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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 11.02.2009
Aktenzeichen: 13 A 977/07
Rechtsgebiete: AMG, RL 92/27/EWG, RL 92/73/EWG, RL 2001/83/EG, RL 2004/24/EG


Vorschriften:

AMG § 10
AMG § 11
AMG § 28 Abs. 2
AMG § 105 Abs. 5a
RL 92/27/EWG Art. 7 Abs. 3
RL 92/73/EWG Art. 7 Abs. 2
RL 2001/83/EG Art. 16g
RL 2001/83/EG Art. 54 ff.
RL 2004/24/EG Art. 1
Für die Annahme einer "bei der Anwendung des Arzneimittels" drohenden Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier i. S. v. § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AMG ist ausreichend, dass die Anwendung des Arzneimittels die in Rede stehende Gefahr hervorruft oder mehr als unwesentlich erhöht, auch wenn zur Realisierung der Gefahr weitere Umstände hinzutreten müssen; unter dieser Voraussetzung kommt die Anordnung eines "differentialdiagnostischen Hinweises" durch Auflage zum (Nach-) Zulassungsbescheid - auch bei freiverkäuflichen Arzneimitteln - in Betracht (wie Urteile vom 11.2.2009 - 13 A 2150/06, 13 A 2446/06 und 13 A 976/07 -).

Ist die Forderung nach einem "differentialdiagnostischen Hinweis" im Einzelfall auf der Grundlage von § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG gerechtfertigt, so kann die konkrete Gestaltung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG entsprechend einem für die Wirkstoffkombination erstellten Muster verlangt werden (wie Urteil vom 11.2.2009 - 13 A 976/07 -).


Tatbestand:

Die Klägerin beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung für ein im Juni 1978 von ihr angezeigtes freiverkäufliches Arzneimittel, das Extrakte aus Baldrianwurzel und Hopfenzapfen enthält. Diese Verlängerung wurde im März 2003 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gewährt. Der Bescheid enthält eine Reihe von "Auflagen" betreffend die Gestaltung der Packungsbeilage. Unter anderem soll diese in der Rubrik "Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Warnhinweise" den folgenden Hinweis enthalten: "Sollten die Einschlafstörungen nach 2 Wochen fortlaufender Anwendung anhalten oder zunehmen, sollte ein Arzt aufgesucht werden". In einem unmittelbar unter der Überschrift "Gebrauchsinformation" eingefügten Kasten soll u. a. die Aufforderung "Wenn sich Ihr Krankheitsbild verschlimmert oder nach 14 Tagen keine Besserung eintritt, müssen Sie auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen" aufgenommen werden. Auf die Klage der Klägerin hob das VG die vorgenannten Auflagen auf. Das OVG änderte die erstinstanzliche Entscheidung und wies die Klage ab.

Gründe:

(...) Gegenstand der Entscheidung ist die Auflage A.11 des Nachzulassungsbescheides vom 25.3.2003, soweit der dort angeordnete Text der Gebrauchsinformation sich auf den "differentialdiagnostischen Hinweis" bezieht, in der Gestalt, die sie durch die Änderung in dem Schriftsatz der Beklagten vom 20.4.2007, klargestellt durch Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 11.2.2009, erhalten hat. Die Klägerin hat die Änderung ausdrücklich in das Verfahren einbezogen; Bedenken gegen die Zulässigkeit dieser Einbeziehung bestehen nicht.

Die Klage gegen diese Auflage ist zulässig, aber unbegründet; die Auflage ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die genannte Auflage, soweit darin der in Rede stehende "differentialdiagnostische Hinweis" angeordnet wird, ist § 105 Abs. 5a S. 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a), Nr. 1 lit. a) AMG. Nach diesen Vorschriften können Auflagen angeordnet werden, um sicherzustellen, dass die Packungsbeilage den Vorschriften des § 11 AMG entspricht; dabei kann angeordnet werden, dass Hinweise oder Warnhinweise angegeben werden müssen, soweit sie erforderlich sind, um bei der Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier zu verhüten. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1. Tatbestandliche Voraussetzung der Ermächtigung des § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG ist zunächst eine bei der Anwendung des Arzneimittels drohende Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier. Als "Gefahr" wird im Allgemeinen eine Sachlage bezeichnet, die bei ungehindertem Ablauf den Eintritt eines Schadens erwarten lässt.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 27.9.2005 - 13 A 4378/03 -, A & R 2006, 128, und - 13 A 4090/03 -, Pharma Recht 2005, 497; dazu auch Brixius/Maur, Die Auslegung des Gefahrbegriffs im Kontext arzneimittelrechtlicher Auflagen, Pharma Recht 2007, 14 ff.

