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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.12.2008
Aktenzeichen: 13 A 522/06
Rechtsgebiete: AMNG


Vorschriften:

AMNG Art. 3 § 7
Der Wechsel von einem Nicht-Heilmittel zu einem Heilmittel stellt ein unzulässiges Verlassen des Anwendungsbereichs dar.
Tatbestand:

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin zeigte im Juni 1978 gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts (AMNG) das im Verkehr befindliche Fertigarzneimittel "U." an. Die Anwendungsgebiete wurden wie folgt beschrieben: "Unterstützt die Leberfunktion, fördert die Gallebildung, regt den Gallefluß an". Im März 1990 wurde die Verlängerung der Zulassung des Arzneimittels beantragt. In dem im September 1993 eingegangenen sog. Langantrag führte die Klägerin zu den Anwendungsgebieten der inzwischen als "M." bezeichneten Arzneimittels aus: "Zubereitungen: Toxische Leberschäden; zur unterstützenden Behandlung bei chronisch-entzündlichen Lebererkrankungen und Leberzirrhose." Das Bundesgesundheitsamt (BGA) teilte der Klägerin mit, die Änderung der Indikationen sei unzulässig, weil hiermit der bisherige Anwendungsbereich des angezeigten Arzneimittels verlassen worden sei. Die Klägerin widersprach dieser Auffassung und machte geltend, sowohl "U." als auch "M." seien als ein Heilmittel mit krankheitswertiger Indikation anzusehen. Der ursprünglich breite Anwendungsbereich werde nicht verlassen, sondern bei "M." eingeengt. Auch die ATC-Klassifikation sehe für beide Arzneimittel die gleiche Kodierung vor. Mit Bescheid vom 29.1.2002 lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Antrag auf Verlängerung der Zulassung für das streitbefangene Arzneimittel ab: Die Änderung der Anwendungsgebiete erfordere eine Neuzulassung. Die 1978 erfolgte Indikationsangabe entspreche einer Prophylaxe. Die jetzigen Anwendungsgebiete beträfen die Anwendung während einer Erkrankung. Die Einstufung des ATC-Codes sei unerheblich, weil sie nach anatomischen, nicht nach therapeutischen Gesichtspunkten erfolge.

Die auf Neubescheidung gerichtete Klage wies das VG ab, weil die Klägerin das Arzneimittel unzulässig geändert habe. Die vom OVG zugelassene Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin durch Beschluss nach § 130a VwGO. Die Rechtssache weist auch keine außergewöhnlich großen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf, die einer Entscheidung durch Beschluss entgegenstehen könnten. Dass der Senat die Zulassung die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen hat, steht dem nicht entgegen. Denn insoweit hat sich die Situation inzwischen durch die Urteile des BVerwG vom 21.5.2008 (- 3 C 14.07 -, NVwZ-RR 2008, 692, - 3 C 15.07 -, Arzneimittel & Recht 2008, 184) geändert. In diesen Entscheidungen sind die Rechtsfragen, die für das vorliegende Berufungsverfahren im Wesentlichen von Bedeutung sind, geklärt worden.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags. Nach § 105 Abs. 4f Satz 1 Hs. 1 AMG ist die Zulassung nach Absatz 1 auf Antrag nach § 105 Abs. 3 Satz 1 AMG um fünf Jahre zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Eine Verlängerung der Zulassung setzt daher zunächst voraus, dass für das jeweilige Arzneimittel eine "Zulassung nach Absatz 1", also eine fiktive Zulassung nach § 105 Abs. 1 AMG oder (bis zum Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 9.8.1994, BGBl. I S. 2071) nach Art. 3 § 7 Abs. 1 AMNG entstanden ist und diese im Zeitpunkt des Verlängerungsbescheides noch fortbesteht.

Das (ursprüngliche) Arzneimittel "U." ist zwar gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMNG in der Fassung vom 24.8.1976 (BGBl. I S. 2445) ordnungsgemäß angezeigt worden, und auch die Verlängerung der fiktiven Zulassung nach Art. 3 § 7 Abs. 3 Satz 1 AMNG in der soeben genannten Fassung (sog. "Kurzantrag") wurde fristgemäß beantragt. Gegenstand des am 30.9.1993 gestellten sog. Langantrags nach Art. 3 § 7 Abs. 4 Satz 4 AMNG in der Fassung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11.4.1990 (BGBl. I S. 717) war jedoch nicht mehr das ursprünglich angezeigte und vom Kurzantrag umfasste Arzneimittel, sondern ein unzulässig geändertes Arzneimittel. Die fiktive Zulassung des ursprünglich angezeigten Arzneimittels erstreckt sich nicht auf das geänderte Arzneimittel, weil die im September 1992 angezeigte Änderung den durch Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG in der auch insoweit maßgeblichen, vgl. BVerwG, Urteile vom 21.5.2008 - 3 C 14.07 - und - 3 C 15.07 -, a. a. O., im Zeitpunkt der Änderung geltenden Fassung des Vierten Änderungsgesetzes gesteckten Rahmen überschritten hat. Daraus folgt, dass das geänderte Arzneimittel mangels fortbestehender fiktiver Zulassung einer Neuzulassung bedarf.

