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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.09.2008
Aktenzeichen: 13 B 1171/08
Rechtsgebiete: AMG, VwGO, VO (EWG) 2309/1993, VO (EG) 726/2004, Richtlinie 65/65/EWG, Richtlinie 1999/83/EG, Richtlinie 2001/83/EG, Richtlinie 2004/27/EG


Vorschriften:

AMG § 22 Abs. 2
AMG § 22 Abs. 3
AMG § 24a
AMG § 24b
AMG § 141 Abs. 5
AMG § 24a
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a
VO (EWG) 2309/1993
VO (EG) 726/2004
Richtlinie 65/65/EWG
Richtlinie 1999/83/EG
Richtlinie 2001/83/EG
Richtlinie 2004/27/EG
Die Voraussetzung einer mindestens zehnjährigen allgemeinen medizinischen Verwendung bei bibliographischen Zulassungsanträgen nach § 22 Abs. 3 Nr. 1 AMG muss als materiell-rechtliche Zulassungsvoraussetzung im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung vorliegen, nicht hingegen bereits im Zeitpunkt der Antragstellung.

Wird im Rahmen des bibliographischen Zulassungsverfahrens auf behördliche Beurteilungsberichte zu dem bereits zugelassenen Originalpräparat eines Vorantragstellers zurückgegriffen, so kann sich die Frage nach dem Vorliegen einer Umgehung des Unterlagenschutzes gemäß § 24a AMG (in der Fassung des 8. AMG-ÄndG 1998) stellen.

§ 24a AMG (in der Fassung des 8. AMG-ÄndG 1998) räumt dem Vorantragsteller kein subjektiv-öffentliches Recht ein, das nach Ablauf der Zehnjahresfrist noch gegenüber einem Zweitantragsteller geltend gemacht werden könnte.


Tatbestand:

Die Antragstellerin, ein pharmazeutisches Unternehmen, beantragte im Mai 2007 beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung für ein Arzneimittel. Das betreffende Medikament entspricht weitgehend dem am 15.7.1998 von der European Medicines Evaluation Agency (EMEA) im zentralen europäischen Verfahren zugelassenen Arzneimittel "D", das von den Beigeladenen entwickelt und bislang nur von ihnen vertrieben worden ist. Die Antragstellerin beantragte allerdings keine Zulassung als Generikum, sondern stellte einen Zulassungsantrag, in welchem sie auf eine Reihe von Veröffentlichungen zu dem Medikament "D" Bezug nahm und zudem eine Bioäquivalenzstudie vorlegte, mit der die Vergleichbarkeit des neuen Arzneimittels mit dem Medikament "D" belegt werden sollte. Im Mai 2008 erteilte das BfArM den begehrten Zulassungsbescheid, gegen den die Beigeladenen sogleich Widerspruch einlegten. Einen Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zulassung lehnte das BfArM am 19.6.2008 ab. Die Antragstellerin stellte daraufhin beim VG Köln einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung, dem das VG mit Beschluss vom 25.7.2008 entsprach. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen diesen Beschluss wies das OVG zurück.

Gründe:

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der von den Beigeladenen dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

...

Der Antrag ist gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthaft. Insbesondere hätte der Drittwiderspruch der Beigeladenen gegen die der Antragstellerin erteilte Zulassung ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufschiebende Wirkung; er ist nicht etwa mangels Widerspruchsbefugnis offensichtlich unzulässig. Denn eine Verletzung der Beigeladenen in subjektiv-öffentlichen Rechten aus § 22 Abs. 3 Nr. 1 AMG oder § 24a AMG a.F. erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.

Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch begründet.

Einen eigenständigen materiell-rechtlichen Maßstab für die Entscheidung des Gerichts enthält § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht. Allerdings zeigt die Verweisung in § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO auf § 80 Abs. 5 VwGO, dass sich die Begründetheit eines Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehung im Ansatz nach den gleichen Regeln bestimmt, die auch für die Bescheidung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gelten. Daher ist auch im Rahmen des § 80a Abs. 3 VwGO eine Interessenabwägung erforderlich.

Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist der Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung, der dem Adressaten des Bescheides eine Begünstigung zuteil werden lässt, einen Dritten dagegen belastet. Bei der Abwägung der kollidierenden Belange des Adressaten und des Dritten ist maßgeblich auf die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs abzustellen. Entscheidend ist daher die Frage, ob der Rechtsbehelf - hier der Widerspruch der Beigeladenen - Erfolg haben wird, mithin Rechte des anfechtenden Dritten verletzt sind. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist vornehmlich die Rechtmäßigkeit der Genehmigung, indessen nicht in vollem Umfang, sondern im Grundsatz nur in den Grenzen der Widerspruchs- und Klagebefugnis sowie der Rechtsverletzung des anfechtenden Dritten.

Ausführlich dazu OVG NRW, Beschluss vom 5.9.2008 - 13 B 1013/08 -, juris, m. w. N. (auch zur Gegenauffassung).

Der maßgebliche Entscheidungsparameter findet sich daher in § 80 Abs. 2 Nr. 4, 2. Alt. VwGO. Ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten i. S. d. Vorschrift kann bejaht werden, wenn der von dem belasteten Beteiligten eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und eine Fortdauer der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs dem begünstigten Beteiligten gegenüber unbillig wäre. Die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses an der Beibehaltung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs ist danach grundsätzlich Sache der zuständigen Behörde, hier des BfArM. Bei objektiver Rechtswidrigkeit hat die Behörde eine Rücknahme des Bescheids nach § 48 VwVfG in Betracht zu ziehen, worauf der anfechtende Dritte indes keinen Anspruch hat.

Vgl. bereits OVG NRW, Beschluss vom 26.6.2008 - 13 B 345/08 - , juris.

Der Senat erkennt allerdings die rechtliche Notwendigkeit, in bestimmten Fällen erkennbarer Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden Verwaltungsaktes die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Verfahren mit Drittbeteiligung zu unterlassen. So liegt es, wenn der streitgegenständliche Verwaltungsakt nichtig ist, deshalb keine Wirksamkeit entfaltet (§ 43 Abs. 3 VwVfG) und folglich nicht für sofort vollziehbar erklärt werden kann. Ferner verbietet sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung, wenn bereits feststeht, dass der rechtwidrige Verwaltungsakt in naher Zukunft von der Behörde rechtmäßig aufgehoben werden wird. Denn es läge eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung des Antragstellers vor, wenn er eine Leistung - hier die sofortige Vollziehung der arzneimittelrechtlichen Zulassung - forderte, die er alsbald zwar nicht zu erstatten hätte, aber jedenfalls wieder verlieren würde.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.9.2008, a. a. O.

Ob mit diesen beiden Ausnahmefällen die Zahl der Fallgruppen abschließend umschrieben ist oder ob insbesondere in Fällen, in denen die Arzneimittelsicherheit konkret und erheblich gefährdet ist, sich ebenfalls eine Anordnung der sofortigen Vollziehung verbietet, braucht der Senat - wie in seinem vorstehend zitierten Beschluss vom 5.9.2008 - nicht zu entscheiden. Denn eine konkrete und erhebliche Gefahr für die Arzneimittelsicherheit haben die Beigeladenen nicht dargetan. Sie haben zwar ausgeführt, dass in Bezug auf die Verwendung des Salzes Besilat anstelle von Sulfat Fragen offen seien. Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vermag der Senat indes angesichts der grundsätzlichen Wertung in § 24 b Abs. 2 S. 2 AMG und der durchgeführten Bioäquivalenzstudie bei summarischer Prüfung nicht zu erkennen.

Hängt die Begründetheit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung demnach allein davon ab, ob der von den Beigeladenen eingelegte Widerspruch mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und eine Fortdauer der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs der Antragstellerin gegenüber unbillig wäre, so ist weiter zu berücksichtigen, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Beigeladenen grundsätzlich bezogen auf den für die Widerspruchsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt zu beurteilen sind.

Vgl. nur Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, § 80 Rdnr. 162, m. w. N.