Dabei hängt die für die Annahme einer Gefahr erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach den Grundsätzen des Ordnungsrechts maßgeblich von dem gefährdeten Schutzgut ab. Je gewichtiger dieses ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.

Vgl. nur Schoch, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2005, Kap. 2 "Polizei- und Ordnungsrecht" Rdnr. 89 f.; siehe auch BVerfG, Urteil vom 11.3.2008 - 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07 -, NJW 2008, 1505 (1515).

Diese Grundsätze lassen sich - nicht zuletzt aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Hintergrunds - auch im vorliegenden Kontext fruchtbar machen; wie bei einer ordnungsrechtlichen Maßnahme hat auch hier eine wertende Betrachtung zu erfolgen. Da es sich bei den Gefährdungen im Zusammenhang mit der Anwendung des Arzneimittels, vor denen die Auflage schützen soll, schon tatbestandlich um Gefährdungen der Gesundheit handeln muss und damit ein hochrangiges Rechtsgut betroffen ist, zu dessen Schutz der Staat aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet ist, sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eher gering. Auf der anderen Seite ist allerdings zu berücksichtigen, dass es nicht lediglich um eine Maßnahme der Risikovorsorge, also ein Einschreiten im Vorfeld der Gefahrenabwehr gehen darf. Denn der Gesetzgeber unterscheidet (auch) im Arzneimittelgesetz zwischen dem Begriff der Gefahr und demjenigen des Risikos, den er etwa in § 4 Nr. 27 und § 28 Abs. 3 lit. c) AMG verwendet und in § 6 Abs. 1 S. 1 letzter Hs. AMG sogar dem Begriff der Gefahr gegenüberstellt.

Des Weiteren erfordert § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AMG eine "bei der Anwendung des Arzneimittels" drohende Gefahr. Unabhängig davon, ob die Ermächtigung durch diesen Zusatz auf die Abwehr solcher Gefahren begrenzt wird, die im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Arzneimittels entstehen können, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 10.11.2005 - 13 A 4246/03 -, juris; OVG Berlin, Beschluss vom 9.6.2000 - 5 N 32.99 -, juris; Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, S. 170 f., muss jedenfalls eine Gefahr vorliegen, die bei der Anwendung des Arzneimittels selbst entsteht, also durch die Anwendung des Arzneimittels hervorgerufen wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2006 - 3 B 17.06 -, NJW 2007, 859 = A & R 2007, 83.

Dies ergibt sich letztlich auch aus dem Zweck des Arzneimittelgesetzes, das im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln sorgen soll (§ 1 AMG), nicht aber sonstige Ziele der Gesundheitsfürsorge verfolgt. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber neben der unmittelbaren ausdrücklich auch eine mittelbare Gefährdung genügen lässt, sind an das der Sache nach hier angesprochene Erfordernis der Kausalität jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass die Anwendung des Arzneimittels die in Rede stehende Gefahr hervorruft oder mehr als unwesentlich erhöht, auch wenn zur Realisierung der Gefahr weitere Umstände hinzutreten müssen.

Vgl. auch VG Köln, Urteil vom 18.11.2008 - 7 K 8670/99 -, juris; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand: Juni 2008, § 6 Anm. 7.

