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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.10.2008
Aktenzeichen: 13 B 1317/08
Rechtsgebiete: VO (EG) Nr. 882/2004, Richtlinie 89/397/EWG, EMRK, LFGB


Vorschriften:

VO (EG) Nr. 882/2004 Art. 11 Abs. 5
VO (EG) Nr. 882/2004 Art. 11 Abs. 6
Richtlinie 89/397/EWG Art. 7
EMRK Art. 6 Abs. 1
LFGB § 11 Abs. 1
LFGB § 39 Abs. 2
LFGB § 43
Die gemäß Art. 11 Abs. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 bestehende Verpflichtung der Behörde, die Möglichkeit des betroffenen Lebensmittelunternehmers zur Einholung eines Gegengutachtens zu gewährleisten, beinhaltet auch eine Pflicht der Behörde zur Benachrichtigung des Unternehmers über zurückgelassene Zweit- oder Teilproben.

Der Verstoß gegen diese Pflicht kann die Verwertbarkeit des Ergebnisses einer amtlichen Probenahme im gerichtlichen Verfahren einschränken oder ausschließen.


Tatbestand:

Die in der Bundesrepublik ansässige Antragstellerin vertreibt ein in Dänemark produziertes Geflügelfleisch-Produkt. Dieses war lange Zeit mit dem Zusatz "aus Formfleisch-Hähnchenbruststücken zusammengefügt" im Handel. Im Juni 2008 ordnete der Antragsgegner die Rücknahme einer bestimmten Charge des Produkts aus dem Handel an, nachdem eine Überprüfung Bedenken gegen den o. g. Zusatz ergeben hatte. Ein Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ordnungsverfügung blieb vor dem VG und dem OVG (Beschluss vom 8.8.2008 - 13 B 1022/08 -, DVBl. 2008, 1262 ff.) ohne Erfolg.

Im Juli 2008 nahm der Antragsgegner im Einzelhandel eine weitere Probe des Produkts und ließ eine versiegelte Zweitprobe zurück, ohne die Antragstellerin von der Probenahme in Kenntnis zu setzen. Mit der Begründung, es sei erneut eine dem beanstandeten Zusatz nicht entsprechende Konsistenz des Produkts festgestellt worden, ordnete der Antragsgegner dann die Rücknahme aller im Verkehr befindlichen Chargen des Produkts an. Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb vor dem VG erfolglos. Auf die Beschwerde der Antragstellerin stellte das OVG die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her.

Gründe:

Der Antrag der Antragstellerin (...) ist zulässig und begründet. Bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung lässt sich ein das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung nicht feststellen. Die Erfolgsaussichten der Klage sind bei summarischer Betrachtung zumindest als offen anzusehen, und ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung lässt sich auch nicht aus anderen Gründen annehmen.

Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung ist § 39 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 4 LFGB. Danach können die zuständigen Behörden unter anderem zur Beseitigung festgestellter Verstöße sowie zum Schutz vor Täuschung eine Maßnahme überwachen oder, falls erforderlich, anordnen, mit der verhindert werden soll, dass ein Erzeugnis, das den Verbraucher noch nicht erreicht hat, auch durch andere Wirtschaftsbeteiligte weiter in den Verkehr gebracht wird (Rücknahme), oder die auf die Rückgabe eines in den Verkehr gebrachten Erzeugnisses abzielt, das den Verbraucher bereits erreicht hat oder erreicht haben könnte (Rückruf). Dass diese Vorschrift nicht nur auf Verstöße gegen die Anforderungen der Lebensmittelsicherheit anzuwenden ist, sondern auch einen Sachverhalt wie den vorliegenden erfasst, hat der Senat in seinem dasselbe Produkt der Antragstellerin betreffenden Beschluss vom 8.8.2008 eingehend dargelegt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.8.2008 - 13 B 1022/08 -, DVBl. 2008, 1262 ff.

Anders als in jenem Verfahren vermag der Senat vorliegend den von dem Antragsgegner angenommenen Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 2 Nr. 1 LFGB bei summarischer Prüfung nicht festzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens eine Rücknahme aller Chargen des Produkts gerade deshalb für angezeigt gehalten hat, weil der beanstandete Mangel bei der Bezeichnung des Lebensmittels inzwischen in Bezug auf drei verschiedene Chargen festgestellt worden ist. Die Richtigkeit dieser das Ermessen maßgeblich tragenden Annahme lässt sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen.

