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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 31.10.2007
Aktenzeichen: 13 B 1428/07
Rechtsgebiete: PostG


Vorschriften:

PostG § 45
Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen auf § 45 PostG gestützte Auskunftsanordnungen zur Klärung der im lizenzierten Bereich üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen.
Tatbestand:

Zwecks Klärung der im lizenzierten Bereich üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PostG) erließ die Bundesnetzagentur im Juni 2007 Auskunftsanordnungen gegen Inhaber postrechtlicher Lizenzen. Die auf § 45 PostG gestützten Anordnungen enthielten einen mehrseitigen Fragebogen, u. a. mit Fragen zu den beförderten Sendungsmengen, der Zahl der Betriebsstätten und den eingesetzten Fortbewegungsmitteln bei der Zustellung. Gegen die Auskunftsanordnungen suchten einige Lizenzinhaber um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Dem kam das VG nach, weil die o. a. Fragen unverhältnismäßig seien und dies die Rechtswidrigkeit der Auskunftsanordnungen insgesamt bedinge. Auf die Beschwerden der Bundesnetzagentur änderte das OVG die Beschlüsse des VG und lehnte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die Auskunftsanordnungen ab.

Gründe:

Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche der Antragstellerinnen gegen die auf § 45 PostG gestützten Auskunftsanordnungen der Antragsgegnerin sind zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet. Dabei geht der Senat im Ausgangspunkt davon aus, dass vorläufiger Rechtsschutz (nur) in Form der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche in Betracht kommen kann. Zwar ist das Telekommunikationsgesetz von 1996, auf das weiterhin in § 44 Satz 2 PostG verwiesen wird, am 26.6.2004 außer Kraft getreten (vgl. § 152 Abs. 2 TKG 2004), so dass die Bezugnahme in § 44 Satz 2 PostG an sich formal ins Leere geht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.3.2006 - 6 C 13/05 -, NVwZ-RR 2006, 580.

Es ist aber nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber von der unter Geltung des Telekommunikationsgesetzes 1996 gewollten Rechtslage, wonach u. a. Rechtsmitteln gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde keine aufschiebende Wirkung zukommen sollte (§ 44 Satz 2 PostG, § 80 Abs. 2 TKG 1996), abrücken und insoweit bewusst eine andere Regelung treffen wollte. Die unterbliebene Anpassung der Formulierung in § 44 Satz 2 PostG an die Regelungen des jetzigen Telekommunikationsgesetzes ist vielmehr einer fehlenden gesetzgeberischen Sorgfalt zuzuschreiben und hat dementsprechend keine Auswirkungen in materiellrechtlicher oder prozessualer Hinsicht.

In den Verfahren 13 B 1428/07, 13 B 1429/07, 13 B 1431/07, 13 B 1433/07, 13 B 1438/07, 13 B 1439/07 und 13 B 1467/07 besteht eine Besonderheit. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass die jeweiligen Antragstellerinnen vor Erlass der Auskunftsanordnungen bzw. vor Erhebung der Widersprüche gegen diese bzw. (im Verfahren 13 B 1439/07) vor der Entscheidung des VG mit anderen Firmen verschmolzen seien, ohne dass dies zeitgerecht mitgeteilt worden sei. Dazu und zu den sich daraus ergebenden materiellrechtlichen und prozessualen Konsequenzen haben sich die betreffenden Antragstellerinnen trotz ausdrücklicher gerichtlicher Aufforderung nicht geäußert. Mit der Verschmelzung und deren handelsregisterlicher Eintragung bei der übernehmenden Firma erlöschen die übertragenden Rechtsträger (§ 20 Abs. 2 Satz 1 UmwG), so dass sie nicht mehr Träger von Rechten und Pflichten sein können. Dementsprechend waren die betreffenden Antragstellerinnen allenfalls noch berechtigt, die Auskunftsanordnungen mit der Begründung anzugreifen, diese seien wegen Inanspruchnahme eines nicht mehr existenten Rechtssubjekts rechtswidrig. Eine Berechtigung, die Auskunftsanordnungen in der Sache - wie hier geschehen - mit Widerspruch und einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs anzufechten, hatten sie hingegen nicht mehr. Diese Möglichkeit hätte allenfalls der übernehmende Rechtsträger, mit dem sie verschmolzen sind. Infolgedessen waren in den genannten Verfahren die entsprechenden Anträge jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des VG unzulässig. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in analoger Anwendung des § 113 Abs. 4 Satz 1 VwGO kann in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht geltend gemacht werden.

Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 23.5.2006 - 1 M 95/06 -, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 Rdn. 131.

In den vorgenannten Verfahren haben die Beschwerden der Antragsgegnerin bereits deshalb Erfolg.

Im Übrigen hält der Senat - anders als das VG - die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen die in Frage stehenden Auskunftsanordnungen für nicht geboten. Der Senat schließt sich dabei den Ausführungen des VG zur formellen Rechtmäßigkeit der Verfügungen, zur Erfüllung der der Regulierungsbehörde zukommenden Aufgaben und zum abstrakten Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Arbeitsbedingungen im lizenzierten Bereich (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PostG) an. In materiell-rechtlicher Hinsicht hat der Senat bei der in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung hingegen keine Bedenken gegen die in den Auskunftsanordnungen enthaltenen Fragen, insbesondere auch nicht bezüglich des Merkmals der "Erforderlichkeit" im Rahmen des § 45 PostG.

Auch den vom VG beanstandeten Fragen in den Auskunftsanordnungen nach den beförderten Sendungsmengen (Teil III 2 des Fragenkatalogs), der Anzahl der Betriebsstätten (Teil IV 6) und der Art der Zustellung (Teil V B 7) kommt ein Aussagewert in Bezug auf das Merkmal der wesentlichen und im lizenzierten Bereich üblichen Arbeitsbedingungen zu, wie die Antragsgegnerin in den Beschwerden zutreffend dargelegt hat. Die Auskunftsanordnungen sind in einem umfassenden Sinne vor dem Hintergrund der zu Januar 2008 bevorstehenden weiteren Liberalisierung des Postmarktes und der weiteren Handhabung der Erteilung von Lizenzen für Postdienstleistungen sowie vor allem der Debatte in der politischen Öffentlichkeit über die angemessene Entlohnung von Postdienste-Mitarbeitern zu sehen und haben mit diesem Hintergrund eine generelle Zielrichtung. Sie sind hingegen nicht veranlasst durch einen konkreten Einzelfall der Erteilung einer Lizenz oder deren Widerruf nach § 9 PostG. Die üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen sind auch nicht feststellbar bei Zugrundelegung nur eines Teilbereichs des relevanten Marktes oder der Verhältnisse bei der Inhaberin der Exklusivlizenz nach § 51 Abs. 1 PostG, sondern erfordern eine umfassende Auswertung aller insoweit bedeutsamen Daten unter Heranziehung aller im lizenzierten Bereich Tätigen. Dementsprechend teilt der Senat die vom VG geäußerten weiteren Bedenken, die Auskünfte würden nicht in Bezug auf ein konkretes Lizenzerteilungsverfahren eingeholt und es sei zu prüfen, nach welchem Beteiligungs-Maßstab die wesentlichen Arbeitsbedingungen zu ermitteln seien, nicht.

In dem bezeichneten Spektrum stellt der Fragenkatalog in den Auskunftsanordnungen ein Instrument zur Sammlung und Erlangung aussagekräftiger Daten dar, die als Basis für die Beurteilung der im lizenzierten Bereich üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen dienen. Insoweit kommt auch den vom VG als nicht erforderlich eingestuften Fragen nach den Sendungsmengen, den vorhandenen Betriebsstätten und der Art der Zustellung eine Aussagebedeutung zu. Die Frage nach beförderten Sendungsmengen lässt Rückschlüsse auf die Größe des Unternehmens sowie - in einer vergleichenden Betrachtung mit dem Zahlenmaterial anderer Postdienstleistungsunternehmen - auf die Zahl der Beschäftigten zu und gibt mit der Differenzierung nach den Monaten mit dem höchsten und dem niedrigsten Sendungsaufkommen im Jahre 2006 Anhaltspunkte für die Zahl eingesetzter bzw. einzusetzender (Saison-)Arbeitskräfte, bezüglich derer mit der Frage nach der Entlohnung ein weiteres Aussage-Kriterium besteht. Die Frage nach der Zahl der Betriebsstätten ermöglicht ebenfalls Schlussfolgerungen in Bezug auf die Größe und wegen der gewünschten Ortsangaben auch bezüglich der flächenmäßigen Ausdehnung und Betätigung eines Unternehmens und in Verbindung mit den differenzierten Angaben zu den Lohnentgelten auch hinsichtlich etwaiger regionaler Unterschiede in der Entlohnung der Mitarbeiter eines Unternehmens. Der Frage nach den bei der Post-Zustellung eingesetzten Fortbewegungsmitteln und den dabei anfallenden monatlichen Entschädigungen kommt ebenfalls Bedeutung zu für die Höhe der Entlohnung. Somit haben auch die drei vom VG beanstandeten Fragen ihren Sinn bei der Feststellung der im lizenzierten Bereich üblichen wesentlichen Arbeitsbedingungen. Ihre Ausklammerung bei der Sammlung aussagekräftiger Daten für die insoweit anstehende Bewertung ist demnach nicht gerechtfertigt.