Gemessen an diesen Anforderungen ist vorliegend eine (mittelbare) Gefährdung der Gesundheit bei der Anwendung des Arzneimittels anzunehmen. Diese resultiert daraus, dass die Indikationen des - freiverkäuflichen - Arzneimittels, also Einschlafstörungen, zwar häufig im Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen auftreten, also nervös bedingt sind, dass sie aber auch ernsthafte, behandlungsbedürftige organische oder psychiatrische Ursachen haben können. Die Beklagte hat insoweit beispielhaft Hirntumore, Depressionen, Angstzustände, Schizophrenie, Alzheimer-Krankheit, Schilddrüsenfunktionsstörungen und Bluthochdruck genannt. Daneben kommen etwa auch Enzephalitis oder Herzinsuffizienz in Betracht.

Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2007, Stichwort "Insomnie".

Im Einzelfall kann es also notwendig sein, nervöse Beschwerden von Anhaltspunkten für die genannten Krankheiten differentialdiagnostisch abzugrenzen. Von einem durchschnittlichen Verbraucher, der, ohne einen Arzt oder Apotheker zu konsultieren, in Drogerien, Reformhäusern oder Supermärkten nach einem zu seinen Beschwerden "passenden" Mittel Ausschau hält, können die erforderlichen diagnostischen Fähigkeiten indes nicht ohne Weiteres erwartet werden.

Vgl. OVG Berlin, Urteile vom 16.8.2001 - 5 B 3.00, 5 B 4.00, 5 B 5.00 -, juris; nachfolgend BVerwG, Beschlüsse vom 26.9.2002 - 3 B 131.01, 3 B 132.01, 3 B 140.01 -, juris.

Kommt es zu einer verzögerten Behandlung der genannten Krankheiten oder unterbleibt diese vollständig, so kann dies gesundheitliche Nachteile zur Folge haben. Zwar haben die Erkrankungen selbst ihre Ursache nicht in der Anwendung des streitgegenständlichen Präparats. Auch das Ausbleiben oder die Verzögerung der erforderlichen Behandlung ist in erster Linie Folge einer Fehleinschätzung des Patienten über den eigenen Gesundheitszustand. Das Inverkehrbringen und die Anwendung eines freiverkäuflichen Arzneimittels mit dem Anwendungsgebiet "Einschlafstörungen" erhöht aber die Gefahr, dass eine (rechtzeitige) Behandlung unterbleibt. Denn das Arzneimittel erhebt den Anspruch, entsprechende Beschwerden lindern zu können und vermag damit die Gefahr, diese Beschwerden zu unterschätzen, zu fördern. Der Gedanke, die - bekanntermaßen häufig nervös bedingten - Beschwerden mit einer ohne großen Aufwand zu beschaffenden, bewährten und nebenwirkungsarmen Wirkstoffkombination wie Baldrian und Hopfen zu behandeln, es "erst einmal ohne Arztbesuch zu versuchen", liegt nahe. Insoweit trägt die Anwendung des Arzneimittels durchaus zu der in Rede stehenden Gefährdung bei. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient die Grenzen der Selbstmedikation verkennt und aufgrund einer Fehlvorstellung über die Ursache seiner Beschwerden die gebotene Konsultation eines Arztes (übermäßig lange) unterlässt, mag zwar gering sein, da der Patient zumeist eine Vorstellung davon haben wird, ob seine Beschwerden nervös bedingt sein, ihre Ursache also etwa in besonderen Lebensumständen haben können. Da im vorliegenden Zusammenhang indes - wie oben erläutert - eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit genügt, hält der Senat eine Gefährdung im Sinne der Vorschriften für gegeben.

2. Insoweit unterscheidet sich das in Rede stehende Arzneimittel von "Traditionsarzneimitteln" im Sinne von § 109 Abs. 3 AMG, insbesondere von solchen, deren Anwendungsgebiete nicht die Heilung von Krankheiten umfassen. Der Senat hat bereits entschieden, dass bei einem solchen, im Verfahren nach § 109a Abs. 3 AMG nachzugelassenen Arzneimittel, grundsätzlich kein Raum für die Anordnung eines "differentialdiagnostischen Hinweises" ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.11.2005 - 13 A 4246/03 -, a. a. O.