Zu prüfen ist also nicht, ob die angefochtene Zulassung im Zeitpunkt ihrer Erteilung eine drittschützende Vorschrift verletzt hat, sondern ob sie es zum jetzigen Zeitpunkt, den auch die Widerspruchsbehörde ihrer Entscheidung zugrunde zu legen hat, tut. Dies ist nicht der Fall. Weder eine Verletzung des § 22 Abs. 3 AMG (dazu nachfolgend unter 1.), noch eine Verletzung des § 24a AMG a. F. (dazu nachfolgend unter 2.) noch eine Verletzung des Art. 89 der Verordnung (EG) 726/2004 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 (dazu nachfolgend unter 3.) vermag der Senat bei der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnenden summarischen Prüfung zu erkennen.

1. Eine Verletzung des § 22 Abs. 3 AMG als drittschützender Norm liegt nicht vor. Allerdings ist diese Norm auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Denn ungeachtet der Frage, ob der vorliegende gemischte Antrag wegen der Vorlage einer Bioäquivalenzstudie insgesamt als vollständiger Antrag gemäß § 22 Abs. 2 AMG (Art. 8 Abs. 3 Richtlinie 2001/83/EG) einzuordnen ist, wie das BfArM meint, ist die Zulassung jedenfalls ganz überwiegend auf "anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial" und auf eine mehr als zehnjährige "allgemeine medizinische Verwendung" im Sinne von § 22 Abs. 3 AMG gestützt. Die Voraussetzungen einer (teilweise) bibliographischen Zulassung müssen insoweit vorliegen.

Soweit die Vorschrift der Arzneimittelsicherheit und damit den Interessen der Allgemeinheit dient, ist sie allerdings nicht drittschützend und damit für das vorliegende Verfahren irrelevant.

Vgl. zur Frage des Drittschutzes bei § 22 Abs. 3 AMG a. F. OVG Berlin, Beschluss vom 18.4.1996 - 5 S 219.96 -, juris.

Den Schutz Dritter bezweckt allenfalls die in § 22 Abs. 3 AMG enthaltene Mindestdauer der allgemeinen medizinischen Verwendung von zehn Jahren. Die Einführung dieser Mindestdauer dient nach allem Anschein nicht allein einer Verbesserung der Arzneimittelsicherheit, sondern auch den Interessen pharmazeutischer Unternehmen, die innovative Arzneimittel entwickeln und auf den Markt bringen. Dies lässt sich zwar nicht den einschlägigen Gesetzgebungsmaterialien zur 14. AMG-Novelle (2005) entnehmen, in denen lediglich ausgeführt wird, die Vorschrift sei in Umsetzung geänderter Richtlinien des Gemeinschaftsrechts "weiter konkretisiert" worden.

Vgl. Bundestags-Drucksache 15/5316, S. 37.

Anhaltspunkte für eine (auch) drittschützende Zielsetzung ergeben sich aber aus der Richtlinie 1999/83/EG vom 8.9.1999, mit der die Zehnjahresfrist für bibliographische Zulassungen erstmals eingeführt worden ist. Die Erwägungsgründe (4) und (5) dieser Änderungsrichtlinie lauten:

(4) Es muss sichergestellt werden, dass die Möglichkeit, "bibliographische Anträge" vorzulegen, innovatorische Unternehmen nicht davon abhält, die Ergebnisse ihrer Forschungen so rasch wie möglich zu veröffentlichen.

(5) Daher ist eine detaillierte allgemeingültige Umschreibung der Bedingungen für "bibliographische Anträge" und insbesondere des Begriffs "allgemein medizinisch verwendet" gemäß Artikel 4 Absatz 2 Nummer 8 Buchstaben a) und b) der Richtlinie 65/65/EWG erforderlich.

In Umsetzung dieser Erwägungen wurde durch die genannte Änderungsrichtlinie in Teil 3 des Anhangs der Richtlinie 75/318/EWG vom 20.5.1975 u.a. die folgende Passage eingefügt, die sich mit ähnlichem Wortlaut auch in der Nachfolgevorschrift, nämlich in Anhang 2 Teil II der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001, findet:

"Faktoren, die erfüllt sein müssen, um festzustellen, ob ein Bestandteil eines Arzneimittels ,allgemein medizinisch verwendet' wird, sind der Zeitraum, über den ein Stoff verwendet wurde, quantitative Aspekte der Verwendung des Stoffs ... und die Kohärenz wissenschaftlicher Bewertungen. Daher kann der Zeitraum ... von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Auf jeden Fall darf der Zeitraum, der erforderlich ist, um festzustellen, ob ein Bestandteil eines Arzneimittels ,allgemein medizinisch verwendet' wird, nicht weniger als zehn Jahre betragen, gerechnet von der ersten systematischen und dokumentierten Verwendung des betreffenden Stoffs als Arzneimittel in der EU."