Zwar hat der Senat keinen Anlass, von der in seinem Beschluss vom 8.8.2008 getroffenen Feststellung Abstand zu nehmen, dass die Charge mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum (...) bei summarischer Betrachtung der Verkehrsauffassung hinsichtlich eines Formfleischprodukts nicht entsprach, da sich insoweit keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. In Bezug auf die zuletzt untersuchte Charge (MHD...) lässt sich die entsprechende Feststellung aber nicht treffen. Denn die Verwertbarkeit der Erkenntnisse des Untersuchungsberichts des Staatlichen Veterinäruntersuchungsamts vom 15.7.2008 begegnet erheblichen Bedenken. Da dieser Bericht hinsichtlich der Charge mit dem MHD (...) die einzige Erkenntnisgrundlage darstellt, stehen diese Bedenken der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entgegen.

Die Bedenken gegen die Verwertbarkeit der dritten Probenahme und -untersuchung resultieren daraus, dass der Antragstellerin bei dieser Probenahme die Möglichkeit, ein zusätzliches Sachverständigengutachten einzuholen, verwehrt worden ist. Das Recht des betroffenen Unternehmers auf Gegenprobe ist gemeinschaftsrechtlich in Art. 11 Abs. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29.4.2004 über amtliche Kontrollen zur Überwachung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EG) Nr. 301/2008 vom 17.3.2008, festgeschrieben. Danach legen die Behörden angemessene Verfahren fest, um das Recht, ein zusätzliches Sachverständigengutachten zu erwirken, zu gewährleisten; insbesondere stellen sie sicher, dass Unternehmer eine ausreichende Zahl von Proben für ein zusätzliches Sachverständigengutachten erhalten können, es sei denn, dies ist nicht möglich, wie im Fall leicht verderblicher Produkte oder wenn nur eine sehr geringe Menge Substrat verfügbar ist. Da Anhaltspunke für ein Eingreifen der zuletzt genannten Ausnahmen nicht erkennbar sind, hatte der Antragsgegner sicherzustellen, dass die Antragstellerin die Zweitprobe für ein zusätzliches Sachverständigengutachten erhalten kann.

Diese Verpflichtung beinhaltet bei summarischer Betrachtung auch eine Pflicht zur Benachrichtigung des betroffenen Lebensmittelunternehmers. Denn ohne das Wissen um die zurückgelassene Teil- oder Zweitprobe dürfte für den Lebensmittelunternehmer die Einleitung einer Gegenprobe häufig unmöglich sein. Dass der Einzelhändler, in dessen Betrieb die Probe entnommen worden ist, die Unternehmer auf anderen Stufen der Herstellungs- und Vertriebskette benachrichtigen kann, dürfte insoweit nicht ausreichen. Denn damit hätte die Behörde die Möglichkeit zur Gegenprobe nicht "sichergestellt", sondern den Vertragsbeziehungen und der Zuverlässigkeit der beteiligten Unternehmer überlassen. Dass es selbst bei gutem Willen des Einzelhandels nicht gewährleistet ist, dass der Hersteller oder ein anderer Unternehmer in der Kette die Probe erhalten kann, zeigt der vorliegende Fall. Obwohl der Antragsgegner ausweislich seines Schriftsatzes vom 10.10.2008 offenbar selbst Ermittlungen über den Verbleib der zurückgelassenen Zweitprobe angestellt hat, ist dieser ungeklärt.

Dass Art. 11 Abs. 6 VO (EG) 882/2004 die Behörde lediglich verpflichtet sicherzustellen, dass die Lebensmittelunternehmer Proben erhalten "können", steht der Annahme einer Verpflichtung zur Benachrichtigung nicht entgegen. Hinter der einschränkenden Formulierung dürfte die Überlegung stehen, dass der Lebensmittelunternehmer seinerseits zur einer Gegenprobe nicht verpflichtet ist; er soll aber die Möglichkeit erhalten, eine entsprechende Untersuchung zu veranlassen. Diese Möglichkeit ist nämlich eine wichtige Voraussetzung für die Inanspruchnahme wirksamen Rechtsschutzes gegen behördliche Maßnahmen, den die Verordnung (EG) 882/2004 dem Unternehmer ausdrücklich ermöglichen will (vgl. Erwägungsgrund 43 der Verordnung). Auch der Antragsgegner scheint eine Unterrichtung des Unternehmers von der zurückgelassenen Probe im Übrigen für sinnvoll zu halten; denn er hat vorgetragen, diese sei vorliegend nur "versehentlich" unterblieben.