Auch das BVerwG teilt diese Einschätzung und hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorgenannten Urteil des Senats zurückgewiesen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.12.2006 - 3 B 17.06 -, a. a. O., mit Anmerkung Pabel, Pharma Recht 2007, 111.

Ausgangspunkt beider Entscheidungen sind die Besonderheiten der traditionellen Arzneimittel. Der Gesetzgeber hat bei diesen Arzneimitteln auf einen Wirksamkeitsnachweis verzichtet und angeordnet, dass dies durch einen entsprechenden Hinweis auf Behältnis, Umhüllung und Packungsbeilage des Arzneimittels deutlich gemacht wird. Da der Gesetzgeber dies als eine hinreichende Aufklärung über Charakter und Funktion entsprechender Arzneimittel ansieht, ist für einen Hinweis des Inhalts, dass bei gravierenden Beschwerden ein Arzt zu Rate gezogen werden soll, grundsätzlich kein Raum. Auf andere als die traditionellen Arzneimittel sind diese Überlegungen nicht ohne Weiteres übertragbar. Dies dürfte auch für den Beschluss des BVewG gelten. Zwar wird dort neben den aus den Besonderheiten der Traditionszulassung resultierenden Gründen gegen die Zulässigkeit des Hinweises auch auf die Freiverkäuflichkeit dieser Arzneimittel hingewiesen; dabei handelt es sich aber erkennbar um ein ergänzendes Argument. Dass ein entsprechender Hinweis bei freiverkäuflichen Arzneimitteln generell unzulässig wäre, lässt sich dem nicht ohne Weiteres entnehmen.

Anderer Ansicht Kleist, Differentialdiagnostischer Hinweis - quo vadis?, in: Wartensleben u. a. (Hrsg.), Iuri pharmaceutico deditus, Festschrift für Axel Sander zum 65. Geburtstag, 2008, S. 149 (153 f.).

Auch der Einwand des BVerwG, dass ein entsprechender Hinweis das System des Arzneimittelgesetzes verlasse, ist auf die Besonderheiten traditioneller Arzneimittel zu beziehen. Dass ein solcher Hinweis generell aus dem Regelungszusammenhang herausfällt, auch wenn es um eine durch die Anwendung des Arzneimittels (mit-)verursachte Gefahr geht, ist nicht anzunehmen. Dagegen spricht bereits, dass der Gesetzgeber den "differentialdiagnostischen Hinweis" selbst für bestimmte Gruppen von Arzneimitteln angeordnet hat (näher dazu unter 4.).

3. Soweit in § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG auf § 11 AMG Bezug genommen wird, stellt dies die Rechtmäßigkeit der Anordnung des streitgegenständlichen Hinweises ebenfalls nicht in Frage. Der Senat folgt insbesondere auch nicht der Auffassung der Klägerin, dass § 11 AMG der geforderten Auflage deshalb entgegenstehe, weil er in Abs. 1 S. 1 eine abschließende Aufzählung in Betracht kommender Informationen enthalte und den "differentialdiagnostischen Hinweis" nicht erwähne. Es spricht einiges dafür, dass die Auflage in ihrer jetzigen Fassung die Angabe einer "Vorsichtsmaßnahme für die Anwendung" (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b) AMG) oder eines "Warnhinweises" (§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. d) AMG) betrifft. Doch selbst wenn man den geforderten Hinweis nicht als eine der dort aufgezählten Informationen einordnete, ließe er sich jedenfalls unter § 11 Abs. 1 S. 5 AMG i. d. F. der 14. AMG-Novelle bzw. § 11 Abs. 1 S. 4 AMG a. F., zur Frage des anwendbaren Rechts vgl. auch § 141 Abs. 1 AMG, fassen. Danach sind neben den aufgezählten Informationen "weitere Angaben" zulässig, soweit sie mit der Anwendung des Arzneimittels im Zusammenhang stehen, für die gesundheitliche Aufklärung der Patienten wichtig sind und den Angaben nach § 11a AMG nicht widersprechen. Durch diese Regelung wird der limitierende Charakter der Aufzählung in § 11 Abs. 1 S. 1 AMG in gewissem Maße aufgeweicht. Angesichts des in § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AMG ("...bei der Anwendung...") vorausgesetzten und vorliegend gegebenen Zusammenhangs mit der Anwendung des Arzneimittels und der aufgezeigten Gefährdung wäre eine Aufnahme des "differentialdiagnostischen Hinweises" jedenfalls auf dieser Grundlage gerechtfertigt.

