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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.03.2009
Aktenzeichen: 13 A 990/08
Rechtsgebiete: EG


Vorschriften:

EG Art. 28
Die Versagung eines Parallelimports mit der Begründung, dem Importmittel fehle ein Beistoff, der für die Zulassung des Referenzmittels im Inland nicht erforderlich sei, stellt sich als unverhältnismäßige Einschränkung der in Art. 28 EG gewährleisteten Warenverkehrsfreiheit dar.
Tatbestand:

Die Klägerin ist ein in den Niederlanden ansässiges Unternehmen, das mit Pflanzenschutzmitteln handelt, die es aus anderen Ländern der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums einführt. Diese Pflanzenschutzmittel sind im Herkunftsstaat zugelassen und mit den entsprechenden in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln (Referenzmittel) chemisch identisch. Ein solches Mittel darf nur eingeführt und in den Verkehr gebracht werden, wenn das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) seine Verkehrsfähigkeit festgestellt hat.

Im Mai 2006 stellte die Klägerin bei dem BVL einen Antrag auf Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das in Griechenland zugelassene Pflanzenschutzmittel "S. 20 G" der T. B.V. Die Klägerin will das Produkt in der Bundesrepublik Deutschland unter der Bezeichnung "S. D." in den Verkehr bringen. Als Referenzmittel wurde das in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Pflanzenschutzmittel "S." der T.-B. GmbH benannt, das wie das Importprodukt ein Produkt des T.-Konzerns ist. Die T.-B. GmbH fügte dem Referenzprodukt ein Vergällungsmittel bei, das das Importprodukt nicht enthält; im Übrigen sind die Pflanzenschutzmittel stoffidentisch.

Diesen Antrag lehnte das BVL im Januar 2007 ab und führte zur Begründung aus: Es könne nicht von einer Produktidentität des in Griechenland zugelassenen Pflanzenschutzmittels und dem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Referenzmittel ausgegangen werden. Zwar sei mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) keine vollständige Produktidentität zu fordern. Eventuelle qualitative oder quantitative Unterschiede in den Beistoffen dürften aber keine Auswirkungen im Hinblick auf die biologische Wirksamkeit oder die Auswirkungen auf Mensch, Tier oder Naturhaushalt oder die zu behandelnden Pflanzen haben. Derartige Auswirkungen seien nach den Kriterien des BVL jedenfalls dann gegeben, wenn sich Import- und Referenzmittel in Beistoffen mit wesentlicher Funktion unterschieden. Dem Importmittel fehle ein wesentlicher Beistoff, der so genannte Repellent. Ein solches Vergällungsmittel diene dazu, durch seinen beißenden Geruch eine versehentliche Aufnahme durch den Menschen, insbesondere Kinder, zu verhindern. Es diene bei Mitteln ohne starken Eigengeruch einem verstärkten Verbraucherschutz.

Die Klägerin erhob gegen den Bescheid erfolglos Widerspruch. Ihrer Klage gab das VG statt. Die Berufung des BVL blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Der Anspruch auf Feststellung der Verkehrsfähigkeit für das Pflanzenschutzmittel "S. D." ergibt sich aus § 16c Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Pflanzenschutzgesetz - PflSchG i. d. F. der Bekanntmachung vom 14.5.1998 (BGBl. I S. 971, 1527, 3512), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 5.3.2008 (BGBl. I S. 284). Aufgrund der Feststellung der Verkehrsfähigkeit gilt ein Pflanzenschutzmittel, das über keine eigene Zulassung i. S. v. § 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG verfügt, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 PflSchG als zugelassen und darf in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden.

Die Feststellung der Verkehrsfähigkeit durch das BVL setzt nach § 16c Abs. 1 Satz 1 PflSchG voraus, dass das Pflanzenschutzmittel in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen ist und mit einem in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel - dem so genannten Referenzmittel - übereinstimmt. Erst nach der Prüfung der Übereinstimmung kann dem Antragsteller eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden (§ 16c Abs. 4 PflSchG).

Zutreffend ist das VG davon ausgegangen, dass hinsichtlich des Referenzmittels eine Zulassung i. S. d. § 16c Abs. 1 PflSchG i. S. d. Richtlinie 91/914/EWG vorliegt, deren Umsetzung das deutsche Pflanzenschutzgesetz dient. Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 12.2.2007 - 13 B 67/07 -.