In Bezug auf die Vorgängerregelung hat auch der EuGH eine entsprechende Auslegung für angezeigt gehalten. Art. 7 der Richtlinie 89/397/EWG vom 14.6.1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung sah bereits vor, dass die Mitgliedstaaten "die erforderlichen Vorkehrungen (treffen), damit die Betroffenen gegebenenfalls ein Gegengutachten einholen können". Zu dieser Vorschrift hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 10.4.2003 ausgeführt, dass die Behörde den Betroffenen von der Probenahme unterrichte, stelle eine wesentliche Voraussetzung dafür dar, dass dem Hersteller die effektive Ausübung seines Rechts auf Gegengutachten gewährleistet werde. Das Argument (u. a. der deutschen Regierung), eine entsprechende Unterrichtungspflicht sei Teil der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Hersteller und den Einzelhändlern, sei zurückzuweisen. Hänge das Recht auf ein Gegengutachten nämlich vom Vorliegen einer vertraglichen Verpflichtung ab, wäre es nicht so gewährleistet, wie die Richtlinie es verlange.

EuGH, Urteil vom 10.4.2003 - C-276/01 -, Slg. I 2003, S. 3735 (3756) = LRE 45, 256, jeweils Rdnr. 50 f.

Es spricht vieles dafür, dass diese Überlegungen auch auf den insoweit vergleichbaren Art. 11 der VO (EG) 882/2004 zutreffen.

Soweit der Antragsgegner sich auf § 43 LFGB beruft, der eine Unterrichtungspflicht nicht enthalte, sondern die Unterrichtung dem Verhältnis zwischen Händler und Hersteller überantworte, geht dies schon deshalb fehl, weil sich Art. 11 Abs. 5 und 6 der VO (EG) 882/2004 unmittelbar an die mit dem Vollzug des Lebensmittelrechts befassten Behörden richtet. Selbst wenn § 43 LFGB eine von Art. 11 Abs. 5 und 6 der VO (EG) 882/2004 abweichende Regelung träfe und auch keiner verordnungskonformen Auslegung zugänglich wäre, würde dies den Antragsgegner angesichts des Anwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht von der Verpflichtung zur Unterrichtung des Herstellers entbinden.

Vgl. schon OVG NRW, Beschluss vom 8.8.2008, a. a. O.; siehe auch Zipfel/Rathke, LFGB, Kommentar, Stand: November 2007, C 102 § 43 LFGB Rdnr. 52.

Dass § 43 LFGB einer Informationspflicht der Behörde nicht entgegensteht, lässt sich im Übrigen nicht nur an seinem Wortlaut, der sich zur Frage einer Unterrichtung der betroffenen Unternehmer gar nicht verhält, sondern wohl auch an seiner Entstehungsgeschichte festmachen. Das zuständige Bundesministerium hatte nämlich in einem frühen Entwurf des LFGB offenbar eine Pflicht zur Unterrichtung des Herstellers ausdrücklich geregelt, die dann wohl wegen Hinweisen der Länder auf ihre Zuständigkeit für diesen Bereich keinen Eingang in den endgültigen Gesetzentwurf der Bundesregierung gefunden hat.

Vgl. Dannecker/Gorny/Höhn/Mettke/Preuß, LFGB, Kommentar, Stand: August 2008, § 43 Rdnr. 48; Meyer, in: Meyer/Streinz, LFGB/BasisVO, Kommentar, 2007, § 43 LFGB Rdnr. 27; Feldmann/Dimopou-lou, DLR 2004, 357, 360 (mit wörtlicher Teil-Wiedergabe des Entwurfs).

