Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 15.03.2004
Aktenzeichen: 13 B 16/04
Rechtsgebiete: RettG NRW


Vorschriften:

RettG NRW § 6
RettG NRW § 19
Bei summarischer Prüfung muss in Nordrhein-Westfalen die Eintreffzeit bei der Notfallrettung von 8 Minuten innerörtlich und 12 Minuten im ländlichen Bereich mindestens in 90 % der Fälle eingehalten werden, damit sich die Genehmigungsbehörde auf die Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG NRW berufen kann.
Gründe:

Der Antragsteller hat den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht. Das gilt auch für das zentrale Argument seines Vorbringens, er habe Anspruch auf die Erteilung einer Krankentransportgenehmigung, weil im Bereich des Antragsgegners bei der Notfallrettung die Eintreffzeiten von 5 bis 8 Minuten innerstädtisch und bis 12 Minuten im ländlichen Bereich nicht eingehalten würden. Zwar beruft sich der Antragsteller insofern auf einen vom Senat entwickelten Rechtsgedanken, dass nämlich der Staat und seine Gliederungen sich dann nicht auf die Funktionsschutzklausel des § 19 Abs. 4 RettG NRW berufen können, wenn im öffentlichen Rettungsdienst selbst die Vorgaben der Eintreffzeiten nicht eingehalten werden.

Vgl. grundlegend OVG NRW, Beschluss vom 2.8.1994 - 13 B 1085/94 -, OVGE 44, 126, StädteT 1994, 751 = RettD 1994, 35 = EilDStT 1994, 861 = NWVBl. 1995, 26 sowie die nordrhein-westfälische Rechtslage im Einzelnen ableitend Beschluss vom 22.10.1999 - 13 A 5617/98 -, VRS Bd. 98, 476 = NWVBl. 2000, 103.

Hieran hält der Senat auch weiterhin fest, zumal der EuGH aus Anlass eines Falles nach dem rheinland-pfälzischen Rettungsrecht eine ähnliche Forderung entwickelt hat.

Vgl. EuGH, Urteil vom 25.10.2001 - C - 475/99 -, DVBl. 2002, 182, Rz 62 - 64.

Bisher brauchte der Senat nicht zu entscheiden, ob es zur Annahme eines funktionsfähigen Rettungsdienstes ausreicht, wenn die Eintreffzeiten in 90 % der Fälle der Notfallrettung eingehalten werden oder ob für diese Feststellung 95 % erforderlich sind. Jedenfalls für das vorliegende Eilverfahren geht der Senat davon aus, dass nicht 95 % sondern 90 % der Einsätze die Eintreffzeiten einhalten müssen. Zwar hat der Senat zunächst mit dem Abgehen von 100 % sog. "Ausreißer" als unschädlich qualifizieren wollen, was für den Maßstab 95 % sprechen könnte.

Vgl. Beschluss vom 22.10.1999, a.a.O.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des VG Minden stellt der Senat bei seiner Entscheidung nunmehr darauf ab, dass nach § 19 Abs. 4 RettG NRW neben der Eintreffzeit u. a. die Entwicklung der Kosten- und Ertragslage zu berücksichtigen ist. Dies korrespondiert mit der Aufgabenbeschreibung in § 6 Abs. 1 RettG NRW als u. a. "bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung". Zu strenge Anforderungen an die Eintreffzeiten würden - vorbehaltlich anderer Erkenntnisse in einem Hauptverfahren - eine finanzintensive Vorhaltung von Überkapazitäten erforderlich machen, die sogar die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes gefährden könnten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.6.1999 - 3 C 20.98 -, DVBl. 2000, 124, zum Hessischen Rettungsdienstgesetz

Aus dem vorstehend zitierten Urteil ergibt sich zugleich, dass es entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht auf die Möglichkeit der Erhöhung der Gebühren bis zur Kostendeckung ankommen kann. Die anfallenden Kosten müssen im Rettungsdienst ganz überwiegend von öffentlichen Kassen, insbesondere den gesetzlichen Krankenversicherungen, getragen werden. Überhöhte Preise, die sich aus der Vorhaltung von Überkapazitäten ergeben, stellen daher eine massive Belastung der Allgemeinheit dar. Die Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung, deren Belastungsfähigkeit wohl kaum noch gesteigert werden kann, ist ein wesentlicher Teil der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und hat große Bedeutung für das Gemeinwohl.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.6.1990 - 1 BvR 355/86 -, BVerfGE 82, 209, 229 f.

Diese Gesichtspunkte der Bedarfsgerechtigkeit und der Auswirkung auf das Gesundheitswesen führen zwar nicht zur Aufgabe des Erfordernisses der Einhaltung der für Nordrhein-Westfalen geltenden Eintreffzeiten. Jedoch ist jenen anderen Gesetzesvorgaben ebenfalls Rechnung zu tragen bei der Festlegung, in welchem Umfang die Eintreffzeiten, gemessen an der Zahl der Fälle, eingehalten werden müssen. Eine Berücksichtigung nur ganz besonderer Ausnahmefälle würde dem öffentlichen finanziellen Anliegen nicht gerecht.

Soweit sich der Antragsteller auf das Urteil des EuGH (a.a.O.) beruft, vermag der Senat dem eine Notwendigkeit des Einhaltens von Eintreffzeiten zu 100 oder 95 % nicht zu entnehmen. Der öffentlich organisierte Rettungsdienst muss danach tatsächlich in der Lage sein, die Nachfrage zu decken und nicht nur die gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen, die Leistungen des Rettungsdienstes in allen Situationen Tag und Nacht sicher zu stellen, sondern auch die Krankentransportleistungen effizient anzubieten.

Bei der Feststellung der Eintreffzeit kommt es auf den Zeitpunkt des Eintreffens des ersten Hilfsfahrzeuges am Notfallort an, das entgegen der Beschwerde auch ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) sein kann. Wie der Antragsgegner zutreffend ausführt bringt dieses NEF bereits wirksame Hilfe; hierauf ist abzustellen und nicht auf den Gesichtspunkt, dass dieses Fahrzeug nicht zum Transport von Notfallpatienten geeignet ist.

Nach den im Eilverfahren nicht zu beanstandenden Berechnungen des Antragsgegners wird die Eintreffzeit von 12 Minuten für ländliche Gebiete in 92,1 % der Fälle eingehalten. Ob und in welchem Umfang die Stadt D. als innerörtlich mit einer erforderlichen Eintreffzeit von mindestens 8 Minuten zu beurteilen ist, kann dahingestellt bleiben. Wenn man die Kernstadt von D. als innerörtlich bewertet, ergeben sich 91,1 % und bei der Beurteilung von D. insgesamt als innerstädtisch immerhin noch 90,4 %. Die Überprüfung der Berechnung im Einzelnen muss einem eventuellen Hauptverfahren vorbehalten bleiben.



Ende der Entscheidung

Zurück