Nach § 16c Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PflSchG setzt die Feststellung der Verkehrsfähigkeit ferner eine Übereinstimmung hinsichtlich der Wirkstoffe des Importmittels mit dem Referenzmittel und gemäß Nr. 2 der Vorschrift eine Übereinstimmung "in Zusammensetzung und Beschaffenheit" voraus. Das Importmittel stimmt unstreitig mit dem inländischen Referenzmittel im Wesentlichen, d. h. in den maßgeblichen Identitätskriterien, überein. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dem deutschen Referenzmittel ein für die Wirksamkeit und die Auswirkungen regulärer Anwendung des Pflanzenschutzmittels im Übrigen nicht bedeutsames Vergällungsmittel zugesetzt ist, welches dem in Griechenland vertriebenen Importmittel fehlt. Dieser Unterschied in der stofflichen Zusammensetzung zwischen dem Importmittel und dem Referenzmittel rechtfertigt eine Versagung der begehrten Feststellung der Verkehrsfähigkeit nicht.

Auf der Grundlage der Ermächtigungsnorm des § 16c Abs. 5 PflSchG ist die Pflanzenschutzmittelverordnung - PflSchMGV - i. d. F. der Bekanntmachung vom 9.3.2005 (BGBl. I S. 734, zuletzt geändert durch Art. 3 Abschnitt 2 § 7 des Gesetzes vom 13.12.2007, BGBl. I S. 2930) ergangen. Der durch Verordnung vom 12.3.2007 (BGBl. I S. 319) eingefügte § 1c PflSchMGV enthält weiterführende Regelungen zur Feststellung nach § 16c PflSchG. Nach § 1c Abs. 4 PflSchMGV liegt eine Übereinstimmung in Zusammensetzung und Beschaffenheit i. S. d. § 16c Abs. 2 Nr. 2 PflSchG vor, soweit (1.) beide Mittel in der Formulierungsart übereinstimmen und (2.) qualitative oder quantitative Unterschiede in den Beistoffen nicht zu Unterschieden im Hinblick auf die biologische Wirksamkeit, die Auswirkungen auf Mensch, Tier oder Naturhaushalt führen. Nach § 1c Abs. 5 PflSchMGV liegt eine Übereinstimmung insbesondere dann nicht vor, soweit Beistoffsubstanzen mit wesentlicher Funktion fehlen (Nr. 2), unterschiedliche Nominalkonzentrationen von Beistoffen mit wesentlicher Funktion vorliegen (Nr. 3), oder wenn Beistoffe fehlen, die dem Anwenderschutz dienen oder zum Schutz Dritter Anwendung finden (Nr. 5).

Bei der Rechtsanwendung kommt dem Ausschlusskriterium des § 1c Abs. 5 Nr. 5 PflSchMGV, wie das VG zu Recht ausgeführt hat, als speziellere Regelung Vorrang zu. Auf dieses Kriterium hat sich das BVL in den ergangenen Bescheiden auch gestützt. Obwohl die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen und damit die Rechtsfolge der Ablehnung der Verkehrsfähigkeitsbescheinigung vom Wortlaut der maßgeblichen nationalen Vorschriften gedeckt ist, stellt sich die Versagung der beantragten Bescheinigung jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung als Verstoß gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht dar, was zu ihrer Nichtanwendung führt.

Auch im Berufungsverfahren kann dahinstehen, ob § 1c PflSchMGV materiell durch die Ermächtigungsnorm des § 16c Abs. 5 Nr. 2 PflSchG gedeckt ist (Art. 80 Abs. 1 GG). Auf diese Frage kommt es nicht an. Denn die Versagung der Feststellung der Verkehrsfähigkeit ist wegen Verstoßes gegen Art. 28 EG rechtswidrig, da das BVL eine Schutzvorkehrung in Form der Beigabe eines Vergällungsmittels als Voraussetzung nur für den Parallelimport, nicht aber für eine nationale Zulassung des gleichen Pflanzenschutzmittels nach § 15 PflSchG verlangt. Die Zufügung eines Beistoffs bei einem giftigen und sehr giftigen Pflanzenschutzmittel, das, wie das BVL auch hinsichtlich des streitbefangenen Produkts geltend macht, von Natur aus geruchsneutral ist, erfolgt für das Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt nicht auf gesetzlicher Grundlage. Ob der Produzent des Referenzmittels dies im nationalen Zulassungsverfahren auf Anregung des BVL getan hat oder aus wirtschaftlichen Gründen zum Zwecke der Abschottung, ist ohne rechtliche Bedeutung. Die Versagung des Parallelimports mit der Begründung, dem Importmittel fehle ein Beistoff, der seinerseits für die Zulassung des Referenzmittels im Inland nicht erforderlich sei, stellt sich als unverhältnismäßige Einschränkung der in Art. 28 EG gewährleisteten Warenverkehrsfreiheit dar, die nicht durch Gründe gemäß Art. 30 EG gerechtfertigt werden kann.