Wenn die Einführung des Zehnjahreszeitraums die Unternehmer zur Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse ermutigen sollte, spricht einiges dafür, dass die Unternehmer sich auf die Einhaltung dieses Mindestzeitraums verlassen können sollten, insoweit also ein Schutz (auch) ihrer Rechte bezweckt war. Dies dürfte dann auch für die heute in § 22 Abs. 3 AMG verankerte Regelung gelten.

Zu entscheiden braucht der Senat diese Frage allerdings nicht. Denn zu dem für die Entscheidung maßgeblichen heutigen Zeitpunkt ist die Zehnjahresfrist, worauf auch das VG zu Recht abgehoben hat, abgelaufen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zeitraum bereits durch die Durchführung der "D"-Studie 1992 bis 1995 zu laufen begonnen hat, wie die Antragstellerin und das BfArM meinen. Selbst wenn man als Fristbeginn entsprechend der Auffassung der Beigeladenen den 15.7.1998 ansetzt, an dem die "reguläre" Verwendung des Arzneimittels infolge der Zulassung beginnen durfte und - wie auch die Beigeladenen einräumen - in von Anfang an erheblichem Umfang begonnen hat, ist inzwischen von einer zehnjährigen allgemeinen medizinischen Verwendung auszugehen.

Das BfArM als Widerspruchsbehörde dürfte die erteilte Zulassung somit allenfalls dann wegen Unterschreitung des Zehnjahreszeitraums aufheben, wenn es sich dabei nicht nur um eine (materiell-rechtliche) Zulassungsvoraussetzung handelte, die inzwischen erfüllt ist, sondern um eine verfahrensrechtliche Vorgabe des Inhalts, dass ein entsprechender bibliographischer Zulassungsantrag überhaupt erst nach Ablauf von zehn Jahren allgemeiner medizinischer Verwendung gestellt und bearbeitet werden darf. Dies ist - entgegen der Auffassung der Beigeladenen - nicht der Fall. Schon der oben wiedergegebene Wortlaut in den Anhängen der Richtlinien 75/318/EWG und 2001/83/EG, denen die Zehnjahresfrist entstammt, spricht gegen eine Regelung des Antragszeitpunkts. Denn der Formulierung nach wird dort der Zeitraum definiert, der erforderlich ist, um festzustellen, ob ein Arzneimittel allgemein medizinisch verwendet wird. Diese Feststellung ist Teil der materiell-rechtlichen Prüfung im Rahmen des bibliographischen Zulassungsverfahrens. Sie wird im Übrigen durch die Behörde getroffen und nicht durch den vor der Einreichung der Zulassungsunterlagen stehenden Antragsteller.

Gegen eine Regelung des Antragszeitpunkts spricht überdies der Inhalt der durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 vorgenommenen Änderungen an der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001. Durch diese Änderungsrichtlinie ist die Zehnjahresfrist für bibliographische Anträge erstmals in den Haupttext der Richtlinie 2001/83/EG eingefügt worden, nämlich in den neuen Art. 10a der Richtlinie, dessen Umsetzung § 22 Abs. 3 AMG in seiner heutigen Fassung dient. Zugleich hat die Änderungsrichtlinie 2004/27/EG das generische Zulassungsverfahren dahingehend neu gestaltet, dass nunmehr zwischen einer Achtjahresfrist, in der eine Bezugnahme auf frühere Zulassungen ausgeschlossen ist, und einer Zehnjahresfrist, in der das früher zugelassene Arzneimittel Vermarktungsschutz genießt, unterschieden wird. Hätte der Richtliniengeber in Bezug auf die bibliographische Zulassung die Frage regeln wollen, zu welchem Zeitpunkt der Zulassungsantrag frühestens gestellt werden kann, so hätte es nahe gelegen, diese Frage auch in dem neuen Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG explizit zu regeln. Dies ist indes nicht geschehen. Ginge man mit den Beigeladenen davon aus, dass bei der bibliographischen Zulassung der Antrag stets erst nach Ablauf der Zehnjahresfrist gestellt werden darf, so wäre der Schutz des Originators vor bibliographischen Zulassungen von Nachahmern im Übrigen nach heutigem Recht größer als der Schutz vor generischen Zweitzulassungen. Dafür, dass der Gesetzgeber eine solche Differenzierung gewollt haben könnte, gibt es keine Anhaltspunkte.