Auch aus dem zugrunde liegenden Gemeinschaftsrecht ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine abweichende Sichtweise. Eine entsprechende "Öffnungsregelung" enthielt bereits die Richtlinie 92/27/EWG vom 31.3.1992 über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln, in deren Erwägungsgründen zwischen Verzeichnissen und nicht erschöpfenden Verzeichnissen differenziert wird. In Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie war vorgesehen, dass die Packungsbeilage zur Veranschaulichung einiger der in Absatz 1 genannten Informationen Zeichen oder Piktogramme sowie weitere mit der Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses zu vereinbarende Informationen enthalten kann, die für die Gesundheitsaufklärung wichtig sind. Der Umsetzung dieser Vorgabe diente § 11 Abs. 1 S. 4 AMG a. F.

Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zur 5. AMG-Novelle, BT-Drucks. 12/6480, S. 18.

Durch die Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel sind die Richtlinie 92/27/EG aufgehoben und ihre Vorschriften in Art. 54 ff. des "Gemeinschaftskodex" übernommen worden. Die "Öffnungsregelung" ist nunmehr in Art. 62 der Richtlinie 2001/83/EG enthalten, ohne dass sich gegenüber der bisherigen Vorschrift Änderungen ergeben hätten.

Auch einer Trennung dieser "weiteren Angaben" von den "Pflichtangaben" bedürfte es insoweit nicht. Denn das entsprechende, bereits in der Ausgangsfassung des Arzneimittelgesetzes 1976 enthaltene Gebot des § 11 Abs. 5 S. 2 AMG dürfte seinem Zweck nach nicht anwendbar sein, wenn die zusätzliche Angabe - wie hier - in unmittelbarem Zusammenhang mit den "Pflichtangaben" steht, die dortigen Informationen also vertieft.

Vgl. Kloesel/Cyran, a. a. O., § 11 Anm. 69, 88.

Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber in denjenigen Fällen, bei denen er selbst einen "differentialdiagnostischen Hinweis" fordert (näher dazu unter 4.), keine Trennung von den übrigen Angaben verlangt, sondern den Hinweis vielmehr in deren Aufzählung einreiht.

4. Der Umstand, dass das Arzneimittelgesetz bei zwei Gruppen von Arzneimitteln ausdrücklich einen "differentialdiagnostischen Hinweis" fordert, nämlich bei in das Register eingetragenen homöopathischen Arzneimitteln (§ 11 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 10 AMG) und bei traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln nach § 39a AMG (§ 11 Abs. 3b S. 2 i. V. m. § 10 Abs. 4a S. 1 Nr. 2 AMG), steht der streitigen Auflage ebenfalls nicht entgegen.