Nach Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMNG in der genannten Fassung durfte ein nach Art. 3 § 7 Abs. 1 AMNG fiktiv zugelassenes Fertigarzneimittel bis zur erstmaligen Verlängerung der Zulassung abweichend von § 29 Abs. 3 AMG mit geänderter Art und Menge der arzneilich wirksamen Bestandteile ohne Erhöhung ihrer Anzahl innerhalb des gleichen Anwendungsbereichs und der gleichen Therapierichtung in den Verkehr gebracht werden, wenn das Arzneimittel insgesamt einem nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG bekannt gemachten Ergebnis oder einem vom BGA vorgelegten Muster für ein Arzneimittel angepasst und das Arzneimittel durch die Anpassung nicht verschreibungspflichtig wurde.

Der Senat teilt die Auffassung des VG, dass die Änderung des Anwendungsgebiets von "Unterstützt die Leberfunktion, fördert die Gallebildung, regt den Gallefluß an" in "Zubereitungen: Toxische Leberschäden; zur unterstützenden Behandlung bei chronisch-entzündlichen Lebererkrankungen und Leberzirrhose." als Verlassen des bisherigen Anwendungsbereichs des Arzneimittels zu werten ist.

Der Begriff "Anwendungsbereich" ist von dem Begriff des "Anwendungsgebiets" zu trennen; dies ergibt sich aus § 36 Abs. 1 Satz 2 AMG. Der Begriff des "Anwendungsbereichs" muss eng verstanden werden, weil der Gesetzgeber ihn in einer Vorschrift verwendet, die ausnahmsweise von einer nach § 29 Abs. 3 AMG für notwendig erachteten neuen Zulassung entbindet. Das gebietet ein Verständnis des Begriffs in der Weise, dass er zwar auch, aber eben nur, diejenigen Fälle erfasst, in denen die Anwendungsgebiete des ursprünglichen und des geänderten Arzneimittels sich nicht wesentlich unterscheiden, zumindest aber nahe verwandt sind. Dies ist dann der Fall, wenn die gewählten Indikationsangaben mit den bisherigen Indikationsangaben nahe verwandt sind und das Arzneimittel im Wesentlichen der Behandlung der gleichen Grunderkrankung dient, so dass gewissermaßen der gleiche Patient behandelt wird.

Vgl. OVG Berlin, Urteil vom 20.9.2001 - 5 B 15.99 -, Pharma Recht 2002, 47; OVG NRW, Beschlüsse vom 20.6.2007 - 13 A 744/06 -, juris, vom 20.11.2008 - 13 A 3567/06 -, juris, mit Ausführungen zur legislativen Entwicklung von § 29 Abs. 2a und Abs. 3 AMG, und vom 2.12.2008 - 13 A 4726/06 -, juris.

Hiervon ausgehend erweist sich die Annahme des BfArM, der Wechsel von einem Nicht-Heilmittel zu einem Heilmittel stelle ein unzulässiges Verlassen des Anwendungsbereichs dar, als richtig. Das Arzneimittel war in seiner 1978 angezeigten und mit dem sog. Kurzantrag geänderten Indikationsformulierung ausschließlich zur Förderung und Unterstützung bestimmter Organfunktionen bestimmt. Seit der Änderung der Indikationen im Jahr 1993 soll es hingegen zur Anwendung bei schwerwiegenden Erkrankungen kommen. Zwar betrifft die Verwendung in beiden Indikationsfällen das Organ "Leber", der Zweck der Anwendung ist allerdings unterschiedlich. Bis zur Änderung der Indikationen war die Anwendung unterstützender Natur, nunmehr betrifft sie ein heilendes Anwendungsgebiet. Auf Grund der Änderungsanzeige vom 25.8.1993 wandelte sich das Arzneimittel zu einem Heilmittel gegen krankheitswerte Zustände.

Zum Wechsel eines Vorbeugemittels zu einem Mittel mit "krankheitswertiger Indikation" vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 20.11.2008 - 13 A 3567/06 -, juris.

Zutreffend geht das VG davon aus, vor diesem Hintergrund bestehe kein Anlass zu der Annahme, der angesprochene Patientenkreis könne vor und nach der Indikationsänderung im Wesentlichen gleich geblieben sein. Ohne Belang ist demgegenüber der Vortrag der Klägerin, bereits "U." habe auf die Behandlung von Lebererkrankungen abgezielt und sei hierzu angesichts seiner arzneilich wirksamen Bestandteile auch geeignet gewesen. Denn ein auf die Behandlung bestimmter Lebererkrankungen zielendes Anwendungsgebiet hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin gerade nicht in Anspruch genommen. An der Sache vorbei geht deshalb auch die in den vorgelegten Stellungnahmen von Prof. Dr. T. zum Ausdruck gebrachte Auffassung, eine Unterstützung und Anregung der Leberfunktion, wie sie 1978 angezeigt worden sei, sei nur dann medizinisch vertretbar, wenn eine Störung der Leberfunktion vorliege, was einer krankhaften Veränderung entspreche, die unterstützende Maßnahmen erforderlich mache.

Dies gilt schließlich ebenso für die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Einstufung des angezeigten und des geänderten Arzneimittels in das anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikationssystem (ATC-Code), das eine Liste therapeutisch nutzbarer Arzneistoffe als wirksame Bestandteile eines Arzneimittels umfasst. Wie das VG bereits zutreffend ausgeführt hat, kommt dem ATC-Code keine inhaltliche Bindungswirkung für das Nachzulassungsverfahren zu. Sie ergibt sich auch nicht durch die 6. Bekanntmachung des BGA (BAnz. 1990 S. 5827), denn in dieser Bekanntmachung ist im Wesentlichen nur geregelt, dass der ATC-Code bei der Bezeichnung zu verwenden sei.

Ende der Entscheidung

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