Vor diesem Hintergrund vermag auch die Einschätzung des VG, der Gesetzgeber habe mit § 43 LFGB der Entscheidung des EuGH Rechnung getragen, nicht zu überzeugen. Zwar wird in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich auf das Urteil vom 10.4.2003 hingewiesen.

Vgl. BT-Drucks. 15/3657, S. 66 f. (zu § 42 LFGB).

Dass der Bundesgesetzgeber in § 43 LFGB eine abschließende Umsetzung der Vorgaben des Europarechts erblickt hat, lässt sich der Entwurfsbegründung indes nicht entnehmen. Der Hinweis, die Behörden der Länder hätten das Recht auf Einholung eines Gegengutachtens "durch sachdienliche Maßnahmen sicherzustellen", ist möglicherweise sogar als Hinweis auf die weitergehenden Anforderungen des Europarechts zu verstehen.

Ob die Behörde verpflichtet ist, jeden Lebensmittelunternehmer in der konkret betroffenen Herstellungs- und Vertriebskette über die zurückgelassene Probe in Kenntnis zu setzen oder ob die Verpflichtung insoweit - auch aus Gründen der Praktikabilität und Zumutbarkeit - im Einzelfall eingeschränkt ist, braucht nicht näher erörtert zu werden. Denn vorliegend war nach Lage der Dinge schon zum Zeitpunkt der Probenahme wahrscheinlich, dass sich eine etwaige Ordnungsverfügung gegen die Antragstellerin richten würde, gegen die der Antragsgegner bereits ein Bußgeldverfahren eingeleitet hatte. Unter diesen Umständen durfte der Antragsgegner auf eine Benachrichtigung jedenfalls der Antragstellerin nicht verzichten.

Nach alledem liegt ein Verstoß des Antragsgegners gegen Art. 11 Abs. 5 und 6 der VO (EG) 882/2004 vor. Nachdem die Antragstellerin eingehende erfolglose Bemühungen geschildert und eidesstattlich versichert hat, nach Erhalt der Ordnungsverfügung - auf eine Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG ist aus für den Senat nicht erkennbaren Gründen verzichtet worden - in den Besitz der Zweitprobe zu gelangen, kann ihr, anders als in dem Beschluss vom 8.8.2008, mangelndes Engagement in diesem Punkt nicht vorgeworfen werden. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass durch das Ausbleiben einer Benachrichtigung über die Probenahme der Antragstellerin die Möglichkeit, ein zusätzliches Sachverständigengutachten zu erhalten, tatsächlich versperrt worden ist.

Der Verstoß gegen Art. 11 Abs. 5 und 6 der VO (EG) Nr. 882/2004 führt allerdings nicht zwangsläufig dazu, dass der Untersuchungsbericht des Staatlichen Veterinäruntersuchungsamts vom 15.7.2008 im gerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden kann. Schon der EuGH hat in seinem Urteil vom 10.4.2003 ausgeführt, es sei Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die dem Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Anwendung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten nicht weniger günstig ausgestaltet sind als die entsprechender innerstaatlicher Klagen (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht wird (Effektivitätsgrundsatz). Es sei Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die Anwendung der Beweisregeln des nationalen Rechts - etwa der Grundsatz der Amtsaufklärung und derjenige der freien Beweiswürdigung - eine Inanspruchnahme der mit dem Recht auf Gegengutachten verbundenen Garantien unmöglich mache oder übermäßig erschwere. Dabei seien zudem die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts, namentlich das in Art. 6 Abs. 1 EMRK statuierte Recht auf ein faires Verfahren zu berücksichtigen. Hier sei auch zu erwägen, ob das fragliche Beweismittel aus einem technischen Bereich stamme, in dem das Gericht nicht über Sachkenntnis verfüge, und geeignet sei, seine Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen und ob der Betroffene noch eine Möglichkeit habe, zu diesem Beweismittel wirksam Stellung zu nehmen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 10.4.2003 - C-276/01 -, a. a. O., Rdnr. 60 ff., m. w. N.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt muss im Wesentlichen dem Hauptsacheverfahren, insbesondere der dortigen Beweiswürdigung, vorbehalten bleiben. Festzustellen ist jedenfalls, dass das Gericht wohl nur bedingt in der Lage sein wird, sich über das Gutachten des Staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes vom 15.7.2008 hinaus weitere Erkenntnismittel zu verschaffen. Denn die betreffenden Proben dürften nicht mehr vorhanden, einer (unmittelbaren) Begutachtung durch einen vom Gericht herangezogenen Sachverständigen also nicht mehr zugänglich sein. Umso wichtiger wäre die Möglichkeit eines Gegengutachtens gewesen. Der Gerichtshof spricht in diesem Zusammenhang von einem "kontradiktorischen Charakter" des Verfahrens.