Aus diesen Spezialregelungen lässt sich nicht schließen, dass der Gesetzgeber die Forderung nach einem "differentialdiagnostischen Hinweis" bei sonstigen Arzneimitteln hat ausschließen wollen. Dies legt bereits die Entstehungsgeschichte der zitierten Vorschriften nahe. Die Regelungen in §§ 11 Abs. 3 S. 1 und § 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 10 AMG haben mit der 5. AMG-Novelle (1994) Eingang in das Gesetz gefunden und dienten der Umsetzung der entsprechenden Vorgabe in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 92/73/EWG vom 22.9.1992 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 65/65/EWG und 75/319/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel und zur Festlegung zusätzlicher Vorschriften für homöopathische Arzneimittel. Die Regelungen in §§ 11 Abs. 3b S. 2 und § 10 Abs. 4a S. 1 Nr. 2 AMG wiederum sind mit der 14. AMG-Novelle (2005) eingeführt worden und hatten die Umsetzung der entsprechenden Vorgabe in dem durch die Änderungsrichtlinie 2004/24/EG vom 31.3.2004 eingefügten Art. 16g Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel zum Ziel. Die in Rede stehenden Vorschriften entstammen damit auf europäischer Ebene Rechtssetzungsverfahren, bei denen nicht das Arzneimittelgesetz als Ganzes im Fokus stand, sondern besondere Regelungen für bestimmte Gruppen von Arzneimitteln geschaffen werden sollten. Dementsprechend sind Schlüsse auf das bei anderen Arzneimitteln geltende Rechtsregime nur eingeschränkt möglich. Auch den Begründungen der Umsetzungsgesetze lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber über die Frage der Zulässigkeit oder Erforderlichkeit eines "differentialdiagnostischen Hinweises" bei anderen Arzneimitteln eine Regelung hat treffen wollen.

Vgl. BT-Drucks. 12/6480, S. 19, und BT-Drucks. 15/5316, S. 34 f.

Insoweit greifen auch die Bedenken des VG, die an die Verwendung des Wortes "zusätzlich" in § 10 Abs. 4a und § 11 Abs. 3b S. 2 AMG sowie in Art. 16g Richtlinie 2001/83/EG anknüpfen, für den vorliegenden Fall nicht durch. Das Wort ist jeweils erforderlich, um klarzustellen, dass auch die übrigen Pflichtangaben für das Behältnis und die Packungsbeilage nicht unterbleiben dürfen. Zugleich ergibt sich daraus - wie auch schon aus dem Umstand der Einfügung der Sonderregelungen selbst -, dass ein differentialdiagnostischer Hinweis nicht stets zu den gesetzlichen Pflichtangaben gehört. Daraus wird des Weiteren wohl auch zu folgern sein, dass ein solcher Hinweis nicht generell, bei allen freiverkäuflichen Arzneimitteln ohne Rücksicht auf den Einzelfall zu den Pflichtangaben gezählt und per Auflage gefordert werden kann. Dafür, dass die Behörde einen solchen Hinweis auch dann nicht als Pflichtangabe oder als weitere Angabe verlangen darf, wenn er im konkreten Fall zur Abwehr einer Gefährdung der Gesundheit erforderlich ist, gibt die genannte Formulierung hingegen nichts her.

5. In der Gestalt, die sie durch die Änderung vom April 2007 erhalten hat und die sich von der dem erstinstanzlichen Urteil zugrunde liegenden Fassung erheblich unterscheidet, ist die Auflage auch zur Erfüllung des verfolgten Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen.

Diese Einschätzung beruht wesentlich auf der vom Komitee für pflanzliche Arzneimittel der EMEA veröffentlichten Monographie zu Valeriana officinalis L., radix (Baldrianwurzel) vom 26.10.2006 und dem ihr zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnismaterial. In der Monographie wird ausgeführt, dass der Wirkstoff für eine Akutbehandlung nicht geeignet ist, sondern ein fortlaufender Gebrauch von zwei bis vier Wochen empfohlen wird, um einen optimalen Behandlungseffekt zu erzielen. Auch aus der vorgelegten Zusammenfassung des Studienmaterials durch die HagerROM (2005) ergibt sich, dass nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse eine einmalige oder nur wenige Tage andauernde Anwendung von Baldrian regelmäßig keinen therapeutischen Effekt mit sich bringt, dass aber nach zweiwöchiger fortgesetzter Behandlung in der Regel eine Besserung eingetreten sein sollte.

Ein Teil der Studien ist zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass erst eine noch längere fortlaufende Behandlung zu deutlich spürbaren Effekten führt. Dennoch erscheint die gewählte Frist von zwei Wochen, die auch dem in der EMEA-Monographie selbst empfohlenen "differentialdiagnostischen Hinweis" entspricht, vertretbar. Denn auch bei diesen Studien hat sich ein gewisser Effekt bereits nach Ablauf von zwei Wochen eingestellt. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass das Aufsuchen eines Arztes lediglich empfohlen wird ("...sollte..."). Der Patient wird damit erkennbar aufgefordert, nach Ablauf von zwei Wochen fortlaufender Behandlung die Ursache seiner Beschwerden zu hinterfragen, insbesondere zu erwägen, ob sie vor dem Hintergrund seiner gegenwärtigen Lebensumstände nervös bedingt sein können, und einen Arztbesuch in Betracht zu ziehen.