Angesichts der dargelegten Kriterien kommt es - anders als die Antragstellerinnen meinen - auch nicht entscheidend darauf an, ob für die Auskunftsverlangen ein "gewisser Anfangsverdacht" besteht. Ob das Merkmal der Erforderlichkeit nach § 45 Abs. 1 PostG mit dem Begriff des "gewissen Anfangsverdachts" treffend bezeichnet ist (so OVG NRW, Beschluss vom 26.1.2000 - 13 B 47/00 -, NVwZ 2000, 702) oder dieser dem Strafrecht entlehnte Begriff (nur) bei Fällen des Verdachts einer missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung benutzt werden sollte (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.4.1998 - 13 B 213/98 -, NJW 1998, 3370) und bei Auskunftsanordnungen nach § 45 Abs. 1 PostG weniger/nicht geeignet erscheint, ist unerheblich. Es handelt sich um allgemeine Auskunftsanordnungen mit einer an der weiteren Liberalisierung des Postmarkts orientierten konkreten Zielsetzung und Zweckbestimmung, die das Vorliegen eines Anfangsverdachts nicht erfordern und sich als solche aus dem verfolgten Zweck rechtfertigen. Im Übrigen würde, wenn ein Anfangsverdacht für notwendig erachtet würde, dieser angesichts der Diskussion in der Öffentlichkeit über die Entlohnung der Mitarbeiter im Postsektor und zu den Konditionen der weiteren Liberalisierung ab 2008 zu bejahen sein.

Die Erforderlichkeit der Auskunftsanordnungen bzw. der Fragen kann des Weiteren nicht verneint werden mit dem Hinweis auf der Antragsgegnerin vorliegende Gutachten und Erhebungen; dies gilt insbesondere für die jährlichen Marktuntersuchungen durch die Bundesnetzagentur zu lizenzpflichtigen Postdienstleistungen. Die Fragen zu der jährlichen Marktuntersuchung beruhen zwar auch auf einer entsprechenden Verpflichtung nach § 45 PostG und sie weisen zum Teil auch einen identischen Inhalt mit den Fragen in den hier betroffenen Auskunftsanordnungen auf. Abgesehen von einer den jeweiligen Fragebögen zu Grunde liegenden andersartigen Zielrichtung sind die Fragen in den Auskunftsanordnungen aber - gerade auch bezüglich der Lohnentgelte - deutlich differenzierter und detailreicher als zu der jährlichen Marktuntersuchung. Die jährlichen Marktuntersuchungen stützten sich zudem regelmäßig auf Angaben zum Vorjahr, während die hier in Frage stehenden Auskunftsanordnungen aktuelleres Zahlenmaterial abfordern. Im Hinblick auf die jährliche Marktuntersuchung durch die Bundesnetzagentur können daher die Fragen in den Auskunftsanordnungen nicht als entbehrlich angesehen werden.

Das Problem der Teilbarkeit des Antragsbegehrens in Anlehnung an die Unzulässigkeit einzelner Fragen stellt sich nach den vorstehenden Ausführungen nicht.

Vorrangige Interessen der Antragstellerinnen, von der Durchsetzung der Auskunftsanordnungen vorläufig verschont zu bleiben, sind nicht erkennbar. Die Beantwortung aller Fragen des Fragebogens einschließlich der drei vom VG beanstandeten Fragen ist ihnen insbesondere nicht unzumutbar. Insoweit hätte auch der in § 44 PostG angeordnete Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln im Rahmen der Interessenabwägung bei - hier nach dem Vorstehenden nicht anzunehmenden - offenem Prozessausgang erhebliches Gewicht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207.

Ende der Entscheidung

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