Art. 28 EG verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Zutreffend ist die Auffassung des VG, dass sowohl das Erfordernis einer erneuten Zulassung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums nach der Richtlinie 91/414/EWG zugelassenen Pflanzenschutzmittels als auch das vereinfachte Verfahren für eine Parallelzulassung - wie hier der Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung - eine die Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG beschränkende Maßnahme gleicher Wirkung darstellen. Denn als den Warenverkehr einschränkende Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 28 EG ist jede Maßnahme oder Regelung der Mitgliedstaaten zu verstehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, vgl. EuGH, Urteil vom 11.7.1974 - Rs. 8/74 - (Dassonville), Slg. 1974, S. 837, Rn. 5; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV Rn. 37 ff. und 127 ff., m. w. N.

Sowohl eine solche "Doppelprüfung" als auch das vereinfachte Verfahren der Parallelzulassung ist nur unter den eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit im Einzelfall rechtfertigenden Voraussetzungen des Art. 30 EG zulässig.

Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt in dem Bereich über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln der Grundsatz, das jedes in einem Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachte Pflanzenschutzmittel von den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats zuzulassen ist (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG). Die gleiche Anforderung gilt auch dann, wenn das betreffende Erzeugnis bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen worden ist. Eine spezielle Bestimmung für Paralleleinfuhren enthält die Richtlinie 91/414/EWG nicht. Im Falle eines Parallelimports kauft ein Wirtschaftsteilnehmer ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat, um es in einem anderen Mitgliedstaat in der Absicht wieder zu verkaufen, Gewinn aus einem Preisunterschied zwischen den beiden geografischen Märkten zu ziehen. Die Richtlinie sieht indes keine Zulassungsvoraussetzungen für ein Pflanzenschutzmittel vor, für das bereits eine Zulassung nach ihren Bestimmungen erteilt worden ist und das Gegenstand einer Paralleleinfuhr im Verhältnis zu einem Pflanzenschutzmittel ist, für das im Einfuhrmitgliedstaat bereits eine Zulassung erteilt wurde. Eine solche Situation fällt jedoch unter die Bestimmungen über den freien Warenverkehr, so dass die Rechtmäßigkeit der nationalen Maßnahmen, mit denen die Paralleleinfuhren beschränkt werden, anhand der Art. 28 ff. EG zu prüfen ist.

Vgl. EuGH, Urteil vom 21.2.2008 - Rs. C-201/06 -, juris, Rn. 31 ff.

Der EuGH hat hierzu Parallelimports-Identitätskriterien aufgestellt: Das Importprodukt muss zumindest insofern einen gemeinsamen Ursprung mit dem Referenzerzeugnis haben, als es von demselben Unternehmen oder einem verbundenen Unternehmen oder in Lizenz nach derselben Formel hergestellt wurde; es muss ferner unter Verwendung desselben Wirkstoffs hergestellt worden sein und überdies die gleichen Wirkungen haben, wobei etwaige Unterschiede bei den für die Anwendung des Erzeugnisses relevanten Bedingungen in Bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt - einschließlich der Witterungsverhältnisse - zu berücksichtigen sind. Für dieses Erzeugnis gilt dann die im Einfuhrmitgliedstaat bereits erteilte Zulassung, soweit dem keine den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt betreffenden Erwägungen entgegenstehen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 11.3.1999 - Rs. C 100/96 - (Agrochemicals), Slg. 1999, S. I-1499, Rn. 33 = EuZW 1999, 341, und vom 21.2.2008 - Rs. C-201/06 -, a. a. O.; vgl. auch Siegel, NVwZ 2007, 906.

Diesen Anforderungen trägt § 16c PflSchG Rechnung und verfolgt ersichtlich den Zweck, eine unnötige Doppelprüfung nach der Richtlinie 91/414/EWG in jedem Mitgliedstaat zu vermeiden, weil eine solche Doppelprüfung auch gemeinschaftsrechtlich eine unverhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG wäre. Vgl. BT-Drucks. 16/645, S. 6.

Ob § 16c PflSchG allerdings den Vorgaben des EuGH zur Frage der Zulässigkeit von Parallelimporten von Pflanzenschutzmittel in vollem Umfang nachkommt, weil er nicht auf die Herstelleridentität als Kriterium abstellt und somit das Merkmal des "gemeinsamen Ursprungs" im oben dargestellten Sinn nicht aufgreift, kann dahinstehen. Es ist nicht weiter zu vertiefen, ob der deutsche Gesetzgeber mit dieser Regelung die korrespondierende Entscheidung des EuGH vom 1. April 2004 zu Parallelimporten von Arzneimitteln in der Sache Kohlpharma (C-112/02) hat umsetzen dürfen oder ob der "gemeinsame Ursprung" notwendige Voraussetzung eines Parallelimports von einen Pflanzenschutzmittel ist.