Die Auflage ist der Klägerin gegenüber auch nicht unangemessen. Zwar greift sie in das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse des pharmazeutischen Unternehmers, die Packungsbeilage nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten zu dürfen, ein. Jedoch dient dieser Eingriff, wie oben ausgeführt, wichtigen Gründen des Gemeinwohls. Insbesondere stehen der Rechtposition der Klägerin die Positionen der Patienten gegenüber, die ebenfalls grundrechtlichen Schutz, namentlich den des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, genießen. Ernsthafte Nachteile, die ihr aus der Verpflichtung zum Anbringen des "differentialdiagnostischen Hinweises" drohen, hat die Klägerin im Übrigen nicht dargelegt. Insbesondere werden mit dem Hinweis nicht die Anwendungsgebiete des Arzneimittels eingeschränkt, was mehr oder weniger zwangsläufig zu wirtschaftlichen Nachteilen führen würde, sondern lediglich die Grenzen der Selbstmedikation aufgezeigt. Im Vergleich zu dem gewichtigen Ziel des Schutzes der Gesundheit der Patienten haben die vergleichsweise geringfügigen Interessen der Klägerin zurückzustehen.

Im Ergebnis leidet die angegriffene Auflage auch nicht an einem sonstigen Ermessensfehler; insbesondere ein Ermessensdefizit oder -missbrauch liegt nicht vor. Zwar hat die Beklagte die Auflage im Bescheid selbst nur mit Erwägungen begründet, die sich auf § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG und die Vereinheitlichung der Gebrauchsinformationen beziehen. Allerdings lassen sich diese Erwägungen von denjenigen, die für die Auflage in erster Linie relevant sind, nicht strikt trennen, wie sich aus dem Hinweis auf die Arzneimittelsicherheit in § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG, aber auch aus dem Umstand ergibt, dass die Beklagte bei der Gestalt ihrer Muster-Gebrauchsinformatio-nen zweifellos in Betracht zieht, welche Informationen erforderlich sind, um Gefährdungen der Gesundheit zu begegnen. Vor allem aber hat die Beklagte ihre Ermessenserwägungen im Verlauf des Klageverfahrens, auch im Zusammenhang mit den diversen Änderungen der Auflage, in zulässiger Weise ergänzt und präzisiert.

6. Soweit die Klägerin sich schließlich noch gegen die zusätzliche Einfügung des "differentialdiagnostischen Hinweises" in die umrandete Einleitung am Beginn des Textes der Gebrauchsinformation wendet, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Hinsichtlich der konkreten Gestaltung der Packungsbeilage kann sich die Beklagte in Ergänzung der bislang erörterten Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG auf diejenige des § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG stützen. Allerdings geht diese Ermächtigung, wie der Senat bereits entschieden hat, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.9.2008 - 13 A 2288/06 -, juris, nicht so weit, textliche Vorgaben dem Antragsteller unabhängig von dem Ziel einer sprachlich verständlichen und inhaltlich nachvollziehbaren Unterrichtung des Verbrauchers zu machen.

Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 21.6.2007 - 3 C 39.06 -, NVwZ-RR 2007, 776.