Vgl. EuGH, Urteil vom 10.4.2003 - C-276/01 -, a. a. O.

Dass das Gutachten vorliegend aus einem technischen Bereich stammt, in dem das Gericht nicht über eigene Sachkunde verfügt, und daher geeignet ist, die Würdigung der Tatsachen maßgeblich zu beeinflussen, liegt auf der Hand. Jedenfalls in Bezug auf Untersuchungsmethodik und -umfang handelt es sich um entsprechende, eine besondere Sachkunde erfordernde Fragen. Ob das auch für die Feststellung der Verkehrsauffassung als Grundlage für die Annahme einer Täuschung gilt, mag dahinstehen.

Vor dem Hintergrund des Gebots einer fairen Verfahrensgestaltung wäre die Einräumung der Gegenprobemöglichkeit vorliegend wohl auch deshalb besonders wichtig gewesen, weil die allgemeine Einschätzung, welche Konsistenz ein Fleisch- oder Formfleischprodukt haben sollte, durch die Verwendung neuer Herstellungstechnologien etc. möglicherweise einem gewissen Wandel unterworfen ist, vgl. nur VG Osnabrück, Urteil vom 23.8.2007 - 4 A 119/96 -, juris; dazu auch Lutz, Food & Recht Praxis, Heft 2/08, S. 22, so dass die Untersuchung und Beurteilung eines als "Formfleisch" deklarierten Produkts unter Umständen über die reine Routinetätigkeit eines Lebensmittellabors hinausgeht. Auch dies wird bei der Beweiswürdigung im Hauptsacheverfahren zu erörtern sein. Die Erfolgsaussichten der Klage sind nach alledem als offen zu bezeichnen.

Dass die Antragstellerin infolge des Fehlens einer Gegenprobemöglichkeit nicht imstande ist, dem Untersuchungsbericht vom 15.7.2008 konkret entgegenzutreten, ist über die vorstehenden Überlegungen hinaus auch deshalb problematisch, weil die streitgegenständliche Ordnungsverfügung auf eine faktisch kaum rückgängig zu machende Handlung gerichtet ist, so dass das Gebot, dem Gemeinschaftsrecht durch eine entsprechende Auslegung der Beweisregeln zu effektiver Durchsetzung zu verhelfen, im Hauptsacheverfahren möglicherweise kaum mehr zu erfüllen sein dürfte. Ob schon allein aus diesem Grunde die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (gemeinschaftsrechtlich) angezeigt wäre, kann jedoch dahinstehen.

Sind die Erfolgsaussichten der gegen die Ordnungsverfügung erhobenen Klage nämlich als offen anzusehen, so vermag der Senat auch nicht aus sonstigen Gründen ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung festzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend - unstreitig - nicht um die Abwehr von Gesundheitsgefahren geht, bei der die Anforderungen an die Annahme eines besonderen Vollziehungsinteresses herabgesetzt wären. Es geht - wie die Antragstellerin zu Recht hervorgehoben hat - auch nicht um einen Kennzeichnungsmangel, der mittelbar zu Gesundheitsgefahren führen kann, wie etwa die fehlende Deklaration allergierelevanter Inhaltsstoffe. Es geht vielmehr ausschließlich um den Schutz der Verbraucher vor Täuschung. Zwar handelt es sich auch bei diesem Anliegen um ein wichtiges Ziel des Lebensmittelrechts.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.8.2008 - 13 B 1022/08 -, a. a. O.

Sind die Frage des Vorliegens eines Kennzeichnungsmangels und damit die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens jedoch als offen anzusehen, hat es bei der nach der gesetzlichen Grundregelung - einerseits § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO, andererseits 39 Abs. 6 LFGB - vorgesehenen aufschiebenden Wirkung zu verbleiben.

Ende der Entscheidung

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