Vgl. hierzu Schlussanträge der Generalanwältin vom 11.9.2007 in der Rs. C-201/06, Rn. 42 ff., die die Frage der Übertragbarkeit der für den Bereich von Humanarzneimitteln in der Kohlpharma-Entscheidung auf den Bereich der Pflanzenschutzmittel verneint, sowie auch Rn. 43 des Urteils in der Rs. C-201/06; vgl. auch Siegel, a. a. O., 908 f. Jedenfalls sind die drei Parallelimport-Identitätskriterien vorliegend gegeben. Ein gemeinsamer Ursprung der Produkte liegt, was das T.-Unternehmen betrifft, unstreitig vor; konkurrierende Unternehmen stehen nicht in Rede. Außerdem sind eine Identität der Wirkstoffe und der Wirkungen des Mittels gegeben. Bezogen auf diese Merkmale sind Unterschiede bei den für die Anwendung des Mittels relevanten Bedingungen in Bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt einschließlich der Witterungsverhältnisse nicht ersichtlich. Danach sind die Kriterien der zulässigen Identitätsprüfung gemäß den vom EuGH aufgezeigten Parametern gegeben. Daraus folgt eine unverhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit, wenn der Parallelimport trotzdem versagt wird. Es besteht vielmehr ein Anspruch auf Feststellung der Verkehrsfähigkeit.

Wie das VG bereits ausgeführt hat, durfte das BVL die Versagung des Parallelimportes nicht auf ein Identitätskriterium stützen, das für das nationale Zulassungsverfahren keine rechtliche Bedeutung hat und dessen Erfüllung bei der nationalen Zulassung - wie hier - nicht gefordert wird. Ob der Riechstoff in dem Referenzmittel, wie das BVL geltend macht, geeignet ist, von einer Inhalation der Dämpfe des Mittels abzuhalten, ist für die Feststellung der Verkehrsfähigkeit nicht entscheidend. Der Senat muss deshalb nicht der Frage nachgehen, ob und in welcher Intensität das Referenzmittel über einen Eigengeruch verfügt oder ob es ein Brechmittel enthält, dessen Wirkung zum Ausscheiden des Pflanzenschutzmittels führt. Der Argumentation des BVL ist auch insoweit nicht zu folgen, als es geltend macht, wenn Unterschiede bei Wirkstoffen beachtlich seien, dann müsse dies erst recht bei Abweichungen bei den Beistoffen gelten. Denn Wirkstoffen kommt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH die beschriebene Verkehrsfähigkeitsrelevanz zu, den Beistoffen indessen nicht. Aus diesem Grund verfängt auch nicht die Überlegung des BVL, die Relevanz des Beistoffs zeige sich an der Richtlinie 91/414/EWG (Anhang III), weil dort Untersuchungen an dem komplett formulierten Mittel vorgesehen seien. Es ist daher unverhältnismäßig, den innereuropäischen Warenverkehr zu erschweren, indem der Zugang zum Inlandsmarkt nicht im Wege des vereinfachten Verfahrens der Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung, sondern nur über ein reguläres Zulassungsverfahren ermöglicht wird, in welchem der für den Verweis auf die volle Zulassung maßgebliche fehlende Stoff gar keine Rolle spielt. Das unbenannte Kriterium kann deshalb nicht zur Rechtfertigung von grenzüberschreitenden Verkehrsbeschränkungen dienen, wenn das zur Abgrenzung geltend gemachte Schutzniveau selbst im Inland bei Anwendung der Richtlinie 91/414/EWG nicht gefordert wird, sondern der Zulassungsinhaber des Referenzmittels selbst insoweit über die Zusammensetzung des Pflanzenschutzmittels ohne pflanzenschutzrechtliche Verpflichtung entscheidet. Dass die letzte Zulassung des Produkts ohne Riechstoff hier aus dem Juli 1994 datiert, steht dieser Betrachtung nicht entgegen, weil die aktuelle Zulassung des Referenzmittels - bis auf den mittlerweile zugesetzten Beistoff - noch immer dasselbe Produkt wie das im 1994 zugelassene Mittel betrifft. Damit liegt eine diskriminierende Beeinträchtigung des Parallelimports vor, die jedenfalls unter solchen Umständen des Einzelfalles nicht unter Hinweis auf Gründe der menschlichen Gesundheit oder des Verbraucherschutzes (vgl. Art. 30 EG), zur Abgrenzung des kodifizierten Rechtfertigungsgrunds des Schutzes der Gesundheit von weiteren im Allgemeininteresse liegenden "zwingenden Erfordernissen" (etwa dem Verbraucherschutz) vgl. Calliess/Ruffert, a. a. O., Art. 28-30 EGV Rn. 200, 210 ff., m. w. N. aus der Rechtsprechung des EuGH, zu rechtfertigen ist.

Ende der Entscheidung

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