Die Auslegung der Beigeladenen, der zufolge zu ihren Gunsten eine Schutzfrist von zehn Jahren vor Stellung des Antrags besteht, hätte zur Folge, dass die tatsächliche Dauer des Schutzes davon abhinge, welche Zeit die Zulassungsbehörde jeweils für die Bearbeitung des Antrags benötigt, was von vielerlei Umständen, etwa der Kapazität und der gegenwärtigen Belastung der Behörde, abhängt. Eine solche Situation lässt sich zwar faktisch nicht immer vermeiden. Dass der Gesetzgeber den Unterlagenschutz zu Gunsten der "innovativen Unternehmen" aber von vornherein auf eine Zeitspanne von zehn Jahren zuzüglich der jeweiligen Dauer des Zulassungsverfahrens hat festlegen wollen, ist nicht ersichtlich und hat in der Norm auch keinen hinreichenden Ausdruck gefunden. Näher liegt die Annahme, dass der Gesetzgeber einen Schutz für lediglich zehn Jahre vor Augen hatte und tatsächliche Verzögerungen, die diesen Zeitraum faktisch verlängern, einen reinen Rechtsreflex darstellen, auf den das innovatorische Unternehmen indessen keinen (subjektiv öffentlichen) Anspruch hat.

Nach alledem spricht bei summarischer Prüfung vieles dafür, dass es sich bei der Zehnjahresfrist des Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6.11.2001 und des ihn umsetzenden § 22 Abs. 3 AMG nicht um eine Regelung des Antragszeitpunkts, sondern um eine (drittschützende) materiellrechtliche Zulassungsvoraussetzung handelt. Da diese Zulassungsvoraussetzung inzwischen erfüllt ist, können die Beigeladenen sich nicht mehr auf einen entsprechenden Mangel berufen.

2.

Auch eine Verletzung des gemäß § 141 Abs. 5 AMG auf den vorliegenden Fall noch anwendbaren § 24a AMG a. F. ist nicht erkennbar. Zunächst ist festzustellen, dass diese Vorschrift auf den vorliegenden Fall nicht unmittelbar anzuwenden ist. Denn sie regelt den Unterlagenschutz im bezugnehmenden (generischen) Zulassungsverfahren. Ein solches liegt hier nicht vor. Die Antragstellerin hat nicht auf die Zulassungsunterlagen der Beigeladenen Bezug genommen. Auch das BfArM trägt vor, es habe die Unterlagen aus den Zulassungsverfahren für die Arzneimittel der Beigeladenen nicht herangezogen. Dies entspricht den internen Bekundungen von mit dem Verfahren befassten Mitarbeitern, die sich dem Verwaltungsvorgang entnehmen lassen (z. B. Besprechungsprotokoll vom 20.5.2008).

Ob und inwieweit durch die Antragstellerin und das BfArM auf das "Summary Basis of Approval" (SAB) der US-amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) zurückgegriffen worden ist, ist insoweit grundsätzlich ohne Bedeutung. Denn bei diesem Bericht handelt es sich nicht um "Unterlagen eines früheren Antragstellers" im Sinne von § 24a AMG a. F. Dass hier die Gefahr einer Umgehung des Unterlagenschutzes nach § 24a AMG a. F. bestehen könnte, ist allerdings nicht von vornherein auszuschließen. Insoweit stellt sich, wie wohl auch das BfArM meint, möglicherweise die Frage, ob § 22 Abs. 3 AMG einschränkend (oder § 24a AMG a. F. erweiternd) dahingehend auszulegen ist, dass bei Heranziehung eines Berichts über das Zulassungsverfahren des Vorantragstellers die Frist des § 24a AMG a. F. von zehn Jahren ab Zulassung auch für bibliographische Zulassungen zu wahren ist. Für den vorliegenden Fall hat diese Frage jedoch keine Bedeutung (mehr).