Die Aufnahme des differentialdiagnostischen Hinweises als solche könnte daher nicht (allein) auf § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG gestützt werden. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, dass die Behörde es andernfalls in der Hand hätte, entsprechende Hinweise in ihre Mustertexte aufzunehmen und sodann unter Verweis auf die angestrebte Einheitlichkeit zum Gegenstand entsprechender Auflagen zu machen, ohne an die einschränkenden Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AMG gebunden zu sein. Ist die Forderung nach einem entsprechenden Hinweis jedoch im Einzelfall auf der Grundlage von § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG gerechtfertigt, so kann die konkrete Gestaltung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG entsprechend einem für die Wirkstoffkombination erstellten Muster verlangt werden. Denn § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG ist nicht darauf beschränkt, lediglich einzelne Formulierungen oder Passagen in den vorgelegten Textentwürfen zu ändern, sondern er ermöglicht es auch, umfassendere Textgestaltungen vorzugeben, die auf vorab entwickelten Mustertexten beruhen und der Verwendung für eine Mehrzahl vergleichbarer Produkte dienen sollen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.9.2008, a. a. O. (in dem dort zu entscheidenden Berufungszulassungsantrag war der "differentialdiagnostische Hinweis" selbst nicht angriffen).

Dies ist hier der Fall. Die Auflage diente von Beginn an auch der Anpassung an die auf der Homepage des BfArM veröffentlichte Textvorlage für die Kombination Baldrianwurzel und Hopfenzapfen, die ihrerseits zum Teil auf Empfehlungen in europäischen Guidelines zurückgeht.

Dass die Vorgabe eines die Gebrauchsinformation einleitenden, durch einen Rahmen hervorgehobenen Textes, wie die Klägerin meint, ihrerseits gegen § 11 Abs. 1 S. 1 AMG oder das zugrundeliegende Gemeinschaftsrecht verstößt, vermag der Senat - abgesehen davon, dass die Forderung nach einem "Einleitungskasten" als solche gar nicht angefochten ist - nicht zu erkennen. Zwar werden in der genannten Norm die Überschrift und die Reihenfolge der einzelnen Pflichtangaben festgeschrieben. Die Unzulässigkeit einleitender Worte zwischen diesen beiden Elementen der Gebrauchsinformation lässt sich daraus aber nicht ableiten, zumal § 11 AMG in seinem weiteren Text Öffnungsregelungen für zusätzliche Angaben enthält und die starren Vorgaben in § 11 Abs. 1 S. 1 damit in gewissem Umfang aufgeweicht werden, wie oben bereits dargelegt (unter 3.).

Im Ergebnis ist die Forderung nach zusätzlicher Aufnahme des differentialdiagnostischen Hinweises in den Einleitungstext auch nicht deshalb rechtwidrig, weil sich der dort vorgesehene Text von dem in die Rubrik "Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung/Warnhinweise" aufzunehmenden und auf der Grundlage von § 28 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) i. V. m. Nr. 1 lit. a) AMG gerechtfertigten Wortlaut unterscheidet. Denn der Text im "Einleitungskasten" lässt sich als verkürzte Wiederholung des Textes unter "Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung/Warnhinweise" verstehen. Zwar fehlt in der Einleitung der Hinweis auf die "fortlaufende Anwendung" für die Dauer von zwei Wochen. Angesichts des Umstands, dass in dem anschließenden Text der Gebrauchsinformation einschließlich der vollständigen Fassung des differentialdiagnostischen Hinweises mehrfach auf die Notwendigkeit einer fortlaufenden Anwendung hingewiesen wird, hält der Senat das Weglassen dieses Zusatzes in der Einleitung aber für (noch) vertretbar, obwohl durch die weniger informationshaltige Formulierung an exponierter Stelle die aufklärende Wirkung des differentialdiagnostischen Hinweises geschmälert wird. Ob der mit einer Vereinheitlichung der Packungsbeilagen erstrebte Gewinn diesen Nachteil aufwiegt, mag dahinstehen. Jedenfalls wird der differentialdiagnostische Hinweis insgesamt infolge der Gestaltungsvorgabe gemessen an dem verfolgten Zweck nicht ungeeignet. Dasselbe gilt für die Verwendung des Wortes "müssen" im Einleitungstext, die sich von der späteren Fassung des Hinweises unterscheidet. Vor dem Hintergrund des Gesamttextes ergibt sich für den Patienten kein wesentlicher Unterschied im Aussagegehalt des Hinweises.

Ende der Entscheidung

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