufige Berufsuntersagung und um eine vorübergehende Maßnahme handelt, die nach § 6 Abs. 2 BÄO aufzuheben ist, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Ruhensanordnung mit den begrenzten Auswirkungen in zeitlicher Hinsicht dient letztlich dem Schutz einer ordnungsgemäßen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, bei der es sich um ein hochrangiges Gut der Allgemeinheit handelt, und speziell dem Schutz der Patienten/Patientinnen vor einem Tätigwerden von Personen, deren Eignung zur Ausübung des Arztberufs zweifelhaft geworden ist.

Das Vorbringen des Klägers, das VG habe sich nur unzureichend mit der Abwägung seiner Individualinteressen gegenüber den Allgemeininteressen befasst und die Frage erneuter Pflichtverletzungen durch ihn nicht erörtert, gibt ebenfalls keine Veranlassung zu der Annahme, die Ruhensanordnung der Beklagten sei fehlerhaft. Dass im Rahmen der Ermessensentscheidung nur die Entscheidung, von der Anordnung des Ruhens der Approbation abzusehen, richtig gewesen wäre, ist auch im Hinblick auf den vom Kläger genannten Beschluss des BVerfG vom 4.10.2006 - 1 BvR 2403/06 - nicht erkennbar. Dieser Entscheidung lag mit der Folge, dass sie für dieses Verfahren nicht als einschlägig angesehen werden kann, ein anderer Sachverhalt und dementsprechend eine andere Wertung hinsichtlich der Gefahreneinschätzung zu Grunde, weil es dort um Abrechnungsbetrügereien des betroffenen Arztes/Zahnarztes ging und somit Vermögensinteressen der Krankenkassen und der Allgemeinheit in Frage standen, während es hier um sexuellen Missbrauch, Anstiftung zum Diebstahl und zur Nötigung und um Freiheitsberaubung und damit um den unmittelbaren Schutz von Personen und deren Ehre und Würde geht. Die - durch Strafurteile erhärteten - Vorwürfe gegen den Kläger einerseits und die betroffenen Schutzgüter andererseits lassen es aus Gründen des Patientenschutzes geboten erscheinen, dem Kläger die Behandlung von Patienten durch Anordnung des Ruhens der Approbation zu untersagen. Eine andere Wertung rechtfertigt sich auch nicht wegen des den Kläger betreffenden Beschlusses des BVerfG vom 15.12.2005 - 2 BvR 673/05 - zu einem während des Strafverfahrens erlassenen vorläufigen Berufsverbot, weil die Wirkungen der Entscheidung des BVerfG zum strafrechtlichen vorläufigen Berufsverbot und dessen Erwägungen inzwischen überholt sind durch die gegen den Kläger ergangenen Strafurteile. Zudem haben der im Strafverfahren gehörte Sachverständige und als Folge von dessen Bewertung auch das Amtsgericht und das Landgericht ausgeführt, dass beim Kläger eine hohe Rückfallgefahr und dementsprechend eine Wiederholungsgefahr besteht, wenn er weiterhin als Arzt tätig sein sollte. Das zwischenzeitliche Alter des Klägers gibt ebenfalls keine Veranlassung, von der Anordnung des Ruhens der Approbation als Arzt abzusehen. Der Kläger war zum Zeitpunkt der im Strafverfahren verhandelten Taten bereits ca. 67/68 Jahre alt. Angesichts dessen, dass der Kläger somit im fortgeschrittenen Alter wegen der angeklagten und abgeurteilten Delikte straffällig geworden ist, ist nicht ersichtlich, dass er in der Zeit zwischen 67/68 und 72 Jahren eine Läuterung erfahren hat, die den Schluss auf eine nicht mehr anzunehmende Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde. Der Wunsch des Klägers, die Approbation etwa aus Gründen der Reputation behalten zu können, ist im Rahmen des § 6 BÄO unerheblich.

Ende der Entscheidung

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