Dahin stehen kann, ob eine Umgehung des Unterlagenschutzes nach § 24a AMG a. F. AMG schon deshalb nicht vorliegen kann, weil das "Summary Basis of Approval" nach der Erklärung der mit dem präklinischen Bereich befassten Assessorin des BfArM vom 15.7.2008 nur "unterstützend" herangezogen worden ist, zumal es die Voraussetzungen für wissenschaftliches Erkenntnismaterial im Sinne von § 22 Abs. 3 AMG gar nicht erfüllen dürfte.

Entscheidend ist vielmehr, dass bei summarischer Prüfung auch § 24a AMG a. F. dem Vorantragsteller kein subjektives öffentliches Recht einräumt, das nach Ablauf der Zehnjahresfrist noch geltend gemacht werden könnte.

So zu § 24a AMG i. d. F. der 2. AMG-Novelle schon VG Berlin, Beschluss vom 19.3.1990 - 14 A 78.90 -, juris, bestätigt durch OVG Berlin, Beschluss vom 6.4.1990 - 5 S 34.90 -, juris; OVG Berlin, Beschluss vom 10.7.1991 - 5 S 21.91 -.

Die These der Beigeladenen, es entspreche allgemeiner Rechtsüberzeugung, dass § 24a AMG a. F. nicht nur der generischen Zulassung eines Arzneimittels, sondern schon der Stellung und Bearbeitung eines entsprechenden Antrags vor Ablauf von zehn Jahren entgegen stehe, ist zweifelhaft. Rechtsprechung zu dieser Frage ist, soweit ersichtlich, nicht vorhanden. Für die Annahme einer "allgemeinen Rechtsüberzeugung" genügen die Hinweise der Beigeladenen auf Äußerungen auf dem Treffen der "Mutual Recognition Facilitation Group" vom 24.4.2003 und auf dem Treffen des "Pharmaceutical Committee" vom 13.11.2002 nicht. Schon die Tatsache, dass der Vertreter der Kommission bei dem zuletzt genannten Treffen ein Verbot der Bearbeitung generischer Anträge vor Ablauf der Zehnjahresfrist meinte klarstellen zu müssen ("He clarified..."), zeigt, dass insoweit offenbar keine einheitliche Rechtsmeinung bestand. Im Übrigen wird bei beiden Quellen offenbar die Auslegung der Europäischen Kommission wiedergegeben, die das Gericht in keiner Weise bindet.

Dem Wortlaut des § 24a AMG a. F. ist ein Verbot der Antragstellung und -bearbei-tung vor Ablauf der Zehnjahresfrist nicht zu entnehmen. Er lässt vielmehr durchaus die Deutung zu, dass die Voraussetzung der erstmaligen Zulassung des Originalpräparats vor mehr als zehn Jahren zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung vorliegen muss. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes regeln wollen, hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich klarzustellen. An der Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt sich die Interpretation der Beigeladenen ebenfalls nicht festmachen. Die Gesetzesbegründung der fünften AMG-Novelle (1994), welcher der Wortlaut der hier anzuwendenden Fassung des § 24a AMG a. F. im Wesentlichen entstammt, ist unergiebig.

Vgl. Bundestags-Drucksache 12/6480, S. 20.

Dasselbe gilt in Bezug auf die zugrunde liegende Regelung in Art. 4 Abs. 2 Nr. 8 der Richtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965. Die Erwägungsgründe der u.a. die Einführung von Mindestfristen betreffenden Änderungsrichtlinie 87/21/EWG vom 22.12.1986 enthalten keine weiterführenden Hinweise.

Die Änderung der Vorschriften über die generische Zulassung durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004 und - daran anknüpfend - die 14. AMG-Novelle (2005) lässt ebenfalls keine eindeutigen Rückschlüsse zu.

Vgl. zu diesen Änderungen Rehmann, A & R 2008, 147 ff.

Zwar wird nunmehr zwischen einer achtjährigen Frist, in der eine Bezugnahme unzulässig ist, und einer zehnjährigen Vermarktungssperrfrist unterschieden mit der Folge, dass der Zulassungsbescheid jetzt schon vor Ablauf von zehn Jahren erteilt (allerdings erst nach deren Ablauf ausgenutzt) werden kann. Ob mit der Neuregelung aber darüber hinaus gegenüber dem bisherigen Rechtszustand auch insoweit eine Reduzierung des Unterlagenschutzes verbunden sein soll, dass ein schon nach bisherigem Recht vorgegebener frühestmöglicher Antragszeitpunkt um zwei Jahre vorverlegt worden ist, ist aber nicht ohne Weiteres zu erkennen. Auch die Gesetzesbegründung zu dem neuen § 24b Abs. 1 AMG gibt insoweit keinen Aufschluss:

"§ 24b wird neu gefasst unter Präzisierung der bisher geltenden Vorschriften für die Zulassung von Generika und Berücksichtigung der neuen Bestimmungen im europäischen Recht über Schutzfristen für Humanarzneimittel und Tierarzneimittel..."

(Bundestags-Drucksache 15/5316, S. 38)

Dasselbe gilt für die Erwägungsgründe der Änderungsrichtlinie 2004/27/EG vom 31.3.2004. Hier finden sich die folgenden Sätze:

(14) Da Generika einen bedeutenden Anteil des Arzneimittelmarkts ausmachen, sollte ihr Zugang zum Gemeinschaftsmarkt auf der Grundlage der gewonnenen Erfahrungen vereinfacht werden. Darüber hinaus sollte der Zeitraum, in dem die Daten über vorklinische und klinische Versuche geschützt sind, harmonisiert werden.

Denkbar ist, dass mit der angestrebten "Vereinfachung" des Zugangs die Reduzierung der Unterlagenschutzfrist gemeint ist. Andererseits bezieht sich der zweite Satz des Erwägungsgrundes konkret auf den "Zeitraum" des Unterlagenschutzes, und hier ist nur von einer Harmonisierung, nicht aber von einer Reduzierung die Rede. Auch wenn mit "Vereinfachung" eine Reduzierung des Unterlagenschutzes gemeint sein sollte, könnte sich diese im Übrigen - wie bereits ausgeführt - darauf beschränken, dass nunmehr der Zulassungsbescheid bereits vor Ablauf von zehn Jahren erteilt werden kann, was nach altem Recht zweifellos nicht möglich war. Auch wird einer faktisch möglicherweise vorhandenen Praxis der Behörden, den Antrag erst nach Ablauf von zehn Jahren zu bearbeiten, die Grundlage entzogen. Dass indes eine zuvor bestehende zwingende, dem Schutz der innovativen Unternehmen dienende Regelung des frühestmöglichen Antrags- und Bearbeitungszeitpunkts vorverlegt worden sein könnte, lässt sich den zitierten Erwägungen nicht entnehmen.

Überlegungen zu Sinn und Zweck des § 24a AMG a. F. können zu der in Rede stehenden Auslegungsfrage kaum etwas beitragen, weil dem Anliegen, den innovatorischen Unternehmen in bestimmtem Umfang einen Schutz ihrer Vorleistungen zu gewähren, unabhängig davon Rechnung getragen wird, ob der Antrag des Nachahmers schon vor oder erst nach dem Ablauf von zehn Jahren gestellt und bearbeitet werden darf. In beiden Fällen erhält der Vorantragsteller einen Schutz von rund zehn Jahren, den der Gesetzgeber offensichtlich erzielen will. Dem Vorantragsteller über den Zehnjahreszeitraum hinaus Rechte einzuräumen, indem ihm zusätzlich noch die Dauer des Zulassungsverfahrens zugute kommen soll, ist schließlich deshalb wenig nahe liegend, weil die Dauer dieses zusätzlichen Zeitraums - wie schon oben im Zusammenhang mit § 22 Abs. 3 AMG aufgezeigt - von Unwägbarkeiten abhängt, die zu einem faktisch sehr unterschiedlichen Unterlagenschutz führen würden. Es bedeutete eine wenig praktikable Regelung, dem Vorantragsteller nach Ablauf von zehn Jahren noch einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der bei der jeweiligen Zulassungsbehörde üblichen durchschnittlichen Bearbeitungsdauer einzuräumen.

Der Senat vermag dem § 24a AMG a. F. nach alledem bei summarischer Prüfung nicht zu entnehmen, dass dem Vorantragsteller über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus Rechte zustehen sollten. Es mag der Praxis entsprechen, dass die Zulassungsbehörde generische Anträge, auf die (noch) § 24a AMG a. F. Anwendung findet, erst nach Ablauf der Zehnjahresfrist bearbeitet, zumal sich Gründe der Verwaltungspraktikabilität für ein solches Vorgehen anführen lassen. Einen durchsetzbaren Anspruch auf die Einhaltung einer entsprechenden Praxis hat der Vorantragsteller aber nicht. Umso ferner liegt es, den Beigeladenen bei der vorliegend in Rede stehenden Berücksichtigung des § 24a AMG a. F. im Rahmen der Anwendung von § 22 Abs. 3 AMG einen solchen Rechtsanspruch einzuräumen.

3.

Auch eine Verletzung des gemäß Art. 89, 90 Verordnung (EG) Nr. 726/2004 vom 31.3.2004 auf die Zulassung vom 15.7.1998 noch anwendbaren Art. 13 Abs. 4 Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 vom 22.7.1993 i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Nr. 8 lit. a) iii) Richtlinie 65/65/EWG vom 26.1.1965 lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen. Rechte, die den Beigeladenen auch nach Ablauf des Zehnjahreszeitraums noch zustehen könnten, sind aus den oben genannten Gründen nicht erkennbar.

4.

Dahin stehen kann nach alledem, ob dem Drittwiderspruch schon deshalb keine Erfolgsaussichten beigemessen werden können, weil die Zulassung, deren Aufhebung mit dem Drittwiderspruch begehrt wird, wegen des Ablaufs der Zehnjahresfrist auf einen neuen Antrag hin sogleich wieder erteilt werden müsste. Zwar besteht, worauf die Antragstellerin zutreffend hingewiesen hat, eine entsprechende, nicht zuletzt auch grundrechtlich geprägte ständige Rechtsprechung im Baurecht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.4.1996 - 4 B 54.96 -, NVwZ-RR 1996, 628; OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2007 - 10 B 2456/06 -, BauR 2007, 1021.

Die Übertragbarkeit der entsprechenden Überlegungen auf den vorliegenden Fall wäre aber jedenfalls dann zweifelhaft, wenn sich dem hier anwendbaren Recht ein zwingendes und drittschützendes Verbot der Antragstellung und -bearbeitung vor Ablauf von zehn Jahren entnehmen ließe. Insoweit kommt es letztlich maßgebend auf die oben unter 1. bis 3. angestellten Überlegungen an.

5.

Da nach alledem davon auszugehen ist, dass der Widerspruch den Beigeladenen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg verhelfen wird, fällt die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Ihr die Ausnutzung der in Rede stehenden Arzneimittelzulassung trotz des Auslaufens der Schutzfristen zu verwehren, wäre unbillig. Sonstige Abwägungsgesichtspunkte, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten, sind nicht erkennbar, wobei zu berücksichtigen ist, dass die gegenläufigen Belange der Antragstellerin und der Beigeladenen, auch soweit sie grundgesetzlich an Art. 12 und 14 GG angeknüpft sind, grundsätzlich gleichrangig sind und ein Vorrang sich allein aus einer fallbezogenen Abwägung der gegenläufigen Interessen ergeben kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.9.2008, a. a. O.

Das Interesse der Beigeladenen an einem Fortbestand der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche wird im Übrigen ungeachtet der Ausführungen unter 4. rein faktisch dadurch begrenzt, dass auf einen entsprechenden - gegebenenfalls auch generischen - neuen Antrag hin die Zulassung erneut zu erteilen wäre. Das Hauptsacheverfahren würde insoweit also aller Voraussicht nach noch vor seiner Beendigung faktisch gegenstandslos.

Für die Belange der Antragstellerin streitet im Übrigen ein erhebliches öffentliches Interesse an einem (Preis-)Wettbewerb mit generischen Arzneimitteln.

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 26.6.2008 - 13 B 345/08 -, a. a. O.

Ende der Entscheidung

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